März 2009

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Das CO2-Problem

Stand: März 2009

(Diese Darstellung ist trotz zahlreicher Verweise auf weiterführende Notizen der ENERGIE-CHRONIK recht umfangreich geworden, weshalb hier zunächst eine Inhaltsübersicht vorangestellt wird; das Anklicken der einzelnen Überschriften führt direkt zum entsprechenden Abschnitt)

Weshalb CO2 unentbehrlich ist und trotzdem gefährlich werden kann

  • CO2 ist kein Gift, sondern eine Grundvoraussetzung für menschliches Leben auf der Erde
  • Zuviel CO2 in der Atmosphäre führt zur Veränderung des Klimas
  • Die Bemühungen um eine Minderung der CO2-Emissionen

  • Die Konferenz von Rio und das Protokoll von Kyoto
  • Die EU ermäßigt ihr Minderungsziel von 15 auf 8 Prozent
  • Wegen des industriellen Niedergangs im Osten fällt Deutschland ein starker Rückgang der CO2-Emissionen praktisch in den Schoß
  • Politisches Wunschdenken wird in "Selbstverpflichtungen" der Wirtschaft umgesetzt
  • Ab dem Jahr 2000 ist es mit den sinkenden CO2-Emissionen in Deutschland vorbei
  • Wirtschaft erweitert ihre Selbstverpflichtung
  • Kraftwerksbetreiber akzeptieren Bonusregelung zur Verhinderung einer Quotenregelung für Kraft-Wärme-Kopplung
  • Die EU-Vorgaben als Rückzugslinie werden 2008 wegen der Wirtschaftskrise sogar übererfüllt
  • Der Handel mit CO2-Emissionsberechtigungen

  • Die EU setzt auf den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten
  • Trotz Überschuß an Zertifikaten entsteht ein lebhafter Handel an der Börse und der Preis steigt immer weiter
  • Die Energiekonzerne schlagen den fiktiven Wert der kostenlos erhaltenen Zertifikate auf die Strompreise auf und kassieren so Milliarden
  • Plötzlich stellt sich heraus, daß nur mit heißer Luft gehandelt wurde
  • Beim Zuteilungsplan für die zweite Handelsperiode kommt die Stromwirtschaft nicht ganz ungeschoren davon
  • In der dritten Handelsperiode wird die kostenlose Ausgabe von Zertifikaten weiter eingeschränkt
  • Weshalb nun auch die Abscheidung und Ablagerung von CO2 für praktikabel erachtet wird

  • Die EU stellt neue Minderungsziele auf und verbindet dies mit einer Vielzahl von teilweise fragwürdigen Maßnahmen
  • Das Kernproblem bleibt der Verbrauch an fossilen Energieträgerm
  • CO2 ist kein Nebenprodukt, sondern das Endprodukt der Verbrennung
  • Die Abscheidung und Ablagerung von CO2 wurde bis vor kurzem nicht für praktikabel gehalten
  • Der gordische Knoten des Klimaproblems soll jetzt mit der CO2-Entsorgung von Kohlekraftwerken durchhauen werden
  • Erste Pilotprojekte der Stromkonzerne: Vattenfall will mit CO2 Restmengen aus ausgebeuteten Erdgaslagern herauspressen
  • RWE will das CO2 schon vor der Verbrennung im Braunkohlekraftwerk abscheiden
  • Gemeinsame Propaganda der Energiekonzerne für Kohleverstromung mit CO2-Abtrennung
  • Gesetzentwurf wird trotz Protesten von Umweltorganisationen verabschiedet
  • Link-Listen der ENERGIE-CHRONIK zu diesem Thema
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    CO2 ist kein Gift, sondern eine Grundvoraussetzung für menschliches Leben auf der Erde

    Bei den Gefahren von Kohlendioxid (CO2) hätte man früher wohl an platzende Sprudelflaschen und knallende Sektkorken gedacht. Was darin prickelt und die Flaschen unter Druck setzt, ist nämlich CO2. Im einen Fall wird es künstlich zugesetzt, im andern entsteht es durch alkoholische Gärung.

    Unmittelbar gefährlich wird CO2 eigentlich nur dann, wenn es den für das Atmen notwendigen Sauerstoff verdrängt. Von praktischer Bedeutung ist dieses Risiko vor allem für Winzer, wenn in ihren Weinkellern der neu gekelterte Rebensaft gärt und das dabei entstehende CO2 sich am Boden ansammelt, weil es schwerer als Luft ist. Die Gefahr des Erstickens beim Hinabsteigen in den Keller läßt sich aber vermeiden, wenn man eine brennende Kerze vor sich her trägt, die ebenfalls Sauerstoff benötigt und deshalb mit Flackern und Erlöschen die Gefahr rechtzeitig signalisiert.

    Heute denkt man bei CO2 allerdings nicht an solche Risiken, sondern an die drohende Veränderung des Weltklimas. Die Gefahr droht vor allem von den fossilen Energieträgern, deren Verbrennung enorme Mengen Kohlendioxid freisetzt. Denn Kohle, Öl und Gas bestehen aus abgestorbenen Pflanzen. Alle Pflanzen binden aber CO2, indem sie es der Luft entnehmen und mit der Energie des Sonnenlichts in Kohlehydrate verwandeln.

    In geringer Konzentration ist CO2 harmlos. Es handelt sich um ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. In der Luft kommt es zu etwa 0,03 Prozent vor. Etwas größere Anteile sind im Meerwasser gelöst. In der Erdkruste findet man es in chemischen Verbindungen wie Kalkstein oder Marmor. In flüssiger Form bildet es den Inhalt von Feuerlöschern. Bei minus 78 Grad geht es in festen Zustand über. Mit solchem "Trockeneis" lassen sich im Theater mächtige, aber harmlose Nebelschwaden erzeugen.

    CO2 ist sogar ein Grundbaustein unseres Lebens. Es ermöglichst letzten Endes erst die Existenz von Tieren und Menschen, die von den Kohlehydraten der Pflanzen leben. Während die Pflanzen CO2 verbrauchen und Sauerstoff abgeben, vollziehen Tiere und Menschen die Energieumwandlung genau umgekehrt: Sie verbrauchen Sauerstoff für die Verbrennung der pflanzlichen Nahrung und geben dafür mit der Atemluft jenes CO2 ab, das in den Pflanzen gebunden war.

    Ebenso wichtig ist das Kohlendioxid als Schutzschicht in der Atmosphäre. Trotz seines geringen Anteils an der Luft sorgt es mit anderen Gasen dafür, daß es auf der Erde einigermaßen warm bleibt. Es läßt nämlich die kurzwellige Strahlung des Sonnenlichts weitgehend passieren, so daß sich die Erdoberfläche erwärmen kann, verhindert aber gleichzeitig die langwellige Abstrahlung der erwärmten Erdoberfläche in den Weltraum. Ohne diesen "Treibhauseffekt" würde die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche nur minus 18 Grad betragen. Dank CO2 und anderer "Treibhausgase" haben wir eine mittlere Temperatur von plus 15 Grad.

