Januar 2019

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Drückermethoden sind Gift für Stadtwerke

Wie aus einem ursprünglich seriösen Geschäftszweig der Stadtwerke Pforzheim ein finanzielles und moralisches Debakel wurde

(zu 190102)

Wer bei anrüchigen Geschäften mitstinken will, braucht sich nicht zu wundern, wenn alle Welt die Nase rümpft, sobald die Sache schief geht und auch noch ruchbar wird. Schlimmstenfalls gibt es sogar ein strafrechtliches Nachspiel. Zum Beispiel hat die Pforzheimer Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP) dubiose Finanzprodukte ankaufen lassen, um mit den erhofften Erlösen die Stadtkasse zu füllen. Das Ergebnis war ein zweistelliger Millionenverlust. Das Landgericht Mannheim verurteilte sie deshalb zu einem Jahr und acht Monaten Haft wegen Untreue. Die mitangeklagte frühere Stadtkämmerin bekam zwei Jahre, ebenfalls auf Bewährung. Beide Urteile wurden inzwischen vom Bundesgerichtshof in der Revision aufgehoben und stehen zur erneuten Verhandlung an.

Bei den Stadtwerken Pforzheim (SWP), deren Aufsichtsrat die Oberbürgermeisterin damals vorsaß, hatte man eigentlich auch nur das finanzielle Wohl des Unternehmens und des städtischen Haushalts im Sinn, als die Ausdehnung des Strom- und Gasvertriebs über das eigene Netzgebiet hinaus beschlossen wurde. Die anfänglichen Probleme bei der technisch-kaufmännischen Durchführung des Lieferantenwechsels waren mit den bundesweit einheitlichen und rechtlich verbindlichen Regelungen beseitigt worden, die zum 1. August 2007 in Kraft traten (070802). Und so starteten die SWP ab diesem Zeitpunkt ihr erstes bundesweites Angebot "stromistbillig", aus dem später die Marke "GletscherEnergie" wurde, die neben Strom- auch Gaslieferungen umfaßt.

Im Unterschied zu den Derivaten, die sich die Oberbürgermeisterin von zwei Großbanken andrehen ließ, war das eine wohlüberlegte und diskutable Entscheidung. Zunächst jedenfalls. Mit der Liberalisierung des Energiemarktes waren die geschützten Versorgungsgebiete beseitigt worden. Schon 1999 gab es ein Dutzend bundesweite Stromanbieter (990805). Vor allem die großen Energiekonzerne warben mit viel Reklameaufwand um Haushaltskunden und schmälerten so den Kundenbestand der kommunalen Versorger (990802). Zumindest für größere Stadtwerke lag es deshalb nahe, sich ebenfalls über den angestammten Netzbereich hinaus zu betätigen, zumal sich auch beim Stammgeschäft die Wandlung zum Online-Vertrieb abzeichnete. Sogar ein relativ kleines kommunales Unternehmen wie die südhessische GGEW war sofort nach der Liberalisierung unter die bundesweiten Stromanbieter gegangen und hatte damit seinen Kundenkreis erheblich vergrößern können (040213).

Unvernünftig und schließlich auch unseriös wurde das bundesweite Energieangebot der SWP erst, als sich die Begrenztheit des neuen Geschäftsmodells herausstellte. Das scheint schon um das Jahr 2011herum angefangen zu haben. Die Anzahl der bundesweiten Kunden, die bis Ende 2008 auf rund 10.000 gestiegen war, stagnierte damals seit drei Jahren bei rund 14.000. Die Verantwortlichen scheinen daraus den falschen Schluß gezogen zu haben, dass einfach noch mehr als bisher mit der Wurst nach dem Schinken geworfen werden müsse, wie eine bildhafte Redensart lautet. Und so warfen sie dann mit dem saftigen Schinken von Millionen Euro nach wurstigen Erträgen, die immer kümmerlicher wurden.

Von 2012 bis 2016 wurden 14 Millionen Euro für "Provisionen" ausgegeben

Aber das war nicht der schlimmste Fehler. Ein entscheidender Grund, weshalb die Stadtwerke Pforzheim auf ihrer White-Label-Marke "GletscherEnergie" so arg ausgerutscht sind, war offenbar die Delegierung der Kundenwerbung an mehr oder weniger dubiose Subunternehmen. Bei Durchsicht der Geschäftsberichte fällt auf, dass unter den "sonstigen betrieblichen Aufwendungen" schon 2012 ein neuer Posten auftaucht. Es handelt sich um gut drei Millionen Euro, die für "Provisionen" ausgegeben wurden. Offenbar flossen diese Provisonen an Subunternehmen, die neue Kunden für das bundesweite Energieangebot der SWP heranschafften.

Ferner fällt auf, dass ab 2013 regelmäßig ein anderer neuer Posten auftaucht, der "Rechts- und Beratungskosten" heißt und bis 2016 jährlich im Durchschnitt 1,33 Millionen Euro erforderte. Man wird wohl nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese Kosten im wesentlichen auf eine Zunahme an Rechtsstreitigkeiten zurückzuführen waren und ebenfalls mit der forcierten Ausweitung des bundesweiten Energieangebots zu tun hatten. Denn wer seine Kunden für teure Provisionen durch "Telesales"-Unternehmen keilen läßt, bekommt den daraus resultierenden Ärger gratis.

Insgesamt gaben die SWP von 2011 bis 2016 für "Provisionen" 14.098.000 Euro aus. Bezieht man die "Rechts- und Beratungskosten" mit ein, beliefen sich die Kosten für das Doping ihres bundesweiten Energieangebots auf rund zwanzig Millionen Euro. Tatsächlich gelang es so, die Anzahl der "GletscherEnergie"-Kunden bis Ende 2012 auf rund 20.000 und bis Ende 2013 auf rund 40.000 zu erhöhen. Dabei blieb es dann allerdings auch, obwohl die Ausgaben für "Provisionen" von Jahr zu Jahr weiter anstiegen und 2016 knapp vier Millionen Euro erreichten.

