Mai 2011 |
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ENERGIE-CHRONIK |
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Bundeskanzlerin Angela Merkel läßt sich am 29. Mai 2006 von den Vattenfall-Chefs Lars G. Josefsson und Klaus Rauscher (links) ein Modell der Pilotanlage zur CO2-Abscheidung am Standort Schwarze Pumpe erklären, zu der an diesem Tag der Grundstein gelegt wird. Foto Vattenfall
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Der Bundestag hat am 12. Mai in erster Lesung ein Gesetz diskutiert, das die Abscheidung, den Transport und die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid regelt (110511). Es ermöglicht die versuchsweise Anwendung von CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage) bei Kohlekraftwerken. Vor der Genehmigung weiterer Anlagen zur großtechnischen Einführung von CCS soll im Jahr 2017 eine Überprüfung der bis dahin vorliegenden Ergebnisse erfolgen. Dieser Vorbehalt ist jedoch mehr theoretischer Natur. Er dient vor allem dazu, die Kritik an dem Verfahren zu beschwichtigen. Denn es handelt sich um eine teure Notlösung mit Tücken, deren tatsächlichen Ausmaße sich kaum bis zum Jahr 2017 absehen lassen werden.
Kohlendioxid (CO2) sorgt zusammen mit anderen "Treibhausgasen" dafür, daß es auf der Erde einigermaßen warm bleibt. Es läßt nämlich die kurzwellige Strahlung des Sonnenlichts weitgehend passieren, so daß sich die Erdoberfläche erwärmen kann, verhindert aber gleichzeitig die langwellige Abstrahlung der erwärmten Erdoberfläche in den Weltraum. Ohne diesen "Treibhauseffekt" würde die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche nur minus 18 Grad betragen. Dank CO2 und anderer "Treibhausgase" haben wir eine mittlere Temperatur von plus 15 Grad.
Zuviel CO2 in der Atmosphäre führt jedoch zu einer Veränderung des Klimas. Und es sieht ganz danach aus, als ob die massenhafte Freisetzung von CO2 seit Beginn der Industrialisierung nicht spurlos an der Lufthülle vorbeigegangen wäre. Denn bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas wird das Kohlendioxid, das Jahrmillionen in diesen fossilen Energieträgern gebunden war, freigesetzt und in die Atmosphäre entlassen. Spätestens seit dem Klimagipfel von Rio im Jahre 1992 gilt deshalb die Eindämmung der Treibhausgas-Emissionen als weltweite Aufgabe. Die Reduzierung von CO2 bei der Stromerzeugung steht dabei an erster Stelle.
Kohlendioxid (CO2) ist jedoch kein Schadstoff wie Flugasche, Schwefeldioxid und Stickoxide, die ebenfalls bei der Verbrennung fossiler Energieträger in Kraftwerken anfallen und inzwischen recht wirksam durch allerlei Vorrichtungen zur Rauchgasreinigung beseitigt werden können. Bei CO2 handelt sich nicht um ein solches Nebenprodukt der Verbrennung, sondern um das Endprodukt der Verbrennung selbst: Die im Brennstoff enthaltenen Atome des chemischen Elements Kohlenstoff (C) verbinden sich mit den Sauerstoff-Molekülen der Luft (O2) zu Kohlendioxid-Molekülen (CO2). Im Zuge dieser chemischen Reaktion wird Energie in Form von Wärme frei, die wiederum in Strom oder andere Formen von Energie umgewandelt werden kann. Aber leider entsteht als unerwünschtes Endprodukt der Verbrennung eben auch CO2 und entweicht in die Atmosphäre.
Aus diesem Grunde werden die CO2-Emissionen auch nicht an den Schornsteinen der Kraftwerke gemessen, wie dies bei Abgasen der Fall ist, sondern aus den spezifischen CO2-Emissionen des jeweils verwendeten Brennstoffs errechnet, die bei der Umwandlung in Wärme pro Kilowattstunde zwangsläufig anfallen: Bei Erdgas sind das etwa 200 Gramm, bei Steinkohle 330 Gramm und bei Braunkohle 400 Gramm. Da es innerhalb der einzelnen Kategorien unterschiedliche Brennwert-Qualitäten gibt, handelt es sich hierbei nur um Richtwerte. Außerdem hängt es vom Wirkungsgrad der Energieumwandlung im jeweiligen Kraftwerkstyp sowie dem Kraftwerkseigenbedarf und den Netzverlusten ab, wieviel tatsächlich vom jeweiligen Brennstoff benötigt wird, um den Verbraucher mit einer Kilowattstunde Strom zu beliefern.
Prinzipiell gibt es mehrere Wege, um die CO2-Emissionen von Kraftwerken zu verringern: Der wirksamste ist die CO2-freie Stromerzeugung, etwa mit Windkraftanlagen, Solarparks oder Wasserkraftwerken. Noch leistungsfähiger sind Kernkraftwerke, die aber wegen der radioaktiven Risiken höchst problematisch sind. Die zweite Möglichkeit ist die Verringerung der spezifischen CO2-Emissionen pro Kilowattstunde durch Erhöhung der Energieeffizienz bei Erzeugung und Verbrauch. Hier gab es in der Vergangenheit große Fortschritte, vor allem durch höhere Wirkungsgrade der Kraftwerke oder höhere Brennstoffausnutzung mittels Kraft-Wärme-Kopplung. Da aber zugleich der Stromverbrauch gestiegen ist und weiter zunehmen wird, läßt sich auf diese Weise kein absoluter Rückgang der strombedingten CO2-Emissionen erreichen.
Schließlich gibt es noch die technische Möglichkeit, das in Kohle oder Gas enthaltene CO2 vor, während oder nach der Verbrennung im Kraftwerk abzuscheiden und es anschließend im Untergrund so zu deponieren, daß es voraussichtlich nicht in die Atmosphäre gelangen wird. Dieser Prozeß ist ungemein aufwendig und kostspielig. Er macht alle Fortschritte wieder zunichte, die in den letzten Jahren durch höhere Kraftwerk-Wirkungsgrade erreicht wurden. Er erhöht den Brennstoffverbrauch und beseitigt das CO2 trotzdem nur teilweise. Er schafft ein neues Endlagerungs-Problem. Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob das CO2 tatsächlich im Untergrund verbleiben und dort keine schädlichen Nebenwirkungen entfalten wird.
