Februar 2009 |
090206 |
ENERGIE-CHRONIK |
Weltweit zeichnet sich bei Kernkraftwerken weniger ein erheblicher Zuwachs an Kapazität als ein erheblicher Erneuerungsbedarf ab. Wie diese IAEA-Statistik zeigt, sind von insgesamt 436 Reaktoren 77 Prozent schon seit mehr als zwanzig Jahren in Betrieb. |
Das Europäische Parlament sprach sich am 3. Februar in einer Entschließung nachdrücklich für den Ausbau der Kernenergie aus. Es stärkte damit der Brüsseler Kommission den Rücken, die seit geraumer Zeit ihre Kompetenzen auch auf diesem Gebiet auszuweiten versucht. Mit dem Letten Piebalgs als Energiekommissar und dem Spanier Barroso als Präsident ist die Kommission äußerst kernenergiefreundlich ausgerichtet, auch wenn sie der Form halber weiterhin verlauten läßt, daß die Entscheidung über den Bau von Kernkraftwerken jedem Mitgliedsland selber überlassen bleiben müsse.
Die Passagen zur Kernenergie sind Teil eines umfangreichen Textes, den der Industrieausschuß des Parlaments unter Federführung seiner stellvertretenden Vorsitzenden Anne Laperrouze (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa, ALDE) am 21. Januar mit 38 gegen fünf Stimmen bei vier Enthaltungen verabschiedet hat. Die nunmehr auch vom Parlament mit großer Mehrheit angenommene Entschließung nimmt in insgesamt neunzig Punkten Stellung zur "zweiten Überprüfung der Energiestrategie", als deren Ergebnis die Kommission im Oktober 2008 einen umfangreichen Katalog von Vorschlägen zur Erhöhung von Versorgungssicherheit und Energieeffizienz vorlegte (081104). Die Kommission brach dabei erneut eine Lanze für die verstärkte Nutzung von Atomkraftwerken und bekräftigte ihren Anspruch, europaweit verbindliche Regelungen für Konstruktion, Betrieb und Entsorgung von Reaktoren erlassen zu können. Die Entschließung unterstützt die nuklearen Ambitionen der Kommission in insgesamt sieben Punkten nachdrücklich. Sie fordert die Kommission auf, einen konkreten Fahrplan für Investitionen in die Kernenergie zu erstellen, und hält es für "dringend geboten, in der Gesellschaft eine vorurteilsfreie Debatte über die Nutzung dieser Energiequelle anzustoßen" (siehe Punkte 77 bis 83 im Wortlaut).
Die Mitte-Rechts-Regierung in Schweden beschloß am 5. Februar, das Verbot des Baues neuer Reaktoren wieder aufheben zu lassen. Offenbar kann sich Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt bei dieser Entscheidung auch auf den Koalitionspartner Zentrumspartei stützen, der bisher den Wiedereinstieg in die Kernenergie ablehnte. Im Reichstag verfügt die Koalition über eine Mehrheit von sieben Stimmen.
In Schweden sind aufgrund der seit 1980 verfolgten und 1988 verschärften Ausstiegspolitik bisher die beiden Siedewasser-Reaktoren des Kernkraftwerks Barsebaeck endgültig stillgelegt worden. Zur Zeit befinden sich an den Standorten Forsmark, Oskarshamn und Ringhals noch sieben Siedewasser- und drei Druckwasserreaktoren in Betrieb (050606). In Forsmark war es im Juli 2006 zu einem vielbeachteten Störfall gekommen (060807), der auch den Ausstiegsgegnern in Deutschland neuen Auftrieb gab (060808). Die drei Reaktoren in Oskarshamn gehören seit der Übernahme von Sydkraft der E.ON Sverige, die anderen dem Vattenfall-Konzern. Dessen Chef Lars G. Josefsson kündigte in einem Interview mit der "Wirtschaftswoche" (18.2.) an, daß man nun die Standorte Ringhals und Forsmark mit neuen Reaktoren ausstatten und modernisieren werde.
Im Mai 2008 hatte in Italien die neue Rechtsregierung von Berlusconi den Neubau von Kernkraftwerken angekündigt (080508), zusätzlich zu der schon früher vereinbarten Beteiligung an der französischen Atomstromerzeugung (071207). In Italien waren nach der Katastrophe von Tschernobyl die drei vorhandenen Kernkraftwerke bis 1990 abgeschaltet und der Bau eines vierten nicht mehr vollendet worden. Am 24. Februar unterzeichneten Italiens Regierungschef Berlusconi und der französische Staatspräsident Sarkozy ein Abkommen, das ihre staatlichen Energiekonzerne Enel und EDF verpflichtet, mindestens vier Reaktoren vom Typ EPR in Italien zu errichten.
Damit halten nur noch Deutschland (020404), Österreich (990735) und Belgien (030110) am gesetzlich verankerten Ausstieg aus der Kernenergie fest. Das 2003 beschlossene belgische Ausstiegsgesetz wackelt allerdings bereits erheblich (070812) und ist wohl nur deshalb noch in Kraft, weil die drei ältesten Reaktoren erst im Jahr 2015 abgeschaltet werden müßten. In Deutschland ist nach einem Wahlsieg von Union und FDP bei den Bundestagswahlen im Herbst ebenfalls mit der Revision des Atom-Ausstiegsgesetzes zu rechnen.
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Die USA betreiben zwar weltweit mit großem Abstand die meisten Reaktoren, haben aber mit 19,4 Prozent einen deutlich geringeren Kernenergieanteil an der Stromerzeugung als Deutschland. Die Grafik läßt ferner erkennen, wie groß die Abhängigkeit Frankreichs von der Kernenergie ist. Neue Anlagen entstehen derzeit vor allem in China, Rußland, Indien und Korea. |