Juni 2015

150604

ENERGIE-CHRONIK


 


Als vor zehn Jahren die Gazprom mit BASF und E.ON eine Grundsatzvereinbarung zum Bau der Ostsee-Pipeline schloß, geschah dies auf höchster Ebene zwischen den Vorstandsvorsitzenden Miller, Hambrecht und Bernotat. Außerdem assistierten bei der Zeremonie – quasi als politische Trauzeugen – der deutsche Bundeskanzler Schröder und der russische Präsident Putin. Ziemlich glanzlos war dagegen jetzt die Unterzeichnung der Absichtserklärung zur Verdoppelung der beiden Ostsee-Leitungen auf dem 19. Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Die Energiekonzerne OMV und E.ON hatten sich damit begnügt, ihre Vorstandsmitglieder Manfred Leitner und Klaus Schäfer zu entsenden. Auf protokollarischer Augenhöhe mit Gazprom-Chef Alexey Miller bewegte sich lediglich der Shell-Vorstandsvorsitzende Ben van Beurden (von links nach rechts). Was völlig fehlte, waren die politischen Trauzeugen, denn momentan will sich kaum ein westlicher Politiker mit Putin oder anderen Kreml-Repräsentanten ablichten lassen.
Foto: Gazprom

Gazprom will Kapazität der Ostsee-Pipeline verdoppeln

Der Kreml verfolgt eine neue zweigleisige Strategie, um bei Gaslieferungen nach Westeuropa die Ukraine umgehen zu können. Zum einen will er weiterhin die Türkei zur neuen Drehscheibe für Gastransporte ausbauen, wie er dies schon unmittelbar nach der Aufgabe des Projekts "South Stream" angekündigt hat (141201). Parallel dazu holt er aber auch die Pläne zur Erweiterung der Ostsee-Pipeline "Nord Stream" wieder hervor, die er bereits vor drei Jahren erwog (120509). Mitte Juni kam es zu diesem Zweck im Rahmen des 19. Internationalen Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg zu zwei Absichtserklärungen mit europäischen Energiekonzernen und der griechischen Regierung.

Wie die Gazprom am 18. Juni mitteilte, will sie die Ostsee-Pipeline um zwei gleichartige Stränge erweitern und so die Kapazität auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich verdoppeln. Eine entsprechende Absichtserklärung sei an diesem Tag mit den Energiekonzernen E.ON, Shell und OMV unterzeichnet worden. In naher Zukunft werde die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in die Wege geleitet, das sich auf die Vorarbeiten und Erfahrungen der Nord Stream AG stützen könne, der die bestehende Pipeline gehört.

Von den Nord-Stream-Minderheitspartnern macht nur E.ON bei der neuen Gesellschaft mit

Die Gründung einer solchen neuen Gesellschaft sollte eigentlich schon Anfang 2013 erfolgen, nachdem die Minderheitspartner der Gazprom bei der Nord Stream AG nicht bereit waren, den Bau einer dritten oder gar vierten Leitung im Rahmen des bestehenden Gemeinschaftsunternehmens mitzutragen (die Nord Stream AG gehört zu 51 Prozent Gazprom, zu jeweils 15,5 Prozent der BASF-Tochter Wintershall und E.ON sowie zu jeweils 9 Prozent der niederländischen Gasunie und der französischen Engie, die bis vor kurzem GDF Suez hieß). Die bisherigen Anteilseigner sollten dann entscheiden, ob sie der neuen Gesellschaft beitreten (121003). Dieser Plan wird jetzt jetzt offenbar wiederbelebt, wobei jedoch nur E.ON von der Beitrittsmöglichkeit Gebrauch machen will. Wintershall, Gasunie und Engie machen definitiv nicht mit.

Ersatzweise werden dem neuen Gemeinschaftsunternehmen die OMV und Shell als Partner und politische Türöffner angehören. Die Energiekonzerne dürfte dabei weniger die Beteiligung an der Pipeline locken, als das, was Gazprom sonst noch zu bieten hat: Bei der OMV ist es das Angebot, sie an der Erschließung von Öl- und Gasfeldern in Sibirien zu beteiligen. Der Shell-Konzern hat sich von Gazprom den Ausbau der Gasverflüssigungs-Anlage Sachalin 2 zusagen lassen, die ihm einst mehrheitlich gehörte, bis er zur Zwangspartnerschaft mit dem Staatsmonopolisten genötigt wurde (060909, 061220).

Kreml will sich neues Erpressungspotential gegenüber der Ukraine verschaffen

Laut Gazprom soll der Ausbau der Ostsee-Pipeline die Versorgung der europäischen Verbraucher mit Gas sichern. Die beteiligten vier Unternehmen seien sich darin einig, daß die Weltnachfrage nach Gas zunehmen und die heimische Förderung der westeuropäischen Staaten weiter zurückgehen werde. Das klingt nach löblichen Absichten. Die vorhandenen Transportkapazitäten würden allerdings zur Versorgung Europas ausreichen. Schon bei der bestehenden Ostsee-Pipeline wird bisher nur ein Teil der Kapazität von jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmetern genutzt. Es ist auch keineswegs sicher, daß der Gasverbrauch in Zukunft weiter steigen wird. Der Bau von neuen, milliardenteuren Leitungen wäre deshalb gar nicht nötig. Sinnvoll wird er erst durch das politstrategische Kalkül des Kreml, auf die Transitleitungen durch die Ukraine verzichten zu können, durch die bisher der größte Teil der russischen Gastransporte fließt. Gazprom-Vize Alexander Medwedew machte aus diesem Kalkül auch wenig Hehl: In einer Pressekonferenz am 9. Juni verwies er auf das Auslaufen der Transitverträge mit der Ukraine im Jahr 2019 und begründete damit den Bau der Pipeline "Turkish Stream". Deutlicher gesagt: Der Kreml will bis dahin über neues Erpressungspotential verfügen, um der Ukraine sowohl die Transitgebühren als auch den Gaspreis diktieren zu können.