    Zuviel CO2 in der Atmosphäre führt zur Veränderung des Klimas

    Aber genau hier liegt das Problem: Sobald sich nämlich der Anteil von CO2 und anderen Treibhausgasen an der Atmosphäre verändert, kann es in unserem Treibhaus Erde entweder jämmerlich kalt oder unerträglich warm werden. Und leider sieht es momentan so aus, als ob die massenhafte Freisetzung von CO2 seit Beginn der Industrialisierung nicht spurlos an der Lufthülle vorbeigegangen sei.

    Schon 1896 hat der schwedische Physiker und Chemiker Arrhenius befürchtet, daß die Freisetzung von CO2 durch die Nutzung fossiler Energien eine Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts bewirken und zu weltweiten Klimaänderungen führen könnte. Aber erst seit relativ kurzer Zeit treiben solche Befürchtungen die Mehrheit der Klimatologen, Öffentlichkeit und Politiker um. 1985 veröffentlichte das amerikanische Energieministerium eine Dokumentation zum Treibhauseffekt. 1987 rief der Deutsche Bundestag die Enquête-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ins Leben. 1988 sprache die Weltkonferenz "The Changing Atmosphere" in Toronto von einem unkontrollierten Experiment, das die Menschheit mit der Atmosphäre durchführe und dessen Konsequenzen letztlich mit einem Atomkrieg vergleichbar sein könnten. Spätestens seit dem Klimagipfel, der 1992 in Rio stattfand, ist der "Treibhauseffekt" in aller Munde.

    Die Konferenz von Rio und das Protokoll von Kyoto

    Dem Klimagipfel von Rio und der dabei vereinbarten Weltklimakonvention (920601) sind inzwischen 14 weitere Konferenzen dieser Art gefolgt. Beim dritten Nachfolgetreffen in Kyoto Ende 1997 einigten sich die Vertragsstaaten von Rio auf ein Protokoll, daß erstmals völkerrechtlich bindend eine Verminderung des Ausstoßes an Treibhausgasen vorschrieb. Weltweit sollte in den Jahren 2008 bis 2012 eine Reduktion um 5,2 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden (971215). Inzwischen zogen die USA aber nicht mehr mit. Das erleichterte es Rußland, Japan und anderen Staaten, die ohnehin recht vagen Bestimmungen des Protokolls zu ihren Gunsten noch mehr aufzuweichen (011102). Es dauerte insgesamt sieben Jahre, ehe auch Rußland das Abkommen ratifizierte (041004) und damit die Bedingungen für das Inkrafttreten der Vereinbarung (031210) erfüllt waren .

    Die EU ermäßigt ihr Minderungsziel von 15 auf 8 Prozent

    Auf europäischer Ebene vereinbarten die EU-Staaten 1997 zunächst, ihre Emissionen bis 2010 um 15 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern (970313). Als dann Ende desselben Jahres der Gipfel in Kyoto stattfand, verpflichteten sich die damals 15 EU-Staaten sowohl einzeln als auch kollektiv zu Reduktionen. Für die EU betrug das Gesamtminderungsziel acht Prozent (971215). Die anschließend vereinbarte Lastenteilung, mit der die 15 Mitgliedsstaaten das EU-Gesamtziel von acht Prozent unter sich aufteilten, wich aber zum Teil ganz erheblich von den in Kyoto eingegangenen natioalen Verpflichtungen ab (020302). Zum Beispiel hat sich Deutschland in Kyoto zu einer Minderung um acht Prozent verpflichtet, während es im Rahmen der EU-internen Lastenteilung 21 Prozent sind. Dagegen wurde Irland, Spanien und Portugal, die sich in Kyoto ebenfalls zu einer Minderung um acht Prozent verpflichteten, EU-intern sogar ein Anstieg ihrer Emissionen um 13 bis 27 Prozent zugestanden. Die EU-Reduktionsziele für die 15 einzelnen Staaten wurden 2002 rechtsverbindlich festgelegt, wobei Deutschland mit einem Minderungsziel von 21 Prozent der absolute Spitzenreiter war. Es zeigte sich aber bald, daß mehr als die Hälfte der EU-Staaten erheblich hinter ihren Klimazielen zurückblieben, obwohl diese geringer waren und zum Teil sogar erhebliche Emissions-Erhöhungen gestatteten (021203). Ende 2003 zeichnete sich sogar bei 13 der 15 EU-Staaten ab, daß sie ihre Ziele nicht erreichen würden (031206).

    Auch Deutschland tat sich zunehmend schwer damit, die im Rahmen der EU übernommenen Reduktionsverpflichtungen zu erfüllen. Erst recht galt dies für die noch höheren Zielmarken, die auf nationaler Ebene aufgestellt worden waren. Schon 1993 verkündete der damalige Bundesumweltminister Töpfer (CDU) die Absicht, die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 bis 30 Prozent zu senken (930805). Und die Koalition aus SPD und Grünen, die ab Herbst 1998 regierte, hielt erst recht an dieser Zielmarke fest, obwohl sich ab dem Jahre 2000 deutlich abzeichnete, daß sie illusorisch war.

    Wegen des industriellen Niedergangs im Osten fällt Deutschland ein starker Rückgang der CO2-Emissionen praktisch in den Schoß

    In den neunziger Jahren sah es dagegen ganz danach aus, als ob Deutschland auch bei der Erfüllung des hochgesteckten nationalen Klimaziels voll im Plan läge: Der CO2-Ausstoß sank von 1990 bis 1995 von 987 auf 872 Millionen Tonnen und erreichte 1999 mit 829 Millionen Tonnen ein Rekordtief. Innerhalb von neun Jahren waren also bereits 19 Prozent CO2-Minderung erreicht worden. Wenn man dieses Ergebnis hochrechnete, ergab sich für das Zieljahr 2015 im Vergleich mit 1990 sogar eine CO2-Minderung um 32 Prozent! Die Mindestmarke von 25 Prozent wäre also noch um sieben Prozentpunkte übertroffen worden.