Die SWP scheinen sich demnach mit unverhältnismäß großem finanziellen Aufwand in eine gefährliche Abhängigkeit von Lieferverträgen mit Kunden außerhalb ihres Netzgebiets manövriert zu haben. Nach den letzten verfügbaren Angaben entfielen von den 1250 Gigawattstunden Strom, die sie 2016 an private und gewerbliche Verbraucher absetzten, zwei Drittel auf Kunden außerhalb des angestammten Versorgungsgebiets. Beim Gasabsatz (626 GWh) betrug dieser Anteil dagegen nur zwölf Prozent.

Dabei knisterte es schon 2016 erheblich im Gebälk der 40.000 auswärtigen Kunden. Dass diese Zahl seit 2013 unverändert in den Geschäftsberichten auftauchte, war keineswegs ein Indiz für Stabilität. Im selben Zeitraum wurden nämlich insgesamt 14 Millionen Euro an Provisionen für die Gewinnung neuer Kunden gezahlt. Es sieht deshalb ganz danach aus, also ob die mühsam und teuer gewonnenen Neukunden gerade mal ausgereicht hätten, um die Anzahl der abgesprungenen Kunden zu kompensieren.

Verluderung der Sitten begann bereits mit der Liberalisierung des Energiemarktes

Diese Unbeständigkeit der Kundenbindung kam nicht von ungefähr. Sie hatte damit zu tun, dass die SWP bei ihrer bundesweiten Kundenwerbung fragwürdige Methoden anwandten, die zwar branchenüblich sein mögen, die sie aber in ihrem eigenen Revier sicher nicht praktizieren würden, weil der Schuss nach hinten losginge. Für den bundesweiten Wettbewerb galten schon immer andere Spielregeln. Hier war nach neoliberalem Credo alles erlaubt, was dem Profit diente und nicht direkt strafbar war, und oft wurde auch diese Grenze noch überschritten. Die Verluderung der Sitten begann bereits mit der Liberalisierung des Energiemarktes (000611, 010715). In mehr oder weniger krasser Form wurde Lug und Trug für viele erfolgreich fischende Unternehmen sogar fester Bestandteil des Geschäftsmodells. Man denke nur an Teldafax (170308), Flexstrom (180806) oder Care-Energy (180113). Auch Großkonzerne hatten in dieser Hinsicht wenig Skrupel, weshalb die Bundesnetzagentur wiederholt Bußgelder gegen Energievertriebe wie "e wie einfach" (180509) oder "Eprimo" (161113) verhängte.

Die eigentliche Schmutzarbeit besorgen dabei meistens andere Unternehmen, die von den Energievertrieben beauftragt werden oder zunächst als "Freibeuter" tätig sind, bis sie den Kunden an der Angel haben und meistbietend weiterverhökern können. Beispielsweise behaupten die Werber im Telefongespräch oder an der Haustür, im Auftrag der örtlichen Stadtwerke die Umstellung auf einen günstigeren Tarif vornehmen zu wollen. Das ist sozusagen der Klassiker. Gerne präsentieren sie sich auch als angeblich unabhängige Energieberater, "Tarifoptimierer" oder harmlose Marktforschungsinstitute. Dass die Belästigung mit unerbetener Telefonwerbung schon seit Jahren verboten ist, stört sie dabei wenig. Die übliche Schutzbehauptung lautet, die Angerufenen hätten sich an einem Gewinnspiel beteiligt und dabei ihr Einverständnis erklärt. Zudem ist die mögliche Höhe der Bußgelder noch immer zu gering, und es muss schon sehr viel zusammenkommen, bevor die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde einschreitet. Die Auftraggeber stört das unseriöse Geschäftsgebaren ebenfalls nicht sonderlich. solange sie damit nicht direkt in Verbindung gebracht werden. Schließlich haben sie solche Subunternehmen gerade deshalb engagiert, damit das eigene Firmenschild möglichst wenig befleckt wird.

Moderne Drücker nennen sich "Telesales-Manager"

Im Grunde handelt es sich bei diesen Praktiken um eine Weiterentwicklung der berüchtigten "Drückermethoden", wie sie früher vor allem aus der Zeitschriftenwerbung bekannt waren. Heute klingeln die Drücker meistens nicht mehr an der Haustür, sondern bevorzugen den telefonischen Kontakt. Aus den sogenannten Strukturvertrieben sind Call-Center geworden, wo die Drücker jetzt "Telesales-Manager" heißen, "Kaltakquise" betreiben und mit "Cold Calls" die Verbraucher belästigen. Nach wie vor werden aber mit Lug und Trug irgendwelche Vertragsabschlüsse erreicht oder auch nur behauptet. Denn im Unterschied zum Vertragsabschluss an der Haustür braucht der "Telesales-Manager" den Angerufenen nicht einmal eine Unterschrift abzuluchsen, um ein rechtsverbindliches Einverständnis unterstellen zu können. Es genügt, die Opfer solange mit einem Wortschwall einzudecken, bis sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Wenn sie dann noch eine geschickt plazierte und scheinbar unverfängliche Frage bejahen, werden sie zu ihrer großen Überraschung wenig später als neue Kunden dieses oder jenes Energievertriebs begrüßt. Wer sich wehrt, bekommt dann vielleicht vor Gericht einen Mitschnitt des besagten Gesprächs vorgehalten, bei dem er deutlich mehrmals "Ja" sagt. Und eines dieser Ja war die Falle, in die er arglos hineingetappt war. Oft genügt es den Bauernfängern aber schon, wenn sie durch geschickte Gesprächsführung die Zähler-Nummer und andere notwendige Kundendaten ergattert haben, denn das reicht zur Veranlassung eines Lieferantenwechsels aus. Zum Beispiel soll E.ON auf diese Weise zu etlichen neuen Kunden gekommen sein und wurde deshalb von den Verbraucherzentralen verklagt (180907).

