November 2021 |
211103 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Gazprom-Tochter Nord Stream 2 AG erfüllt nicht die Voraussetzungen, um als "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" gemäß den Paragraphen 4b und 10 des Energiewirtschaftsgesetzes anerkannt zu werden. Wie die Bundesnetzagentur am 16. November mitteilte, hat sie deshalb das im Juni von der Nord Stream 2 AG angekündigte Zertifizierungsverfahren (210801) vorläufig ausgesetzt.
Nach eingehender Prüfung der Unterlagen gelangte die Behörde zu dem Ergebnis, dass eine Zertifizierung nur dann in Betracht komme, wenn der Leitungsbetreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist. Das ist bei der Nord Stream 2 AG jedoch nicht der Fall, weil es sich bei ihr – ebenso wie bei der Nord Stream AG, welche die vor zehn Jahren eröffneten beiden ersten Stränge der Ostsee-Pipeline baute (111101) – um eine im schweizerischen Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft mit Sitz in der "Steueroase" Zug handelt.
Wie die Bundesnetzagentur weiter mitteilte, hat sich die Gazprom nun entschlossen, nicht die Nord Stream 2 AG umzuwandeln, sondern diese Tochter eine weitere Tochtergesellschaft nach deutschem Recht gründen zu lassen, die nur für den deutschen Teil der Leitung zuständig ist. Diese Gazprom-"Enkelin" soll formal Eigentümerin des deutschen Teilstücks der Pipeline werden, dieses betreiben und dabei die Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes an einen "Unabhängigen Transportnetzbetreiber" erfüllen (siehe hierzu Hintergrund).
Das Zertifizierungsverfahren bleibt so lange ausgesetzt, bis die Übertragung der wesentlichen Vermögenswerte und personellen Mittel auf die Tochtergesellschaft abgeschlossen ist und die Bundesnetzagentur in der Lage sein wird, die neu vorgelegten Unterlagen der Tochtergesellschaft als neuer Antragstellerin auf ihre Vollständigkeit hin zu prüfen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Bundesnetzagentur ihre Prüfung innerhalb des verbleibenden Restes der vom Gesetz vorgesehenen viermonatigen Frist fortsetzen, einen Entscheidungsentwurf erstellen und der Europäischen Kommission zur Stellungnahme zu übermitteln.
Nach § 4a Abs. 5 EnWG hat die Regulierungsbehörde den Entscheidungsentwurf binnen vier Monaten nach Einleitung des Zertifizierungsverfahren zu erstellen und der Kommission zu übermitteln. Die offizielle Prüfung des Antrags begann am 8. September. Bis zum vorläufigen Stopp des Zertifizierungsverfahrens am 16. November vergingen 70 Tage. Nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens blieben demnach noch etwa fünfzig Tage Zeit, um einen neuen Entscheidungsentwurf fertigzustellen. Zuvor muss die Nord Stream 2 AG aber erst noch ihre deutsche Tochter gründen und dafür sorgen, dass diese zumindest formal den Anforderungen an einen "Unabhängigen Transportnetzbetreiber" entspricht. Mit einer Betriebserlaubnis für die technisch fertiggestellte zweite Ostsee-Pipeline (210902) ist deshalb in diesem Jahr keinesfalls mehr zu rechnen. Sie könnte sich sogar bis zum nächsten Sommer hinziehen.
Die obsolet gewordene Entflechtungs-Option "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" wurde exklusiv für Nord Stream 2 neu belebt
(siehe oben)
Das Modell des "Unabhängigen Transportnetzbetreibers" im Energiewirtschaftsgesetz (§ 10) ist die deutsche Umsetzung des "Independent Transmission Operator" (ITO) und damit eine von drei Entflechtungsoptionen, die mit den 2009 beschlossenen EU-Richtlinien für die Binnenmärkte für Strom und Gas eingeführt wurden. Die beiden anderen sind die komplette eigentumsrechtliche Entflechtung (§ 8) sowie der "Unabhängige Systembetreiber" (§ 9), der in den EU-Richtlinien als "Independent System Operator" (ISO) figuriert.