Noch vor gut einem Jahrzehnt dachte deshalb niemand ernsthaft daran, das in Wärmekraftwerken und anderen Großfeuerungsanlagen freigesetzte Kohlendioxid per CCS unschädlich zu machen. CCS-Verfahren kamen allenfalls in der Fachliteratur zur Klimaproblematik vor. Sie wurden hier als gedankliche Modelle erwähnt, deren Verwirklichung so teuer wäre, daß sie in der Praxis keine Chance hätten. In der energiewirtschaftlichen Diskussion wurde dieser Befund oft sogar zu der Behauptung verkürzt, daß es schlicht unmöglich sei, das Kohlendioxid aus den Rauchgasen herauszufiltern und so am Entweichen in die Atmosphäre zu hindern.
Beispielsweise hieß es in einem 1989 erschienenen Report des Öko-Instituts, die Rückhaltung von CO2-Emissionen sei mit vertretbarem Aufwand nicht möglich und scheide deshalb aus. Selbst im günstigsten Fall würden dadurch die Stromkosten um 56 bis 100 Prozent ansteigen. (1) Ein Nachschlagewerk zu Umweltfragen gab lapidar die Auskunft: "CO2 ist Hauptbestandteil der Rauchgase aus der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Brennstoffe und bislang großtechnisch nicht abtrennbar." (2)
Der Großteil der Speichermöglichkeiten in salzhaltigen Aquiferen und erschöpften Erdgasvorkommen befindet sich in Norddeutschland, besonders in Niedersachsen. Es wären also sehr lange Pipelines erforderlich, um das abgeschiedene CO2 von den Kraftwerken zu den Lagern zu transportieren. Grafik BGR
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1991 erschien dann ein Buch des Reaktorphysikers Walter Seifritz, das sich sehr ausführlich mit den denkbaren "Technischen Maßnahmen zur CO2-Entsorgung" befaßte. Seine wesentliche Botschaft lautete, "daß fossile Rohstoffe bei geschickter Führung des Vergasungsprozesses mit Hilfe nuklearer Prozeßwärme und mit einer CO2-Entsorgung in den tieferen Schichten der Ozeane für eine Übergangszeit von vielleicht einem halben Jahrhundert CO2-frei weiter genutzt werden könnnten". (3)
Auf dieser Studie baute die spätere Diskussion zum großen Teil auf. Die von Seifritz favorisierte Versenkung von CO2 in die Tiefsee spielte dabei jedoch nur eine zweitrangige Rolle. Die Wiederbelebung des Hochtemperatur-Reaktors zur Bereitstellung von Prozeßwärme blieb gar ein Wunschtraum der Atomgemeinde, die sich von der Klimadiskussion erneuten Auftrieb für die Kernenergie erhofft hatte, nachdem diese 1986 durch die Katastrophe von Tschernobyl so schwer kompromittiert worden war.
Vorläufig liefen aber alle Befunde darauf hinaus, daß die diversen Verfahren zur Abscheidung und Abspeicherung von CO2 aus den Rauchgasen von Kraftwerken und anderen Großfeuerungsanlagen viel zu teuer wären, um ernsthaft in Frage zu kommen. In einer wissenschaftlich fundierten Abhandlung, die 1992 im Springer-Verlag erschien, umrissen zwei Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich den Stand der Dinge so: "Kohlendioxid kann aus den Rauchgasen von Kraftwerken, Einzelfeuerungen und Fahrzeugen praktisch nicht abgeschieden werden, da der apparative Aufwand zu groß, der Energiebedarf erheblich und die Kosten zu hoch wären." Hinzu kämen die ungelösten Probleme der Deponierung. (4)
Die vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" gelangte 1994 zu dem Ergebnis, daß die Abtrennung von CO2 den Wirkungsgrad eines GuD-Kraftwerks von 52 auf 42 Grad mindern und den Strompreis um 52 Prozent erhöhen würde. Bei Kohlekraftwerken sei eine Minderung des Wirkungsgrads von 43 auf 34 Prozent und ein Anstieg der Erzeugungskosten um 43 Prozent zu erwarten. Es sei deshalb wesentlich wirkungsvoller, umweltfreundlicher und billiger, die Minderung der CO2-Emissionen durch mehr Energieeffizienz und Ausbau der erneuerbaren Energiequellen anzustreben. (5)
An dem damaligen Befund der Enquête-Kommission hat sich bis heute nichts wesentliches geändert. Dennoch wird CCS inzwischen für praktikabel und notwendig gehalten. Es laufen bereits eine ganze Reihe von Pilotprojekten. Aus Brüssel wie aus Berlin kommt starker politischer Rückenwind. Rechtliche Hürden werden aus dem Weg geräumt und großzügige Finanzhilfen aus Steuergeldern gewährt. Energiekonzerne, Anlagenbauer und sonstige interessierte Wirtschaftskreise bemühen sich lebhaft, die Öffentlichkeit vom Sinn der CCS-Verfahren und der damit verbundenen immensen Kosten zu überzeugen.
Umweltorganisationen wie Greenpeace, BUND und NABU sind allerdings weiterhin die Ansicht, daß es wesentlich wirkungsvoller, umweltfreundlicher und billiger wäre, die Minderung der CO2-Emissionen durch den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und mehr Energieeffizienz anzustreben – und daß dies auch zu erreichen wäre, wenn man die politischen und finanziellen Hebel anders ansetzen würde. Sie halten die CCS-Technologien nicht nur für ineffizient, unsicher und teuer. Vor allem befürchten sie, daß die Energie- und Klimapolitik auf einen falschen Weg gerät, weil der Neubau von Kohlekraftwerken zu Lasten der erneuerbaren Energien gehen werde. (6)
Die Front der Ablehnung verläuft aber nicht geradlinig. Die als wirtschaftsnah geltenden Umweltschützer vom WWF sehen CCS sogar positiv: "Es bringt nichts, die Technik ungeprüft zu verteufeln und damit leichtfertig eine Chance im Klimaschutz zu verspielen", hieß es in einer WWF-Stellungnahme. Allerdings bestehe die Gefahr, "daß die Energiekonzerne versuchen, CCS als trojanisches Pferd zu mißbrauchen, um neue Kohlekraftwerke durchzusetzen".
