Oktober 2020 |
201003 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die polnische Wettbewerbsbehörde UOkiK gab am 7. Oktober bekannt, dass sie gegen den russischen Gasmonopolisten Gazprom ein Bußgeld von 29 Milliarden Zloty verhängt hat, was 6,4 Milliarden Euro entspricht. Außerdem hat sie die fünf Energiekonzerne Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall, die der Gazprom bei der Errichtung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 behilflich sind (170406), mit Geldbußen in Gesamthöhe von 52,25 Millionen Euro belegt. Sie begründet diese Strafen mit der Untersagung der kapitalmäßigen Einbindung der fünf europäischen Energiekonzerne in das Pipeline-Projekt, die sie im Juli 2016 ausgesprochen hat (160804). Die sechs Beteiligten hätten daraufhin ihren Fusionsantrag zwar zurückgezogen, zugleich aber das Verbot vorsätzlich mißachtet, indem sie die vereinbarte kapitalmäßige Verflechtung nur unwesentlich verändert und Nord Stream 2 gemeinsam weiter vorangetrieben hätten.
Die polnische Wettbewerbsbehörde hat ihrer Darstellung zufolge das modifizierte Geschäftsmodell von Anfang an mißtrauisch beäugt, das die sechs Geschäftspartner im April 2017 vereinbarten. Anstelle einer kapitalmäßigen Beteiligung der fünf europäischen Energiekonzerne an der Nord Stream 2 AG sah es nur noch eine finanzielle Unterstützung des Projekts vor. Die Aktien der Nord Stream 2 AG blieben zu hundert Prozent im Eigentum von Gazprom (170406). In dieser Weise kollidierte das Kooperationsmodell angeblich nicht mehr mit dem Verbot der polnischen Wettbewerbsaufsicht. Vorsichtshalber wurde diese allerdings erst gar nicht gefragt.
Im April 2018 leitete die Warschauer Behörde ein neues förmliches Verfahren gegen Gazprom und die fünf europäischen Energiekonzerne ein. Sie veröffentlichte dazu aber keine Mitteilung, sondern suchte intensiv nach Gründen, um den sechs Geschäftspartnern einen eindeutigen Verstoß gegen das Fusionsverbot vorwerfen zu können. Vor diesem Hintergrund sind zwei Bußgelder zu sehen, die sie im November 2016 gegen die französische Engie (37,8 Millionen Euro) und im Juli dieses Jahres gegen die Gazprom (46,8 Millionen Euro) wegen der Verweigerung von Auskünften verhängte. Auf irgendeine Weise scheint die polnische Behörde dann aber doch herausgefunden zu haben, wie es sich mit den bloßen Finanzbeteiligungen der fünf Energiekonzerne an der Nord Stream 2 AG tatsächlich verhält: Ihren Angaben zufolge sieht die Neukonstruktion so aus, dass die Gazprom für diese Finanzbeteiligungen mit Aktienpaketen an der Nord Stream 2 AG haftet, die genau den ursprünglich geplanten Minderheitsbeteiligungen entsprechen, auf die von den fünf Energiekonzernen angeblich verzichtet wurde. Insoweit wurden die Beteiligungen der fünf Konzerne an Nord Stream 2 nicht beseitigt, sondern lediglich kaschiert.
