Mai 2012

120506

ENERGIE-CHRONIK


Vergleicht man die Durchschnitts-Strompreise von 2011 mit denen von 2006, so beträgt der Anstieg für die Industrie 41,5 Prozent, für Haushalte 34,3 Prozent und für Gewerbe 20,8 Prozent.
Quelle: BNA-Jahresbericht 2011 (mengengewichtete Mittelwerte jeweils zum 1. April)

Wettbewerb treibt Strompreise: Vertriebskosten seit 2006 verzwölffacht

Die Stromverbraucher machen immer häufiger von der Möglichkeit des Vertrags- und Lieferantenwechsels Gebrauch. Den generellen Anstieg der Strompreise verhinderte dies aber keineswegs. Der zunehmende Vertriebswettbewerb um wechselwillige Kunden hat sogar kräftig zu den Preissteigerungen bei Haushaltsstrom beigetragen. Dies ergibt sich indirekt aus dem "Jahresbericht 2011", den die Bundesnetzagentur am 4. Mai vorlegte, und der den bereits vor einem halben Jahr veröffentlichten "Monitoringbericht 2011" (111116) in einigen Punkten präzisiert.

Dem Bericht zufolge haben sich die Vertriebskosten seit 2006 mehr als verzwölffacht (siehe Grafik). Dagegen stiegen die Beschaffungskosten nur um etwa die Hälfte, und die Netzkosten sind sogar um ein Fünftel zurückgegangen. Dies bestätigt den Verdacht, daß die Kosten des Lieferantenwechsels und der Kundenwerbung ein preistreibender Faktor sind. Sie schlagen umso mehr zu Buche, je häufiger der Kunde durch einen kleinen Preisvorteil oder Bonus zum Wechsel veranlaßt wird, zumal der Lieferant auch noch die Provisionen an Vermittler wie Verivox erst einmal erwirtschaften muß. Der auf die Vertriebsebene beschränkte Wettbewerb treibt so die Preise eher nach oben als daß er sie senken oder zumindest bremsen würde (siehe auch Hintergrund vom Dezember 2010).

Der Anteil der Vertriebskosten am Haushaltsstrompreis (rot) war 2011mehr als zwölfmal so groß wie 2006. Gleichzeitig stieg das von den Großstromerzeugern bestimmte Preisniveau, auf dem die Vertriebe den Strom einkaufen müssen, um knapp die Hälfte. Hinzu kam eine Verdoppelung der Abgaben (Konzession, EEG, KWKG). Diesen Anstieg konnte auch der von der Bundesnetzagentur erzwungene Rückgang der Netzentgelte (inklusive Abrechnung/Messung) um gut ein Viertel nicht ausgleichen. Vor allem schlug nun gnadenlos die prozentuale Besteuerung der Endsummen zu, wobei die Mehrwertsteuer sogar auf die Stromsteuer und diese wiederum auf die staatlich erzwungenen Abgaben erhoben wird. Die staatlich verfügte Belastung des Strompreises stieg so mit 58,12 Prozent weit stärker an als die Kosten für Beschaffung, Vertrieb und Netz mit 20,10 Prozent. Beide Faktoren zusammen ergaben von 2006 bis 2011 ein Strompreisanstieg um 34,4 Prozent.
Quelle: BNA-Jahresbericht 2011 (mengengewichtete Mittelwerte jeweils zum 1. April über alle Tarife)

Lieferantenwechsel ist ungünstiger als Wahltarif beim Grundversorger

Der individuelle Preisvorteil, der sich durch Lieferantenwechsel vorübergehend erzielen läßt, ist inzwischen noch geringer geworden. Nach Angaben der Bundesnetzagentur betrug er 2011 im Vergleich mit der Grundversorgung nur noch 0,62 Cent/kWh gegenüber 0,96 Cent/kWh im Vorjahr. Im Vergleich mit den Wahltarifen, die alle Grundversorger anbieten, ist der Wechsel des Lieferanten sogar die schlechtere Lösung, weil beim Wahltarif die Ersparnis 0,79 Cent/kWh beträgt. Für Haushaltskunden, die noch immer mit einem Grundversorgungsvertrag vorlieb nehmen, lohnt sich deshalb der Wechsel zu einem günstigeren Tarif desselben Anbieters bestimmt. Der Wechsel zu einem anderen Lieferanten sollte aber gut überlegt werden (siehe Grafik).

Die Bundesnetzagentur ermittelte für das vergangene Jahr durchschnittlich 147 Stromanbieter pro Netzgebiet. Dennoch dominierten in allen Netzgebieten weiterhin die "Grundversorger". So werden seit 2005 jene Stromanbieter bezeichnet, die in einem Netzgebiet die meisten Kunden auf sich vereinigen. Praktisch handelt es sich dabei immer um die Stromvertriebe der früheren Lokal- und Regionalversorger, denen in aller Regel auch weiterhin die "entflochtenen" Verteilernetze gehören. Nur vereinzelt liegt der Marktanteil dieser Grundversorger bei Haushaltskunden unter siebzig Prozent.