    Aber es ging nicht so weiter. Mit der Rolle Deutschlands als Musterknabe bei der CO2-Einsparung war von Anfang an viel Augenwischerei und Wunschdenken verbunden. Die Augenwischerei bestand hauptsächlich darin, daß aus der Not des industriellen Niedergangs in den ostdeutschen Bundesländern die Tugend einer angeblich aktiven CO2-Minderungspolitik gemacht wurde. Die Eingliederung der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik war just im Jahre 1990 erfolgt, das als Vergleichsbasis für die CO2-Minderungsziele diente. Die ostdeutsche Energieversorgung basierte bis dahin fast nur auf der Braunkohle, bei deren Verbrennung besonders viel CO2 entsteht. Zusätzlich wurde die CO2-Bilanz der früheren DDR durch veraltete Anlagen und miserable Wirkungsgrade verschlechtert. Als nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Osten der industrielle Niedergang einsetzte, kam es deshalb zu einem überaus starken Rückgang der energiebedingten Emissionen, der auch in der nunmehr gesamtdeutschen CO2-Statistik deutliche Spuren hinterließ und im Tiefstand des Jahres 1999 kulminierte.

    Politisches Wunschdenken wird in "Selbstverpflichtungen" der Wirtschaft umgesetzt

    Hinzu kam das Wunschdenken. Es bestand hauptsächlich in der Annahme, man könne die restlichen Prozentpunkte, die der industrielle Niedergang im Osten nicht bewirkte, durch freiwillige Zusagen der Wirtschaft erreichen. Auf Drängen der Politik gaben verschiedene Branchen 1995 eine erste "Selbstverpflichtung" zur CO2-Minderung ab (950305), die ein Jahr später präzisiert wurde (960304). Diese Selbstverpflichtungen fielen recht unterschiedlich aus. Zum Teil wollten die Wirtschaftsverbände nur eine relative Senkung ihrer CO2-Emissionen zusagen (d.h. im Vergleich mit dem Energieverbrauch). Nur die Stromwirtschaft sowie Stahl-, Chemie- und Kalkindustrie versprachen auch eine absoluten Rückgang des Ausstoßes. Am großzügigsten zeigte sich die Stromwirtschaft, indem sie eine Minderung um 25 Prozent bis zum Jahr 2015 versprach.

    Das schöne Wort "Selbstverpflichtung" täuschte darüber hinweg, daß diese Zusagen überhaupt keine Verpflichtung enthielten. Sie waren unverbindliche Absichtserklärungen. Eine reale Grundlage hatten sie höchstens insoweit, als die jeweiligen Wirtschaftsverbände nach Rücksprache mit den wichtigsten Unternehmen ihrer Branche eine Art Prognose wagten, wie sich die CO2-Emissionen in ihrem Bereich entwickeln würden. Eine verpflichtende Zusage zur CO2-Minderung gaben weder die Verbände noch ihre Mitglieder ab. Die Verbände wären dazu auch gar nicht in der Lage gewesen, da der Hund nun mal mit dem Schwanz wedelt und nicht umgekehrt.

    Ab dem Jahr 2000 ist es mit den sinkenden CO2-Emissionen in Deutschland vorbei

    Allen Beteiligten war natürlich klar, daß es sich um eine Milchmädchenrechnung handelte. Solange aber die CO2-Emissionen durch den Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft nach unten gingen, hütete man sich, an den schönen Schein zu rühren. Das änderte sich erst mit der Trendumkehr im Jahr 2000: In diesem Jahr ging es in der Energiewirtschaft wieder aufwärts mit den Emissionen und das Minus gegenüber 1990, das im Vorjahr noch 18,5 Prozent betragen hatte, verringerte sich auf 16,3 Prozent. Da die Energiewirtschaft mit etwa 44 Prozent an allen CO2-Emissionen beteiligt war, verhagelte dies auch die Gesamtbilanz (020803). Bundesumweltminister Trittin erklärte die Zunahme der CO2-Emissionen mit der Inbetriebnahme der neuen Braunkohlekraftwerke in Lippendorf und Boxberg, ohne daß alte und ineffiziente Braunkohlekraftwerke abgeschaltet worden seien (010205).

    Die rot-grüne Bundesregierung, die von ihrer schwarz-gelben Vorgängerin das hochgesteckte CO2-Minderungsziel übernommen hatte, wurde nun nervös, weil sie befürchten mußte, an einer ihrer empfindlichsten Stellen desavouiert zu werden. Noch schlimmer: Ausgerechnet die Stromwirtschaft, mit der Rot-Grün ein zähes Ringen um den Ausstieg aus der Kernenergie vollführte, hatte sich von ihren großartigen Minderungs-Zusagen verabschiedet und bewirkte nun den Wiederanstieg der Emissionen.

    Schon im Oktober 2000 monierte deshalb das Bundesumweltministerium, daß nach dem bisherigen Stand der Dinge das offizielle Einsparungsziel "weit verfehlt" werden würde (001010). Die Stromwirtschaft begründete die Nichteinhaltung ihrer Versprechungen mit der Veränderung der Geschäftsgrundlage: Man sei damals von einem ungestörten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ausgegangen, bei deren Stromproduktion kein CO2 anfällt. Wegen der drohenden Abschaltung von Kernkraftwerken könne man jetzt bis 2015 nur noch eine Minderung der spezifischen Emissionen zusagen (001010).

    Wirtschaft erweitert ihre Selbstverpflichtung

    Die rechnerische Lücke in der CO2-Minderungsbilanz wurde zunächst in alter Manier kosmetisch beseitigt, indem die Wirtschaft eine neue Selbstverpflichtung abgab. Sie erweiterte dabei ihre 1996 abgegebene freiwillige Selbstverpflichtung, die spezifischen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, indem sie nun eine Verringerung um 28 Prozent anstrebte. Ferner wollte sie bis zum Jahr 2012 die Emission der im Kyoto-Protokoll genannten sechs Treibhausgase (CO2, CH4, N2O, H-FKW, FKW, SF6) um 35 Prozent gegenüber 1990 reduzieren (jeweils umgerechnet auf CO2-Äquivalente). Insgesamt sollte sich so bis 2005 der Ausstoß an Kohlendioxid um zehn Millionen Tonnen verringern und bis 2012 eine weitere Minderung um zehn Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ergeben (001010).

    Kraftwerksbetreiber akzeptieren Bonusregelung zur Verhinderung einer Quotenregelung für Kraft-Wärme-Kopplung

    Etwas mehr Substanz bekam diese Zusage nur, weil die Bundesregierung ein neues Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ankündigte, das die Lieferanten von Endkunden verpflichten sollte, einen steigenden Anteil ihres Stromabsatzes mit KWK-Strom zu decken (000702). Um diese Quotenregelung abzuwenden, fand sich die Energiewirtschaft nach etlichem Hin und Her im Frühjahr 2001 zu einer Bonusregelung bereit, die KWK-Strom zusätzlich zur bisherigen Förderung vergütete. Als Gegenleistung für den Verzicht auf eine Quotenregelung verpflichteten sich die Stromerzeuger, die CO2-Emissionen bis 2010 um insgesamt 45 Millionen Tonnen zu verringern. Fast die Hälfte davon sollte durch die Förderung und Modernisierung von KWK-Anlagen erzielt werden (010501, 010601). Das so in den Grundzügen vereinbarte KWK-Gesetz wurde nach weiteren Auseinandersetzungen um Einzelheiten im Januar 2002 vom Bundestag verabschiedet (020101).