Zwischen Zustimmung und Kritik schwankt das Wuppertal-Institut, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums beide Wege zur CO2-Reduzierung untersuchte: Für große Kohleverbraucher wie China, Indien oder die USA könne CCS eine wichtige Klimaschutz-Technologie sein, lautete sein Fazit. In Deutschland und anderen europäischen Ländern sei allerdings "bei Beibehaltung der derzeitigen energiepolitischen Prioritäten eine zusätzliche Fokussierung auf CCS im Kraftwerksbereich nicht notwendig". Eine großtechnische Verfügbarkeit von CCS sei nämlich nicht vor 2025 zu erwarten. Bis dahin würden sich aber die Stromgestehungskosten von erneuerbaren Energien denen von CCS-Kraftwerken annähern und sie vielleicht sogar unterbieten. (7)
Zumindest in Deutschland wäre es demnach wohl sinnvoller, weiterhin auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen. Die Minderung der CO2-Emissionen per CCS ist jedenfalls keine saubere Lösung: Sie kehrt das Problem nur unter den Teppich, statt es zu beseitigen. Die Aufnahmefähigkeit der unterirdischen Lagerstätten ist zudem begrenzt. Wenn sie voll sind, wird man ohnehin auf erneuerbare Energien umstellen müssen, um das CO2-Problem in den Griff zu bekommen. Dann bleiben riesige Räume im Untergrund für Jahrhunderte oder länger nicht mehr nutzbar, weil sie mit CO2 vollgepreßt sind. Und niemand weiß, wie lange diese Lager wirklich dicht halten. Oder was passieren könnte, wenn das CO2 auf dem Wege vom Kraftwerk zum Lager aus einer der zahlreichen Pipelines austritt: Kohlendioxid ist zwar nicht giftig. Es kann aber in hoher Konzentration tödlich wirken, indem es den zum Atmen nötigen Sauerstoff verdrängt.
Nicht zuletzt ist es irreführend, wenn die die CCS-Lobby mit Schlagworten wie "Clean Coal" oder gar "CO2-freies Kraftwerk" wirbt. Wie aus der Studie des Wuppertal-Instituts hervorgeht, werden durch diese Verfahren allenfalls 88 Prozent des Kohlendioxids abgeschieden. Die dafür notwendige Energie erhöht jedoch den Brennstoffverbrauch um 20 bis 44 Prozent. Außerdem entstehen CO2-Emissionen auch bei Förderung und Transport der fossilen Energieträger: Sie betragen etwa fünf Prozent der Menge, die bei der Verbrennung freigesetzt wird. Entsprechend größer sind die Gesamtemissionen an Kohlendioxid, und entsprechend geringer fällt die tatsächliche CO2-Minderung aus: Der maximale Abscheidungsgrad von 88 Prozent schrumpft dann zu 72 bis 78 Prozent. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß durch CCS nur CO2 zurückgehalten wird – und nicht etwa das noch wirksamere Treibhausgas Methan –, verringern sich die Emissionen an Treibhausgasen lediglich um 67 bis 78 Prozent.
Alle drei Verfahren zur CO2-Abscheidung arbeiten mit Verdichtern, die das in Kraftwerken abgetrennte Kohlendioxid unter hohem Druck zusammenpressen. Die mannshohen Laufräder im Inneren der Kompressoren pressen das Gas auf 50 bar und mehr zusammen – so viel Druck, wie in 500 Meter Wassertiefe herrscht. Foto Siemens
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Der immense Aufwand, der erzielte Effekt, die Nachteile und die verbleibenden Risiken wirken auf den ersten Blick absurd. Rechtfertigen lassen sie sich nur unter zwei Prämissen: Die erste ist, daß die von der EU aufgestellten CO2-Minderungsziele tatsächlich um jeden Preis erreicht werden müssen, um eine Klimakatastrophezu verhindern (und daß es im begrenzten Rahmen der EU überhaupt möglich ist, den weltweiten Anstieg der CO2-Emissionen wirksam zu bremsen). Die zweite lautet, daß die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien nicht schnell genug voran kommt und man deshalb die CCS-Verfahren zur Ermöglichung der weiteren Kohle-Verstromung zumindest als "Brückentechnologie" benötigt.
Beide Prämissen sind zweifelhaft oder zumindest anfechtbar. Dennoch hat die EU-Kommission schon kurz nach der Klimakonvention von Rio (920601), die 1994 in Kraft trat, auch auf CCS zur Minderung des Klimaproblems gesetzt. Binnen zehn Jahren unterstützte sie entsprechende Forschungsprojekte mit mehr als 20 Millionen Euro. Dies geschah wohl vor allem in der Absicht, die USA, China, Rußland und andere große CO2-Emittenten einzubinden, die nicht oder nur sehr widerwillig bereit waren, Zusagen zur Begrenzung ihrer CO2-Emissionen zu machen.
Am 25. Juni 2003 unterzeichnete die damalige Energiekommissarin Loyola de Palacio in Washington eine internationale Charta über "CO2-Sequestrierung und -Speicherung". Die übrigen Mitglieder des damit gegründeten "Carbon Sequestration Leadership Forum" waren Australien, Brasilien, China, Großbritannien, Kanada, Kolumbien, Indien, Italien, Japan, Mexiko, Norwegen, Rußland und die USA. Die Energiekommissarin bezeichnete damals die "Kohlenstoffsequestrierung" als ein ergänzendes Instrument zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Erhöhung der Energieeffizienz. Diese werde es ermöglichen, "deutlich vor dem Kyoto-Zeithorizont von 2012 erhebliche Emissionsverringerungen als weiteren Beitrag zur äußerst wichtigen Bekämpfung des Klimawandels zu erzielen". Zugleich kündigte EU-Forschungskommissar Philippe Busquin eine Verzehnfachung der Mittel für die CCS-Forschung auf 200 Millionen Euro an. (8)
Inzwischen ist klar, daß CCS überhaupt keinen praktischen Beitrag zur Erreichung der Kyoto-Ziele bis 2012 geleistet hat und noch immer im Stadium von Forschungsprojekten steckt. Während Deutschland und die EU die eingegangenen Reduktionsverpflichtungen wahrscheinlich erfüllen oder ihnen zumindest nahekommen, tut sich die Gesamtheit der Kyoto-Unterzeichner äußerst schwer damit. Weltweit hat der Ausstoß an Treibhausgasen sogar erheblich zugenommen, was vor allem auf Unterzeichner der CCS-Charta wie USA, China und Indien zurückzuführen ist.