Der "Unabhängige Transportnetzbetreiber" beläßt den Konzernen nicht nur das Eigentum an den Netzen, sondern auch ihre herkömmliche integrierte Struktur aus Netz, Erzeugung und Versorgung. Es wird lediglich die Einhaltung verschiedener Regeln vorgeschrieben, die garantieren sollen, daß das Netz in der Praxis unabhängig von den anderen Konzernbereichen betrieben wird. Zum Beispiel dürfen Führungskräfte in den drei Jahren vor Beginn ihrer Tätigkeit nicht beim selben Konzern angestellt gewesen sein. Anschließend dürfen sie erst nach vier Jahren zu diesem Konzern zurückkehren. Bei Verstößen gegen die Unbundling-Vorschriften kann der nationale Regulierer dem betreffenden Unternehmen bis zu zehn Prozent seines Gewinnes einziehen (090401).
Dieses Modell war die dritte und schwächste der drei Entflechtungs-Optionen. Es kam seinerzeit auf Drängen Frankreichs und Deutschlands zustande, um eine eigentumsrechtliche Entflechtung noch besser als beim ISO-Modell umgehen zu können. Beide Optionen sollten den großen Energiekonzernen die Wahrung ihrer Besitzstände erleichtern, über die sie beim Inkrafttreten der Richtlinie am 3. September 2009 verfügten. Anderen Unternehmen blieb diese Möglichkeit verwehrt. In aller Regel haben die Berechtigten dann das ITO-Modell bevorzugt.
Die beiden Ausweich-Optionen zur eigentumsrechtlichen Entflechtung ermöglichten die Befreiung nur solchen "vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen", die bereits am 3. September 2009 sowohl Eigentümer als auch Betreiber von Transportnetzen für Strom oder Gas waren. Das war ein maßgeschneidertes Kriterium, das vor allem den Konzernen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW die Wahrung ihrer Besitzstände ermöglichen sollte. Der RWE-Konzern war davon so begeistert, dass er noch vor der Verabschiedung der EU-Richtlinie die Umstrukturierung seines Übertragungsnetzes zum ITO ankündigte (090209).
Größere Bedeutung erlangte das Modell dann aber nur im Gasbereich, wo neun von 15 Transportnetzbetreibern auf diese Weise organisiert wurden. Beim Strom machte letztendlich nur die EnBW davon Gebrauch. Bis heute ist sie deshalb zugleich der Eigentümer ihres Stromtransporteurs TransnetBW geblieben (110705). Bei RWE, E.ON und Vattenfall erledigte sich das Entflechtungsproblem bald durch den Verkauf ihrer Strom-Transportnetze, die unter den neuen Namen Amprion (110705), TenneT TSO (091101) und 50Hertz (100307) auch zu neuen Eigentümern kamen.
Wegen der Verknüpfung mit dem 3. September 2009 als Stichtag für die Voraussetzungen spielten beide Ausweich-Modelle zur eigentumsrechtlichen Entflechtung in der Praxis bald keine Rolle mehr. Sie glichen toten Gleisen, die nach Erfüllung des anfänglichen Zwecks nur noch vor sich hin rosteten. Die EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt, die 2019 komplett neu formuliert wurde, erwähnt deshalb die einstigen Wahlmöglichkeiten ISO und ITO schon gar nicht mehr. Sie nimmt nur indirekt darauf Bezug, indem sie jene Energieversorger, die davon Gebrauch gemacht haben, nun als "vertikal integrierte Unternehmen" bezeichnet und diesen Begriff in § 2 unter Punkt 53 folgendermaßen definiert:
"Ein Elektrizitätsunternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitätsunternehmen, in der dieselbe Person berechtigt ist bzw. dieselben Personen berechtigt sind, direkt oder indirekt die Kontrolle auszuüben, wobei dieses Unternehmen bzw. diese Gruppe von Unternehmen mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung oder Versorgung wahrnimmt."