    Die EU-Vorgaben als Rückzugslinie werden 2008 wegen der Wirtschaftskrise sogar übererfüllt

    Nachdem die rot-grüne Koalition aus SPD und Grünen 2002 für eine weitere Legislaturperiode im Amt bestätigt worden war, ging sie vorsichtig auf Distanz zu dem zehn Jahre lang verkündeten Ziel, die CO2-Emissionen schon bis 2005 um ein Viertel gegenüber 1990 zu senken. Stattdessen betonte sie nunmehr die im Rahmen der EU eingegangenen Verpflichtung, die deutschen Emissionen bis 2010 um 21 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern (040303). Sie verschob damit die Erfüllung der Vorgaben in die nächste oder übernächste Legislaturperiode.

    Aber auch diese Rückzugslinie war schwer zu behaupten. Noch im April 2007 erklärte der Bundesumweltminister der neuen schwarz-roten Koalition, Sigmar Gabriel (SPD), daß man von der Erreichung des Kyoto-Ziels ganze drei Prozentpunkte entfernt sei und sich im vergangenen Jahr sogar noch um 0,7 Prozent vom Ziel entfernt habe (070406). Daß die im selben Jahr von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise der Bundesrepublik für das Jahr 2008 sogar eine Übererfüllung ihres Minderungsziels bescheren würde, konnte Gabriel damals nicht vorhersehen (090302).

    Die EU setzt auf den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten

    In Brüssel bastelte die EU-Kommission inzwischen weiter an einer Richtlinie zum Handel mit CO2-Emissionsberechtigungen, der schon seit Anfang der neunziger Jahre als Alternative zur Einführung einer CO2-Steuer diskutiert wurde (920407). Ein erster Entwurf lag seit Oktober 2001 vor (011004) und war sowohl bei der deutschen Industrie (020204) als auch beim wirtschaftsnahen Flügel der rot-grünen Regierungskoalition (020603) auf starke Kritik gestoßen. Die Bundesregierung bemühte sich indessen vergeblich, die Energiewirtschaft und andere Branchen, die eine Selbstverpflichtung zur CO2-Minderung abgegeben hatten, von der Teilnahme am Emissionshandel befreien zu dürfen (021202, 030602). Mit dieser Befreiung hätte die Energiewirtschaft zusätzlich zum Verzicht auf die KWK-Quotenregelung, die sie Schröders erstem Wirtschaftsminister Werner Müller verdankte, auch noch ein besonders hübsches Geschenk von dessen Nachfolger Wolfgang Clement bekommen. Und das alles nur für eine unverbindliche Zusage. Das Europäische Parlament verhinderte aber diese sogenannte "Opt-out-Lösung". Im Juli 2003 wurde die Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung verabschiedet (030701). Darauf basierend verabschiedete der Bundestag im März 2004 das nationale Rahmengesetz für den Handel mit Treibhausgasen (040301) und das Zuteilungsgesetz für die erste Handelsperiode von 2005 bis 2007 (040501).

    Trotz Überschuß an Zertifikaten entsteht ein lebhafter Handel an der Börse und der Preis steigt immer weiter

    Anfang 2005 startete dann die erste Handelsperiode in Deutschland mit rund 1200 Unternehmen und 1849 Anlagen, von denen zwei Drittel Kraftwerke waren (041211). Schon bald stellte sich heraus, daß das Zuteilungsgesetz allerlei Mängel aufwies, die vor allem durch Zugeständnisse an die Energie-Lobby entstanden waren (041202, 050204). Der größte Fehler bestand aber darin, daß viel zu viele Zertifikate ausgegeben worden waren, so daß sich weder eine Knappheit an Zertifikaten noch ein dadurch bewirkter Zwang zur CO2-Minderung ergaben.

    In höchst eigenartigem Kontrast zum Überschuß an Zertifikaten entstand dennoch ein lebhafter Handel mit diesen Papieren. Als die Leipziger Strombörse EEX Ende Oktober 2004 erstmals einen Referenzpreis für den europaweiten Handel ermittelte, lag er noch bei 8,75 Euro pro Tonne CO2. Binnen eines Dreivierteljahres hatte er sich dann mehr als verdreifacht. Am 19. April 2006 erreichte er mit 29,70 Euro seinen Höchststand (060501).

    Die Energiekonzerne schlagen den fiktiven Wert der kostenlos erhaltenen Zertifikate auf die Strompreise auf und kassieren so Milliarden

    Wie konnte das passieren, wo doch diese Papiere im Grunde keinen Wert hatten, von niemandem gebraucht wurden und ohnehin kostenlos abgegeben worden waren? – Wer so fragt, hat das Wesen der entfesselten Finanzwirtschaft nicht verstanden, die ein paar Jahre später mit einem großen Knall platzen würde. Es kam gar nicht auf den realen Wert der Papiere an. Der hätte tatsächlich gegen Null tendieren müssen, da die Energiewirtschaft und andere Branchen überreichlich bedacht worden waren. Umso wichtiger war aber der Börsenwert der Papiere, denn die Stromkonzerne hatten beschlossen, diesen als sogenannte Opportunitätskosten auf die Stromkosten aufzuschlagen. Dank ihrer Marktmacht und fehlendem Wettbewerb war es ihnen ohne weiteres möglich, die so entstandenen Preiserhöhungen gegenüber den Verbrauchern durchzusetzen. Und so sorgten sie dafür, daß an der Strombörse ein Handel mit den Papieren entstand, der den fiktiven Wert in die gewünschte Höhe trieb.

    Den anderen Branchen, die im Wettbewerb standen, war es dagegen nicht möglich, den Scheinwert der Emissionsberechtigungen einfach auf die Preise aufzuschlagen und so die kostenlos erhaltenen Zertifikate in milliardenschwere Zusatzgewinne zu verwandeln. Sie litten im Gegenteil unter steigenden Strompreisen. Schon im Mai 2005 machte deshalb der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) den Handel mit CO2-Zertifikaten an der Strombörse für einen erneuten Anstieg der Strompreise verantwortlich (050505). Die Verbraucherverbände schlugen ebenfalls Alarm und äußerten den Verdacht, daß die Stromkonzerne durch künstlich überhöhte Preise wieder reinholen wollten, was ihnen von den überhöhten Netzentgelten gestrichen worden war (050703). Der Chef eines stromintensiven Unternehmens sprach gar vom "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" und charakterisierte die Strombörse EEX als einen Ort, an dem die Stromkonzerne ihren Strom "preislich hoch veredeln" ließen (050603).

