April 2011 |
Hintergrund |
ENERGIE-CHRONIK |
In den neunziger Jahren war Importsteinkohle fast viermal billiger als Steinkohle aus deutscher Förderung. Ab 2004 kam es dann aber zu einem starken Preisanstieg, der die Differenz zur subventionierten deutschen Steinkohle verringerte. Der RAG-Konzern nutzte diese Gelegenheit, um für die Fortführung des deutschen Steinkohle-Bergbaues zu werben.
(Quelle: BAFA; die Mengen-Daten
für 1991 und 1992 sind lückenhaft und deshalb gestrichelt)
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(zu 110409)
Mit der Steinkohle als Brennstoff begann einst das Industriezeitalter. Sie lieferte die Energie für Dampfmaschinen aller Art, mit denen auch Strom erzeugt werden konnte. Zudem wurde sie als Kokskohle unentbehrlich für die Stahlindustrie. Noch nach dem zweiten Weltkrieg war die deutsche Steinkohle-Förderung so wichtig, daß sie 1952 gemeinsam mit der Stahlindustrie in den überstaatlichen gemeinsamen Markt der "Montanunion" eingebracht wurde, aus dem später die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Union (EU) hervorgingen. Vor allem der Nachbar Frankreich, der kaum über Kohle verfügte, wollte sich auf diese Weise die Teilhabe sichern. Der Mangel an Kohle veranlaßte Frankreich auch, seine Stromerzeugung zunächst auf Wasserkraft und dann auf Kernenergie zu orientieren.
Im Unterschied zur energetisch geringerwertigen Braunkohle, die im Tagebau gefördert werden kann, muß die Steinkohle unter Tage abgebaut werden. Zumindest in Deutschland. Der dafür erforderliche Aufwand wurde aber immer größer, je mehr die leichter zugänglichen Flöze erschöpft waren. Seit einem 1957 erreichten Höhepunkt ging es deshalb mit der deutschen Steinkohle nur noch abwärts. Es handelte sich dabei um ein exklusiv westdeutsches Problem, denn in Ostdeutschland gab es sowieso keine nennenswerten Steinkohlevorkommen. Die Energiewirtschaft der DDR fußte bis zuletzt im wesentlichen auf Braunkohle.
In der Bundesrepublik war die Steinkohle schon ab den sechziger Jahren nicht mehr konkurrenzfähig. Zuerst wurde sie vom Öl verdrängt, das damals noch billig und reichlich floß, und dann von der wesentlich billigeren Import-Steinkohle. Während es 1957 noch 135 Zechen mit mehr als 600.000 Beschäftigten gab, sank bis1969 sank die Zahl der Bergwerke um zwei Drittel und die Jahresförderung fast um die Hälfte. Der Bundestag beschloß deshalb in den Jahren 1965, 1966 und 1974 drei Gesetze, um die weitere Verstromung deutscher Steinkohle sicherzustellen. Mit dem dritten Verstromungsgesetz von 1974 wurde der sogenannte Kohlepfennig als Aufschlag auf den Strompreis eingeführt, um die Mehrkosten der Steinkohle-Verstromung zu finanzieren. Außerdem verpflichtete sich die deutsche Elektrizitätswirtschaft 1980 im sogenannten Jahrhundertvertrag mit dem Bergbau, bis 1995 eine in fünfjährigen Abstand zunehmende Menge an Steinkohle zu verstromen. Der Jahrhundertvertrag belastete den Strompreis zusätzlich, da der Kohlepfennig nur etwa zwei Drittel der entstehenden Mehrkosten deckte.
Die Stromversorger empfanden den politisch auferlegten Jahrhundertvertrag als ebenso lästig wie den Kohlepfennig (910908). Ende 1991 einigten sich Wirtschaft und Politik auf eine Verringerung der subventionierten Steinkohle-Mengen bis zum Jahr 2000 (911101). Ein Jahr später präsentierte die EG-Kommission erstmals Pläne für einen schrittweisen Abbau der Subventionen im Steinkohlenbergbau (921106). Im Herbst 1993 beschloß die Bonner Regierungskoalition aus Union und FDP, die Subventionierung der deutschen Steinkohleförderung in den Jahren 1997 bis 2000 auf jährlich sieben Milliarden DM zu begrenzen (931003), was beim damaligen Preisabstand zur Importkohle (931102) die Verstromung von jährlich rund 35 Millionen Tonnen deutscher Steinkohle bedeutete. Das 1994 vom Bundestag beschlossene Energie-Artikelgesetz band die Subventionierung der Steinkohleverstromung erstmals nicht mehr an bestimmte Fördermengen, sondern an Festbeträge (940401). Im Dezember 1994 erklärte jedoch das Bundesverfassungsgericht den "Kohlepfennig" für unvereinbar mit dem Grundgesetz, wodurch das bisherige finanzielle Fundament der Steinkohle-Subventionierung entfiel (941201).
