Mai 2012 |
120513 |
ENERGIE-CHRONIK |
Mit dem Schlußkurs von 51,11 Euro an der Frankfurter Börse erreichte die E.ON-Aktie am 10. Januar 2008 ihren Höchststand. Vorausgegangen war eine überaus expansive Geschäftspolitik, von der Einverleibung der Ruhrgas (030101) bis zu Erwerbungen in Großbritannien (021003, 031004, 050909), in Osteuropa (030709, 040807, 041103, 050614), in Rußland (060703, 070506, 070906), in Schweden (071010) sowie Spanien, Italien und Frankreich (070403). Die Erwerbungen im Ausland verschlangen viele Milliarden. Die Expansion im Ausland war aber bei weitem nicht so lukrativ wie erwartet. Zum Teil hinterließ sie in der Konzernbilanz sogar tiefe Löcher (101009). Deshalb wurde ab 2008 die E.ON-Geschäftstätigkeit vor allem von Verkäufen geprägt. Der Konzern verkaufte unter anderem sein deutsches Stromtransportnetz (091101), die Stadtwerke-Beteiligungstochter Thüga (090811), das Geschäft in den USA (100401), der Schweiz (100711) und Bulgarien (111207) und das britische Strom-Verteilnetz (110308). Infolge der schwarz-gelben Volte beim Atomausstieg (110601) sowie wegen des weltweiten Rückgangs der Erdgas-Preise (110708) rutschte der Kurs der E.ON-Aktie 2011 dauerhaft unter 20 Euro. Sogar das Ruhrgas-Transportnetz (110806) und eine der sieben Regionaltöchter (120104) kamen nun auf die Verkaufsliste. Im April 2012 kostet die E.ON-Aktie etwa 17 Euro. Im Mai sank sie bis auf etwa 15 Euro. |
Die E.ON-Hauptversammlung beschloß am 3. Mai die Umwandlung der Konzernholding, die bisher eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts ist, in eine "Europäische Aktiengesellschaft". Die Rechtsform der "Societas Europaea", abgekürzt SE, gibt es seit Oktober 2004 auf Grundlage einer EU-Verordnung, die damals in Kraft trat. Neben gewissen Vorteilen bei der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit verhilft sie den Unternehmen zu einem internationaleren Anstrich, als wenn der nationale Ursprung an der Rechtsform erkennbar bliebe. Das erleichtert Übernahmen in anderen Ländern sowie Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Partnern, die mit der Rechtsform der deutschen AG nicht so vertraut sind.
Die E.ON-Vorläufer Veba und Viag waren ursprünglich
deutsche Staatskonzerne. Auch nach ihrer Privatisierung verblieben sie
zunächst im Besitz deutscher Aktionäre. Heute gehören zwei
Drittel des E.ON-Kapitals ausländischen Eigentümern. Auch RWE
befindet sich mehrheitlich in ausländischem Besitz. Vattenfall gehört
ohnehin dem schwedischen Staat. Insofern kann von den vier großen
Energiekonzernen lediglich die EnBW – die derzeit zu fast hundert
Prozent der öffentlichen Hand gehört – noch als mehrheitlich
deutsches Unternehmen gelten.
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Vorstand und Aufsichtsrat hatten den Aktionären die Umwandlung der Konzernholding in eine SE vorgeschlagen, "um die zunehmende Internationalität von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären jetzt auch in der Rechtsform des Unternehmens widerzuspiegeln". Von den E.ON-Mitarbeitern, Kunden und Aktionären komme inzwischen rund die Hälfte nicht aus Deutschland, sondern aus anderen europäischen Ländern. Zudem ermögliche die neue Rechtsform eine effizientere Führung des Unternehmens.
Die Hauptversammlung billigte zugleich die neue Satzung mit einer "dualistischen" Unternehmensführung, die der bisherigen Teilung in ein Leitungs- und ein Aufsichtsorgan bzw. Vorstand und Aufsichtsrat entspricht. Alternativ könnte bei der Rechtsform der SE auch ein Verwaltungsrat als einziges Leitungs- und Kontrollgremium eingeführt werden, der dem angloamerikanischen "Board of Directors" entspricht. Dieses Modell wird gern von mittelständischen Unternehmen gewählt, die in mehreren EU-Ländern tätig sind.
