Januar 2019 |
190102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Seit Mitte Januar sind bei den Stadtwerken Pforzheim die Wirtschaftsprüfer von "Ernst & Young" zugange: Im Auftrag des Aufsichtsrats sollen sie herausfinden, wie es zu den Millionenverlusten gekommen ist. Dazu läßt sich aber schon jetzt einiges sagen (siehe Hintergrund). Foto: Stadtwerke Pforzheim
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Bei den Stadtwerken Pforzheim (SWP) ist der Gewinn, der 2017 noch 11,5 Millionen Euro betrug, im vergangenen Jahr auf 4,2 Millionen Euro gesunken. Und zwar ganz überraschend, denn noch kurz vor Jahresende hatte die Geschäftsführung den kommunalen Eigentümern Stadt Pforzheim (65 Prozent) und Thüga AG (35 Prozent) die Ausschüttung von insgesamt zehn Millionen Euro in Aussicht gestellt. Schon ein paar Tage später ließ sich aber nicht mehr verheimlichen, wie die tatsächliche Finanzlage war. Hauptursache war der Rückgang der Erträge aus dem bundesweiten Stromvertrieb mit den Vertriebsmarken "GletscherEnergie" und "Stadtwerkstrom", deren Kunden über sogenannte Telesales gewonnen werden, was in der Praxis auf Drücker-Methoden hinausläuft.
Die Erträge aus diesen Telesales-Verträgen waren plötzlich nicht nur um fünf, sondern sogar um zehn Millionen Euro zurückgegangen und bescherten den Stadtwerken einen Verlust von sechs Millionen Euro. Der Aufsichtsrat beschloß daraufhin am 12. Dezember, auf die Gewinnausschüttung vorerst ganz zu verzichten. Zugleich forderte er die Geschäftsführung zu einer strategischen Neuausrichtung auf und beauftragte die Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young mit der Untersuchung der Ursachen des Debakel. Die Wirtschaftsprüfer machten sich daraufhin Mitte Januar an die Arbeit. Einzelheiten des Prüfungauftrags wollte Pforzheims Erster Bürgermeister Dirk Büscher, der dem Aufsichtsrat vorsitzt, auf Nachfrage der Lokalpresse zunächst nicht mitteilen.
Nach einer Sondersitzung am 23. Januar feuerte der Aufsichtsrat die bisherigen Geschäftsführer Roger Heidt und Thomas Engelhardt mit sofortiger Wirkung. Ersatzweise wurde Herbert Marquard zum neuen Geschäftsführer bestellt. Dieser war zuletzt bei "eins energie in sachsen“ tätig und wird die Geschäfte übergangsweise bis zum 31. Januar 2020 führen. Diese Zeit will der Aufsichtsrat nutzen, "um die Geschäftsführungpositionen bei der SWP dauerhaft kompetent neu zu besetzen".
Auslöser für die Sondersitzung waren laut städtischer Pressemitteilung "neue Erkenntnisse über das Handeln der Geschäftsführung in der Vergangenheit". Der Aufsichtsratsvorsitzende Büscher machte in einer ersten Stellungnahme deutlich, "dass das gestörte Vertrauensverhältnis eine weitere Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat unmöglich macht". Es gehe jetzt darum, "mit der gebotenen Sorgfalt schnellstmöglich die Bücher und damit die Vorgänge unter dem Gesichtspunkt der erheblichen Verschlechterung in der Sparte Stromvertrieb, insbesondere im Geschäftssegment 'Telesales' zu untersuchen". Dazu habe ihn der Aufsichtsrat ermächtigt. Er werde sofort mit den beauftragten Wirtschaftsprüfern diesbezüglich in Kontakt treten.
Anhand der Geschäftsberichte und Jahresabschlüsse, die vorerst nur bis 2016 verfügbar sind, läßt sich schon jetzt feststellen, dass der 2007 gestartete bundesweite Stromvertrieb der SWP nur bis etwa 2011 auf einigermaßen soliden Geschäftspraktiken basiert haben dürfte. Ab da wurden nämlich jährlich Millionen Euro an Provisionen für Telesales-Firmen ausgegeben, um die stagnierende Kundenzahl weiter zu erhöhen oder wenigstens zu stabilisieren. Dieser Aufwand für externe Dienstleister, die mit oft sehr unsauberen Methoden neue Kunden keilten, belief sich von 2011 bis 2016 auf über 14 Millionen Euro. Hinzu kamen über fünf Millionen Euro für "Rechts- und Beratungskosten", die ebenfalls im Zusammenhang mit den Telesales-Verträgen zu sehen sind. Jedenfalls sind beide Posten in früheren Geschäftsberichten nicht aufgetaucht. (Siehe Hintergrund)
Laut dem Jahresabschluss 2016, den die SWP beim "Bundesanzeiger" einreichten, war sich die Geschäftsführung "bewusst, dass die Energiehandelsaktivitäten der SWP ein erhebliches Risikopotential für das Unternehmen beinhalten können". Es wurde deshalb sogar ein "Risikokomitee" geschaffen und ein "Risikobeauftragter" eingesetzt. Genutzt hat es offenbar nichts. Vielleicht blieb auch mancher innerbetriebliche Konflikt einfach unter der Decke. So brach im November 2017 plötzlich die Hälfte des Managements weg, weil die Hauptabteilungsleiter der Bereiche Vertrieb/Energieeinkauf, Netzbau/Netzbetrieb und Services ihr Ausscheiden zur Mitte des kommenden Jahres bekanntgaben, um bei anderen kommunalen Energieversorgern in Baden-Württemberg neue Geschäftsführungsaufgaben zu übernehmen. In einer Pressemitteilung der SWP hieß es dazu, die drei Prokuristen gingen "neuen beruflichen Herausforderungen nach", und die verbleibende Geschäftsführung "gratulierte den Herren zu diesem beruflichen Schritt". Auf Nachfrage der Lokalpresse, die sich über die "ungewöhnliche Aufbruchstimmung" wunderte, vermochte der Aufsichtsratsvorsitzende Büscher damals "keine Gründe im Unternehmen" zu erkennen.