Juni 1992

920601

ENERGIE-CHRONIK


Erdgipfel setzt "nachhaltige Entwicklung" an die Stelle von ungebremstem Wachstum

Auf der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, die vom 1. bis 12. Juni in Rio tagte, haben sich die Delegationen aus mehr als 170 Ländern zum Ziel einer "nachhaltigen Entwicklung" bekannt. Damit ist gemeint, daß die Entwicklung des Planeten - insbesondere der Umgang mit Energie, Rohstoffen und Vegetation - unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit erfolgen muß. Die Leitlinien für den künftigen Umgang mit dem Planeten Erde wurden in einer "Erd-Charta" niedergelegt - so die ursprüngliche Bezeichnung, die dann auf Verlangen der USA in "Rio-Deklaration" geändert wurde. Die insgesamt 27 Prinzipien dieser Deklaration nehmen zehnmal auf das erklärte Ziel einer "nachhaltigen Entwicklung" Bezug. Daneben verabschiedete die Konferenz die sogenannte Agenda 21, die in 40 Kapiteln Regeln für die nachhaltige Nutzung aller natürlichen Ressourcen festlegt, sowie eine Erklärung über die Erhaltung der Pflanzen und Wälder. Außerdem unterzeichneten mehr als 140 Länder die beiden völkerrechtlich bindenden Konventionen zum Schutz des Klimas und der Artenvielfalt, die in Kraft treten, wenn sie von 50 bzw. 30 Ländern ratifiziert worden sind (FR, 9.6.; FAZ, 15.5.; siehe auch 920501, 920113, 920214 u. 920406).

Das politische Echo auf die Ergebnisse des Umweltgipfels war geteilt, da es sich im wesentlichen um bloße Absichtserklärungen handelt und auch die Inhalte der beiden völkerrechtlich bindenden Konventionen recht vage formuliert sind. Die Grünen werteten den Umweltgipfel als "Meilenstein in die Katastrophe" und "Gipfel der Öko-Schizophrenie". Der SPD-Umweltexperte Michael Müller nannte die Ergebnisse "mager". Für den umweltpolitischen Sprecher der Unions-Fraktion, Ulrich Klinkert, hat die Konferenz "entgegen allen Unkenrufen insgesamt zu erfreulichen Ergebnissen geführt" (dpa, 15.6.).

Das Presse-Echo auf die Ergebnisse des Umweltgipfels war angesichts der eher pessimistischen Erwartungen vergleichsweise positiv. "Der Spiegel" (15.6.) resümierte: "Der Umwelt-Gipfel von Rio brachte wenig handfeste Ergebnisse - und schuf trotzdem die Grundlagen für einen Wechsel zu umweltfreundlicher Entwicklungspolitik. Der Preis war hoch: Die USA, einst ökologisches Vorbild, sind vollständig isoliert. Mit massivem Druck hatte Washington konkrete Bestimmungen verhindert."

Die "Ökologischen Briefe" (17.6.) meinten: "Der Ausgang des Umwelt-Gipfels von Rio de Janeiro hat die professionellen Schwarzseher Lügen gestraft. Trotz fortbestehender Widersprüche und Mißverständnisse zeigten sich auf dem Riesenspektakel Ansätze für einen Konsens über die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Diese müssen in den kommenden Jahren konkretisiert werden."

"Die Zeit" (19.6.) kritisierte die Bremser-Rolle der USA: "Sie huldigen einem blinden Konsumfetischismus, als sei die Diskussion der vergangenen zwanzig Jahre spurlos an ihnen vorübergerauscht. Die einzige nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verbliebene Supermacht ist unfähig, sich den neuen Herausforderungen der Menschheit zu stellen."