Juli 2018 |
180704 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bei Mukran auf Rügen lagern schon seit 2017 rund 45.000 Rohre für die beiden neuen Stränge der Ostsee-Pipeline, die von hier aus verlegt werden sollen. Weitere solcher Rohrlager gibt es in den finnischen Häfen Hanko und Kotka sowie im schwedischen Hafen Karlshamn. Vor der Verlegung werden die Rohre mit Beton ummantelt, damit sie im Wasser nicht auftreiben. Foto: Nord Stream 2 AG |
In den politischen Streit um den Bau einer weiteren Gaspipeline durch die Ostsee hat sich US-Präsident Donald Trump in massiver Weise eingemischt: Vor Beginn des NATO-Gipfels am 11. Juli behauptete er fälschlicherweise, dass die Bundesrepublik mit der Inbetriebnahme dieser neuen Pipeline zu "fast siebzig Prozent" von russischen Lieferungen abhängig werde. Deutschland mache sich damit zum "Gefangenen Russlands" und werde von diesem "vollkommen kontrolliert". Als Beleg für diese These verwies Trump auf den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als Freund des Kremlchefs Putin den Aktionärsausschüssen der beiden "Nord Stream"-Gesellschaften präsidieren darf (051202, 170706), und bezeichnete ihn als "Chef der Pipelinegesellschaft, die das Gas liefert." Wörtlich wütete er weiter: "Sie zahlen Milliarden Dollar an Russland, und dann müssen wir sie gegen Russland verteidigen." Den zaghaften Einwand von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass es selbst während des Kalten Kriegs Handel mit der damaligen Sowjetunion gegeben habe, ließ Trump nicht gelten, weil Energie "eine ganz andere Geschichte als normaler Handel" sei. Aber auch da hatte der US-Präsident offensichtlich keine Ahnung von den Realitäten, denn die deutschen Gaslieferverträge gehen bis auf das Jahr 1970 zurück, als Russland in Gestalt der Sowjetunion noch als den USA ebenbürtige und den westeuropäischen Staaten klar überlegene Supermacht galt (siehe ENERGIE-WISSEN).
Zwei Tage später wiederholte der US-Präsident seine Rüpelei: "Es ist furchtbar, was Deutschland macht, es ist ein furchtbarer Fehler", sagte er nach einem Treffen mit der britischen Premierministerin Theresa May auf deren Regierungslandsitz Chequers. Deutschland zahle "Milliarden Dollar in die russischen Kassen", während die USA sich um "Frieden in der Welt" bemühen würden.
Offensichtlich geht es Trump nicht um die bekannten und durchaus berechtigten Einwände gegen das Projekt, das hauptsächlich den Zweck verfolgt, die bisherigen Transitleitungen durch die Ukraine überflüssig zu machen, aber am Gesamtumfang der deutschen Gasimporte praktisch nichts ändert. Vielmehr will er die leitungsgebundenen Importe aus Russland grundsätzlich verhindern oder zumindest verringern, um in Deutschland und Westeuropa eine Verknappung des Gasangebots herbeizuführen. Derzeit stammen 40 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus russischer Förderung, während der Rest aus Norwegen (29 Prozent) und den Niederlanden (23 Prozent) sowie inländischer Förderung kommt. Eine Verringerung des russischen Anteils könnte zumindest kurzfristig nicht aus diesen oder anderen Quellen ausgeglichen werden. Es käme deshalb zu einem mehr oder weniger starken Preisanstieg. Dadurch würde es wiederum rentabel, die Lücke mit verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA zu schließen, das mit Tankern nach Europa transportiert und an den bereits vorhandenen oder noch zu bauen LNG-Terminals in das Leitungssystem eingespeist wird. Zum Beispiel hat Litauen ein solches Terminal in Betrieb genommen, um mit Flüssiggas aus Norwegen übertriebene Preisforderungen der Russen besser abwehren zu können (150105). Im Normalfall ist der Bezug per Pipeline aber deutlich billiger als der Aufwand für die Verflüssigung und den Transport mit LNG-Tankern. Erst recht gilt das, wenn die Tanker erst den ganzen Atlantik überqueren müssen.