Ein gewisses Maß an Schönfärberei gehört auch bei den kommunalen Versorgern zum Geschäft. Sie sind aber sicher derjenige Teil der Branche, der das Attribut "seriös" am ehesten beanspruchen kann. Regelrechte Bauernfängerei gibt es hier schon deshalb nicht, weil sich das auf lokaler Ebene schnell herumsprechen würde und als kommunalpolitischer Bumerang an den Kopf der Verantwortlichen zurückkäme. Insofern konnten die SWP noch am 13. März 2015 scheinbar ganz unbefangen eine Pressemitteilung veröffentlichen, die vor den betrügerischen Praktiken eines nicht näher bezeichneten Schmutzkonkurrenten warnte:

"Kundinnen und Kunden im Versorgungsgebiet der Stadtwerke Pforzheim werden in jüngster Zeit vermehrt von einem Fremdanbieter telefonisch kontaktiert. Sie werden in ein Verkaufsgespräch verwickelt, um Stromverträge für Drittunternehmen abzuschließen. Dabei handelt es sich zumeist um unzulässige Werbeanrufe. Diese Form der Telefonwerbung ist verboten, wenn der Angerufene nicht seine Einwilligung dazu gibt. Die Anrufer bitten die Kunden oftmals um Adresse, Kundennummer, Zählernummer und Kontodaten. Zudem wird der Eindruck erweckt, die Belieferung im Rahmen eines neuen Vertrags würde über die Stadtwerke Pforzheim erfolgen."

Es dauerte indessen nicht lange, bis an anderen Orten in ähnlicher Weise vor Werbern gewarnt wurde, die im Auftrag der Stadtwerke Pforzheim unterwegs waren. Das per Subunternehmen betriebene Geschäft der bundesweiten Kundenwerbung wird wohl schon bisher nicht ganz astrein gewesen sein. Die seit 2013 anfallenden "Rechts- und Beratungskosten" in jährlicher Millionenhöhe müssen schließlich einen Grund gehabt haben. Nun kam es aber knüppeldick. Mit einer deutlich verschärften Gangart des bundesweiten Kundenfangs brüskierten die SWP vor allem andere Stadtwerke und rückten ins Visier von Verbraucherschützern. Das sprach sich auch in Pforzheim herum, da die beiden lokalen Tageszeitungen wiederholt über die Vorwürfe berichteten.

Seit 2016 häufte sich die Kritik an den bundesweiten Vertriebsmethoden der Stadtwerke

Es fing damit an, dass der RWE-Vertrieb Eprimo am 11. Mai 2006 eine Pressemitteilung veröffentlichte, die den SWP "unlauteres Geschäftsgebaren" vorwarf:

"Kunden des Energiediscounters wurden in den letzten Wochen vermehrt ohne ihre vorherige Einwilligung angerufen, um ihnen unter falschen Angaben Strom-Lieferverträge der Stadtwerke Pforzheim zu verkaufen. Betroffene Kunden bittet Eprimo, sich nicht verunsichern zu lassen und gegebenenfalls bei Eprimo nachzufragen. Eprimo hat die Stadtwerke Pforzheim abgemahnt und zur Unterlassung der regelwidrigen Vertriebspraktiken aufgefordert. Die Anrufer erfinden verschiedene Vorwände, um Zählernummern und Bankdaten zu erfragen. So wurde unter anderem behauptet, Eprimo sei eine Tochtergesellschaft oder ein Geschäftspartner der Stadtwerke Pforzheim und es würde sich lediglich der Briefkopf ändern. Zähler und Bankverbindungen würden benötigt, um die vorliegenden Daten abzugleichen."

Also das übliche Muster, mit dem die "Telesales"-Verkäufer ihre Opfer aufs Kreuz zu legen pflegen. Bemerkenswert war aber, dass hier kein ehrbares Stadtwerk die Abmahnung verschickte, sondern der bundesweite Online-Vertrieb eines Konzerns, der sich seit langem selber solcher Methoden bediente (161113, 160916, 160811, 130113, 101008, 080909, 080505). Es hatte deshalb viel unfreiwillige Komik, wenn Eprimo sich in der Pressemitteilung selber "die unbedingte Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und des Verbraucherschutzes" bescheinigte und dies "auch von unseren Mitbewerbern" verlangte.

Die SWP reagierten am folgenden Tag mit einer Pressemitteilung, in der sie süffisant darauf verwiesen, dass der von ihnen beauftragte "Telesalesdienstleister" zuvor für Eprimo tätig gewesen sei. Im übrigen würden die Vorwürfe jeder Grundlage entbehren. Die Telefonwerbung sei von vornherein rechtens gewesen, weil der Dienstleister entsprechende Einverständniserklärungen der Angerufenen vorlegen könne. Hinzu verfüge er über beweiskräftige Mitschnitte der Verkaufsgespräche, die ebenfalls mit Einwilligung der angerufenen Personen aufgenommen worden seien. Ferner lägen ihm eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiter vor, dass sie bestimmte Aussagen keinesfalls gemacht hätten. Grundsätzlich sei der Dienstleister laut Vertrag mit den SWP auf die "unbedingte Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und des Verbraucherschutzes" verpflichtet. Zudem erfolge die Führung der Verkaufsgespräche anhand von "sorgfältig mit der SWP abgestimmten Gesprächsleitfäden".

Dieser Schlagabtausch zwischen SWP und Eprimo erinnerte an den Streit zwischen dem Rabbi und dem Mönch in einem Gedicht von Heinrich Heine, das mit der Feststellung endet: "Welcher recht hat, weiß ich nicht – Doch es will mir schier bedünken, dass der Rabbi und der Mönch, dass sie alle beide stinken." Eine hübsche Pointe ist dabei, dass beide die Duftmarke desselben "Telesalesdienstleisters" verströmten.

SWP beriefen sich auf "Branchenüblichkeit" der inkriminierten Werbemethoden

Offenbar war das aber nicht die einzige Beschwerde, denn am 29. August 2016 veröffentlichten die SWP einen "aktuellen Hinweis", mit dem sie ihre bundesweite Kundenwerbung so verteidigten:

"Der Wettbewerb im Energiemarkt ist so umkämpft wie nie zuvor. Nach vorliegenden Informationen sind alleine in Pforzheim bis zu 188 Strom-Wettbewerber aktiv, um zufriedene Kunden der Stadtwerke Pforzheim mit Ihren Angeboten abzuwerben. Darunter befinden sich auch zahlreiche unseriöse Anbieter. Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen und weiterhin preiswerte Produkte Ihren Kunden anbieten zu können, nutzen die Stadtwerke Pforzheim unterschiedliche Vertriebswege. Zu diesen gehören u.a. der Direktvertrieb, Onlinekanäle und Telesales-Aktivitäten. Diese Vertriebszweige sind mittlerweile bei allen Wettbewerbern branchenüblich."

Es folgte die Versicherung, dass man stets die gesetzlichen Bestimmungen einhalte und nur mit "seriösen, qualifizierten und erfahrenen Dienstleistern" zusammenarbeite. "Die Stadtwerke Pforzheim als bodenständiges Unternehmen nehmen alle Anfragen und Bedenken Ihrer Kunden sehr ernst", hiess es abschließend. Das war wohl keine bloße Floskel, denn das Image als honorig-bodenständiger Lokalversorger hatte tatsächlich arge Kratzer bekommen, und hinter den Kulissen dürfte es deshalb bereits etlichen Ärger gegeben haben. Der trotzige Hinweis auf die "Branchenüblichkeit" von Telefonwerbung ließ allerdings ahnen, dass die Beschwerden noch immer nicht so ernst genommen wurden, wie sie es verdient hätten.

Stadtwerke Eberbach empörten sich über Plünderung ihrer Kunden-Kartei

Ein halbes Jahr später empörten sich die Stadtwerke Eberbach über Schmutzkonkurrenz aus Pforzheim und warfen den SWP "betrügerische Vertriebsmethoden" vor: Deren Tochterunternehmen "GletscherEnergie" (tatsächlich handelt es sich nur um eine Vertriebsmarke) habe Kunden mit "aggressiven Werbeanrufen" belästigt. Die Werber hätten ihnen weismachen wollen, dass es eine Kooperation zwischen den Stadtwerken Pforzheim und Eberbach gäbe und deshalb alle Verträge der Eberbacher Kunden auf GletscherEnergie umgeschrieben werden müßten.

Das kratzte noch viel mehr am Image der SWP als die Vorwürfe des Vertriebsgiganten Eprimo. Denn hier ging es um einen Frevel innerhalb der Familie der Stadtwerke, in der man sonst pfleglicher miteinander umgeht. Die Eberbacher Stadtwerke gehören zu den kleinsten kommunalen Versorgern in Deutschland und werden bisher noch immer als städtischer Eigenbetrieb geführt (die Umwandlung des Strom- und Gasgeschäfts in eine GmbH ist derzeit im Gange). Sie hatten es soeben geschafft, einen bescheidenen Gewinn von 31.000 Euro zu erwirtschaften und damit nach neun Jahren endlich aus der Verlustzone herauszukommen. Man versteht deshalb die Empörung der Stadtwerke über die Betrüger, die ihnen ihre Kunden mit einem ebenso plumpen wie beliebten Trick auszuspannen versuchten (eine andere Version dieses Tricks lautet, im Zuge der gesetzlich angeordneten Energiewende müssten sämtliche Lieferverträge von Atom- auf Ökostrom umgestellt werden).

Auf Nachfrage von "energate" beriefen sich die SWP darauf, dass diese Telefonate nicht von ihnen, sondern von einem "unabhängigen Vertriebsmakler" geführt worden seien. Man nehme solche Vorwürfe aber "sehr ernst" und habe die Beschwerde an den Dienstleister weitergeleitet. Seitdem habe es auch keine neuen Beschwerden gegeben, wie der Leiter der Stadtwerke Eberbach bestätigt habe. Man werde indessen weiterhin mit bundesweit agierenden Vertriebsmaklern zusammenarbeiten. Dies sei seit der Liberalisierung des Energiemarktes einfach erforderlich, um die Kundenzahlen stabil zu halten. – Ein nicht ganz an den Haaren herbeigezogenes Argument, denn die SWP haben tatsächlich bis 2016 insgesamt 14 Millionen Euro an Provisionen verpulvert, um die Kundenzahl von "GletscherEnergie" nicht unter den Stand von 2013 sinken zu lassen. Eine stabile Kundenzahl wurde damit freilich nicht erreicht, sondern gerade das Gegenteil.

Im März 2017 bekräftigten die SWP auf Anfrage der Lokalpresse, dass man sich geeinigt habe und die Stadtwerke Eberbach die Angelegenheit für erledigt erklärt hätten. Tatsächlich entfernten diese nachträglich aus ihren Pressemitteilungen jene vom Februar 2017, die den SWP betrügerische Vertriebsmethoden vorgeworfen hatte. Man fand jetzt unter den Verlautbarungen der Jahre 2016/17 nur noch sieben ähnliche Klagen über Schmutzkonkurrenten, die aber nicht namentlich genannt wurden.

Streit mit Stadtwerken Bad Kreuznach ging bis vors Oberlandesgericht

Die Stadtwerke Bad Kreuznach verzichteten von vornherein darauf, Roß und Reiter zu nennen, als sie am 13. Juni 2016 öffentlich vor den Machenschaften eines ungenannten Mitbewerbers warnten: Dieser habe Kunden angerufen und ihnen erzählt, dass er im Zuge einer Kooperation mit den Stadtwerken alle Lieferverträge im Postleitzahlengebiet von Bad Kreuznach bearbeiten müsse. Die Stadtwerke empfahlen ihre Kunden, keinesfalls Zählernummern oder andere persönliche Informationen wie Bankverbindungen und Verbrauchsdaten preiszugeben.

Die Stadtwerke kannten den Mitbewerber sehr wohl und erwirkten hinter den Kulissen beim Landgericht eine einstweilige Verfügung, die den SWP solche Geschäftsmethoden untersagte. Ein Kunde bezeugte, dass er bei einem unerlaubten "Cold Call" zwar einem schriftlichen Angebot zu Vergleichszwecken zugestimmt habe, aber keinesfalls einen Energieliefervertrag abschließen wollte. Trotzdem hätten ihm die SWP eine Auftragsbestätigung für die Belieferung mit "Stadtwerkstrom" übermittelt. Die SWP wollten diese Entscheidung indessen nicht akzeptieren. Sie gaben erst klein bei, nachdem sie vom Oberlandesgericht Koblenz bestätigt wurde. Daraufhin veröffentlichten die Stadtwerke Bad Kreuznach am 2. Februar 2017 eine Pressemitteilung über den Ausgang des Streits mit dem störrischen Widersacher, durch die dieser überhaupt erst publik wurde.

Sogar der Vorsitzende des Antispam-Vereins soll sich vorab mit Telefonwerbung einverstanden erklärt haben

Dummerweise geriet dann auch noch ein von den SWP beauftragtes Subunternehmen, das sich am Telefon als "Deutscher Energie-Service" vorstellte, ausgerechnet an den Vorsitzenden des Vereins "Antispam", der sich der Bekämpfung der unerlaubten Telefonwerbung verschrieben hat. Das war im April 2016. Auf den Internet-Seiten des Vereins entspann sich daraufhin ein bis heute andauernder Erfahrungs- und Meinungsaustausch zu den Praktiken der Stadtwerke Pforzheim, der Ende Januar 180 Einträge auf 18 Seiten umfaßte (siehe HIER).

"Bislang sind uns nur große, bundesweit agierende Energiehändler aufgefallen", erklärte ein Sprecher des Antispam-Vereins gegenüber der Pforzheimer Zeitung. "Dass nun mit den Stadtwerken Pforzheim erstmals auch ein relativ kleines kommunales Unternehmen mitmischt, halten wir für sehr bedenklich. Wenn jetzt auch noch die kleinen Stadtwerke mitmischen, dann klingelt bei den Menschen künftig drei mal am Abend das Telefon."

Gegenüber dem Lokalblatt beteuerten die Stadtwerke, es habe sehr wohl eine Einverständniserklärung des Antispam-Verbraucherschützers vorgelegen. Der habe nämlich beim Online-Gewinnspiel eines englischen Internet-Unternehmens mitgemacht und dabei seine Einwilligung zur Kontaktaufnahme durch die Stadtwerke Pforzheim erteilt. Davon wußte der Vereinsvorsitzende freilich nichts. Außerdem kam ihm ziemlich spanisch vor, dass die englische Firma, die bereits im Februar 2015 das Online-Gewinnspiel ausgerichtet haben soll, erst 2016 als handelnde Firma im Handelsregister auftauchte.

Mit wem es der Vorsitzende des Antispam-Vereins tatsächlich zu tun hatte, läßt sich bis heute nicht juristisch wasserdicht nachweisen. Natürlich fällt jedem, der mit der Szene etwas vertraut ist, der "Energie Service Deutschland" ein, der unter anderem für den RWE-Vertrieb Eprimo auf Kundenfang ging und vor dem schon 2008 zahlreiche Stadtwerke warnten (080505). Wenn man aber die Internet-Seite dieser Firma aufruft, verhält sich alles ganz anders: Da warnt die "ESD Energie Service Deutschland" doch tatsächlich vor "unseriösen Anrufern, die offenbar unberechtigt im Namen der ESD auftreten". Für sie selber stünden "Qualität und Seriösität an erster Stelle".

Das vorhandene "Risikocontrolling" ignorierte die drohenden Millionenverluste

Es ist jedenfalls ein ziemlich zwielichtiges Milieu, in das sich die SWP beim Vertrieb ihrer bundesweiten Marken "GletscherEnergie" und "Stadtwerkstrom" begeben haben. Als die Kundenzahl nicht weiter wachsen wollte und sogar bröckelte, erlagen sie offenbar dem Irrtum, dies durch Telefonwerbung beheben zu können. Dabei sind ungenehmigte Werbeanrufe seit 2009 unter Androhung von Bussgeld untersagt, und 2013 wurde die Höchststrafe auf 300.000 Euro erhöht. Ein weiterer Irrtum war, man brauche sich ja nicht selber die Hände schmutzig zu machen, weil auf "Telesales" spezialisierte Firmen das vielleicht sogar effizienter und billiger erledigen, ohne das sorgsam gepflegte Image eines bodenständig-ehrbaren Stadtwerks zu beschädigen. Zu allem Überfluß wollte man außerdem bis zuletzt nicht einsehen, dass Millionen in eine falsche Strategie investiert wurden, die mit dem Schinken nach der Wurst warf statt umgekehrt.

Oder wurden die Alarmsignale einfach ignoriert? – Laut dem Jahresbericht 2016, den die SWP beim "Bundesanzeiger" einreichten, wußte die Geschäftsführung um ihre Achillesferse: "Wir sind uns bewusst, dass die Energiehandelsaktivitäten der SWP ein erhebliches Risikopotential für das Unternehmen beinhalten können", hieß es da. "Aus diesem Grund wurde für den Bereich des Energiehandels ein spezielles Risikocontrolling-Handbuch in Kraft gesetzt." Außerdem habe man ein "Risikokomitee" geschaffen und einen "Risikobeauftragten" eingesetzt, der an dieses Komitee berichte.

Genützt hat das offenbar nichts, denn bis zum Jahresende 2018 wurde das drohende Risiko von Millionenverlusten eher vertuscht als offengelegt. Dabei waren die Bankschulden der SWP von 2008 bis 2016 von 34,31 Millionen Euro auf 95,98 Millionen Euro gestiegen. Noch Ende November stellte die Geschäftsführung die übliche Gewinnabführung in Aussicht, die zehn Millionen Euro betragen sollte. Davon wären 6,5 Millionen Euro an die Stadt geflossen. Die Mitgesellschafterin Thüga AG, der die restlichen 35 Prozent an den SWP gehören, hätte 3,5 Millionen Euro bekommen. Schon ein paar Tage später ließ sich aber nicht mehr verheimlichen, wie sehr in diesem Versprechen der Wurm drin war. Hauptursache war der Rückgang der Erträge aus dem bundesweiten Stromvertrieb. Die Erträge aus den Telesales-Verträgen waren plötzlich nicht nur um fünf, sondern sogar um zehn Millionen Euro zurückgegangen und bescherten den Stadtwerken einen Verlust von sechs Millionen Euro. Der Aufsichtsrat beschloß daraufhin am 12. Dezember, auf die Gewinnausschüttung vorerst ganz zu verzichten. Zugleich forderte er die Geschäftsführung zu einer strategischen Neuausrichtung auf. Nach Sachlage dürfte damit vor allem die Neubewertung der Telesales-Verträge und der künftige Verzicht auf diese Art von Kundenwerbung gemeint sein.

Es wird wohl auch überprüft werden müssen, ob es für ein Stadtwerk mittlerer Größe wie die SWP überhaupt sinnvoll ist, als bundesweiter Stromanbieter aufzutreten. Denn klar ist schon mal, dass ein solcher Vertriebszweig zumindest auf Dauer nicht defizitär sein darf. Die bloße Vorhaltung entsprechender Online-Angebote für Vertriebsmarken wie "GletscherEnergie" und "Stadtwerkstrom" kostet nicht sonderlich viel, zieht aber noch keine Kunden an. Ein gewisser Werbungsaufwand ist unerläßlich. Das fängt schon mit den Provisionen an, die von den Tarifvergleichern dafür verlangt werden, dass sie Interessenten direkt an die Anbieter vermitteln. Noch mehr kostet es, in jedem Fall unter den Angeboten zu sein, die an vorderster Stelle der Ergebnislisten präsentiert werden, und sei es auch nur als Anzeige (181203). Schon in diesem Bereich kann man viel investieren, ohne dass es sich lohnt. Im übrigen ist die Skala der Geldvernichtung nach oben offen. Zum Beispiel haben die Abenteurer von Teldafax sechs Millionen Euro in einen Sponsoring-Vertrag mit der Firma Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH gesteckt. Als Gegenleistung warb der Fußball-Manager Rudi Völler für ihre fragwürdigen Vorkasse-Angebote (101007). Irgendwann blieb dann aber von Deutschlands erfolgreichstem Online-Energieanbieter nur noch ein großer stinkender Haufen übrig, der jahrelang den Insolvenzverwalter und die Justiz beschäftigte (170308).

Ein großteils irrwitzig anmutender Konkurrenzkampf treibt die Vertriebskosten in die Höhe

Es wird ja gern der Eindruck erweckt, als ob bei den Strom- und Gasangeboten für Letztverbraucher ein ebenso scharfer wie heilsamer Wettbewerb bestehe, der automatisch dafür sorgt, daß die Kosten nach Möglichkeit minimiert und die Preise so günstig wie nur möglich gestaltet werden. Daraus folgt dann der Schluss, dass es jedermanns eigene Schuld sei, wenn er sich nicht das jeweils günstigste Angebot sichere. Allenfalls wird noch konzediert, dass man schon etwas Aufwand treiben müsse, um aus Hunderten von unterschiedlichen Angeboten die richtige Auswahl zu treffen, die vielfach ausgelegten Fallstricke zu erkennen oder rechtzeitig wieder zu einem günstigeren Lieferanten zu wechseln. Neuerdings gibt es sogar spezielle Dienstleister, die versprechen, einem all diese Mühe abzunehmen.