In der Gas-Richtlinie wurden beide Optionen beibehalten und zugunsten der Gazprom novelliert
Anders sieht es bei der Gas-Richtlinie aus: Diese wurde im April 2019 nicht aufgehoben und durch eine Neufassung ersetzt, sondern lediglich punktuell geändert. Den beiden alten Entflechtungs-Optionen ISO und ITO mit Ausschlussdatum 3. September 2009 wurde dabei neue Optionen für "vertikal integrierte" Fernleitungsbetreiber aus Drittstaaten hinzugefügt. Die ITO-Version lautet dabei folgendermaßen:
"In Bezug auf den Abschnitt des Fernleitungsnetzes, der einen Mitgliedsstaat mit einem Drittland zwischen der Grenze dieses Mitgliedsstaats und dem ersten Kopplungspunkt mit dem Netz dieses Mitgliedsstaats verbindet, kann in den Fällen, in denen das Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 einem vertikal integrierten Unternehmen gehört, ein Mitgliedsstaat beschließen, Absatz 1 nicht anzuwenden."
Hinter dieser zunächst unverständlichen Formulierung verbirgt sich eine Extra-Wurst für den russischen Staatskonzern Gazprom. Exklusiv für ihn wurden die längst obsolet gewordenen Optionen des "Independent Transmission Operator" (ITO) und des "Independent System Operator" (ISO) neu belebt, damit die Gazprom auch bei ihrer zweiten Ostsee-Pipeline nicht zur eigentumsrechtlichen Entflechtung gezwungen wird. Sie bekam so die Möglichkeit, aufgrund der Paragraphen 4b und 10 des Energiewirtschaftsgesetzes ihre Anerkennung als "Unabhängiger Netzbetreiber" zu beantragen. Es bleibt allerdings dem Ermessen von Bundesregierung, Bundesnetzagentur und EU-Kommission überlassen, ob sie einem derartigen Antrag überhaupt stattgeben. Das wurde der Gazprom nun auch unmißverständlich signalisiert, indem die Bundesnetzagentur die in der Schweiz angesiedelte Nord Stream 2 AG nicht als "Unabhängigen Transportnetzbetreiber" akzeptierte, sondern die Gründung einer speziellen Tochter nach deutschem Recht verlangte.
Im Unterschied zum Paragraphen 4b, der die "Zertifizierung in Bezug auf Drittstaaten" regelt und schon seit 2011 im EnWG steht, wurde der Paragraph 10 erst vor zwei Jahren so novelliert, dass nachträglich auch die Gazprom ihre Anerkennung als "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" beantragen konnte. Seitdem gilt diese Option zusätzlich "für ein Fernleitungsnetz, das Deutschland mit einem Drittstaat verbindet, in Bezug auf den Abschnitt von der Grenze des deutschen Hoheitsgebietes bis zum ersten Kopplungspunkt mit dem deutschen Netz, wenn das Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 im Eigentum des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens stand" (191101).
Die Gazprom zögerte freilich lange, bevor sie sich auf den damit gewiesenen Weg begab. Und auch dann wollte sie ihren Antrag auf Anerkennung der Nord Stream 2 AG als Unabhängiger Transportnetzbetreiber nur "vorsorglich" verstanden wissen (210801). Stattdessen zog sie alle Register, um auf andere Weise das alleinige Sagen über die Pipeline zu bekommen. Dazu gehörte eine Klage beim Europäischen Gerichtshof, mit der die Nord Stream 2 AG die novellierte EU-Gasrichtlinie für ungültig erklären lassen wollte (190905), aber erwartungsgemäß keinen Erfolg hatte (200501). Außerdem drohte sie der EU mit einer millionenschweren Investitionsschutzklage, weil diese mit der neuen Gasrichtlinie gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 10 und 13 der sogenannten Energie-Charta verstoßen habe. Von dieser Klage hat man dann allerdings nichts mehr gehört. Das lag wahrscheinlich daran, dass die EU inzwischen nicht mehr bereit ist, die Altlast Energie-Charta noch länger zu akzeptieren und ihr Gemeinschaftsrecht durch Entscheidungen privater Schiedsgerichte torpedieren zu lassen (siehe Hintergrund, Mai 2021).