Vermutlich hat Trump mit seinen rüden Attacken eher das Gegenteil bewirkt und die letzten Steine aus dem Weg räumen helfen, die dem Baubeginn von Nord Stream 2 bisher noch im Wege standen. Für die EU ist es zu einer Frage der Selbstachtung bzw. Selbsterhaltung geworden, sich von dem Exzentriker im Weißen Haus nicht allzusehr kujonieren zu lassen. Inoffiziell dürften die meisten westeuropäischen Politiker den US-Präsidenten als Halbirren betrachten, den man allerdings als Repräsentanten der führenden Weltmacht gerade deshalb sehr ernst nehmen muss. Nicht minder gilt das für die fünf Konzerne BASF/Wintershall, Uniper (vormals E.ON), OMV, Shell und Engie, die sich von der russischen Gazprom zunächst als Minderheitseigentümer in das Projekt Nord Stream 2 einbinden ließen (150905), bevor sie sich wegen der starken Widerstände auf eine hälftige finanzielle Beteiligung in Höhe von 9,5 Milliarden Euro beschränkten (170406). Sie werden sich von Trumps Tiraden nicht überzeugen und auch nur sehr bedingt beeindrucken lassen. Zumindest gilt das solange, wie die US-Regierung nicht tatsächlich ausländische Unternehmen bestraft, die am Bau russischer Pipelines zum Export von Gas und Öl mitwirken. Im Grunde wäre das bereits jetzt durch die Sanktionsbeschlüsse möglich, die das US-Repräsentantenhaus und der Senat vor einem Jahr mit großer Mehrheit verabschiedet haben (170705). Trump tat aber gut daran, diese Keule nicht hervorzuholen. Nach der willkürlichen Abschottungspolitik im Bereich des Handels, die er zum Entsetzen der US-Verbündeten tatsächlich praktiziert, würde eine solche imperiale Anmaßung den Konflikt mit dem Rest der Welt bis zur Unerträglichkeit zuspitzen.
Das Projekt Nord Stream 2 wird die Kapazität der seit Oktober 2012 in Betrieb befindlichen beiden Stränge von "Nord Stream" (121003) um 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich erweitern und damit verdoppeln. Für seine Verwirklichung fehlt inzwischen nur noch eine dänische Genehmigung, die aber durch einen anderen Trassenverlauf für die beiden Röhren umgangen werden könnte. Im Mai begann die Nord Stream 2 AG bereits mit vorbereitenden Arbeiten für die spätere Rohrverlegung im Greifswalder Bodden. Dabei kam es durch auslaufendes Schmierfett eines Baggerschiffs zur Verschmutzung eines rund 60 Kilometer langen Strand- und Küstenabschnitts. Das Schmierfett enthalte jedoch keine wassergefährdenden Stoffe, erklärte die Nord Stream 2 AG unter Berufung auf Angaben des Herstellers. Sie ließ eine Säuberungsaktion durchführen und die Baggerarbeiten am 21. Juni fortsetzen.
Die schwarz-rote Bundesregierung behauptet inzwischen nicht mehr, dass Nord Stream 2 nur ein "kommerzielles Projekt" sei, das quasi nebenbei auch noch einen "Beitrag zur Energiesicherheit Deutschlands und der EU leisten" könne, wie vor zwei Jahren die Sprachregelung lautete (160512). Die alt-neue Bundeskanzlerin Angela Merkel revidierte vor kurzem diese Sichtweise, die schon immer albern wirkte und im Grunde nur die bedingungslose Unterstützung des Projekts zum Ausdruck brachte. Nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, das am 10. April im Bundeskanzleramt stattfand, erklärte sie vor der Presse, "dass es sich nicht nur um ein wirtschaftliches Projekt handelt, sondern natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". Sie habe sich die ukrainischen Bedenken sehr aufmerksam angehört. Richtig sei – und das habe sie auch am Vortag dem Kremlchef Putin am Telefon gesagt – "dass es nicht sein kann, dass durch Nord Stream 2 die Ukraine keinerlei Bedeutung mehr mit Blick auf den Transit von Erdgas hat".