    Im September 2005 schätzte der VIK den Zusatzprofit, den die Stromwirtschaft durch den Emissionshandel erzielte, auf rund fünf Milliarden Euro. Das war noch eine sehr vorsichtige Rechnung, weil der Verband unterstellte, daß tatsächlich Knappheit an Zertifikaten herrsche und die Kraftwerksbetreiber deshalb sieben Prozent der für den Betrieb ihrer Anlagen notwendigen Emissionsberechtigung hätten zukaufen müssen (050901). Eine andere Schätzung sprach von über zwanzig Millionen Euro "Windfall-Profits", die sich die vier deutschen Strom-Oligopolisten und die französische EDF allein den Jahren 2005 und 2006 mit dem Emissionshandel unter den Nagel gerissen hätten (060303).

    Plötzlich stellt sich heraus, daß nur mit heißer Luft gehandelt wurde

    Im Frühjahr 2006 ereignete sich dann an der Strombörse EEX so etwas wie ein kleiner Schwarzer Freitag: Der Preis für die Emission einer Tonne CO2-Zertifikate stürzte vom Höchststand, den er am 19. April 2006 erreicht hatte, plötzlich ins Bodenlose ab. Die Papiere waren nun auch von ihrer Börsennotierung her bald so gut wie nichts mehr wert. Der Scheinwert paßte sich dem realen Wert an. Ende Februar 2007 lag der Preis bei 90 Cent.

    Dieser Preissturz war eine Reaktion auf Berichte, wonach im Rahmen der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 innerhalb der EU erheblich mehr Emissionszertifikaten ausgegeben wurden als dem tatsächlichen Bedarf entsprach. Die EU-Kommission bestätigte, daß für die erste Handelsperiode Emissionsberechtigungen für insgesamt 1.829.476.015 Tonnen CO2 ausgegeben wurden, während 2005 der tatsächliche Ausstoß an CO2 nur 1.785.337.819 Tonnen betrug. Somit ergab sich eine Differenz von 44 Millionen Emissionsberechtigungen, die von ihren Inhabern nicht benötigt wurden. Wie aus den EU-Zahlen weiter hervorging, hatte Deutschland im Jahr 2005 den absolut höchsten Überschuß an Emissionsrechten (060501).

    Die CO2-Blase an der Börse platzte nun in ähnlicher Weise wie vier Jahre zuvor die schwindelerregenden Aktienkurse für irgendwelche Internet-Firmen und zwei Jahre später das weltweite Spielkasino, das eine neoliberal entfesselte Finanzwirtschaft aufgebaut hatte. Hier wie dort stellte sich heraus, daß letzten Endes nur mit heißer Luft gehandelt worden war. Für diejenigen, die das Gebläse bedienten, sprangen dabei allerdings Milliardengewinne heraus.

    Beim Zuteilungsplan für die zweite Handelsperiode kommt die Stromwirtschaft nicht ganz ungeschoren davon

    Anstatt aus diesem Fiasko die Lehren zu ziehen, verabschiedete das Bundeskabinett im Juni 2006 den Zuteilungsplan für die zweite Handelsperiode von 2008 bis 2012 erneut mit einer viel zu großzügig bemessenen Zahl an Zertifikaten (060602). Erst unter dem Druck der EU-Kommission, die sich nicht ein zweites Mal blamieren wollte, kam es zu Abstrichen (061104), die schließlich auch die Bundesregierung akzeptieren mußte (061201).

    Immerhin bestand wenigstens von Anfang an Übereinstimmung, daß die Stromkonzerne für ihren Beutezug nicht ganz ungestraft davonkommen sollten. Das Zuteilungsgesetz, das der der Bundestag im Juni 2007 verabschiedete (070603), verlangte deshalb vom produzierenden Gewerbe weniger Minderungsleistungen von der Energiewirtschaft (060401). Nachträglich wurde außerdem verfügt, daß zehn Prozent der Emissionsberechtigungen nicht mehr kostenlos verteilt, sondern versteigert werden (070514).

    Das Kartellamt unternahm ebenfalls Schritte, um die willkürlichen Preiserhöhungen der Stromkonzerne zu ahnden, die mit dem irrealen Börsenpreis für CO2-Zertifikate begründet worden waren (061203). Am Ende kam dabei aber nicht viel heraus. Der RWE-Konzern verdiente sogar noch an der erzwungenen Versteigerung von Kraftwerkskapazitäten, die ihm auferlegt worden waren (080216).

    In der dritten Handelsperiode wird die kostenlose Ausgabe von Zertifikaten weiter eingeschränkt

    Ende 2008 verabschiedete Brüssel die Richtlinie über die Dritte Phase des Europäischen Emissionshandelssystems von 2013 bis 2020. Die Stromwirtschaft wird demnach grundsätzlich alle Zertifikate, die sie zur Abdeckung ihrer Emissionen benötigt, schon ab 2013 bezahlen müssen. Eine Ausnahmeregelung gilt aber für Staaten mit hoher Abhängigkeit von fossilen Energiequellen und geringem Bruttosozialprodukt pro Einwohner, wie dies bei Polen und anderen osteuropäischen Ländern der Fall ist. Hier beträgt die Versteigerungsquote anfangs 30 Prozent und steigt bis 2020 schrittweise auf 100 Prozent. Die übrigen CO2-Emittenten erhalten die Zertifikate auch in der dritten Handelsphase zum größten Teil weiterhin kostenlos. Es wird aber differenziert zwischen Wirtschaftszweigen, bei denen die Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionsquellen ins EU-Ausland ("carbon leakage") besteht oder nicht besteht. Im ersten Fall werden alle Zertifikate weiterhin kostenlos zugeteilt, wobei "der Referenzwert der besten verfügbaren Technologie" maßgebend ist. Im zweiten Fall beträgt die Versteigerungsquote zunächst 20 Prozent, um bis 2020 auf 70 Prozent zu steigen. Eine hundertprozentige Versteigerung soll ab 2027 erfolgen (081207).

    Die EU stellt neue Minderungsziele auf und verbindet dies mit einer Vielzahl von teilweise fragwürdigen Maßnahmen

    Unterdessen waren die Treibhausgas-Emissionen der EU weiter angestiegen anstatt gesunken und die 2002 verbindlich vereinbarten Minderungsziele der einzelnen Staaten immer illusorischer geworden (050612). Die EU-Kommission gab deshalb als neue Zielmarke aus, die Emissionen von 2012 bis 2020 um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Bezugsjahr 1990 zu senken. Falls andere Industriestaaten mitziehen würden, sollte dieses Ziel sogar auf 30 Prozent angehoben werden. Erreicht werden sollte dieser Kraftakt durch eine Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch der EU auf 20 Prozent bei gleichzeitiger Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent (070102). Im März 2007 billigte ein EU-Gipfel die neue Zielmarke (070306). In Deutschland wurde zur Umsetzung dieser EU-Ziele trotz heftigen Protestes der Energiewirtschaft (070705) ein nationales Klimaschutzprogramm beschlossen, das insgesamt 14 Gesetzesvorhaben umfaßte (071204). Es soll bis zum Jahr 2020 eine CO2-Minderung um 36 Prozent ermöglichen. Außerdem sagte Deutschland eine Erhöhung auf 40 Prozent zu, falls die EU im Rahmen UN-Klimaschutzabkommens eine Minderung um 30 Prozent übernimmt.

