Dezember 2010 |
101215 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die meisten Tarifvergleicher führen die Nutzer aufs Glatteis, indem sie beim Preisvergleich automatisch Angebote mit Vorkasse, Kaution oder einmaligen Boni berücksichtigen. Auf diese Weise werden Strom- und Gasanbieter an die Spitzen der Ergebnislisten katapultiert, die bei näherem Hinsehen gar nicht so günstig sind und vor denen Verbraucherverbände sogar mitunter warnen. Auf diesen Umstand machte am 14. Dezember die Fernsehsendung "plusminus" im ARD-Programm aufmerksam (siehe Hintergrund).
Die Angebote mit Vorkasse, Kaution oder einmaligen Boni wurden im Grunde nur erfunden, damit sie in den Ergebnislisten der computerisierten Tarifvergleiche möglichst weit vorn auftauchen. Sie schneiden in aller Regel weit besser ab, als sie tatsächlich sind, weil wesentliche Faktoren wie entgangene Kreditzinsen, die Mindestvertragszeit für den Bonus oder sonstige Konditionen unberücksichtigt bleiben. Die meisten Tarifvergleicher unterstützen die Augenwischerei durch entsprechende Voreinstellungen. Um nicht völlig ins Hintertreffen zu geraten, bedienen sich deshalb inzwischen auch zahlreiche kommunale Versorger dieser Praktiken.
"Den Kunden ist nicht klar, daß vorhandene kleine Häkchen im Auswahlmenü solche Auswirkungen haben", kommentierte "plusminus" die gängige Praxis der Voreinstellungen bei den Tarifvergleichern. "Die angekündigten Einsparungen von mehreren hundert Euro sind verlockend und die Nachteile werden meist erst viel zu spät klar. Der Kampf um die Stromkunden ist ein Milliardengeschäft. Erfolg hat nur, wer es in den Portalen auf die vorderen Plätze schafft - egal, mit welchen Methoden."
Da die Computer nur anhand von Kriterien vergleichen können, für die sie programmiert wurden, kann es auch vorkommen, daß ein durchaus günstiges Angebot diskriminiert wird. Der Chef der Stadtwerke Gaggenau berichtete in der Fernsehsendung, daß ein Tarifvergleicher mehrere Tausend Euro verlangt habe, um das günstigste Angebot der Stadtwerke in seinem Progamm angemessem berücksichtigen zu können.
Wie es in der Sendung weiter hieß, kassieren die angeblich neutralen Tarifrechner bei jedem abgeschlossen Vertrag kräftig mit. Dem Vernehmen nach erhalten sie bis zu 130 Euro Provision für jeden vermittelten Kunden.
Lieferantenwechsel hilft nur bedingtEin kritischer Blick auf Risiken und Nebenwirkungen der kostenlosen Tarifvergleiche (siehe oben) Eine der frommen Legenden des liberalisierten Strommarktes besagt, daß es an der persönlichen Trägheit liege, wenn ein Verbraucher zu hohe Preise bezahle. Schließlich habe jeder die Möglichkeit, zu einem billigeren Anbieter zu wechseln. Damit verschaffe er sich nicht nur individuell einen Vorteil, sondern trage zugleich dazu bei, den Wettbewerb anzuheizen und das allgemeine Preisniveau zu senken. Die Wirklichkeit des liberalisierten Strommarktes sieht anders aus. Hier kaufen alle Anbieter auf demselben überhöhten Preisniveau ein, das von Großstromerzeugern wie RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW bestimmt wird. Die per Vertrieb erzielbaren Preisdifferenzen sind aber gering. Sie werden deshalb oft durch Fußangeln in den Geschäftsbedingungen und optische Täuschungsmanöver wie Vorkasse, Kautionszahlungen und einmalige Boni so manipuliert, daß sie wesentlich günstiger erscheinen.
Wenn ein Stromverbraucher solche Preisdifferenzen ausnutzt, verhält er sich wie ein Autofahrer, der zehn Kilometer weiter zu einer anderen Tankstelle fährt, weil dort der Liter Benzin zwei Cent billiger ist. Am allgemeinen Strompreisniveau ändert sich dadurch sowenig wie am Ölpreis, weil beide durch ganz andere Faktoren bestimmt werden. Der einzige Unterschied besteht darin, daß es beim Ölpreis wenigstens noch ein Auf und Ab gibt, während die Strompreise kontinuierlich nach oben gehen. Sogar der momentan erlangte individuelle Vorteil wird sehr fraglich, wenn man Zeitaufwand und Mühe in Betracht zieht. So wie sich wegen eines Preisunterschieds von zwei Cent pro Liter Benzin ein Umweg von zehn Kilometern kaum lohnt, so wenig rentiert sich für den Stromverbraucher die Mühe des ständigen Preisvergleichens und Wechselns. Schließlich gibt es eine unübersehbare Vielfalt von Stromvertrieben mit einer noch unübersichtlicheren Anzahl von Angeboten, die sich alle paar Monate ändern, so daß das günstige Angebot von heute schon morgen das ungünstigere sein kann. Wer da den Überblick behalten will, um zum richtigen Zeitpunkt zum jeweils günstigsten Anbieter zu wechseln, muß daraus eine Ganztagsbeschäftigung machen. Und auch dann befindet er sich nur am unteren Ende einer Preisskala, die sich insgesamt ständig nach oben bewegt. Zum Glück gibt es die Tarifvergleicher, die einem diese Ganztagsbeschäftigung größtenteils ersparen. Es genügt, wenn man alle paar Monate die Postleitzahl und den jährlichen Stromverbrauch auf einer Internet-Seite eingibt: Schon zeigt