In der Europäischen Union wurde CCS jedoch zum Selbstläufer, der in Konkurrenz zur Förderung der erneuerbaren Energien trat. Mit den nunmehr verzehnfachten Forschungsmitteln startete 2004 das Projekt CASTOR ("CO2 from Capture to Storage") zur nachträglichen Abscheidung von CO2 aus den Rauchgasen und deren Ablagerung. Beteiligt waren rund dreißig Forschungseinrichtungen, Energiekonzerne, Öl- und Gasförderer sowie Industrieunternehmen. Als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen wurde am 15. März 2006 Im Kraftwerk Esbjerg des dänischen Stromproduzenten Elsam die erste Pilotanlage zur Bindung von Kohlendioxid aus fossil befeuerten Kraftwerken eingeweiht (060315).
Ein Tankwagen wird mit der ersten CO2-Lieferung für den Speicher Ketzin aus der Pilotanlage "Schwarze Pumpe" befüllt. Bis dahin hatte man den Speicher vorsichtshalber nur mit fast reinem CO2 getestet. Bis Mai 2011 verschwanden in Ketzin rund 50.000 Tonnen des Treibhausgases im Untergrund. Foto Vattenfall
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Am 13. Juni 2007 nahm der damalige EU-Energiekommissar Piebalgs nahe der brandenburgischen Stadt Ketzin den ersten unterirdischen CO2-Testspeicher in Betrieb. Das Projekt war das Kernstück eines Forschungsprojekts zur CO2-Speicherung in Europa mit dem Namen "CO2SINK". Zu den industriellen Partnern gehörten die Energiekonzerne Vattenfall, E.ON und RWE sowie Siemens als Anlagenbauer. Die auf 30 Millionen Euro veranschlagten Kosten wurden von der EU im Rahmen des 6. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung mit 8,7 Millionen Euro unterstützt. Bis Mai 2011 wurden hier in Sandsteinschichten in 650 Meter Tiefe zunächst 50.000 Tonnen Kohlendioxid verpreßt, das einen Reinheitsgrad von fast hundert Prozent aufwies. Dann übernahm der Energiekonzern Vattenfall das Projekt und beschickte den Speicher mit Kohlendioxid aus der CCS-Versuchsanlage "Schwarze Pumpe", um die Wechselwirkungen zwischen Gestein, Gas und Gasbeimengungen auch bei geringeren Reinheitsgraden zu testen.
Im März 2010 machte die EU noch mehr Gelder locker, um CCS voranzubringen: Im Rahmen eines Vier-Milliarden-Programms für fünf Dutzend Energieprojekte stellte sie nicht weniger als eine Milliarde Euro für insgesamt sechs CCS-Projekte in Deutschland, Italien, Holland, Polen, Spanien und England zur Verfügung (100313). Beispielsweise spendierte sie 180 Millionen Euro, damit Vattenfall im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde einen Oxyfuel-Block mit 250 Megawatt und eine Postcombustion-Anlage mit 50 Megawatt erproben kann. Denselben Betrag bekamen die Konzerne E.ON und GDF Suez, um bei Rotterdam eine Postcombustion-Anlage zu bauen, die einen Teil der CO2-Emissionen des benachbarten E.ON-Kraftwerks abscheidet und zu einem erschöpften Gasfeld in der Nordsee leitet. Weitere 150 Millionen Euro spendierte die niederländische Regierung.
Parallel zu den Forschungsvorhaben machte sich die EU-Kommission daran, der CCS-Technologie auch rechtlich den Weg zu bereiten. So wurden in die Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze (TEN-E) nun auch die künftigen CO2-Pipelines aufgenommen, die das Gas von den Kraftwerken zur Lagerstätten transportieren sollten. Der Katalog zulässiger Umweltschutzbeihilfen wurde um die Förderung von CCS-Projekten ergänzt. In die Richtlinie für den Handel mit Emissionszertifikaten wurde in Artikel 12 der Absatz 3 a eingefügt, wonach die per CCS entsorgten CO2-Mengen voll auf die Reduktionsverpflichtungen angerechnet werden. Außerdem wollte die EU bis Ende 2015 bis zu 300 Millionen Emissionszertifikate aus der "Reserve für neue Marktteilnehmer" zur Verfügung stellen, um den Bau und Betrieb von bis zu 12 kommerziellen Demonstrationsprojekten mit CCS-Technologie möglichst attraktiv zu machen.
Vor allem aber legte die Kommission im Januar 2008 im Rahmen ihres Energie- und Klimapakets auch den Entwurf einer CCS-Richtlinie vor, die dann am Jahresende von den Staats- und Regierungsches abgesegnet wurde und im Juni 2009 in Kraft trat (090614). Diese Richtlinie 2009/31/EG zur geologischen Speicherung von Kohlendioxid verpflichtete auch Deutschland, bis spätestens Juni 2011 ein entsprechendes Gesetz zu erlassen.
Seit September 2009 betreibt der Braunkohleverstromer Vattenfall am Standort "Schwarze Pumpe" eine Pilotanlage für das Oxyfuel-Verfahren. Das abgeschiedene CO2 wird mit Tankwagen zu einer ausgedienten Erdgaslagerstätte in der Altmark sowie zum Aquifer-Speicher Ketzin transportiert. Foto Vattenfall
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Die neue CCS-Richtlinie der EU ergänzte sich mit der bereits 2002 erlassenen Richtlinie zum Handel mit Emissionsberechtigungen (021202). Mit der Verfügung über die Menge der ausgegebenen Zertifikate hat die EU-Kommission ein Instrument in die Hand, das es ihr tendenziell ermöglicht, einen fast beliebig hohen Preis pro Tonne CO2-Emission zu erreichen. Bisher wurde dieses Instrument eher lasch gehandhabt. Es ist aber durchaus möglich, in den bevorstehenden Handelsperioden anders zu verfahren. Es bedarf nur einer entsprechenden Verknappung der Zertifikate, um den CO2-Preis in eine Höhe zu bringen, mit der die Kosten des CCS-Verfahrens gedeckt oder sogar überschritten würden.