    Auf europäischer wie auf nationaler Ebene ergaben sich bei dieser Anstrengungen auch einige fragwürdige Maßnahmen, bei denen politischer Aktivismus und geschickte Lobbyarbeit eine ungute Verbindung eingingen. So verfügte die EU-Kommission 2009 auf Basis der Ökodesign-Richtlinie ein europaweites Verkaufsverbot für Glühlampen zur zwangsweisen Verwendung sogenannter Energiesparlampen. Der sich daraus ergebende Einspareffekt war per Saldo höchst geringfügig. Das Glühlampen-Verbot bedeutete aber eine ähnliche Bevormundung und Schikanierung der Bürger wie die seit 1994 in der ganzen EU zweimal jährlich stattfindende Zeitumstellung, die ebenfalls mit einer angeblichen Energieeinsparung begründet worden war, obwohl sie tatsächlich gar nichts brachte (081201). Von ähnlicher Qualität war der politische Druck zur Einführung der Leistungsmessung auch bei Haushaltskunden: Den sogenannten "intelligenten Zählern" wurden geradezu wundersame Fähigkeiten zur Energieeinsparung angedichtet, obwohl sie allenfalls den Interessen der Stromversorger dienten (081203, 080410). Ein anderer Schildbürgerstreich war die von der Bundesregierung geplante Verdoppelung der Beimischung von Biosprit zum Benzin, die wahrscheinlich Hunderttausenden von Autofahrern Motorschäden beschert hätte, weil sich die Regierung auf Angaben der deutschen Hersteller verlassen und die andersgearteten Voraussetzungen bei Importmarken nicht berücksichtigt hatte (080403). Mit der geplanten europaweiten Einführung eines Handels mit "Ökostrom"-Zertifikaten hätte Brüssel fast das effizientere deutsche System der EEG-Förderung gefährdet (080207). Als höchst zweischneidig erwies sich auch die gesetzliche Förderung der Verstromung von Biomasse (070310).

    Das Kernproblem bleibt der Verbrauch an fossilen Energieträgerm

    Gerade diese Vielzahl und teilweise Fragwürdigkeit der Maßnahmen zeigte, daß noch immer ein wirksamer Hebel fehlte, um die CO2-Minderung in die erstrebten Höhen zu befördern. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hatte zwar Fortschritte gemacht, ließ sich aber nicht beliebig forcieren. Außerdem litt er gerade im ertragreichsten Bereich darunter, daß die fluktuierende Einspeisung der Windkraftanlagen durch Bereithaltung von Kraftwerksreserven kompensiert werden mußte. Der Erhöhung der Energieeffizienz waren ebenfalls Grenzen gesetzt. Sie reichte allenfalls aus, um den CO2-Anfall durch den weiterhin steigenden Energiebedarf zu bremsen. Hinzu sollten zumindest in Deutschland die vorhandenen Kernkraftwerke nach und nach ersatzlos abgeschaltet werden, was realistischerweise den Neubau von Kohlekraftwerken erforderlich machte, wenn man sich nicht noch stärker in die Abhängigkeit von Erdgaslieferanten begeben wollte. Die Verwendung von Erdgas war ohnehin nicht so klimafreundlich, wie dies von der Lobby gern dargestellt wurde: Zum einen werden bei der Förderung aus den unterirdischen Lagerstätten oft auch erhebliche Mengen CO2 freigesetzt. Zum anderen entweichen aus den viele tausend Kilometer langen Pipelines erhebliche Mengen Erdgas, bevor es verbrannt werden kann, und in reiner Form ist das Methan ein noch wirksameres Treibhausgas als CO2.

    Im Grunde war alles nur Flickschusterei, was nicht unmittelbar am Kern des Problems ansetzte. Und der bestand nun mal darin, daß die Menschheit im 19. Jahrhundert damit begonnen hatte, den wesentlichen Teil ihres Energiebedarfs durch die Verbrennung fossiler Energieträger zu decken. Bis dahin geschah das fast nur durch die Nutzung von Holz, Wind, Wasserkraft oder Biomasse in Form tierischer Zugkraft, wodurch die CO2-Emissionen nicht höher waren als die gleichzeitige Bindung von CO2 durch die Photosynthese der Pflanzen mit Hilfe des Sonnenlichts. Infolge der nun einsetzenden Ausbeutung der fossil gespeicherten Sonnenenergie stieg der Energieverbrauch der Menschheit um ein Vielfaches – nicht nur insgesamt, sondern auch pro Kopf – und hat den heutigen Stand der Zivilisation überhaupt erst ermöglicht. In den fossilen Energieträgern war aber CO2 gebunden, das vor Jahrmillionen von Pflanzen der Atmosphäre des Planeten entzogen und in Sauerstoff umgewandelt worden war. Erst dadurch war tierisches und menschliches Leben auf der Erde ermöglicht worden. Nun kehrte der Mensch den Prozeß der Energieumwandlung wieder um. Er gewann dadurch bislang unvorstellbare Energien und technische Möglichkeiten, erhöhte aber auch den CO2-Gehalt der Atmosphäre wieder und damit den Treibhauseffekt.

    CO2 ist kein Nebenprodukt, sondern das Endprodukt der Verbrennung

    Um dieses Dilemma in seiner vollen Tragweite zu begreifen, muß man sich von der verbreiteten Vorstellung frei machen, daß das CO2 eine Art Schadstoff wie Flugasche, Schwefeldioxid und Stickoxide sei, die ebenfalls bei der Verbrennung fossiler Energieträger in Kraftwerken anfallen und inzwischen recht wirksam durch allerlei Vorrichtungen zur Rauchgasreinigung beseitigt werden können. Bei CO2 handelt sich nicht um ein solches Nebenprodukt der Verbrennung, sondern um das Endprodukt der Verbrennung selbst: Die im Brennstoff enthaltenen Atome des chemischen Elements Kohlenstoff (C) verbinden sich mit den Sauerstoff-Molekülen der Luft (O2) zu Kohlendioxid-Molekülen (CO2). Im Zuge dieser chemischen Reaktion wird Energie in Form von Wärme frei, die wiederum in Strom oder andere Formen von Energie umgewandelt werden kann. Aber leider entsteht als unerwünschtes Endprodukt der Verbrennung eben auch CO2 und entweicht in die Atmosphäre.