Vor allem versuchte die Gazprom beharrlich, ein anderes Schlupfloch zu nutzen, das ebenfalls auf Betreiben der deutschen Regierung in die neue EU-Gasrichtlinie eingefügt worden war: Es handelte sich um den Artikel 49a, der die Befreiung der Fernleitungen zu Drittstaaten von der Regulierung ermöglicht, wenn sie "vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden". Gemeint war damit das Datum des Inkrafttretens der Richtlinie. Dummerweise hat dieses Schlupfloch dann aber nicht funktioniert, weil die Pipeline zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht fertiggestellt war. Und das war keineswegs eine Überraschung, sondern durchaus vorhersehbar. Weshalb es dennoch zur Einfügung des realitätsfremden Datums in die Richtlinie kam, bleibt bis heute ein Rätsel (siehe Hintergrund, Dezember 2019).
Anscheinend hatte die Berliner Regierung beim zähen Fingerhakeln mit den anderen EU-Staaten um die Durchsetzung von Nord Stream 2 einfach den zeitlichen Überblick verloren. Schaut man sich die ursprüngliche Fassung von Artikel 49a und anderen Änderungen der Richtlinie an, so wird man feststellen, dass dort nirgendwo das Datum 23. Mai 2019 auftaucht. Stattdessen ist immer nur vom "Datum des Inkrafttretens dieser Richtlinie" die Rede. Vermutlich wurde die Brisanz dieses Platzhalters nicht rechtzeitig erkannt – bis zur Veröffentlichung im EU-Amtsblatt, aber da war es dann schon zu spät.
Die Berliner Ministerialbürokraten scheinen die Fußangel selbst dann noch nicht erkannt zu haben, als sie die Richtlinie in nationales Recht umsetzten und im neuen § 28b des Energiewirtschaftgesetzes eine Befreiung der Gazprom von der eigentumsrechtlichen Entflechtung nur ermöglichten, wenn "die Leitung vor dem 23. Mai fertiggestellt wurde". Erst kurz vor der Beschlussfassung im Bundestag muss jemandem gedämmert haben, dass es damit der Bundesnetzagentur unmöglich gemacht wurde, den Antrag der Nord Stream 2 AG auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von den geltenden Entflechtungsvorschriften zu genehmigen. So erklärt es sich wohl, dass das Datum 23. Mai 2019 an einer besonders markanten Stelle in § 28b Abs. 1 Nr. 2 kurz vor der Verabschiedung der EnWG-Novelle am 13. November 2019 durch eine Blitzintervention des Wirtschaftsausschusses doch noch gestrichen wurde. Ansonsten konnte man es aber nicht mehr tilgen oder auch nur ändern. Der von Union und SPD dominierte Ausschuss vertrat deshalb ersatzweise die Auffassung, dass der 23. Mai 2019 nicht wortwörtlich verstanden werden dürfe, weil der Artikel 49a hauptsächlich den Vertrauensschutz für bereits getätigte Investitionen bezwecke und ein Ausschlussdatum deshalb diesem übergeordneten Zweck zuwiderlaufe.
Diese Sichtweise war insofern nicht ganz an den Haaren herbeigezogen, als der Artikel 49a der Gazprom tatsächlich den Königsweg zur Befreiung von der neu eingeführten Regulierung in den Küstengewässern eröffnen sollte. Es war deshalb absolut unsinnig, dieses Schlupfloch im selben Kontext durch ein realitätsfremdes Ausschlussdatum zu verstopfen. Aber das Malheur war nun mal passiert, aus welchen Gründen auch immer. Was nun zählte, war allein der amtliche Wortlaut. So dürften das auch die anderen EU-Staaten gesehen haben, die mehrheitlich den Bau von Nord Stream 2 ablehnten. Viele werden sich sogar diebisch darüber gefreut haben, wie die deutsche Regierung in ihrer Rolle als Betreiber und Beschützer des Gazprom-Projekts auf die Nase gefallen war.
Die Argumentation des Wirtschaftsausschusses mit dem angeblich übergeordneten Zweck des Vertrauensschutzes war deshalb nichts weiter als Wunschdenken ohne juristische Bodenhaftung. Die Gazprom schloss sich diesem Wunschdenken freilich nur allzugern an. Und so klagte die Nord Stream 2 AG dann unter Berufung auf den ihr angeblich zustehenden Vertrauensschutz gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur, mit dem ihr Antrag auf Freistellung von der Regulierung nach Artikel 49a abgelehnt wurde (200501). Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah indessen keinerlei Anlass, an der Verbindlichkeit des Ausschlussdatums zu zweifeln: Der Wortsinn der EU-Regelung sei eindeutig und beschreibe "eine physisch vollständig errichtete oder nahezu vollständig errichtete Leitung" (210801).