"Die Finanzierungsbedingungen wurden so festgelegt, dass sie in einer späteren Phase des Projekts die Anteile übernehmen konnten", folgert daraus der UOKiK-Präsident Tomasz Chróstny. Die sechs Unternehmen hätten somit nie ihre Absicht aufgegeben, das beanstandete Zusammenschlussvorhaben fortzusetzen, sondern es lediglich in einer anderen Form fortgeführt. Sie hätten damit wissentlich die polnischen Gesetze verletzt, die denen der EU-Gesetzgebung auf diesem Gebiet entsprächen. Sie seien deshalb mit den höchsten verfügbaren finanziellen Sanktionen in Höhe von jeweils 10 Prozent ihres Jahresumsatzes zu bestrafen. Wörtlich hieß es in der Erklärung des UOKiK-Präsidenten weiter:
"Ich habe keine mildernden Umstände festgestellt. Die Aktivitäten der sechs Unternehmen wirkten sich negativ auf den Wettbewerb auf dem Erdgasmarkt in Polen aus - einem Markt, der für die gesamte Wirtschaft und für die Situation der einzelnen Haushalte von großer Bedeutung ist. Der Start von Nord Stream 2 wird die Kontinuität der Erdgaslieferungen nach Polen bedrohen. Auch ein Preisanstieg ist sehr wahrscheinlich, wobei dieser Anstieg von den polnischen Verbrauchern getragen wird. Der Abschluss dieses Investitionsprojekts erhöht die wirtschaftliche Abhängigkeit vom russischen Gas - nicht nur im Falle Polens, sondern auch im Falle anderer europäischer Staaten. Was die Energiesicherheit betrifft, so spaltet das Unternehmen Europa in zwei Teile, wobei die Grenze an der Oder liegt. Es ist erstaunlich, dass westliche Konzerne dies nicht verstehen und sich an einem Unternehmen beteiligen, das nicht nur den Wettbewerb auf dem Markt stört, sondern auch eine Bedrohung für die Energiesicherheit Europas darstellt. Unter Berücksichtigung all dessen sollen die verhängten Geldstrafen nicht nur die Beteiligten von der Einhaltung der Gesetze überzeugen, sondern auch andere Akteure davon abhalten, in Zukunft ähnliche Verhaltensweisen zu versuchen, die gegen antimonopolistische Vorschriften verstoßen. In diesem besonderen Fall war es auch notwendig, andere rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Umstände aus der Zeit vor dem Zusammenschluss wieder herzustellen. Wir haben alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt."
Wieweit diese Sichtweise Bestand hat, wird demnächst wohl den Europäischen Gerichtshof beschäftigen. Schon jetzt ist allerdings anzunehmen, dass Gazprom keinesfalls die verlangten 6,4 Milliarden Euro an die polnische Staatskasse abführen wird. Zum Beispiel hat der Kreml einen Schiedsspruch der Stockholmer Handelskammer nicht akzeptiert, der Gazprom zur Zahlung von 2,56 Milliarden Dollar Entschädigung an die Ukraine verpflichtete (180402). Ebenso ignorierte er eine Entscheidung des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag, die den ehemaligen Aktionären des russischen Ölkonzerns Yukos eine Entschädigung von rund 50 MIlliarden Dollar zusprach, weil sie von der russischen Regierung willkürlich enteignet wurden (140701, 200213). Auf ein Urteil des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte, das den Machthabern im Kreml eine Entschädigung von 1,9 Milliarden Euro wegen Mißachtung der Konvention für Menschenrechte abverlangte, reagierten diese sogar mit der faktischen Aufkündigung der russischen Mitgliedschaft im Europarat (150708).
Etwas anders sieht es bei den fünf Geschäftspartnern der Gazprom aus, die in das Rechtssystem der EU eingebunden sind und es nicht einfach ignorieren können. Ihre Geldbussen sind auch weitaus niedriger: Der größte Betrag sind 19,6 Millionen Euro für OMV, gefolgt von 12,4 Millionen für Engie, 6,9 Millionen für Wintershall, 6,7 Millionen für Shell und 6,7 Millionen für Uniper. Im Vergleich mit der Summe, die Polen der Gazprom abknöpfen will, ist selbst die Strafe für OMV 326-mal niedriger und insofern nur ein Klacks. Und im Vergleich mit den 37,8 Millionen Euro, die Engie allein wegen Auskunftsverweigerung aufgebrummt bekam, sind die 12,4 Millionen Euro im Hauptverfahren gerade mal ein Drittel davon.
Dennoch werden die fünf Konzerne sicher alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor sie einen Euro überweisen. Den Regierenden in Warschau könnte dabei auf die Füße fallen, dass sie die Gewaltenteilung in ihrem Land systematisch demontiert haben und von rechtsstaatlichen Verhältnissen in Polen inzwischen kaum noch die Rede sein kann. Das gilt nicht nur für die Justiz. Ebenso und noch mehr sind behördliche Entscheidungen betroffen. Die polnische Wettbewerbsbehörde beruft sich bei den jetzt verhängten Strafen zwar auf EU-Recht. Faktisch verfügt sie aber nicht über die notwendige Unabhängigkeit bei ihren Entscheidungen, sondern ist unter den gegebenen Umständen als ausführendes Instrument der rechtskonservativen Machthaber zu betrachten. Die Versicherung des UOKiK-Präsidenten, seine Behörde habe "alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt", klingt deshalb wohl auch nicht ganz zufällig wie eine Vollzugsmeldung an die politischen Auftraggeber.