E.ON, OMV und Shell scheinen von dem Ostsee-Projekt selber nicht sonderlich begeistert zu sein, denn sie überließen es der Gazprom, die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Lediglich die OMV veröffentlichte eine kurze Notiz zum Arbeitstreffen ihres Vorstands Leitner mit Gazprom-Chef Miller, bei dem es um eine mögliche Beteiligung an den sibirischen Öl- und Gasvorkommen gegangen war. Beiläufig hieß es: "Das Memorandum sieht auch vor, eine mögliche Kooperation beim Bau von zwei weiteren Strängen der Nord Stream Pipeline zu evaluieren." Das klingt nicht enthusiastisch, sondern eher so, als habe die OMV notgedrungen in den sauren Apfel des Ostsee-Projekts gebissen, um der anderen, süßeren Früchte teilhaftig zu werden, mit denen die Gazprom die westlichen Energiekonzerne zu locken pflegt. Nach diesem Muster kam bereits das Nord-Stream-Konsortium zustande.

Die Fortsetzung von "Turkish Stream" durch Griechenland will Gazprom finanzieren, ohne Eigentümer zu sein


Die neue Pipeline "Turkish Stream" soll von Rußland durchs Schwarze Meer und den europäischen Teil der Türkei nach Griechenland führen.

Einen Tag nach der Petersburger Absichtserklärung zur Verdoppelung der Ostsee-Pipeline unterzeichneten die Energieminister Rußlands und Griechenlands, Alexander Nowak und Panagiotis Lafazanis, eine weitere Absichtserklärung. Sie betrifft den Bau einer durch Griechenland führenden Fortsetzung der Pipeline "Turkish Stream". Diese Leitung soll ab 2019 die Gasmengen aufnehmen und nach Zentraleuropa weitertransportieren, die Kremlchef Putin künftig durchs Schwarze Meer und über die Türkei zu leiten gedenkt, nachdem er das Projekt "South Stream" gestoppt hat (siehe Karte). Sie soll jährlich 47 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren können und bis 2019 fertiggestellt sein. Da Griechenland kein Geld hat, will Rußland die Finanzierung des Projekts in nicht näher bezeichnetem Umfang übernehmen. Gazprom werde aber nicht Eigentümer des griechischen Teils von "Turkish Stream" sein, versicherte Nowak mit Blick auf die vom EU-Recht vorgeschriebene Trennung zwischen Netznutzung und Netzbetrieb.

Vor der Unterzeichnung dieser Absichtserklärung kam es zu einem Treffen zwischen Kremlchef Putin und dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras. Für den Kreml war das ein propagandistisch wichtiger Nebeneffekt, da das "St. Petersburg International Economic Forum" (SPIEF) seit der Ukraine-Krise stark an Anziehungskraft verloren hat. Noch schmerzhafter war für Putin der Ausschluß vom Weltwirtschaftsgipfel, der einige Tage zuvor zum zweiten Mal als exklusive Veranstaltung der sieben westlichen Industrienationen stattfand (150612). Mit Ausnahme der Stippvisite von Tsipras hielten sich – wie bereits im Vorjahr – alle führenden Politiker aus westlichen Ländern von der Veranstaltung fern. Das war sicher der Grund, weshalb zum ersten Mal keine Teilnehmerliste veröffentlicht wurde. Auch weiterhin am Rußlandgeschäft interessierte Wirtschaftskreise waren eher durch ihre zweite oder dritte Garnitur vertreten. Zu den Ausnahmen gehörte der Shell-Vorstandsvorsitzende Ben van Beurden, der persönlich die Absichtserklärung zur Beteiligung seines Konzerns am Bau der zwei neuen Röhren durch die Ostsee unterzeichnete.

Kapazität der Ostsee-Anschlußleitungen NEL und Opal wäre total überfordert

Abgesehen von den enormen Kosten, die größtenteils Gazprom zu tragen hätte, wären bei beiden Projekten erhebliche technische und politische Hürden zu überwinden. Zum Beispiel würde es nicht genügen, die Kapazität der Ostsee-Pipeline zu verdoppeln. Die beiden Anschlußleitungen NEL (20 Mrd. m3/a) und Opal (36 Mrd. m3/a) können nämlich gerade soviel Gas aufnehmen, wie bei voller Auslastung der beiden vorhandenen Röhren in Deutschland ankommt (55 Mrd. m3/a). Die nach Süden führende Anschlußleitung Opal darf derzeit auf Anordnung der EU-Kommission sowieso nur zur Hälfte von Gazprom belegt werden (141206). Bei "Turkish Stream" hätte Gazprom ab der griechisch-türkischen Grenze die Vorschriften der EU zu respektieren, um nicht ein zweites Debakel wie "South Stream" zu erleiden. Bislang ist unklar, wie der russische Staatsmonopolist und seine westlichen Juniorpartner solche Probleme überwinden wollen.

 

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