So blieb anstelle des mißratenen § 28b im Energiewirtschaftsgesetz nur noch das weniger komfortable Ersatz-Schlupfloch in § 10, der parallel dazu novelliert worden war. Ursprünglich enthielt dieser Paragraph nur die alte Entflechtungs-Option "Unabhängiger Transportnetzbetreiber", die wegen der Koppelung mit dem Stichtag 3. September 2009 inzwischen nur noch historische Bedeutung hatte und obsolet geworden war. Nun aber hatte man diese Wahlmöglichkeit exklusiv für eine eventuelle Verwendung durch die Gazprom wieder aufgefrischt. Wie schon zitiert, gilt die die Befreiung von der eigentumsrechtlichen Entflechtung seitdem zusätzlich für ein Fernleitungsnetz, das Deutschland mit einem Drittstaat verbindet, in Bezug auf den Abschnitt von der Grenze des deutschen Hoheitsgebietes bis zum ersten Kopplungspunkt mit dem deutschen Netz, wenn das Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 im Eigentum des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens stand". Von der Gazprom ist natürlich wieder nirgendwo die Rede. Aber niemand anderer ist gemeint, und kein anderer wird diese neue Bestimmung jemals nutzen können.
Auch diese Änderung stützte sich auf einen entsprechende Passus der novellierten EU-Gasrichtlinie, einschließlich der Vorgabe, dass das "Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 einem vertikal integrierten Unternehmen gehört" haben müsse. Es taucht also dasselbe Ausschlussdatum auf. Im Unterschied zum Begriff der "Fertigstellung" in § 28b ist es in diesem Zusammenhang aber juristisch dehnbarer und über einen größeren Zeitraum auslegungsfähig, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass das Ostsee-Projekt von der Planung bis zur vollständigen Verwirklichung immer der Gazprom gehört hat.
Notgedrungen biss die Gazprom deshalb nun doch in einen Apfel, der ihr zunächst zu sauer war. Sie hat wohl eingesehen, dass es sinnlos ist, weiterhin auf wahrscheinlich früher gemachte Zusagen zu pochen, wonach man die Befreiung von der erweiterten Regulierung schon irgendwie hinkriegen werde. Außerdem hat sich die Bundesregierung tatsächlich alle Mühe gegeben. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder steht schon seit vielen Jahren auf der Gehaltsliste der Gazprom und dient ihr bis heute als oberster Lobbyist in Sachen Ostsee-Pipelines. Seine Nachfolger waren da etwas diskreter, haben das Projekt Nord Stream 2 aber ebenfalls unterstützt und gegen den Widerstand zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt. Die Merkel-Regierung schreckte sogar nicht einmal vor der Beleidigung des gesunden Menschenverstands zurück, als sie behauptete, es handele sich bei Nord Stream 2 nur um ein "kommerzielles Projekt" (160512). Erst im April 2018 machte die Kanzlerin vorsichtige Abstriche an dieser absurden Sprachregelung, indem sie vage einräumte, dass "auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind" (180704).
Vor allem hätte das von der Bundesregierung durchgesetzte Schlupfloch in Artikel 49a der EU-Gasrichtlinie und dem daraus abgeleiteten § 28b im Energiewirtschaftsgesetz tatsächlich funktioniert, wenn die Panne mit dem Datum nicht passiert wäre. Hätte, hätte, Fahrradkette... Zum Glück hatte man mit dem § 10 im selben Gesetz wenigstens ein Notrad an Bord. Mal sehen, wie weit es trägt und die TÜV-Prüfung in Brüssel übersteht. Die russische Gazprom wird jedenfalls von ihrer schweizerischen Tochter Nord Stream 2 demnächst mit einem deutschen Enkelkind beglückt werden, das sich "Unabhängiger Transportnetzbetreiber" nennt und dem formal der durch die deutschen Hoheitsgewässer verlaufende Teil der zweiten Ostsee-Pipeline gehören wird.
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