Juli 2018 |
180705 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil die Richtlinien für den Strom- und Gasbinnenmarkt aus dem Jahr 2009 (090401) nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurden. Wie sie am 19. Juli mitteilte, geht es dabei um die Befugnisse und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde. Die diesbezüglichen Vorschriften der Richtlinie würden nicht vollständig eingehalten. Sie habe deshalb im Februar 2015 der Bundesregierung ein Aufforderungsschreiben und im April 2016 eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermittelt. Die Bundesregierung gibt an, dass sie zu den Vorwürfen zuletzt im August 2016 Stellung genommen und dargelegt habe, weshalb die Umsetzung in nationales Recht keinen Anlaß zu Beanstandungen biete. Damit konnte sie in Brüssel aber offensichtlich nicht überzeugen: "Da das EU-Recht noch immer nicht eingehalten wird, muss die Kommission den Gerichtshof mit diesen Angelegenheiten befassen", teilte die EU-Kommission mit.
Das Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) betrifft im wesentlichen die vor 13 Jahren geschaffene Bundesnetzagentur (050701), tangiert aber auch die Befugnisse der Landesregulierungsbehörden, die in den meisten Bundesländern die kleinen und mittleren Verteilnetze mit weniger als 100.000 angeschlossenen Kunden beaufsichtigen (160109). Die EU-Kommission beanstandet vor allem, dass die Regulierungsbehörde über keine uneingeschränkte Ermessensfreiheit bei der Festlegung der Netztarife und anderer Bedingungen für den Zugang zu Netzen und Regelenergiedienstleistungen verfügt. Stattdessen werde dieser Bereich weitgehend in Einzelverordnungen der Bundesregierung geregelt. Gemeint sind offenbar die vier Verordnungen über Netzentgelte und Netzzugang bei Strom und Gas, die 2005 zusammen mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und dem Gesetz über die Bundesnetzagentur in Kraft traten (050701).
Außerdem seien mehrere Anforderungen an das Entflechtungs-Modell "Independent Transmission Operator" (ITO) nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden. Beispielsweise stünden die Vorschriften über die Unabhängigkeit des Personals und der Verwaltung nicht vollständig mit den beiden Richtlinien im Einklang. Die Definition von vertikal integrierten Unternehmen in § 3 Nr. 38 des Energiewirtschaftsgesetzes schließe unzulässigerweise Aktivitäten außerhalb der EU aus.
Das ITO-Entflechtungsmodell wurde 2009 als dritte zulässige Variante neben dem "Ownership Unbundling" (OU) und dem "Independent System Operator" (ISO) in den 2009 erlassenen Richtlinien für Strom und Gas verankert. Das geschah vor allem auf Drängen Deutschlands und Frankreichs (081009). Es gilt nur für Unternehmen, die damals bereits bestanden, was es den vier deutschen Transportnetzbetreibern RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW ermöglicht hätte, ihre Besitzstände besser zu wahren (090303). Vor allem RWE hatte sich sehr dafür eingesetzt (090209). Das ITO-Modell wurde 2011 in nationales Recht umgesetzt und zum "Unabhängigen Transportnetzbetreiber" in den Paragraphen 10 - 10e des Energiewirtschaftsgesetzes, das in den Paragraphen 8 und 9 außerdem die beiden anderen Entflechtungs-Optionen enthält (110602).
Inzwischen hatten aber drei der vier deutschen Stromtransportnetzbetreiber
ihre Netze verkauft, weil ihnen das Geschäft mit Kohle- und Atomstrom lukrativer
erschien als die garantierten Netzrenditen: Den Anfang machte E.ON (091101),
gefolgt von Vattenfall (100307) und RWE (110705).
Deshalb sind heute die TenneT TSO (vormals E.ON) und die 50Hertz Transmission
(vormals Vattenfall) eigentumsrechtlich entflochtene Transportnetzbetreiber
nach § 8. Nur die Amprion (vormals
RWE) sowie die TransnetBW, die bis heute nach wie vor der EnBW gehört,
wurden von der Bundesnetzagentur als "Unabhängige Transportnetzbetreiber"
zertifiziert. Im Gasbereich sind dagegen neun von fünfzehn Transportnetzbetreibern
auf diese Weise organisiert und nur vier eigentumsrechtlich entflochten. Überhaupt
keine Rolle spielt in Deutschland das Modell des "Unabhängigen Systembetreibers"
nach § 9, das dem "Independent
System Operator" (ISO) der EU-Richtlinie entspricht. Das liegt wohl daran,
dass dieses Modell weder Fisch noch Fleisch ist, denn es war von der EU-Kommission
als abgeschwächte Variante des eigentumsrechtlichen Entflechtungsmodells
(OU) gedacht gewesen, bevor sie den Regierungen in Berlin und Paris mit ITO
ein größeres Zugeständnis machte.