Die Kommission machte keinen Hehl daraus, wie sie sich die Finanzierung von CCS vorstellt und wie die enormen Kosten über den Emissionshandel auf die Strompreise abgewälzt werden sollen. Zur Begründung ihres Vorschlags für eine entsprechende Richtlinie schrieb sie: "Die Kosten, die auf einen Betreiber höchstens zukommen, hängen im Wesentlichen vom CO2-Preis ab: CCS kommt nur zum Einsatz, wenn es weniger kostet, eine Tonne CO2 zu vermeiden, als den entsprechenden CO2-Preis zu entrichten." Zugleich versicherte sie: "Der Vorschlag, mit dem CCS ermöglicht wird, führt nicht zu zusätzlichen Kosten über die Ausgaben hinaus, die erforderlich sind, um die Zielvorgabe einer THG-Reduktion um 20 % zu erreichen." (9) Das sollte beruhigend klingen. Im Klartext hieß es aber, daß der Preis für CO2-Zertifikate geradezu explodieren wird und explodieren muß, um das 2007 beschlossene Ziel zu erreichen, die Treibhausgasemissionen aller EU-Mitgliedsländer im Zeitraum von 2012 bis 2020 um mindestens 20 Prozent gegenüber dem Bezugsjahr 1990 zu senken (070102, 070204).
Bei der Präzisierung der tatsächlichen Kosten blieb die Kommission dagegen bemerkenswert schwammig. Die Kosten für den Bau der kompletten Anlage inklusiv Abscheidung, Transport und Lagerung lägen demnach "etwa 30 bis 70 % über den Kosten für herkömmliche Anlagen". Im Betrieb würde die Stromerzeugung "um 25 bis 75 %" teurer werden. Der Mittelwert läge also in beiden Fällen bei fünfzig Prozent. Die Enquête-Kommission des Bundestags war in ihrem 1995 veröffentlichten Bericht von 43 Prozent ausgegangen. Demnach würde CCS sogar noch teuerer, obwohl die Liberalisierung des Strommarktes inzwischen europaweit für einen enormen Anstieg der Netto-Strompreise sorgte (110203), wodurch der relative Anteil der CCS-Kosten an den Gestehungskosten eigentlich eher sinken müßte.
Deutlich höhere Kosten nannte auch ein Bericht, den der Bundestagsausschuß für Technikfolgenabschätzung im Juli 2008 vorlegte. Er bezifferte die Mehrkosten pro Tonne vermiedenes CO2 mit schätzungsweise 26 bis 37 Euro. Für Kohlekraftwerke bedeute dies annähernd eine Verdoppelung der Stromgestehungskosten; für Erdgas-Kombikraftwerke (GuD) eine Steigerung um 50 Prozent. Größter Kostenfaktor seien die Aufwendungen für die CO2-Abscheidung. Aus den bislang vorliegenden Analysen lasse sich aber keine eindeutige Präferenz für eine der drei Techniken ableiten (Oxyfuel, Post-Combustion, Pre-Combustion). (10)
Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD griff die neue CCS-Richtlinie aus Brüssel mit ungewöhnlicher Eile auf. Bereits vor dem offiziellen Inkrafttreten legten die Ministerien für Umwelt und Wirtschaft einen Gesetzentwurf vor, um sie noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode in nationales Recht umzusetzen. Anscheinend glaubten beide Regierungsparteien, sich damit im bevorstehenden Bundestagswahlkampf als Klimaschützer darstellen zu können. Der mit heißer Nadel und unter maßgeblicher Beteiligung der Lobby gestrickte Gesetzentwurf verschwand dann aber wieder vom Kabinettstisch, nachdem Umweltorganisationen protestiert und auf die Schwachpunkte aufmerksam gemacht hatten (090305). Zumindest die SPD bekam nun etwas kalte Füße, da sie mehr als die Unionsparteien auf solche Proteste achten muß.
Trotz des herannahenden Bundestagswahlkampfes wollte die schwarz-rote Koalition indessen nicht darauf verzichten, das CCS-Gesetz noch schnell zu verabschieden. Das Bundesumweltministerium (SPD) und das Bundeswirtschaftsministerium (CSU) mußten deshalb erneut einen Kompromiß aushandeln. In etwas veränderter Form wurde der Gesetzentwurf am 1. April vom Kabinett verabschiedet und an das Parlament weitergeleitet. Aber nun verspürte die Union starken Gegenwind aus den eigenen Reihen. Vor allem Unionspolitiker aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern trieb die Befürchtung um, Landwirte und andere Grundstückseigentümer zu verprellen, denen in den Planfeststellungsverfahren für die Genehmigung der unterirdischen Speicher nur sehr bescheidene Einspruchsmöglichkeiten zugestanden werden sollten. Das CCS-Gesetz wurde deshalb drei Tage vor der geplanten Beschlußfassung von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen und kam nicht mehr in der 16. Legislaturperiode zustande (090602).
Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung legte dann im Juli 2010 einen überarbeiteten Gesetzentwurf vor, der zunächst nur die Erprobung und Demonstration von CCS-Verfahren vorsah. Zur großtechnischen Einführung sollte es erst kommen, wenn der Bericht über die bis 2017 vorliegenden Erfahrungen positiv ausfällt (100703). Die geplante Verabschiedung durch das Kabinett scheiterte nun aber am Protest der CDU-regierten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Diese verlangten einen Passus, wonach es keine Einlagerung von Kohlendioxid gegen den Willen der betroffenen Bundesländer geben darf (100903). In § 2 Abs. 5 wurde deshalb den Ländern das Recht zugestanden, für bestimmte Gebiete keine Genehmigungen zu erteilen: "Die Länder können durch Landesgesetz bestimmen, daß eine Erprobung und Demonstration der dauerhaften Speicherung nur in bestimmten Gebieten zulässig ist oder in bestimmten Gebieten unzulässig ist." Mit dieser Kompromißformel wurde das Gesetz im April 2011 vom Kabinett verabschiedet und in den Bundestag eingebracht (110407).
Binnen 16 Jahren wurde so aus einem Verfahren, das die Enquête-Kommission des Bundestags für ineffizient und zu teuer hielt, eine gesetzlich verankerte und geförderte Klimaschutzstrategie. Treibende Kraft bei dieser Umwertung war sicher die EU-Kommission in Brüssel. Sie fand aber bald mächtige Verbündete in den Energiekonzernen, deren angestammtes Metier die Großstromerzeugung aus Kohle und Kernkraft ist. Je schwieriger es wurde, neue Kernkraftwerke zu bauen, desto mehr freundeten sie sich mit den horrenden Kosten und Nachteilen von CCS an. Eine EU-einheitliche Gesetzgebung und der Emissionshandel würden schließlich dafür sorgen, daß sie die Mehrkosten auf Stromverbraucher und Steuerzahler abwälzen könnten.
