Mai 2016 |
160512 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission teilt nicht den Standpunkt der Bundesregierung, daß es sich beim vereinbarten Bau einer zweiten Pipeline durch die Ostsee (150905) um ein rein wirtschaftliches Projekt zwischen der russischen Gazprom und den beteiligten westlichen Konzernen handele. Laut FAZ (28.5.) erwägt sie sogar den Abschluß eines Rahmenvertrags auf übernationaler Ebene, der die Konditionen für dieses Projekt direkt zwischen der EU und dem Kreml regelt. Damit soll von vornherein verhindert werden, daß es wieder zu solchen nationalen Alleingängen und Verletzungen des EU-Rechts wie bei dem Projekt "South Stream" kommt, das Ende 2014 vom Kreml abgeblasen wurde (141201).
Am 5. April war der frühere Bundeskanzler und heutige Gazprom-Lobbyist Gerhard Schröder (SPD) nach Brüssel gereist, um bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Kommissar Miguel Arias Canete für "Nord Stream 2" zu werben, wie das Projekt in Anlehnung an die bereits bestehende Pipeline bezeichnet wird. Unter anderem wollte der Vorsitzende des Aktionärsausschusses der Nord Stream AG die Befürchtung zerstreuen, daß die Ukraine als Transitland für russisches Gas überflüssig wird und damit vom Kreml noch besser erpreßt werden kann. Er scheint aber nur sehr begrenzten Erfolg gehabt zu haben. Der zuständige Kommissar Miguel Arias Canete äußerte nach dem Treffen seine Besorgnis wegen der möglichen Auswirkungen des Projekts auf die Versorgungssicherheit. Er trug damit den Beschwerden Rechnung, die Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien sowie die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland gegen "Nord Stream 2" eingelegt haben.
Im Gegensatz zu diesen Ländern vertritt die Bundesregierung die Auffassung, Nord Stream 2 könne "einen Beitrag zur Energiesicherheit Deutschlands und der EU leisten". Es handele sich um ein "kommerzielles Projekt, welches – wie andere Infrastrukturprojekte – die relevanten nationalen, europäischen und internationalen Rechtsvorschriften einhalten muß", antwortete sie im März auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Linken im Bundestag. Eine Prüfung der rechtlichen Grundlagen sei bisher aber nicht notwendig gewesen, da sich das Projekt in einer frühen Phase befinde und noch keine Genehmigungsanträge für den Bau gestellt worden seien. Die Frage nach den wirtschaftlichen Auswirkungen des Projekts auf bisherige Transitländer wie Polen, die Slowakei und die Ukraine beantwortete die Bundesregierung ausweichend damit, daß sie sich für den weiteren Gas-Transit durch diese Länder "einsetzen" werde.
Im Februar hat die EU-Kommission eine Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung vorgeschlagen, die unter anderem die nationalen Regierungen verpflichten würde, den Abschluß oder die Änderung aller versorgungsrelevanten Verträge vorab der Kommission zu melden (160204). Die Bundesregierung sah darin einen zu weitgehenden Eingriff in die nationale Souveränität, hat aber ihren Widerstand gegen diese Verordnung inzwischen aufgegeben. Der Vorschlag dürfte Anfang Juni auf dem nächsten Treffen der Energieminister gebilligt werden und im wesentlichen auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments finden. Mit dem Inkrafttreten wird frühestens Ende des Jahres gerechnet.