März 1997

970302

ENERGIE-CHRONIK


Bergleute erzwingen mit Massenprotesten höhere Subventionen für die Steinkohle

Nach Massenprotesten der Bergleute ist die Bundesregierung von ihren ursprünglichen Plänen zur drastischen Reduzierung der Subventionen für die deutsche Steinkohle abgerückt (siehe 970207). Am 13.3. einigten sich Bund, Kohleländer, Bergbau und Gewerkschaft auf einen Kompromiß, der vorsieht, die öffentlichen Hilfen von derzeit jährlich rund 10 Mrd. DM bis zum Jahr 2005 auf 5,5 Mrd. DM zu reduzieren. Der Bund wird zusätzlich zu den bereits angebotenen 55,3 Mrd. DM weitere 1,65 Mrd. an Finanzierungshilfen bezahlen. Außerdem übernimmt er für das Saarland, das praktisch zahlungsunfähig ist, Hilfen von insgesamt 1,6 Mrd. DM. Ferner wird Nordrhein-Westfalen zusätzlich zu den bereits zugesagten 8,86 Mrd. DM weitere 750 Millionen DM bereitstellen. Die Ruhrkohle AG steuert aus Gewinnen, die sie in anderen Geschäftsbereichen erzielt, eine Milliarde DM bei. Insgesamt ergibt sich so für den Zeitraum von 1997 bis 2005 ein Finanzrahmen von 69,16 Mrd. DM zur Subventionierung der deutschen Steinkohle. Die Regelung wird zur Folge haben, daß bis zum Jahr 2005 rund die Hälfte der derzeit noch 85 000 Arbeitsplätze im Bergbau beseitigt wird. Betriebsbedingte Kündigungen sollen den Kumpeln dennoch erspart bleiben (Handelsblatt, 14.3.; FAZ, 14.3.).

Die Übernahme der saarländischen Kohlebeihilfen durch den Bund erfolgt unter der Voraussetzung, daß das Saarland seine Beteiligung an der Saarbergwerke AG an die Ruhrkohle AG abgibt. Die Bundesregierung äußerte ferner die Erwartung, daß es auf der Basis des erzielten Kohlekompromisses auch zu einer Verständigung beim Thema Entsorgung/Kernkraftwerke kommen werde.

Kumpels umstellten Parteibüros und durchbrachen Bannmeile um den Bundestag

Auf das erste Bonner Angebot vom 6.3., wonach die Subventionen bis 2005 auf 3,8 Milliarden Mark gesenkt worden wären, hatten die Bergleute mit einem Proteststurm reagiert: Sämtliche Zechen wurden besetzt. Im Saarland blockierten Kumpel tagelang eine Autobahn. Auch in Nordrhein-Westfalen kam es zu Autobahn-Blockaden, einige Rathäuser und CDU-Parteibüros wurden besetzt. Ferner gab es Mahnwachen und ökumenische Gottesdienste. Die SPD solidarisierte sich mit den Kumpels, indem sie demonstrativ einen für 8.3. anberaumten Steuergipfel mit der Koalition absagte. Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste, als Tausende von Bergleuten nach Bonn fuhren, wo sie die Parteizentralen von FDP und CDU umstellten und abriegelten. Als daraufhin Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 11.3. ein geplantes Gespräch mit IG Bergbau-Chef Hans Berger absagte, weil er nicht "unter dem Druck der Straße" verhandeln wollte, durchbrachen einige hundert Kumpel die Polizeiabsperrungen und drangen in die Bannmeile um den Bundestag ein (FAZ, 8. 3.- 12. 3.).

Die Süddeutsche Zeitung (12.3.) kommentierte: "Erstmals in Bonn nahmen Demonstranten direkt Einfluß auf die Politik. Auf vielfältige Weise dokumentierten sie die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung und der Parteien."

Im Spiegel (17.3.) hieß es: "Das Gespür für die Wirklichkeit seines Landes ist dem Kanzler offenbar zunehmend abhanden gekommen. Die Wucht der Kumpel-Wut hatte die Kohle-Planer im Bonner Treibhaus ebenso überrascht wie die heftige Reaktion der Sozialdemokraten auf die Kürzungspläne der Regierung."