Die Hauptversammlung wählte ferner die sechs Anteilseignervertreter des künftigen Aufsichtsrats. An der paritätischen Mitbestimmung, die für Aktiengesellschaften dieser Größe in Deutschland vorgeschrieben ist, ändert sich durch die Umwandlung prinzipiell nichts. Sogar bei der Entscheidung für das "monistische" Modell könnte die Arbeitnehmerseite dieselbe Beteiligung am Leitungsgremium beanspruchen wie ihr sonst Sitze im Aufsichtsrat zustehen würden. Die SE ermöglicht aber die Verkleinerung des Aufsichtsrats von zwanzig auf zwölf Mitglieder. Außerdem verringern sich infolge der internationalen Besetzung der Arbeitnehmerbank die Einflußmöglichkeiten der deutschen Konzernbeschäftigten. Eine effektive Mitbestimmung wird dadurch eher geschwächt als gestärkt. Dies dürfte aber ebenfalls ein beabsichtigter Effekt sein. Über die konkrete Ausgestaltung der Mitbestimmung soll in den nächsten sechs Monaten mit Vertretern von Arbeitnehmern aus allen europäischen Ländern verhandelt werden. Mit dem Wirksamwerden der Umwandlung und der vollen Funktionsfähigkeit der E.ON SE wird gegen Jahresende gerechnet. Bis dahin amtiert der Aufsichtsrat in seiner bisherigen Besetzung weiter.
Bisher hatte der Konzern nur die E.ON Energy Trading, in der er seit 2008 seine europäischen Handelsaktivitäten bündelt, im Juni 2009 von einer AG in eine SE umgewandelt. Weitere Beispiele für die Verwendung dieser Rechtsform sind die REpower Systems SE (110913), die Solarfirmen Solon SE (111212) und Q-Cells SE (120405) oder der nach Paris verlagerte Spotmarkt der Energiebörse EEX in Form der EPEX Spot SE (091209).
Die Europäische Aktiengesellschaften (SE) werden in den Ländern ins Handelsregister eingetragen, in denen sie ihren Sitz haben. Ein zentrales Register gibt es nicht. Anhand der vorgeschriebenen Veröffentlichungen im EU-Amtsblatt hat das in Brüssel ansässige "European Trade Union Institute" jedoch eine fortlaufende Übersicht erstellt. Demnach waren zum 1. März 2012 insgesamt 1113 SE in den Mitgliedsländern der EU registriert. Davon können allerdings nur 210 insoweit als "normale" Unternehmen gelten, als sie mit Sicherheit über eine Geschäftstätigkeit verfügen und diese mit mehr als fünf Mitarbeitern betreiben. Der übergroße Rest hat weniger als sechs Angestellte (103), ist ohne Angestellte geschäftlich tätig (104), dient als reiner Firmenmantel ohne Aktivität (137) oder kann mangels ausreichender Informationen nicht klar zugeordnet werden (559). Zur letzteren Kategorie zählen hauptsächlich 454 tschechische SE. Überhaupt spielt Tschechien auf diesem Gebiet eine eigenartige Rolle, denn von den insgesamt 1113 registrierten SE stammen nicht weniger als 676 aus diesem Land. Das sind 61 Prozent. In Deutschland können dagegen immerhin 95 von insgesamt 194 registrierten SE als "normale" Unternehmen gelten. Dazu gehören etwa die Dachgesellschaften von BASF, Allianz, Arag, Bilfinger-Berger, MAN oder Porsche. Wenn man von den genauso zahlreichen wie undurchsichtigen SE-Gründungen in Tschechien absieht, neigen demnach deutsche Unternehmen am ehesten zu dieser Rechtsform.
In den übrigen EU-Ländern ist das Interesse an der "Societas Europaea" deutlich geringer. Auf die beiden Spitzenreiter Tschechien und Deutschland folgt die Slowakei mit nominell 44 SE, von denen allerdings nur zwei mit Sicherheit als "normale" Unternehmen gelten können. Das entsprechende Ergebnis lautet für die Niederlande 32 (12), Großbritannien 25 (2), Frankreich 23 (12), Luxemburg 23 (5) und für Österreich 18 (8).