Als internationale Propaganda-Plattform und gemeinsamen Ansprechpartner für die EU-Kommission gründeten Energiekonzerne und Anlagenbauer bereits 2005 die "Zero Emissions Platform". Zwei Jahre später bündelten die vier deutschen Energiekonzerne und drei Kraftwerksbauer ihre CCS-Propaganda im "Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk (IZ Klima)". Gründungsmitglieder waren Alstom Power, EnBW, E.ON, Hitachi Power Europe, RWE Power, Siemens Power Generation und Vattenfall Europe. Ziel des PR-Vereins ist "die Verbreitung von Informationen über Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 sowie die Reduzierung des umweltschädlichen Klimagases durch die Förderung eines ökologisch-innovativen und effizienten Umgangs mit den natürlichen Ressourcen im industriellen Kontext". Da der Verein als gemeinnützig anerkannt ist, können die Unternehmen ihre Zuwendungen von der Steuer absetzen.
In Deutschland sah die seit 2002 geltende Neufassung des Atomgesetzes nicht mehr - wie früher - die Förderung der Kernenergie, sondern deren geordnete Beendigung vor (020404). Die dadurch entstehende Erzeugungslücke wollte die Stromwirtschaft durch den Bau neuer konventioneller Wärmekraftwerke schließen. Ab 2003 stiegen deshalb wieder die Investitionen in Kraftwerke, die seit 1993 fast kontinuierlich zurückgegangen waren und 2002 weniger als die Hälfte des Stands von 1995 erreicht hatten (050113). Und diese Investitionen flossen fast nur in Kohle- und Gaskraftwerke, die CO2 emittieren und damit zur Verschärfung des Klimaproblems beitragen.
So soll das Braunkohlekraftwerk in Hürth aussehen, das "Pre-Combustion" mit integrierter Kohlevergasung ermöglicht. Im September 2008 wurde der Grundstein gelegt. Ein Jahr später stoppte RWE jedoch das Projekt, um Druck für noch mehr Subventionen zu machen und erst einmal die Entwicklung bei Transport und Speicherung abzuwarten. Das abgeschiedene CO2 soll nämlich von Hürth über eine Pipeline in ein ausgedientes Erdgaslager in der Nordsee geleitet werden. Es handelt sich um einen komplett neuen Kraftwerksbau (gelb umrandete Montage). Dahinter sieht man das alte Goldenberg-Kraftwerk, das 1914 als eines der ersten Großkraftwerke ans Netz ging. Die Abgase der Braunkohleverstromung ließen früher in weitem Umkreis die Wäsche auf der Leine schwarz werden. Inzwischen wurde Goldenberg nicht nur mit Rauchgasreinigung ausgerüstet, sondern auch auf die effektivere Wirbelschicht-Feuerung umgestellt. Foto RWE
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Der Boom beim Bau neuer Kohle- und Gaskraftwerke (050409, 051110) beruhte indessen nicht allein auf Ersatzbedarf bzw. Versorgungslücken, die längerfristig durch den gesetzlich fixierten Ausstieg aus der Kernenergie entstehen würden. Er wurde auch allgemein durch die Liberalisierung des Energiemarktes angeheizt, da die Stromerzeugung - im Unterschied zum Netzbetrieb - nicht der Regulierung unterlag und so zur wichtigsten Profitquelle der Energiekonzerne wurde (060112). Außerdem bauten nun auch kleinere Stromversorger eigene Kraftwerke, um von den Großhandelspreisen und möglichen Börsenmanipulationen unabhängiger zu werden. Es handelte sich dabei in der Regel um GuD-Kraftwerke zur Abdeckung des schwankenden Bedarfs oberhalb der Grundlast. Die 53 Kraftwerke und Kraftwerkserweiterungen, die von 2001 bis 2007 neu in Betrieb gingen, wurden deshalb fast zu drei Vierteln mit Erdgas befeuert. Bei Berücksichtigung der Kraftwerksleistung erreichte Erdgas einen Anteil von fast zwei Dritteln. Insgesamt bestritten Gas und Kohle 78 Prozent der im Bau befindlichen Kraftwerkskapazität (080209).
Dann setzte sich die besonders CO2-trächtige Kohle an die Spitze: Anfang 2009 befanden sich in Deutschland 31 Kraftwerke mit Leistungen zwischen 20 und 2100 MW im Bau, die zu 94 Prozent fossil befeuert wurden. Den größten Anteil hatte die Steinkohle mit 55 Prozent, gefolgt von Braunkohle mit 21 Prozent und Erdgas mit 18 Prozent. Der Rest entfiel auf Gichtgas (2,3 %), Müll (1,6 %), Laufwasser (0,7 %), Pumpspeicher (0,6 %) und Solarstrom (0,4 %). Bei weiteren fünfzig Vorhaben dieser Größenordnung, die sich noch im Planungsstadium befanden, hatten die drei fossilen Energieträger einen Anteil von 75 Prozent, wobei nun jedoch Erdgas (34 %) vor Steinkohle (30 %) und Braunkohle (11 %) wieder an erster Stelle rangierte (090110).
Zu Beginn des Jahrzehnts gerierten sich die Energiekonzerne noch als Investoren, die mit dem Bau neuer Kraftwerke Aufträge und Arbeitsplätze zu vergeben hätten und deshalb umworben sein wollten. Selbstbewußt verlangten sie sogar eine weitgehende "Planungssicherheit" für ihre neuen CO2-Emittenten. Die Bedrohung erblickten sie vor allem in der Konkurrenz durch regenerative Stromquellen, die bei zu starker Subventionierung die Wirtschaftlichkeit der neuen Kohle- und Gaskraftwerke gefährden würden (040110).
Die Umweltbewegung griff indessen den Fehdehandschuh auf und warf ihn zurück, indem sie den Bau neuer konventioneller Wärmekraftwerke als Sabotage am Klimaschutz und Blockade der regenerativen Stromerzeugung anprangerte. Besonders attackierte sie die Kohlekraftwerke, bei denen die spezifischen CO2-Emissionen pro Kilowattstunde am höchsten sind. Als Alternativen wurden die Forcierung der erneuerbaren Stromerzeugung, der Bau von noch mehr gasbefeuerten GuD-Kraftwerken mit hohem Wirkungsgrad und relativ geringen CO2-Emissionen sowie die Ausdehnung der Kraft-Wärme-Kopplung genannt. Aus Sicht der Energiewirtschaft waren das aber eher undurchdachte Patentrezepte. "Es ist leichtfertig, daß Deutschland immer mehr auf Gas setzt, während Rußland Kohlekraftwerke baut, um Gas exportieren zu können", kritisierte etwa RWE-Chef Großmann einen der Schwachpunkte.