Nachdem der "Kohlepfennig" vom Bundesverfassungsgericht untersagt worden war, gab es Pläne zur ersatzweisen Einführung einer Energie- oder Stromsteuer, die dann aber zugunsten einer reinen Haushaltslösung fallen gelassen wurden (941202, 950101). Zunächst bestand zwischen Regierung und Opposition Einvernehmen, die Subventionierung der Steinkohle in dem vom Energie-Artikelgesetz vorgesehenen Rahmen aufrechtzuerhalten (950302). Als die Regierungskoalition davon abrückte und massive Abstriche erwog, kam es zu Massenprotesten von Bergleuten (970207). Im März 1997 einigten sich Bund, Kohleländer, Bergbau und Gewerkschaft auf einen Kompromiß, der vorsah, die öffentlichen Hilfen von derzeit jährlich rund 10 Mrd. Mark bis zum Jahr 2005 auf 5,5 Mrd. Mark zu reduzieren (970302). Im November 1997 wurde dieser Kompromiß - soweit es um die insgesamt 46,2 Milliarden Mark aus der Bundeskasse ging - mit großer Mehrheit von allen Parteien des Bundestages in Form des Steinkohlebeihilfengesetzes gebilligt (971103). Das Gesetz löste das fünfte Verstromungsgesetz ab. Es gewährte für die Jahre 1998 bis 2000 jeweils 7 Milliarden Mark. Bis 20005 verringerten sich die Beihilfen dann schrittweise auf 3,8 Milliarden Mark.
Wie diese Grafik zeigt, wird Steinkohle größtenteils für die Stromerzeugung genutzt. Die Menge der verstromten Steinkohle hat sich von 1991 bis 2009 nicht wesentlich verändert. Dagegen sank in diesen 18 Jahren der Anteil der deutschen Förderung am Gesamtaufkommen von 78 auf 25 Prozent. Die restlichen 75 Prozent waren Importe. Wenn der deutsche Steinkohlebergbau 2018 endet, wird der Steinkohle-Verbrauch zu hundert Prozent aus Importen bestehen. (Quelle: Energie-Daten, BMWi)
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Die verbliebenen Zechen an der Ruhr wurden 1969 in der damals gegründeten Ruhrkohle AG zusammengefaßt, die sich seit 1997 "RAG Aktiengesellschaft" nannte. In einem weiteren Schritt kam es 1998 zur Gründung der "Deutsche Steinkohle AG", die auch die Zechen an der Saar unter dem Dach der RAG zusammenfaßte (980915, 020514). Die Förderung verteilte sich Ende 2001 auf zwölf Bergwerke mit rund 52.600 Beschäftigten, von denen 24.300 unter Tage arbeiteten.
Neben diesem hochsubventionierten und tendenziell schrumpfenden Bergbau-Bereich, der stark von der Politik abhängig war, besaß die RAG eine Reihe weiterer Unternehmen, die normal am Markt agierten, aber mit dem größten Teil ihrer Erlöse die defizitäre Deutsche Steinkohle AG stützen mußten. Dazu gehörten etwa das internationale Bergbau-Geschäft, die RAG-Töchter Steag, Rütgers, Saarberg und die RAG Immobilien. Bis 2002 besaß die RAG auch eine größere Beteiligung an der Ruhrgas AG, die im Austausch gegen die Degussa an den E.ON-Konzern abgegeben wurde (030101).
Im Jahr 2003 gab es noch zehn Zechen mit rund 42.000 Bergleuten, davon acht in Nordrhein-Westfalen und zwei im Saarland. Kurz darauf kam es zu einem starken Preisanstieg für Importkohle. Dies verringerte die Preisdifferenz zur deutschen Förderung, die etwa 150 Euro pro Tonne kostete, während die Importkohle lange Zeit für etwa 40 Euro pro Tonne zu haben war. Auch Öl und Gas wurden deutlich teurer. Die RAG Deutsche Steinkohle AG nutzte diesen Preisanstieg, um sich als einheimischer Kohle- und Kokslieferant zu empfehlen (040511). Unter der Leitung des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller (030404) gab sie von 2003 bis 2006 viel Geld dafür aus, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer weiteren Subventionierung dieses heimischen Energieträgers zu überzeugen (031014). Der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung unterstützte sie dabei (040912). RAG-Chef Müller wollte sogar demonstrativ die Genehmigung für ein neues Kokskohle-Bergwerk beantragen (050406). Der Rechnungshof beanstandete den Reklamefeldzug für die Steinkohle als Vergeudung von Steuergeldern (050804). Vermutlich ging es Müller bei seinem Reklamefeldzug hauptsächlich darum, die Unterstützung der Steinkohle-Lobby für seine Pläne zur Umstrukturierung des RAG-Konzerns zu gewinnen. Wie stark diese Lobby noch war, zeigte auch die Forderung der SPD nach langfristiger Beibehaltung eines "Sockelbergbaues" (061106).
Seit 2005 gab es Pläne, die profitablen Bereiche des RAG-Konzerns mit Degussa, Steag etc. abzuspalten und in einer separaten Gesellschaft an die Börse zu bringen (050405, 060809). Im August 2007 erklärten sich alle bisherigen RAG-Großaktionäre zur Abtretung ihrer Anteile an die neu gegründete RAG-Stiftung bereit (070811). Politisch flankiert wurde der Umbau des RAG-Konzerns durch das "Steinkohlefinanzierungsgesetz" (070911). Seit September 2007 firmieren die profitablen Bereiche des ehemaligen RAG-Konzerns als "Evonik Industries AG", während der hochdefizitäre Bergbaubereich bei der RAG Deutsche Steinkohle AG verblieb (070907). Beide Unternehmen gehören der RAG-Stiftung, die mit den Erlösen aus dem Evonik-Konzern satzungsgemäß zur Subventionierung der deutschen Steinkohle beiträgt sowie die nach Schließung der letzten Zeche verbleibenden "Ewigkeitslasten" abdecken soll.
Bereits Ende 2003 beschloß die damalige rot-grüne Bundesregierung eine Anschlußregelung für das Steinkohlebeihilfegesetz, das von 1998 bis 2005 insgesamt 46 Milliarden Mark an Subventionen gewährte. Sie sah vor, den Bergbau von 2006 bis 2012 mit bis zu 15,87 Milliarden Euro zu unterstützen (031115). Weil sich die Grünen von ihrem Koalitionspartner SPD übergangen fühlten, bekam der entsprechende Haushaltstitel aber vorläufig einen Sperrvermerk, der erst ein halbes Jahr später aufgehoben wurde (040514). Ende 2004 sicherte die Bundesregierung den Bergbauunternehmen verbindlich zu, daß sie von 2006 bis 2008 mit insgesamt 7,3 Milliarden Euro subventioniert würden (041215).
Bisher hatte man sich darauf beschränkt, die Subventionen schrittweise zu reduzieren. Im Februar 2007 kam es zu einer grundsätzlichen Einigung darüber, die deutsche Steinkohle-Förderung im Jahr 2018 ganz zu beenden (070203). Ein halbes Jahr später wurde diese Einigung im Steinkohlefinanzierungsgesetz fixiert (071110). Das Gesetz stellt von 2009 bis 2018 insgesamt über 13 Milliarden Euro zur Stützung des deutschen Steinkohlebergbaues zur Verfügung, wobei die jährlichen Beihilfen schrittweise von 1,7 auf 0,94 Milliarden abgesenkt werden. Hinzu kommen weitere 0,8 Milliarden für Kosten, die den Bergbauunternehmen 2019 aus der dauerhaften Stillegung ihrer Zechen entstehen.
Auf Drängen der SPD enthielt das Gesetz allerdings eine Revisionsklausel, die in abgeschwächter Form die Forderung nach Beibehaltung eines Sockelbergbaues wiederholte. Ihr zufolge wäre der Bundestag verpflichtet gewesen, im Jahre 2012 auf Grundlage eines Berichts der Bundesregierung eine weitere Förderung des Steinkohlebergbaues zu prüfen.
Auch sonst war der Kohle-Kompromiß ganz unter innenpolitischen Erwägungen geschlossen worden. Das Steinkohlefinanzierungsgesetz ignorierte von Anfang an, daß die seit 2002 geltenden EU-Verordnung über staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau lediglich bis Ende 2011 befristet war. Im Juli 2010 legte die EU-Kommission zwar den Entwurf einer neuen Verordnung vor, wollte aber die Gewährung von Beihilfen nur noch bis Oktober 2014 erlauben (100707). Es kostete die Bundesregierung viel Mühe, diesen Beschluß zu revidieren und doch noch eine Verlängerung bis 2018 zu erreichen (101206). Die Revisionsklausel paßte nun überhaupt nicht mehr in die Landschaft und wurde von der Bundesregierung demonstrativ geopfert (101115). Im März 2011 beschloß auch der Bundestag die Streichung der entsprechenden Vorschrift in § 1 Abs. 2 des Steinkohlefinanzierungsgesetzes (110409).
Die Steinkohle trug bisher nach Kernenergie und Braunkohle am meisten zur Stromerzeugung bei. Ihre Domäne ist jedoch nicht die Grundlast, sondern die Mittellast. In diesem Bereich konkurriert sie mit Gasen und Erneuerbaren, weshalb ihr Anteil an der Stromerzeugung neuerdings deutlich zurückging. (Quelle: Energie-Daten, BMWi)
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