Betrachtet man diese schöne neue Welt des Wettbewerbs ohne neoliberale Scheuklappen, dann wird daraus aber ein ebenso scharfer wie großteils irrwitzig anmutender Konkurrenzkampf, der die Kosten nicht minimiert, sondern sie unnötigerweise in die Höhe treibt (siehe Hintergrund, Dezember 2010). Wenn nämlich alle mit denselben Waffen aufrüsten und am Ende sogar Giftgas einsetzen – das in diesem Fall zwar nicht von der Genfer Konvention, aber vom allgemeinen Anstandsgefühl geächtet wird –, ergibt das lediglich ein teures Nullsummenspiel. Früher konnte man das gut anhand der Vertriebskosten verfolgen, wie sie von der Bundesnetzagentur ermittelt und in ihren Monitoring-Berichten ausgewiesen wurden. Zum Beispiel stiegen demnach die reinen Vertriebskosten von 2006 bis 2011 um gut zwölf Prozent (120506) und von 2009 bis 2013 um fast neun Prozent (131203). Aber leider werden die diesbezüglichen Daten seit 2014 von keiner Stelle mehr erhoben. Stattdessen ist in den Statistiken der Bundesnetzagentur oder des BDEW nur noch pauschal von "Strombeschaffung und Vertrieb" die Rede (161103).

Gesunkene Strombeschaffungskosten verdecken Anstieg

Auch im jüngsten Monitoringbericht der Bundesnetzagentur wird nur dieser "vom Lieferanten beeinflussbare Anteil des Strompreises" genannt. Das führt dann prompt zu der mißverständlichen Angabe, dass er sich zum Stichtag 1. April 2018 erstmalig seit 2011 erhöht habe. Es wird also nicht sichtbar, wieweit sich hinter den deutlich gesunkenen Strombeschaffungskosten der vergangenen Jahre ein Anstieg der Vertriebskosten verborgen hat. Als die ENERGIE-CHRONIK vor zwei Jahren deshalb nachfragte, begründete die Bundesnetzagentur den Verzicht auf die getrennte Datenerhebung mit einer "nicht mehr ausreichend belastbaren Datenqualität bei gleichzeitig stark steigenden Lieferantenzahlen im Markt". Besonders überzeugend klang das nicht, und so bleibt der Eindruck bestehen, dass weder die Stromhändler noch die Behörden ein Interesse daran haben, die tatsächliche Entwicklung der Vertriebskosten zu ermitteln und bekannt werden zu lassen.

Man bleibt also hinsichtlich der Vertriebskosten auf grobe Schätzungen angewiesen oder auf zufällige Einzel-Angaben, die nicht unbedingt repräsentativ sind. Zum Beispiel haben die Stadtwerke Schwerin soeben die Zusammensetzung ihres Haushaltsstrompreises mitgeteilt, wobei 11 Prozent auf "Vertriebkosten inkl. Marge" entfallen. Gegenüber dem letzten repräsentativen Wert für diesen Preisbestandteil, den die Bundesnetzagentur für das Jahr 2013 ermittelte, wäre das ein weiterer Anstieg um 3,5 Prozentpunkte.

Wie es zu diesem tendenziellen Anstieg der Vertriebskosten kommt, veranschaulichen die Millionen, die von den Stadtwerken Pforzheim für Telesales-Verträge verpulvert wurden. Natürlich sind in diesem Fall die versaubeutelten Summen so hoch, dass sie keinesfalls voll eingepreist werden können und deshalb abgeschrieben werden müssen. Das ändert aber nichts daran, dass ein erhöhter Aufwand für die Kundengewinnung nach dem Motto "Wirb oder stirb!" durch die Neoliberalisierung des Energiemarktes für weite Teile der Branche zum kategorischen Imperativ wurde und die Vertriebskosten generell steigen läßt. Das gilt nicht nur für Telesales-Verträge oder teure Image-Kampagnen, mit denen der Schaden wieder repariert werden soll. Auch andere Vertriebskosten wie die scheinbar kostenlosen Dienstleistungen der Tarifvergleicher müssen letztendlich von den Stromverbrauchern bezahlt werden.

Mit Drückermethoden beschädigen Stadtwerke ihr Alleinstellungsmerkmal

Das aus dieser Situation abgeleitete Argument, es sei nun mal branchenüblich, mit harten Bandagen zu kämpfen und den schmutzigsten Teil der Arbeit irgendwelchen Söldnern zu übertragen, ist ebenso zynisch wie kurzsichtig. Wenn der gesellschaftliche Konsens systematisch bis hart an die Grenze des Strafrechts und oft darüber hinaus belastet wird, ist das kein produktiver Wettbewerb, sondern behindert und verfälscht diesen in ähnlicher Weise wie Korruption. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es deshalb geboten, dass Politik, Behörden und Justiz hier klare Grenzen setzen und Übertretungen so ahnden, dass es den Ertappten auch weh tut.

Aus dem Mund von Stadtwerke-Verantwortlichen ist dieses Argument besonders kurzsichtig und sogar eindeutig falsch. Dabei wird nämlich verkannt, dass der eigentliche Marktvorteil der kommunalen Unternehmen gegenüber den Konkurrenten darin besteht, nicht der privaten Profitoptimierung verpflichtet zu sein. Sie dienen vielmehr dem Gemeinwohl, und zwar auch und gerade dann, wenn sie Gewinne machen und diese an den städtischen Haushalt abführen. Sie verfügen damit über ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb, das sie unbedingt pflegen müssen. Natürlich gefährdet es ihre Erträge, wenn ihnen Schmutzkonkurrenten mit Lug und Trug die Kunden abspenstig machen. Sie schädigen sich aber selbst noch mehr, wenn sie ihrerseits mit solchen Methoden auf Kundenfang gehen. Das geht dann ans Eingemachte. Auf diese Weise wird leichtsinnigerweise das moralische Alleinstellungsmerkmal beschädigt. Telesales-Kundenwerbung ist deshalb gleich in doppelter Hinsicht Gift für die Stadtwerke und am gefährlichsten, wenn sie es selber verspritzen.