Die Kraftwerksbauer gerieten so unversehens in die Defensive. Im Saarland verhinderte ein Bürgerentscheid das Steinkohlekraftwerk Endorf, das RWE errichten wollte (071119). In Hamburg kam es zu einem erbitterten Streit um die Genehmigung des Steinkohlekraftwerks Moorburg, das Vattenfall plante (090708). Von ähnlicher politischer Brisanz war der Konflikt um den bereits begonnenen Bau des E.ON-Steinkohlekraftwerks am Standort Datteln (100710). Starker Widerstand regte sich auch in Greifswald an der Ostsee, wo der dänische Dong-Konzern schließlich auf die Verwirklichung seines geplanten Steinkohlekraftwerks verzichtete (091207).
In diesem energiepolitischen Umfeld wurden die Kraftwerksbetreiber noch geneigter, sich mittels CCS aus der Affäre zu ziehen. Natürlich durften sie die Abscheidung und Speicherung von CO2 nicht als dauerhafte Lösung präsentieren. Vielmehr galt es, dieses Verfahren als notwendige "Brückentechnologie" darzustellen, bis die erneuerbaren Energiequellen tatsächlich in der Lage sind, den Strombedarf zu decken.
Der Anlagenbauer Siemens ist bei allen drei CCS-Verfahren im Geschäft. Zum Beispiel untersucht er in dieser Laboranlage in Frankfurt Höchst CO2-Waschmittel, die das Gas besonders gut binden und bei Temperaturerhöhung wieder abgeben. Foto Siemens
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In Deutschland entdeckten vor allem die großen Kohleverstromer Vattenfall, RWE und E.ON die drei unterschiedlichen CCS-Technologien, die eine Abscheidung des Kohlendioxids entweder vor der Verbrennung ("Pre-Combustion"), während der Verbrennung ("Oxyfuel") oder nach der Verbrennung ("Post-Combustion") ermöglichen. Die kleinere Energie Baden-Württemberg (EnBW) beließ es vorläufig bei der Unterstützung von universitären Forschungsprojekten zur Entwicklung des Oxyfuel-Verfahrens für Steinkohlekraftwerke.
Als erster kündigte Vattenfall im Mai 2005 an, am Braunkohlekraftwerk "Schwarze Pumpe" eine Pilotanlage zur CO2-Abscheidung nach dem Oxyfuel-Verfahren zu errichten (050509). Dabei wird das Kohlendioxid während der Verbrennung abgetrennt, indem man die Kohle mit fast reinem Sauerstoff statt mit normaler Luft verbrennt. Noch vor der Inbetriebnahme dieser Pilotanlage im September 2008 (080912) beschloß Vattenfall außerdem, im großtechischen Maßstab zwei unterschiedliche CCS-Verfahren an einem der sechs 500-MW-Blöcke des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde zu erproben: Neben dem Oxyfuel-Verfahren die nachträgliche Rauchgaswäsche ("Postcombustion") (080513). Dabei wird das Rauchgas durch eine flüssige Reinigungssubstanz geleitet, die das CO2 aufnimmt. Parallel sollten zwei unterschiedliche Arten der Abspeicherung erfolgen.
Im April 2006 gab der RWE-Konzern bekannt, daß er auf das "Pre-Combustion"-Verfahren setzen will, bei dem die Kohle bereits vor der Verbrennung durch einen Vergasungsprozeß in ein Gemisch aus CO2 und Wasserstoff umgewandelt wird. Das CO2 kann dann abgetrennt und der Wasserstoff als Brennstoff für die Stromerzeugung genutzt werden (060412). Er knüpft damit an die Technik der Kohlevergasung an, die weltweit bisher nur in vier Anlagen praktiziert wird (940418). Bereits in den neunziger Jahren hatte RWE auf dieses Basis ein genehmigungsreifes Kombikraftwerk für Braunkohle (KoBra) entwickelt, das dann aber zugunsten des Braunkohlekraftwerks mit optimierter Anlagentechnik (BoA) wieder in der Schublade verschwand (980311). Die KoBra-Technik sollte einst eine ähnliche Erhöhung des Wirkungsgrads der Braunkohleverstromung erhöhen wie die BoA-Anlagen, die bisher in Niederaußem und Neurath realisiert wurden bzw. kurz vor der Vollendung stehen (020911, 060212). In der neuen Version sinkt der Wirkungsgrad des Braunkohlekraftwerks allerdings unter den einer herkömmlichen Anlage. Dafür wird die Abscheidung von CO2 ermöglicht.
Im Sommer 2008 wurde am Standort Hürth im Beisein der Bundeskanzlerin der Grundstein für eine derartige "Pre-Combustion"-Anlage mit integrierter Kohlevergasung gelegt, die 450 MW erbringen und bis Ende 2014 fertig sein sollte (080912). Das Projekt stand zunächst gemeinsam mit Jänschwalde auf der Liste der von der EU geförderten CCS-Projekte (090503). Dann stoppte der RWE-Konzern das Vorhaben aber vorläufig, weil er erst die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht abwarten wollte und überhaupt die notwendige Akzeptanz der CCS-Technologie noch nicht gegeben sah (091110). Anscheinend befürchtete er, daß es beim Bau der geplanten CO2-Pipelines und der Erschließung geeigneter Lagerstätten noch ernsthafte Probleme geben könnte. Jedenfalls schlug er nun beim Bau der Anlage eine wesentlich langsamere Gangart ein. Er verzichtete dafür sogar auf die Hälfte der EU-Subventionen für deutsche CCS-Projekte. Die dafür bereitgestellten 180 Millionen Euro bekam deshalb in vollem Umfang Vattenfall für die beiden CCS-Projekte in Jänschwalde (100313).
