August 2018

180806

ENERGIE-CHRONIK


Flexstrom-Gründer Mundt wegen Untreue angeklagt

Fünf Jahre nach der Insolvenz des Energieanbieters Flexstrom AG (130401) hat die Staatsanwaltschaft Berlin den Unternehmensgründer Robert Mundt wegen Untreue nach § 266 des Strafgesetzbuches angeklagt. Die Pressestelle der Berliner Strafgerichte bestätigte auf Nachfrage der ENERGIE-CHRONIK am 30. August entsprechende Berichte. Die Anklage müsse aber erst noch zur Hauptverhandlung zugelassen werden. Weitere Einzelheiten wollte oder konnte die Sprecherin nicht mitteilen.

Der Hauptaktionär soll als Vorstandsvorsitzender Geld beiseite geschafft haben

Offenbar erfolgt die Anklage in engem Zusammenhang mit dem noch immer laufenden Insolvenzverfahren, nach dessen Eröffnung die Staatsanwaltschaft auch wegen Insolvenzverschleppung und Betrugs ermittelte (130912). Anscheinend wird Mundt vorgeworfen, Geld beiseite geschafft zu haben, als sich die Zahlungsunfähigkeit bereits abzeichnete. Diese Summen soll er als Bestandteile seines Gehalts als Vorstandsvorsitzender deklariert haben. Dadurch wären die Aktionäre des nicht börsennotierten Unternehmens geschädigt worden, das freilich zu 90 Prozent Robert Mundt und dessen Bruder Thomas als Hauptaktionären selber gehörte. Jeweils fünf Prozent besaßen der Finanzvorstand Martin Rothe und der Geschäftsführer der Flexstrom-Tochter Löwenzahn Energie, Andreas Felix. Lediglich 0,17 Prozent befanden sich in Streubesitz. Insofern hätte sich Mundt als Hauptaktionär eines vor der Insolvenz stehenden Unternehmens durch den Tatbestand der Untreue zwar formal selber geschädigt, zugleich aber als Vorstandsvorsitzender privat noch schnell die Taschen gefüllt.

Eine andere Frage wäre, wo das beiseite geschaffte Geld geblieben ist. Laut "Handelsblatt" (25.4.17) hat Mundt schon 2016 auch privat Insolvenz angemeldet – und zwar nicht in Deutschland, wo solche Verfahren sechs Jahre dauern können, sondern in London, wo Restschulden nach einem Jahr verfallen.

835.000 Gläubiger wollen 511 Millionen Euro zurückhaben

Nach Angaben des Insolvenzverwalters Schulte-Kaubrügger hinterließ Flexstrom 835.000 Gläubiger, von denen Forderungen in Höhe von 511 Millionen Euro angemeldet wurden. Die Pleite dieses Energievertriebs übertrifft damit noch die vorangegangene der Teldafax AG mit über 700.000 Kunden (110613), die im März 2017 mit erstaunlich milden Urteilen gegen zwei frühere Vorstandsmitglieder strafrechtlich aufgearbeitet wurde (170308). Robert Mundt hat den Anwalt Carsten Wegner für sich engagiert, der auf die strafrechtliche Verteidigung bei Insolvenzdelikten spezialisiert ist und auf Anfrage verlauten ließ, dass allen Gehaltsbestandteilen seines Mandanten reale Leistungen gegenübergestanden hätten.

Wer in die Bonus-Falle tappte und protestierte, wurde vor Gericht verklagt

Ähnlich wie Teldafax bot Flexstrom zunächst "Paket-Tarife" an, die gegen jährliche Vorauszahlungen die Lieferung einer bestimmten Strommenge zusagten. Zuletzt operierte das Unternehmen aber vor allem mit Bonus-Versprechungen, um in den Ergebnislisten der Tarifvergleicher als vermeintlich günstiger Anbieter an die Spitze zu gelangen. Durch irreführende Formulierungen wurde dabei den Kunden vorgegaukelt, daß sie den Bonus bereits bei einjähriger Vertragslaufzeit erhalten würden. Von den rund 14.000 Schlichtungsanträgen, die binnen eines Jahres bei der neu eingerichteten "Schlichtungsstelle Energie" eingingen, entfielen mindestens 3.500 auf Flexstrom (130512). Um die Kosten des Schlichtungsverfahrens und vorhersehbare Niederlagen zu vermeiden, wählte das Unternehmen dann aber den billigeren und aussichtsreicheren Weg, seine unzufriedenen Kunden massenhaft vor Gericht zu verklagen (121117). Zur Abschreckung von klagebereiten Kunden konnte Flexstrom auf 46 Urteile von Amtsgerichten sowie vier Urteile des Berliner Landgerichts verweisen, die in der Rabulistik der Bonus-Versprechungen nichts Unrechtmäßiges zu erkennen vermeinten. Es gab aber auch andere Urteile, über die Flexstrom wohlweislich nicht berichtete. Fünf Tage nach der Insolvenzanmeldung stellte der Bundesgerichtshof mit zwei Urteilen endgültig klar, daß die Flexstrom-Kunden den Bonus schon für ein Jahr Lieferzeit beanspruchen durften, weil Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen.

Auch Kritiker des Geschäftsgebarens bekamen regelmäßig Post von Flexstrom-Anwälten

Flexstrom war für seine Prozeßfreudigkeit bekannt und berüchtigt. Allein die Auseinandersetzungen mit den Tausenden von Kunden, die sich betrogen fühlten, müssen ein Heer von Juristen beschäftigt haben. Nicht zu vergessen ist der moralische Schaden, den Flexstrom mit diesen Prozessen angerichtet hat, da zahlreiche Gerichte in blindem Rechtspositivismus tatsächlich der windigen Argumentation zur Rechtfertigung der Bonus-Klauseln folgten, obwohl diese offensichtlich nur der Irreführung dienten. Das Vertrauen in den bundesdeutschen Rechtsstaat wurde dadurch bei vielen in ähnlicher Weise erschüttert wie durch den seit Jahren andauernden und bis heute nicht wirksam abgestellten Skandal des Abmahn-Unwesens. Verbraucherschützer und Medien mußten ebenfalls mit Abmahnungen, einstweiligen Verfügungen oder teuren Zivilprozessen rechnen, wenn sie über das Geschäftsgebaren des Stromhändlers berichteten. Zum Beispiel verlangte eine Berliner Anwaltskanzlei im Dezember 2012 von der ENERGIE-CHRONIK die Löschung ganzer Passagen in der Notiz 111211, weil sie angeblich "schmähende und diffamierende Äußerungen über unsere Mandantin" enthielten (siehe Hintergrund, April 2013).

 

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