Putin erklärte seinerseits am 16. Juli nach einem Gipfeltreffen mit US-Präsident Trump in Helsinki, dass Nord Stream 2 die Ukraine nicht als Transit-Route verdrängen werde. Russland sei bereit, den 2019 auslaufenden Gas-Transitvertrag zu verlängern. Inzwischen haben dazu direkte Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew begonnen, bei denen die EU und die Bundesregierung als Vermittler fungieren. Sie sollen im September in einer Expertenrunde und im Oktober auf der politischen Ebene fortgesetzt werden. Belastet werden diese Verhandlungen unter anderem durch die Weigerung Moskaus, eine Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts zu akzeptieren, wonach Gazprom der Ukraine 2,56 Milliarden Dollar Entschädigung zahlen muss (180402).
In jedem Falle macht die Erweiterung der Ostsee-Pipeline die Transitleitungen durch die Ukraine zumindest entbehrlich. Das eröffnet dem Kreml neue Handlungsspielräume, auch wenn ein kleiner Rest – etwa zur Versorgung der Slowakei – übrigbleiben sollte. Anfang April sprach Gazprom-Chef Alexej Miller davon, daß nur noch an etwa ein Zehntel der bisherigen Durchflussmenge gedacht sei. Entsprechend minimiert würden die Transitentgelte, die bisher etwa zwei Milliarden Euro jährlich betragen und von denen die Ukraine stark abhängig ist.
Als Ausweg möchte der außenpolitische Berater des ukrainischen Präsidenten, Konstantin Jelisejew, die westlichen Energiekonzerne zum Einstieg bei Naftogaz bewegen. "Wir laden die deutsche Energiewirtschaft ein, sich am Management unseres Gastransportsystems zu beteiligen", erklärte er gegenüber dem Ukraine-Korrespondenten der "Frankfurter Allgemeinen" (16.5.). Das Angebot umfasse auch die unterirdischen Gasspeicher des Landes, die zu den größten des Kontinents gehören und bei Problemen mit dem russischen Lieferanten Gazprom eine wichtige strategische Reserve sein könnten. Im übrigen sei der Bau von Nord Stream 2 "eine Einladung an Putin zu neuer Aggression gegen die Ukraine".
Immerhin besteht die schlimmste Gefahr nicht mehr, wie das 2009 noch der Fall war, als der Kreml einen kompletten Lieferstopp verfügte und damit vor allem der Ukraine den Gashahn zudrehte, um sie erpressen zu können (090101). Inzwischen ist es nämlich möglich, die Ukraine über das westliche Pipeline-Netz ausreichend mit Gas zu versorgen, wie das bereits vor vier Jahren erprobt wurde (140402, 140401). Seit 2016 hat die Ukraine sogar überhaupt kein russisches Gas mehr für den Eigenverbrauch bezogen. Außerdem hat sie mit westlicher Hilfe ihr marodes Gasnetz renovieren können (170413).
Marode blieb allerdings weiterhin die politische Elite des Landes, die zum großen Teil von Korruption und Nepotismus geprägt wird. Insofern verbindet die Regierenden in Kiew mehr mit Putins russischer "Kleptokratie" als sie zugeben möchten. Aber das ist in Rumänien und Bulgarien, wo man die von der Ukraine heiß ersehnte Mitgliedschaft in der EU längst erlangt hat, auch heute noch nicht anders. Hinzu demontieren die Regierenden in Polen und Ungarn schon seit längerem Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Pressefreiheit. Die EU wird deshalb sehr genau überlegen müssen, wann und unter welchen Umständen sie sich noch mehr Problemstaaten aus dem zerfallenen Imperium der ehemaligen Sowjetunion aufbürden will.