RWE will sich aber nicht allein auf "Pre-Combustion" verlassen. Parallel dazu betreibt der Konzern am Standort Niederaußem ein Projekt zur nachträglichen Abscheidung von CO2 aus den Rauchgasen (090305). Die Kosten von neun Millionen Euro werden zu vierzig Prozent vom Bundeswirtschaftsministerium getragen. Mit dieser "Post-Combustion"-Technik würde die Nachrüstung bestehender Anlagen noch einfacher als mit dem Oxyfuel-Verfahren. Dagegen erfordert die integrierte Kohlevergasung – sie wird auch als Integrated Gasification Combined Cycle, kurz IGCC bezeichnet – einen kompletten Kraftwerksneubau. Die Nachrüstung von "Pre-Combustion" wäre deshalb allenfalls bei den weltweit vier IGCC-Anlagen möglich, von denen keine einzige in Deutschland steht.
Im übrigen weisen alle drei Verfahren eine ganze Reihe von Vor- und Nachteilen auf, deren endgültige Abwägung erst aufgrund praktischer Erfahrungen möglich sein wird. Der E.ON-Konzern behält deshalb alle Wege im Auge, legt aber den Schwerpunkt auf "Post-Combustion". Im März 2009 gab er gemeinsam mit Siemens die Errichtung einer Pilotanlage zur CO2-Abscheidung am Kraftwerk Staudinger bekannt (090305). Sie wurde im September desselben Jahres in Betrieb genommen. Auch hier trägt das Bundeswirtschaftsministerium zum großen Teil die Kosten.
Wie für die Abscheidung gibt es auch für den Transport von Kohlendioxid verschiedene Möglichkeiten. CO2 läßt sich nicht nur gasförmig transportieren, sondern geht bei einer Temperatur von minus 78,5 Grad unmittelbar in den festen Zustand über ("Trockeneis"). Unter Druck kann es auch verflüssigt werden. Beispielsweise transportiert Vattenfall das abgeschiedene CO2 aus dem Kraftwerk "Schwarze Pumpe" in flüssiger Form mit Tankwagen zu den Speichern der beiden Pilotprojekte "Altmark" und "CO2SINK" (Ketzin). Für die großtechnische Anwendung dürfte allerdings nur der Transport per Pipeline in Frage kommen. Es müßten also ein aufwendiges Netz von CO2-Pipelines errichtet werden, um das CO2 von den Kraftwerken oder Großfeuerungsanlagen der Industrie zu den Speicherstätten zu bringen.
Um das Problem der Abspeicherung zu lösen, untersucht die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) seit dem Jahr 2000 gemeinsam mit der Industrie zwei Möglichkeiten im Untergrund: Die eine ist die Nutzung von ehemaligen Erdgas- und Öllagerstätten, die bereits ihre Dichtigkeit bewiesen haben; die andere ist die Injektion des abgeschiedenen CO2 in tiefliegende poröse Gesteinsschichten, die nach oben von einem Deckgebirge abgeschlossen werden.
Bei der Verpressung in erschöpfte Gaslagerstätten könnte das CO2 zugleich als Treibmittel dienen, um sonst nicht mehr rentabel förderfähige Restmengen an Erdgas zu gewinnen. Das ist beispielsweise beim Pilotprojekt "Altmark" der Fall, bei dem Vattenfall mit GDF Suez zusammenarbeitet. Im Rahmen des von der EU in Holland geförderten Demonstrationsprojektes ist ferner vorgesehen, ein ausgefördertes Gasfeld in der Nordsee mit CO2 zu befüllen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schätzt die Speicherkapazität erschöpfter Erdgasfelder in Deutschland auft etwa 2,75 Milliarden Tonnen. Bei den erschöpften Erdöllagerstätten sind es dagegen nur etwa 130 Millionen Tonnen.
Hauptsächlich wird aber geprüft, ob man CO2 in tiefliegenden, Salzwasser führenden Sandsteinschichten ablagern kann. Aufgrund ihrer tiefen Lage und des hohen Salzgehaltes sind diese "salinen Aquifere" nicht für die Trinkwassergewinnung geeignet. Sie bieten in Deutschland das größte Speicherpotential: Die BGR schätzt es auf grob 20 Milliarden Tonnen CO2. Kritiker befürchten allerdings, daß das CO2 bei der Verpressung einen Teil des Salzwassers aus den Gesteinsporen verdrängen würde. Dadurch komme es zwangsläufig zu ausgedehnten Versalzungen höherer Süßwasser-Stockwerke, was die Versorgung mit Trink- und Brauchwasser gefährde. In diese Kategorie gehört das EU-Projekt "CO2SINK" bei Ketzin, das im März 2010 abgeschlossen und von Vattenfall fortgeführt wurde.
Zusammenfassend läßt sich feststellen:
Anmerkungen
(1) Rainer Grießhammer, Christian Hey, Peter Hennicke, Fritz Kalberlah, Ozonloch und Treibhauseffekt, Ein Report des Öko-Instituts, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1989 (Seite 97)
(2) "Wie funktioniert das? - Die Umwelt des Menschen, herausgegeben und bearbeitet von Meyers Lexikonredaktion, 1989 (Seite 552)
(3) Walter Seifritz, Der Treibhauseffekt - Technische Maßnahmen zur CO2-Entsorgung, Carl Hanser Verlag, 1991 (Seite 11)
(4) Peter Borsch, Hermann Josef Wagner, Energie und Umweltbelastung, Springer-Verlag, 1992 (Seite 134)
(5) Mehr Zukunft für die Erde, Bericht der Enquête-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", Bundestagsdrucksache 12/8600 vom 31.10.1994 (PDF, Seite 259)
(6) Falsche Hoffnung - Warum CO2-Abscheidung und -Lagerung das Klima nicht retten werden (PDF, 39 Seiten)
(7) RECCS - Strukturell-ökonomischer Vergleich regenerativer Energietechnologien (RE) mit Carbon Capture and Storage (CCS) (PDF, 249 Seiten)
(8) Pressemitteilung der EU-Kommission vom 25. Juni 2003, IP/03/892, HTML
(9) "Vorschlag für eine Richtlinie über die geologische Speicherung von Kohlendioxid - Fragen und Antworten" vom 23. Januar 2008 (MEMO/08/36) HTML
(10) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zur CO2-Abscheidung und -Lagerung bei Kraftwerken, Bundestagsdrucksache 16/9896 vom 1.7.2008 (PDF, 76 Seiten)
Link-Listen der ENERGIE-CHRONIK zu diesem Thema: