Mai 2020 |
200501 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundesnetzagentur hat am 15. Mai den Antrag der Nord Stream 2 AG auf Freistellung von der Regulierung des im deutschen Hoheitsgebiet verlaufenden Teils der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 abgelehnt. Sie begründete dies damit, dass die Pipeline nicht zum 23. Mai 2019 fertiggestellt wurde. Dies wäre nach Artikel 49a der im Februar 2019 beschlossenen neuen EU-Gasrichtlinie Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Ausnahmebestimmung gewesen, die einzig und allein zugunsten von Nord Stream 2 in die Richtlinie eingefügt wurde, um der russischen Gazprom als Alleineigentümerin der Pipeline bis zum Anlandepunkt an der deutschen Ostseeküste die alleinige Verfügung einräumen zu können (190201). Die Bundesregierung, auf deren Drängen diese Ausnahmebestimmung zustande kam , scheint aber übersehen zu haben, dass die Pipeline keinesfalls bis zum Inkrafttreten der Richtlinie fertiggestellt sein würde. So geriet der 23. Mai 2019 – der in der ursprünglich vereinbarten Fassung der Richtlinie nur "Datum des Inkrafttretens dieser Richtlinie" lautete – unversehens zum Ausschlussdatum und zum Gegenteil dessen, was mit der Ausnahmeregelung beabsichtigt worden war.
Das Ausschlussdatum 23. Mai 2019 wurde dann im November 2019 bei der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht auch in das Energiewirtschaftsgesetz übernommen, aber kurz vor der Verabschiedung der Novelle teilweise wieder herausgestrichen. Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags sprach dabei von einer "Klarstellung". Zugleich unterstellte das von Union und SPD dominierte Gremium, dass die Richtlinie in diesem Punkt nicht wortwörtlich verstanden werden dürfe. Der europäische Gesetzgeber bezwecke mit dem Artikel 49a hauptsächlich den Vertrauensschutz für bereits getätigte Investitionen. Daraus ergebe sich wiederum: "Vor diesem Hintergrund ist bei der Bestimmung, ob die Leitung vor dem Inkrafttretenstermin fertiggestellt worden ist, allen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen". Dies konnte als Aufforderung an die Bundesnetzagentur verstanden werden, den von der Gazprom gestellten Antrag auf Befreiung von der Regulierung doch zu genehmigen (191101).
Auf vermeintlichen Vertrauensschutz pochte auch die Gazprom, als die Nord Stream 2 AG bei der Bundesnetzagentur förmlich den Antrag stellte, ihr die Ausnahmeregelung doch zuzugestehen. Laut Pressemitteilung der Behörde vertritt sie in dem Antrag ein "ein wirtschaftlich- funktionales Verständnis und knüpft dafür an die zeitlich weit vor dem 23. Mai 2019 liegende Investitionsentscheidung an". Dagegen verstehe die zuständige Beschlusskammer der Bundesnetzagentur "den Begriff der Fertigstellung baulich-technisch". Und so verstünden ihn auch alle Mitgliedsstaaten der EU, die sich bei der eingeleiteten Anhörung äußerten. "Keiner der Mitgliedstaaten folgt bezüglich des Begriffs der Fertigstellung der Argumentation der Nord Stream 2 AG." Dasselbe gelte für die gemeinsame Stellungnahme von zwei Gesellschaften des staatlichen polnischen Öl- und Gaskonzerns PGNIG, die auf ihren Antrag hin mit Beschluss vom 18. März 2020 zum Verfahren beigeladen wurden.
Die Bundesnetzagentur hatte unter diesen Umständen gute Gründe, dem politischen Ansinnen auf eine Sondererlaubnis für Gazprom keine Folge zu leisten. Denn maßgeblich bleibt letztendlich der Wortlaut der neugefaßten EU-Richtlinie, unter welchen Umständen er auch immer zustande gekommen sein mag (siehe Hintergrund, Dezember 2019). Und auch im Energiewirtschaftsgesetz, das für die Bundesnetzagentur unmittelbar bindend ist, taucht das Ausschlussdatum weiterhin auf. Durch die Blitzintervention des Wirtschaftsausschusses wurde es lediglich an einer besonders markanten Stelle in § 28b getilgt, die allzu offensichtlich der nachträglich konstruierten These widersprochen hätte, es könne mit Blick auf die Investitionsentscheidung oder den Baufortschritt im Sinne des Vertrauensschutzes zugunsten von Gazprom ausgelegt werden.
Nur fünf Tage später erlitt Gazprom eine weitere Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg: Am 20. Mai wies dieser zwei Klagen zurück, die von den beiden Ostsee-Pipeline-Gesellschaften Nord Stream AG und Nord Stream 2 AG gegen die neue EU-Gasrichtlinie erhoben worden waren.
