Juli 2008

080707

ENERGIE-CHRONIK


EU-Kommission dringt auf europaweites Konzept für Atommüll

Die EU-Kommission plant anscheinend einen neuen Vorstoß zur Erweiterung ihrer Kompetenzen auf dem Gebiet der nuklearen Entsorgung und Sicherheit. Am 3. Juli veröffentlichte sie das Ergebnis einer Umfrage, wonach 91 Prozent der EU-Bürger ihr die Überwachung des nationalen Umgangs mit Atommüll übertragen möchten (wobei 66 Prozent "voll und ganz" und 25 Prozent "eher" dafür sind). In Deutschland sei die Zustimmung mit insgesamt 98 Prozent am stärksten. Und selbst in Portugal, wo die Zustimmung am geringsten war, hätten sich immer noch gut drei Viertel der Befragten für EU-Richtlinien zum europäischen Atommüll ausgesprochen (siehe Tabelle 2).

Mehr Kompetenz für die EU gewünscht - aber wenig Vertrauen für Informationen aus Brüssel

Ziemlich schlecht schnitt die EU dagegen bei der Frage ab, welchen Quellen man vertrauen könne, wenn es um Informationen zum Umgang mit radioaktiven Abfällen im jeweiligen Land geht. Mit nur 17 Prozent kam sie auf den drittletzten Platz vor Medien und Nuklearindustrie mit jeweils 12 Prozent. Größer war das Vertrauen in Wissenschaftler (40 %), Umweltorganisationen (38 %), internationale Organisationen wie die IAEA (32 %), nationale Behörden (30 %) und nationale Regierungen (21 %). In Deutschland würden sogar nur 13 Prozent der Befragten Informationen aus Brüssel vertrauen, wenn es um den nationalen Atommüll geht (was eigenartig mit den 98 Prozent kontrastiert, die der EU die Richtlinienkompetenz auf diesem Gebiet zuweisen möchten). Immerhin kann sich die EU-Kommission damit trösten, daß sie als Informationsquelle zum Thema Atommüll glaubwürdiger geworden ist als bei den vorangegangenen Umfragen 2005 (14 %) und 2001 (11 %).

Akzeptanz der Kernenergie nimmt zu

Ein weiterer Schwerpunkt der Umfrage war die Einstellung zu Kernkraftwerken. Auch hier vermeint die Kommission Rückenwind zu spüren: Im Vergleich mit der Umfrage vor drei Jahren habe die Unterstützung der Kernenergie in der Europäischen Union um sieben und in Deutschland um acht Prozent zugenommen (siehe Tabelle 1). Am höchsten sei der Zuspruch in solchen Ländern, in denen Kernkraftwerke in Betrieb sind und in denen sich die Bürger über die Fragen im Zusammenhang mit radioaktiven Abfällen als gut informiert betrachten.

Die Kommission glaubt offenbar, die Akzeptanz der Kernenergie noch mehr erhöhen zu können, wenn sie die Verantwortung für das bisher ungelöste Endlager-Problem übernimmt: "Der Umgang mit radioaktiven Abfällen ist ein entscheidender Aspekt für die Akzeptanz der Kernenergie", betonte sie in Ihrer Pressemitteilung. "Vier von zehn Gegnern der Kernenergie würden ihre Meinung ändern, wenn es eine sichere, dauerhafte Lösung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle gäbe."

Das Nuklearpaket von Loyola de Palacio scheiterte im Rat

Der letzte Vorstoß zur Erweiterung der Brüsseler Kompetenzen auf dem Gebiet der nuklearen Entsorgung und Sicherheit war Ende 2002 von der damaligen Energiekommissarin Loyola de Palacio gestartet worden (021103). Ihre beiden Richtlinien-Entwürfe zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen und Entsorgung radioaktiver Abfälle scheiterten aber am Widerstand der nationalen Regierungen im Rat (040520). Kurz danach legte die Spanierin ihr Nuklearpaket nochmals in einer überarbeiteten Fassung vor (040906). Da die Amtszeit der Prodi-Kommission am 21. November 2004 ablief, kam sie aber nicht mehr dazu, ihre Vorschläge weiter zu verfolgen (zwei Jahre später starb sie mit 56 Jahren an Krebs). Ihr Nachfolger, der Lette Andris Piebalgs, ist ebenfalls ein Verfechter der Kernenergie. Er ließ sich indessen ein Jahr Zeit, ehe er am 10. Januar 2007 ein "Hinweisendes Nuklearprogramm" der EU-Kommission veröffentlichte, das ziemlich unverhohlen für die Beibehaltung und den Ausbau der Kernenergie eintrat (070118) und die Wiederaufnahme der Gespräche über das Nuklearpaket ankündigte.

Der Euratom-Vertrag wirkt heute anachronistisch

Piebalgs wird bei dem erneuten Versuch, der EU mehr Atom-Kompetenzen einzuräumen, nicht nur mit dem Widerstand von Kernkraftgegnern rechnen müssen, denen er als "Atomfreund" von vornherein suspekt ist. Bedenken gibt es auch dagegen, solche erweiterten Zuständigkeiten auf der Basis des Vertrags über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) zu regeln, der 1957 geschlossen wurde und mit seiner Kernkraft-Euphorie wie ein Fossil aus längst vergangenen Zeiten wirkt. Im Gegensatz zum EG-Vertrag hat der Euratom-Vertrag niemals große Änderungen erfahren und blieb in Kraft. Rein juristisch hat die Europäische Atomgemeinschaft nicht mit der Europäischen Gemeinschaft fusioniert. Sie behielt somit ihre eigene Rechtspersönlichkeit, auch wenn beide gemeinsame Organe haben und im wesentlichen durch die Kommission repräsentiert werden.

Vor allem hat das Europäische Parlament in allen Angelegenheiten, die den Euratom-Vertrag betreffen, kein Mitspracherecht. Es wurde deshalb auch zum Nuklearpaket von Piebalgs Vorgängerin Loyola de Palacio lediglich konsultiert (040103). Für das Parlament dürfte es somit eine Frage der Selbstachtung sein, einer Erweiterung der atomrechtlichen Kompetenzen der Kommission auf Basis des Euratom-Vertrags zu widersprechen.

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