    Aus diesem Grunde werden die CO2-Emissionen auch nicht an den Schornsteinen der Kraftwerke gemessen, wie dies bei Abgasen der Fall ist, sondern aus den spezifischen CO2-Emissionen des jeweils verwendeten Brennstoffs errechnet, die bei der Umwandlung in Wärme pro Kilowattstunde zwangsläufig anfallen: Bei Erdgas sind das etwa 200 Gramm, bei Steinkohle 330 Gramm und bei Braunkohle 400 Gramm. Da es innerhalb der einzelnen Kategorien unterschiedliche Brennwert-Qualitäten gibt, handelt es sich hierbei nur um Richtwerte. Außerdem hängt es vom Wirkungsgrad der Energieumwandlung im jeweiligen Kraftwerkstyp sowie dem Kraftwerkseigenbedarf und den Netzverlusten ab, wieviel tatsächlich vom jeweiligen Brennstoff benötigt wird, um den Verbraucher mit einer Kilowattstunde Strom zu beliefern.

    Die Abscheidung und Ablagerung von CO2 wurde bis vor kurzem nicht für praktikabel gehalten

    Der technisch mögliche Rückprozeß der CO2-Spaltung verbietet sich aus Energieerhaltungsgründen, denn er würde mindestens soviel Energie verschlingen, wie einst für die Aufspaltung des Kohlendioxids in Kohlenstoff und Sauerstoff erforderlich war. Es bliebe somit nur die Möglichkeit, die CO2-Emissionen aufzufangen und zwischenzuspeichern, bis in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft genügend CO2-freie Energiequellen zur Verfügung stehen. Eine derartige CO2-Abtrennung vor, während oder nach der Verbrennung ist aber nur in Großanlagen praktikabel, die derzeit etwa ein Fünftel zur Gesamtemission beitragen. Auch würde die Effizienz der Rückhaltung lediglich etwa 80 Prozent betragen. Ferner würde sich dadurch der Wirkungsgrad des Kraftwerks verringern und somit ein Teil der CO2-Einsparungen wieder zunichte gemacht. Beispielsweise würde der Wirkungsgrad eines GuD-Kraftwerks von 52 auf 42 Prozent sinken.

    Ferner ist keineswegs sicher, ob das CO2 tatsächlich dort bleibt, wohin man es verbannen möchte. Als besonders unsicher gilt die Ablagerung in großen Tiefen auf dem Meeresgrund, weil auch der dort herrschende Druck keine Garantie dafür bietet, daß das Gas nicht wieder hochkommt und in die Atmosphäre entweicht. Etwas mehr Sicherheit verspricht die Einleitung in ehemalige Erdgas- oder Erdölfelder. Wenn die Bohrungen hinreichend abgedichtet werden, könnten sie eine neue Verwendung zur dauerhaften Einschließung von CO2 finden. Viele Unsicherheiten bleiben aber auch hier. Aus allen diesen Gründen wurde die Möglichkeit der Abscheidung und Abspeicherung von CO2 bei der Stromerzeugung bis ins 21. Jahrhundert für eine rein theoretische Möglichkeit gehalten, die aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen nicht ernsthaft in Frage kam.

    Der gordische Knoten des Klimaproblems soll jetzt mit der CO2-Entsorgung von Kohlekraftwerken durchhauen werden

    Das änderte sich aber nun, nachdem auf politischer Ebene so massive Anstrengungen unternommen wurden, den gordischen Knoten des Klimaproblems zu lösen. Wie beim klassischen Vorbild verfiel man auf den Ausweg, den Knoten nicht wirklich zu lösen, sondern ihn einfach zu durchhauen. Sowohl die Politik als auch die Wirtschaft befreundeten sich zunehmend mit der Möglichkeit der Abscheidung und Abspeicherung von CO2, die bisher als unpraktikabel und unrealistisch verworfen worden war. Die enormen Kosten des Verfahrens erschienen nun den Kraftwerksbetreibern in einem milderen Licht, da sie hoffen konnten, daß der Staat den Großteil der enormen Kosten entweder direkt übernehmen oder zumindest die Weiterwälzung auf die Verbraucher ermöglichen würde.

    Bereits 2004 startete mit Forschungsmitteln der EU das Projekt CASTOR ("CO2 from Capture to Storage"), um die Möglichkeiten der nachträglichen Abscheidung von CO2 aus den Rauchgasen und deren Ablagerung zu untersuchen. Beteiligt waren rund dreißig Forschungseinrichtungen, Energiekonzerne, Öl- und Gasförderer sowie Industrieunternehmen. Als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen wurde im März 2006 Im Kraftwerk Esbjerg des dänischen Stromproduzenten Elsam die erste Pilotanlage zur Bindung von Kohlendioxid (CO2) aus fossil befeuerten Kraftwerken eingeweiht (060315).

    Erste Pilotprojekte der Stromkonzerne: Vattenfall will mit CO2 Restmengen aus ausgebeuteten Erdgaslagern herauspressen

    Im Mai 2005 kündigte Vattenfall an, am Standort Schwarze Pumpe die weltweit erste Pilotanlage für ein CO2-freies Braunkohlekraftwerk nach dem sogenannten Oxyfuel-Verfahren zu errichten. Dabei wird die Braunkohle mit einem Gemisch aus Sauerstoff und rezirkuliertem Rauchgas verbrannt. Durch Auskondensieren kann das Kohlendioxid aus dem Rauchgasstrom getrennt und mittels Druck verflüssigt werden. So läßt es sich transportieren und in geeigneten geologischen Formationen tief unter der Erdoberfläche oder unter dem Meeresgrund speichern. Vattenfall-Chef Josefsson meinte, daß sich der Einsatz solcher Anlagen bereits aufgrund des Emissionshandelsgesetzes lohne, wenn der Preis pro Tonne CO2 auf 20 Euro steige (050509). Auf diesem Niveau lag der Preis damals fast schon, und ein Jahr später stieg er sogar auf knapp 30 Euro. Allerdings stürzte er dann wieder ins Bodenlose ab, weil ruchbar geworden war, daß statt Knappheit ein Überfluß an Zertifikaten bestand (060501).

    Die Vattenfall-Anlage wurde im September 2008 in Betrieb genommen. Sie erzeugt keinen Strom, sondern gibt ihre thermische Leistung von 30 Megawatt an den umliegenden Industriekomplex ab. Das abgeschiedene CO2 wird verflüssigt und zunächst in Tanks gespeichert. Anschließend wird es mit Tanklastwagen in die 350 Kilometer entfernte Altmark (Sachsen-Anhalt) gebracht, um dort in einer weitgehend ausgebeuteten Erdgaslagerstätte abgelagert werden. Bei der Verpressung in den Untergrund soll es zugleich als Treibmittel dienen, um sonst nicht mehr rentabel förderfähige Restmengen an Erdgas zu gewinnen (080912).