der Tarifvergleicher eine ganze Reihe von Stromanbietern an, die günstiger als der örtliche Grundversorger sind. Und wenn man sich dann für den Wechsel entscheidet, hilft der Tarifvergleicher auch noch bei der Herstellung des Kontakts zum neuen Lieferanten. Aber leider hat auch diese kostenlose Dienstleistung ihre Tücken. Es fängt damit an, daß die meisten dieser Tarifvergleiche unseriös oder zumindest sehr lückenhaft sind. Im Extremfall wird unter dem Vorwand des Tarifvergleichs sogar nur für einen einzigen Anbieter geworben. Und auch dort, wo sich keine spezifischen Verbindungen mit einzelnen Stromanbietern erkennen lassen, entwickelt die Branche eine fatale Eigengesetzlichkeit, die im Widerspruch zu Verbraucherinteressen steht. Da ist beispielsweise die Praxis der Voreinstellungen. Die meisten Tarifvergleicher berücksichtigen von vornherein auch Angebote mit Vorkasse, Kaution oder Boni, obwohl diese nur erfunden wurden, um mitunter sehr dubiose Offerten an die Spitzen der Ergebnislisten zu katapultieren. Der Nutzer muß schon genau hinsehen und die voreingestellten Häkchen im Auswahlmenü entfernen, um einen echten Preisvergleich zu bekommen. Wenn er das unterläßt, kann es ein böses Erwachen geben, zumal es gerade bei Vorkasse-Anbietern sehr viel Beschwerden über unseriöse Geschäftsmethoden gibt. Die voreingestellten Häkchen im Auswahlmenü findet man sogar beim führenden Tarifvergleicher Verivox, der bei einer Untersuchung der Stiftung Warentest am besten abgeschnitten hat. Auf Anfrage begründet er diese Praxis damit, daß sie "Markterfordernissen" und "Verbraucherwünschen" entspreche. Das erste Argument mag aus seiner Sicht zutreffen. Das zweite ist an den Haaren herbeigezogen, denn der Verbraucher kann kein Interesse daran haben, durch einen verzerrten Angebotsvergleich über den Löffel balbiert zu werden. Wie sehen wohl "Markterfordernisse" aus, die Anbieter wie "Teldafax" und "Flexstrom" regelmäßig an die Spitzen der Ergebnislisten befördern, obwohl sich gerade über diese beiden Unternehmen die Beschwerden bei den Verbraucherzentralen häufen? – Leider ist man da auf Mutmaßungen angewiesen, da keiner der Tarifvergleicher sich in die Karten schauen läßt. Sicher ist nur, daß ziemlich viel Geld fließt, denn die Dienstleistungsmaschinerie des Tarifvergleichs ist nur für den Nutzer kostenlos. Irgendjemand muß den ganzen Aufwand schließlich bezahlen. Und nicht nur das: Die Sache soll auch profitabel sein. Das führt zu der Frage, ob die Tarifvergleiche für die Nutzer wirklich so kostenlos sind, wie es den Anschein hat. Wie man hört, zahlen die Stromanbieter den Tarifvergleichern bis zu 130 Euro für die Vermittlung eines Kunden. Im Einzelfall differieren die Provisionen stark. Es gibt mehr oder weniger detaillierte Abmachungen. Es wäre sicher sehr interessant, wenn solche geschäftlichen Details mal in "Wikileaks" veröffentlicht würden. Bis dahin bleibt man, wie gesagt, leider auf Mutmaßungen angewiesen. Keine Mutmaßung, sondern logisch zwingend ist dagegen die Überlegung, daß die Kosten des Tarifvergleichs letztendlich in die Strompreise eingehen und damit ebenfalls vom Verbraucher bezahlt werden müssen. Hinzu kommen natürlich noch die Wechselkosten, die den Lieferanten ohnehin entstehen. Pro Durchschnittshaushalt ergeben sich so Wechselkosten, die mit insgesamt hundert Euro wahrscheinlich zu niedrig veranschlagt sind. Dabei sind jene Lock-Boni noch gar nicht mitgerechnet, die sich für den Anbieter erst rentieren, wenn die Mindestvertragsdauer deutlich überschritten wird. Wenn ein Durchschnittshaushalt jedes Jahr den Stromanbieter wechselt, um Preisvorteile wahrnehmen zu können, sind die Wechselkosten also vermutlich höher als der Preisvorteil. Und weil diese Wechselkosten in die Kalkulation miteinfließen, vermindert der individuelle Wechsel zu einem billigeren Lieferanten keineswegs den allgemeinen Strompreisanstieg. Ganz im Gegenteil: Je häufiger gewechselt wird, umso mehr trägt der Lieferantenwechsel zum allgemeinen Anstieg der Strompreise bei. Wer also wechselt, kann damit nur kurzfristig und individuell einen Preisvorteil erlangen. Volkswirtschaftlich gesehen trägt er zum allgemeinen Anstieg der Strompreise bei (entsprechendes gilt auch für Gaspreise). Schließlich kassiert jedes Mal ein Tarifvergleicher mit, der den neuen Lieferanten mehr oder weniger seriös vermittelt hat. Das aufwendige Management des Kundenwechsels zwischen den Unternehmen will ebenfalls bezahlt sein. Summa summarum sind die Transaktionskosten wahrscheinlich größer als der bescheidene Spielraum für Preiswettbewerb, den es im Vertriebssektor tatsächlich gibt. Aber das merkt natürlich keiner, weil die Strompreise sowieso ständig steigen. Und weil ehrenwerte Einrichtungen wie die Bundesnetzagentur oder die Stiftung Warentest noch immer so tun, als sei der Lieferantenwechsel ein probates Mittel dagegen.
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