Der Wettbewerb um die 43,5 Prozent der Haushaltskunden, die noch immer mit der Grundversorgung vorlieb nehmen, ist härter geworden. Um die Abwanderung der angestammten Klientel zu auswärtigen Anbietern zu verhindern, bieten alle Grundversorger auch sogenannte Sonderverträge an, die mittlerweile im Schnitt sogar etwas günstiger sind als der Wechsel zu einem anderen Lieferanten.
Quelle: BNA-Jahresbericht 2011 (mengengewichtete Mittelwerte jeweils zum 1. April, für 2006 und 2007 nur zum Teil erhoben)

Noch immer nehmen die meisten Haushaltskunden mit dem Grundversorgungs-Tarif vorlieb

Bei der unüberschaubaren Vielzahl an Anbietern wird der Preisvergleich zur Zumutung, zumal der Vergleich nach einer gewissen Zeit nicht mehr aktuell ist und wiederholt werden muß. Allein schon der erforderliche Zeitaufwand macht jede mögliche Ersparnis zunichte. Professionelle Dienstleister nutzen diesen Umstand, indem sie per Internet kostenlose Tarifvergleiche anbieten. Die Nutzung dieser Dienstleister ist indessen auch nicht ohne Tücken, weil deren Provisionen letztendlich in die Strompreise eingehen. Außerdem gibt es in dieser Branche etliche schwarze Schafe, bei denen ein wirklich umfassender und unabhängiger Tarifvergleich gar nicht stattfindet.

Dennoch wechselten 2010 rund drei Millionen Letztverbraucher ihren Stromlieferanten. Darunter befanden sich rund 2,7 Millionen Haushaltskunden. Das waren über eine halbe Million mehr als im Vorjahr. Mengenmäßig entfielen Ende 2010 aber noch immer 43,5 Prozent des Haushaltsstroms auf Grundversorgungsverträge, 41 Prozent auf Sonderverträge mit dem Grundversorger und nur 15,5 Prozent auf Verträge mit anderen Lieferanten.

Fast die Hälfte der Wechsler landete bei einem der vier Konzerne

Drei Viertel der Haushaltskunden, die 2010 ihren Lieferanten wechselten, taten dies nicht zum ersten Mal. Die Wechsler landeten zu 45 Prozent direkt oder indirekt bei Stromvertrieben der vier Energiekonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, die als Großstromerzeuger das Preisniveau bestimmen. Nach Feststellung der Bundesnetzagentur mußten die vier Energiekonzerne gleichzeitig aber in ihren eigenen Grundversorgungsgebieten deutliche Verluste hinnehmen, so daß sich ihre Marktanteile insgesamt verringerten. Dies erklärt wiederum, weshalb die Wahltarife der Grundversorger mittlerweile sogar etwas günstiger sind als die von auswärtigen Lieferanten: Es kommt die Grundversorger billiger, angestammte Kunden durch das Angebot eines günstigeren Sondervertrags zu halten, als diese zu verlieren bzw. überregional neue Kunden akquierieren zu müssen.

"Ökostrom" unterscheidet sich auch preislich so gut wie nicht von normalem Strom

Das sogenannte Greenpricing verfing bis Ende 2010 bei rund 3,7 Millionen Haushaltskunden sowie über 800.000 Gewerbe- und Industriekunden. Insgesamt entschieden sich fast zehn Prozent aller Letztverbraucher für "Ökostromtarife". Da es sich dabei größtenteils um eine auf Rechenkunststücken beruhende Augenwischerei handelt, war der Preis auch kaum höher als bei normal vertriebenem Strom. Nach Feststellung der Bundesnetzagentur waren die Ökostromtarife zum 1. April 2011 im mengengewichteten Durchschnitt sogar um rund 0,1 Cent/kWh günstiger als der über alle Tarife mengengewichtete Haushaltskundenpreis für "konventionellen" Strom.

Strompreis stieg für Haushalte um 8,7 Prozent – für Industrie sogar um 28,1 Prozent

Zum 1. April 2011 lag in Deutschland der Strompreis für Haushalte bei durchschnittlich 25,45 Cent pro Kilowattstunde. Das waren 8,7 Prozent mehr als im Vorjahr (23,42 Cent/kWh). Gewerbekunden zahlten 23,38 Cent/kWh, was ebenfalls 8,6 Prozent mehr waren. Für Industriekunden verteuerte sich der Strombezug sogar auf durchschnittlich 15,74 Cent/kWh und damit um 28,1 Prozent. Für alle drei Kundengruppen war dies der stärkste Strompreisanstieg seit 2006 (siehe Grafik).

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