Juli 2017

170705

ENERGIE-CHRONIK


Neue US-Sanktionen gegen Rußland könnten europäische Energiekonzerne treffen

Mit großer Mehrheit beschlossen das amerikanische Repräsentantenhaus und der Senat Ende Juli neue Sanktionen gegen Rußland. Im Unterschied zu den vorangegangenen Maßnahmen gelten sie nicht nur für US-Unternehmen, sondern ermöglichen auch die Bestrafung ausländischer Firmen. Unter anderem könnten diese künftig belangt werden, wenn sie sich am Bau russischer Pipelines zum Export von Gas und Öl beteiligen. Das träfe insbesondere die fünf Energiekonzerne Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall, die gemeinsam mit der russischen Gazprom das Projekt einer zweiten Ostsee-Pipeline gestartet haben (170406). Potentiell betroffen sind auch das Flüssiggas-Terminal Baltic LNG, das Gazprom gemeinsam mit Shell plant, sowie der italienische Energiekonzern Eni, der mit Gazprom gemeinsam die Pipeline Blue Stream durchs Schwarze Meer betreibt. "Das Gesetz schwebt wie ein Damoklesschwert über europäischen Firmen, die sich im Energiesektor engagieren", erklärte der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Michael Harms, am 26. Juli in Berlin.

Den USA geht es vor allem um eigene Wirtschaftsinteressen

Das neue Gesetz ergänzt die vorangegangenen Sanktionsbeschlüsse wegen der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim durch Rußland und der Unterstützung des Kreml für die Separatisten im Osten der Ukraine. Begründet wird es mit der russischen Unterstützung für den syrischen Machthaber Assad und der versuchten Beeinflussung des US-Präsidentschaftswahlkampfes. In Wirklichkeit stehen aber eigene Wirtschaftsinteressen im Vordergrund: Vor allem wollen die USA in Europa stärker mit Flüssiggas (LNG) ins Geschäft kommen, was die Zurückdrängung der russischen Gaslieferungen voraussetzt.

Bereits im Juni kommentierte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Verabschiedung eines ersten Entwurfs der Sanktionsbeschlüsse mit den Worten: "Es kann nicht sein, daß die Sanktionen jetzt dazu mißbraucht werden, russisches Gas zu verdrängen, um amerikanisches verkaufen zu können."

EU will weitere Abschwächungen erreichen

Die Europäische Union hat die USA vorab wissen lassen, daß sie die neuen Sanktionsbeschlüsse nicht mittragen kann und sich gegebenenfalls zur Wehr setzen wird. Sie hat aber nur gewisse Abschwächungen erreicht. Dazu gehörigen vor allem vorherige Konsultationsgespräche, in denen sie nun auf weiteren Verbesserungen drängen will, falls tatsächlich Strafmaßnahmen gegen europäische Energiekonzerne geplant werden sollten.

Trump in der Zwickmühle

Kremlchef Putin reagierte auf das neue Gesetz mit der Ausweisung zahlreicher amerikanischer Diplomaten, noch ehe es von Präsident Trump unterzeichnet werden konnte. Er gab damit zu erkennen, daß auch er den neuen US-Präsidenten für eine Knallcharge hält (170606). Ein Veto Trumps hätte vom Senat mit Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden können. Es wurde aber von vornherein mit der Zustimmung des Präsidenten gerechnet, weil dieser sich seit seinem Amtsantritt der Verdächtigung erwehren muß, mit dem Kreml gekungelt zu haben und seinen Wahlsieg einer diskreten Unterstützung durch Putin zu verdanken. In einem angeblich aus Geheimdienstkreisen stammenden Papier hieß es sogar, er habe sich vor seiner Wahl in der Präsidenten-Suite eines Moskauer Hotels, in der sein Vorgänger Obama genächtigt hatte, auf recht eigenartige Weise mit Prostituierten vergnügt und damit erpreßbar gemacht. Mit der Nichtunterzeichnung des Gesetzes hätte Trump diesen Verdächtigungen weiteren Auftrieb gegeben.

Gaslieferungen für Westeuropa wurden im Ukraine-Konflikt bisher ausgeklammert

Die Europäische Union und Rußland haben in der seit mehr als drei Jahren andauernden Auseinandersetzung um die Ukraine bisher die russischen Gaslieferungen für Westeuropa im beiderseitigen Interesse ausgeklammert. Die einzige größere EU-Sanktion auf diesem Sektor bestand in der erzwungenen Einstellung des Gazprom-Projekts "South Stream" (141201 und Hintergrund, Dezember 2012). Dieses Vorgehen wäre aber auch normalerweise geboten gewesen, um korruptionsverseuchte und von mafiösen politischen Seilschaften beherrschte Länder wie Bulgarien zur Einhaltung der EU-Vorschriften zu zwingen. Dagegen hat die EU-Kommission dem Gazprom-Projekt einer zweiten Ostsee-Pipeline keine ernsthaften Hindernisse in den Weg gelegt. Soweit sie Bedenken angemeldet hat, ist dies in erster Linie auf den Widerstand von acht osteuropäischen Ländern zurückzuführen (160512). Die deutsche Regierung hat das Projekt sogar aktiv unterstützt.

Dabei würden die derzeitigen Kapazitäten zur Versorgung Westeuropas mit russischem Gas durchaus ausreichen (160308). Noch mehr als für die beiden ersten Röhren gilt für die zweite Ostsee-Pipeline, daß sie hauptsächlich das politische Ziel verfolgt, die Ukraine als Gastransitland völlig auszuschalten (siehe Hintergrund, November 2011). Demselben Zweck dient im Süden der Bau der Pipeline Turkish Stream durchs Schwarze Meer mit den weiterführenden Pipelines zum Balkan und nach Italien. Nachdem es vorübergehend so aussah, als ob Turkish Stream für den Kreml an Bedeutung verlieren würde (151009), scheint er nun dieses Projekt wieder mit Vorrang zu betreiben.

Denkbar ungelegen kommt in dieser Situation die Lieferung von Siemens-Gasturbinen für Kraftwerke auf der Krim (170704). Es handelt sich um eine klare Verletzung der im Dezember 2014 erlassenen Embargo-Vorschriften, mit denen die EU den Schulterschluß mit den USA suchte und deren Sanktionsbeschlüssse nachvollzog. Die Regierenden in Brüssel und Berlin müssen sich nun von Washington zumindest den Vorwurf gefallen lassen, die Einhaltung dieser Sanktionen nicht hinreichend überwacht zu haben.

 

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