Die Nord Stream 2 AG wollte die Richtlinie komplett für nichtig erklären lassen, weil sie mit der Ausdehnung der Regulierung auf den letzten Abschnitt der neuen Ostsee-Pipeline vor der deutschen Küste gravierende und für sie unzumutbare Änderungen enthalte. Sie behauptete, sie müsse die gesamte Pipeline veräußern oder ihre organisatorische und unternehmerische Struktur völlig umstellen, um den neuen Verpflichtungen nachzukommen. Dadurch würde die Finanzierung der Pipeline, an der auch fünf westeuropäische Unternehmen beteiligt sind, von Grund auf unterminiert.
Die Nord Stream AG, welche die bereits bestehende Ostsee-Pipeline betreibt, verlangte die Nichtigerklärung einer Vorschrift in § 28b des Energiewirtschaftsgesetzes, wonach die nationalen Regulierungsbehörden über bestimmte Anträge auf Ausnahmen bis spätestens 24. Mai 2020 entscheiden müssen. Die daraus resultierenden Verpflichtungen würden sie mit erheblichen Änderungen ihrer Aktionärsvereinbarung, ihrer Statuten und des mit der Gazprom Export LLC geschlossenen Gasliefervertrags erforderlich machen.
Das Gericht wies beide Klagen als unzulässig ab, weil die geänderte Richtlinie weder die Nord Stream 2 AG noch die Nord Stream AG unmittelbar betreffe. Die aus der Richtlinie resultierenden Verpflichtungen ergäben sich erst durch deren Umsetzung in nationales Recht, wobei die Mitgliedsstaaten über ein weites Ermessen verfügen und auch Ausnahmen zulassen können. Überdies sei die Nord Stream AG von der Änderung auch nicht individuell betroffen, weil sie "kein Anrecht hatte, das aus den beiden Gasfernleitungen 'Nord Stream' bestehende Netz zu betreiben und/oder weiterhin zu betreiben, ohne rechtlichen Vorgaben der Union zu unterliegen, zumindest in Bezug auf den im Unionsgebiet, konkret im Binnenmeer eines Mitgliedsstaats, befindlichen Teil der Gasfernleitung". Mit anderen Worten: Die Privilegien, die der Nord Stream AG beim Bau der ersten Ostsee-Pipeline aufgrund von Artikel 36 der damaligen Gasrichtlinie eingeräumt wurden, begründen keinen Anspruch darauf, künftig auch in anderen Punkten von neuen Regelungen ausgenommen zu werden.
Ende 2019 hatten die USA das schweizerisch-niederländische Unternehmen Allseas mit massiven Drohungen genötigt, die Verlegung der Gasröhren für Nord Stream 2 kurz vor Vollendung der Pipeline abzubrechen (191201). Beim einen Strang fehlen jetzt noch 65 Kilometer, beim anderen 85 Kilometer bis zur Fertigstellung. Gazprom hat inzwischen in der Nähe des Hafens Mukran auf Rügen zwei russische Verlegeschiffe positioniert, um die restlichen Kilometer zu verlegen. Eines der Schiffe ist allerdings nur bedingt für diesen Zweck geeignet. Die Vollendung der Pipeline dürfte deshalb erheblich länger dauern als es normalerweise der Fall gewesen wäre.
Hinzu plant die US-Regierung anscheinend neue Pressionen gegen Unternehmen, die bei der Vollendung der Pipeline behilflich sind. "Weitere Sanktionen treffen auf überparteiliche Zustimmung", erklärte der Berliner US-Botschafter Richard Grenell nach einem Treffen mit Senatoren und Abgeordneten des US-Kongresses gegenüber dem "Handelsblatt" (27.5.). In seiner schon gewohnt rüpelhaften Manier forderte er die Bundesregierung zu einer grundsätzlichen Änderung ihrer Russland-Politik auf: "Deutschland muss aufhören, die Bestie zu füttern, während es zugleich nicht genug für die NATO zahlt." Eine nicht näher genannte Sprecherin von Wirtschaftsminister Peter Altmaier gab dazu gegenüber dem "Handelsblatt" folgende Stellungnahme ab: "Die Zeit, in der die Corona-Pandemie die Länder rund um den Globus unter gewaltigen Druck setzt, ist nicht die Zeit, um an der Eskalationsspirale zu drehen und weitere extraterritoriale, also völkerrechtswidrige Sanktionen anzudrohen." Der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Nord Stream 2, Timon Gremmels, verwies auf das eigentliche Motiv dieser Russland-Phobie: "Es geht den Amerikanern einzig und allein darum, ihr Fracking-Gas zu verkaufen. Die Bedingungen dafür sind wegen des Preisverfalls auf den Weltgasmärkten schwieriger geworden, darum machen die USA jetzt wieder mehr Druck."