Dezember 2019

191201

ENERGIE-CHRONIK


 


Die "Audacia" ist eines von sechs Arbeitsschiffen, die das Unternehmen Allseas zur Verlegung der zweiten Ostsee-Pipeline eingesetzt hat und nun abgezogen hat, weil ihm sonst die gezielte Vernichtung durch die USA droht.
Foto: Nord Stream 2 AG

USA erzwingen Stopp der Bauarbeiten an Nord Stream 2

US-Präsident Donald Trump unterzeichnete am 20. Dezember den "National Defense Authorization Act" (NDAA) für das Jahr 2020. Damit trat auch der in dem Gesetzespaket enthaltene "Protecting Europe's Energy Act" in Kraft, der alle Unternehmen mit der wirtschaftlichen Vernichtung bedroht, die weiterhin am Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 mitwirken. Faktisch richtet sich das Gesetz gegen das schweizerische Unternehmen Allseas, das bisher mit mehreren Spezialschiffen die Verlegung der Gasröhren in der Ostsee besorgt hat. Am 21. Dezember teilte die in Fribourg ansässige Allseas Group SA mit, dass sie die Verlegungsarbeiten schon vor Erlass des Gesetzes abgebrochen habe. Der Vorstandsvorsitzende Edward Heerema reagierte damit auf den Drohbrief von zwei US-Senatoren, die ihn zur sofortigen Beendigung der Arbeiten aufgefordert hatten. Andernfalls habe er im Zugriffsbereich der USA mit der Ruinierung seines Unternehmens durch Einfrieren sämtlicher Vermögenswerte, der Beschlagnahme von Schiffen und Einreiseverboten zu rechnen (siehe PDF und Hintergrund).

Mit der Vernichtungsdrohung gegen Allseas erreicht Washington allenfalls eine weitere Verzögerung der Fertigstellung

Die USA können auf diese Weise zwar einen kurzen Stopp der Bauarbeiten an der Pipeline erzwingen, aber keinesfalls deren Weiterbau und Vollendung verhindern. Sie erreichen letztendlich nur eine weitere Verzögerung und Verteuerung des Projekts. Der "Protecting Europe's Energy Act" ist deshalb eine genauso sinnlose wie politisch unkluge Machtdemonstration. Schon mit seiner Benennung bringt er eine imperiale Anmaßung zum Ausdruck, welche die EU-Staaten – ungeachtet ihrer durchaus vorhandenen Differenzen in der Pipeline-Frage – im gemeinsamen Widerstand gegen eine derartige Bevormundung vereinen muss. Der eigentliche Nutznießer ist dabei der Kreml, dessen diverse Pipeline-Projekte schon immer darauf zielten, die Risse innerhalb der Europäischen Union und des Nordatlantikpaktes zu vertiefen.

Sogar die Demokratische Partei stützt die unsinnige Entscheidung

Bemerkenswert an der neuesten Entgleisung der US-Außenpolitik ist vor allem, dass nicht der amtierende Präsident Donald Trump die treibende Kraft dahinter ist – der genießt sowieso schon eine Art Narrenfreiheit –, sondern beide Häuser des Kongresses. Das Repräsentantenhaus billigte die Gesetzesvorlage am 11. Dezember mit 377 zu 48 Stimmen. Der Senat folgte am 17. Dezember mit einer nicht minder klaren Mehrheit. Es sind also nicht nur die Republikaner, die diesen Unsinn mittragen. Auch die Demokraten wollen auf diese Weise dem "bösartigen russischen Einfluss in Europa entgegenwirken", wie der republikanische Abgeordnete Andy Barr die Einbringung des Gesetzes begründete.

Eigentlich geht es eher um den Absatz von US-Flüssiggas – aber auch da dürfte das Kalkül nicht aufgehen

In Wirklichkeit dürfte es dem Kongress eher darum gehen, die Absatzchancen von US-Flüssiggas auf dem europäischen Markt zu erhöhen. Die Gas-Lobby bedient sich dabei der bekannten und durchaus berechtigten Einwände gegen das Projekt, das hauptsächlich den Zweck verfolgt, die bisherigen Transitleitungen durch die Ukraine überflüssig zu machen. Am Gesamtumfang der Gasimporte würde sich freilich nichts wesentliches ändern. Das eigentliche Ziel der US-Gasförderer und ihrer Lobby ist deshalb, die leitungsgebundenen Importe aus Russland grundsätzlich zu verringern, um in Deutschland und Westeuropa eine Verknappung des Gasangebots herbeizuführen.

Zum Beispiel stammen derzeit 40 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus russischer Förderung, während der Rest aus Norwegen (29 Prozent) und den Niederlanden (23 Prozent) sowie inländischer Förderung kommt. Eine Verringerung des russischen Anteils könnte zumindest kurzfristig nicht aus diesen oder anderen Quellen ausgeglichen werden. Es käme deshalb zu einem mehr oder weniger starken Preisanstieg. Dadurch würde es wiederum rentabel, die Lücke mit verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA zu schließen, das mit Tankern nach Europa transportiert und an den bereits vorhandenen oder noch zu bauen LNG-Terminals in das Leitungssystem eingespeist wird. Litauen hat bereits ein solches Terminal in Betrieb genommen, um mit Flüssiggas aus Norwegen übertriebene Preisforderungen der Russen besser abwehren zu können (150105). Im Normalfall ist der Bezug per Pipeline aber deutlich billiger als der Aufwand für die Verflüssigung und den Transport mit LNG-Tankern. Erst recht gilt das, wenn die Tanker erst den ganzen Atlantik überqueren müssen. In diesem Fall würden andere LNG-Exporteure mit kürzeren Wegen und geringeren Erzeugungskosten günstiger sein, so dass die Rechnung der US-Regierung schon deshalb nicht aufgeht.

 

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