    Die Idee, CO2 als Treibmittel zur Erdgasförderung zu verwenden, ist aus den USA entlehnt: Dort wird sie schon seit den siebziger Jahren zur Ölgewinnung praktiziert. Bei diesem "Enhanced Oil Recovery"-Verfahren wird CO2 oder ein anderes Gas in die ausgebeuteten Lagerstätten gedrückt, um weitere Teile des noch in der Erde verbliebenen Rohstoffs herauszupressen, die sich sonst weder mit Pumpen noch durch die Einleitung von Wasser herausholen ließen. Dabei wird Kohlendioxid aus Kraftwerken oft über lange Strecken durch Pipelines aus Kraftwerken herangeführt. Allerdings geht es dabei nicht darum, das CO2 sicher in der Erde zu entsorgen, zumal es teilweise zusammen mit dem Öl wieder zutage tritt. Soweit das CO2 in der Erde bleibt, ist der Ablagerungsseffekt beiläufig und zufällig. Im Prinzip funktioniert dieses "Enhanced Oil Recovery"-Verfahren zur Gewinnung von Restöl aber nicht anders als das, was nun Vattenfall in Zusammenarbeit mit der Gaz de France an einem ausgebeuteten Erdgasfeld probiert.

    RWE will das CO2 schon vor der Verbrennung im Braunkohlekraftwerk abscheiden

    Der RWE-Konzern plante seit Frühjahr 2006 die Errichtung eines Kraftwerks mit integrierter Kohlevergasung, bei dem das anfallende CO2 ebenfalls abgetrennt und unterirdisch gespeichert werden soll (060412). Zwei Jahre später wurde der Grundstein gelegt. Bis Ende 2014 soll die Anlage fertig sein und eine elektrische Leistung von 450 MW erbringen. Wie beim Vattenfall-Projekt dient auch hier Braunkohle als Brennstoff. Sie wird jedoch nicht verbrannt, sondern in ein Synthesegas umgewandelt, aus dem das CO2 noch vor der Verbrennung zu rund neunzig Prozent herausgefiltert werden kann. Dieser neue Kraftwerkstyp wird als IGCC-CCS bezeichnet (Integrated gasification combined cycle/Carbon capture and storage). Das verflüssigteCO2 soll dann durch eine spezielle Pipeline zu Speicherstätten in Norddeutschland transportiert werden. Die Kosten für Kraftwerk, Pipeline und Speicher veranschlagt RWE auf insgesamt rund zwei Milliarden Euro (080912).

    RWE will außerdem noch im Jahre 2009 eine Pilotanlage zur CO2-Rauchgaswäsche am Braunkohle-Kraftwerksstandort Niederaußem in Betrieb nehmen. Sie soll aus einem Teilstrom der Kraftwerksrauchgase pro Stunde etwa 300 Kilogramm CO2 abscheiden und einem Abtrennungsgrad von 90 Prozent erreichen. Mit der Pilotanlage will RWE Erfahrungen für spätere Großanlagen sammeln, mit denen konventionelle Braun- und Steinkohlenkraftwerke ab 2020 nachgerüstet werden könnten. Ähnliches hat der zweite große Kohleverstromer E.ON vor: Zusammen mit Siemens will er am Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg bei Hanau eine Pilotanlage zur CO2-Abscheidung errichten und 2009 in Betrieb nehmen. Beide Projekte werden in erheblichem Umfang vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie bezuschußt (090305).

    Gemeinsame Propaganda der Energiekonzerne für Kohleverstromung mit CO2-Abtrennung

    Es begann inzwischen eine rege Propaganda für CCS (Carbon Capture and Storage), wie wie die verschiedenen Abtrennungs- und Speicherungsverfahren unter Übernahme eines englischen Begriffs meistens bezeichnet wurden. Dabei sind weder "Storage" noch der deutsche Ausdruck "Speicherung" ganz korrekt, wie die Umweltorganisation Greenpeace monierte, weil das CO2 nicht rückholbar gespeichert, sondern endgültig abgelagert werden soll. Als allgemeinster Oberbegriff wurde zudem "Clean Coal" erfunden, was den Vorteil hat, darunter jede Maßnahme zur Minderung der CO2-Emissionen bei Kohlekraftwerken rubrizieren zu können. Zum Beispiel verwendet der Kraftwerksbetreiber Dong das schöne Wort "Clean Coal Technology", um die Proteste gegen ein bei Greifswald geplantes Steinkohlekraftwerk zu entkräften. Hinter dem englischen Imponiergefasel verbirgt sich aber nichts weiter als ein etwas höherer Wirkungsgrad und dadurch verminderte CO2-Emissionen, wie man das von modernen Kraftwerken im Vergleich zu älteren erwarten darf.

    Im August 2007 bündelten die vier Energiekonzerne und drei Kraftwerksbauer ihre CCS-Propaganda im "Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk (IZ Klima)". Gründungsmitglieder sind Alstom Power, EnBW, E.ON, Hitachi Power Europe, RWE Power, Siemens Power Generation und Vattenfall Europe. Ziel des PR-Vereins ist "die Verbreitung von Informationen über Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 sowie die Reduzierung des umweltschädlichen Klimagases durch die Förderung eines ökologisch-innovativen und effizienten Umgangs mit den natürlichen Ressourcen im industriellen Kontext". Da der Verein als gemeinnützig anerkannt ist, können die Unternehmen ihre Zuwendungen von der Steuer absetzen.

    Gesetzentwurf wird trotz Protesten von Umweltorganisationen verabschiedet

    Ende 2008 verabschiedete die EU im Rahmen eines Klimapakets auch eine Richtlinie zur Abtrennung und geologischen Speicherung von CO2 (081207). Sie wurde von der Bundesregierung mit ungewöhnlicher Eile aufgegriffen, um sie noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode in nationales Recht umzusetzen. Anscheinend glaubten beide Regierungsparteien, sich damit im bevorstehenden Bundestagswahlkampf als Klimaschützer darstellen zu können. Der mit heißer Nadel und unter maßgeblicher Beteiligung der Lobby gestrickte Gesetzentwurf verschwand dann aber wieder vom Kabinettstisch, nachdem Umweltorganisationen protestiert und auf die Schwachpunkte aufmerksam gemacht hatten. Zumindest die SPD bekam nun etwas kalte Füße, da sie mehr als die Unionsparteien auf solche Proteste achten muß. Trotz des herannahenden Bundestagswahlkampfes wollte die schwarz-rote Koalition aber nicht auf dieses Vorhaben verzichten. Das Bundesumweltministerium (SPD) und das Bundeswirtschaftsministerium (CSU) mußten deshalb erneut einen Kompromiß aushandeln. In etwas veränderter Form wurde der Gesetzentwurf am 1. April vom Kabinett verabschiedet (090305).


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