Den "Versorger" alten Typs gibt es nicht mehr

Letztendlich kaufen alle Strom- und Gasvertriebe auf demselben Preisniveau ein. Im Unterschied zu den EVU der integrierten Energieversorgung, die zugleich auch Netzbetreiber und zumindest teilweise auch Erzeuger waren, haben sie im liberalisierten Markt mit ihren Vertriebsprodukten grundsätzlich nicht mehr viel zu tun – zumindest nicht soviel, wie das die noch immer übliche Bezeichnung "Versorger" suggeriert. Sie handeln lediglich mit Strom und Gas, indem sie sich auf der letzten Stufe zum Endverbraucher rein kaufmännisch in einen Prozess einklinken, der technisch ohne ihre Mitwirkung vonstatten geht. Der plötzliche Ausfall eines solchen "Versorgers" beeinflußt deshalb den tatsächlichen Stromfluß vom Kraftwerk zur Steckdose nicht im geringsten. Das einzige was sich ändert, ist der Absender der Rechnung: Anstelle eines insolventen Lieferanten wird dann der jeweilige Grundversorger als Ersatzversorger zuständig.

Die Stadtwerke sind in aller Regel zugleich Betreiber des kommunalen Verteilnetzes und verfügen in diesem Bereich noch immer über weit mehr Kunden als alle Konkurrenten, weshalb sie seit 2005 als "Grundversorger" eingestuft werden und einen entsprechenden Tarif anbieten müssen. Wenn sie weniger als hunderttausend Kunden haben, brauchen sie die fortdauernde Identität zwischen Lieferant und Netzbetreiber nicht einmal groß zu verleugnen. Soweit sie zudem noch über Eigenerzeugung verfügen, können sie sich über alle Stufen der Wertschöpfungskette hinweg sogar als klassischer Versorger präsentieren, dessen Preise den Vergleich mit anderen Anbietern nicht zu scheuen brauchen, wobei die Gewinne über kommunale Dienstleistungen indirekt auch noch dem Kunden zugute kommen. Das ist das eigentliche Kapital, mit dem sie wuchern müßten.

Grundversorger sägen am eigenen Ast, wenn sie soliden Kunden keinen günstigeren Tarif anbieten

Klickt man jedoch die Internet-Seite der SWP an, findet man dort nur den Grundversorgungstarif "Goldstrom Classic", der ohnehin von Gesetzes wegen veröffentlicht werden muss und deutlich über den Wahltarifen liegt, die praktisch alle Grundversorger anbieten. Ob es diese günstigere Möglichkeit auch bei den SWP gibt und wie sie beschaffen ist, läßt sich nicht feststellen. Und sucht man dann bei Verivox oder Check24 einen billigeren Lieferanten, tauchen die bundesweiten SWP-Angebote an keiner Stelle auf – nicht einmal bei der Eingabe einer auswärtigen Postleitzahl oder auf der Liste jener Angebote, die aus irgendwelchen Gründen beim Vergleich ausdrücklich nicht berücksichtigt werden. Es sieht also ganz danach aus, als ob diese Vertriebsmarken exklusiv für die Telesales-Drücker vorgehalten würden. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man direkt auf die Internet-Seiten von "GletscherEnergie" oder "Stadtwerkstrom" geht, denn auch hier erfährt man nichts genaues über die Konditionen von Lieferverträgen. Man kann allenfalls ein "individuelles Angebot" anfordern, womit man die Erlaubnis für Werbeanrufe erteilen würde. Umso verlockender sind für wechselwillige Kunden aus Pforzheim die hohen Einsparungen, die ihnen die Tarifvergleicher bei anderen Lieferanten vorrechnen, denn die beziehen sich zunächst immer auf den teuren Pforzheimer Grundversorgungstarif "Goldstrom Classic". 

Wählt man bei den Tarifrechnern den voreingestellten Grundversorgungstarif als Vergleichsbasis ab, dann findet man bei ausreichender Datengrundlage – z.B. nicht bei Check24, aber bei Verivox oder "energieverbraucherportal" doch noch zwei Wahltarife der SWP: Sie heißen "Goldstadt Vario" und "Goldstadt Treue". Der erste ist der preiswertere. Beispielsweise verbilligt er einen Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden, der bei "Goldstrom Classic" 1.324,33 Euro kostet, um 195,54 Euro. Beim anderen sind es 175,91 Euro. Im Gesamtvergleich rangieren aber auch diese beiden Vorzugsangebote sehr weit hinten. Beispielsweise tauchen sie bei "energieverbraucherportal" erst an 117. bzw. 151. Stelle hinter anderen Anbietern auf, die Einsparungen bis zu 372,28 Euro gegenüber dem Grundversorgungstarif bieten.

Das sind schlechte Voraussetzungen, um sich erfolgreich am Markt behaupten zu können. Es mag ja zunächst vorteilhaft erscheinen, möglichst viele Kunden in der teuren Grundversorgung zu behalten. Bei den SWP ist die sogar noch teuerer als im Bundesdurchschnitt. Auf längere Sicht sägt man sich damit aber den eigenen Ast ab. Jene Klientel, die seit 1998 noch immer treu und brav mit dem Standardtarif vorlieb nimmt und sozusagen naturwüchsig in die Grundversorgung geriet, ist inzwischen zwanzig Jahre älter geworden und bröckelt schon aus biologischen Gründen. Auch die kommunalen Anbieter sollten sich deshalb aktiv um diese Kunden bemühen und ihnen günstigere Wahltarife anbieten. Sonst macht das garantiert ein Konkurrent, der glaubhaft eine wesentliche Einsparung gegenüber dem Grundversorgungstarif versprechen kann. Dabei braucht er den Kunden nicht einmal solche Märchen wie die von einer angeblichen Kooperation mit den Stadtwerken zu erzählen.