September 2019

190903

ENERGIE-CHRONIK


 

Der überschießende Solar-Boom der Jahre 2009 bis 2012 bewirkte monatliche Zubau-Raten bis 3.000 Megawatt. Er kam deshalb zustande, weil die Politiker es unterlassen hatten, die Höhe der Förderung rechtzeitig den sinkenden Anlagenkosten anzupassen. Als sie dann umso rabiater kürzten und sogar die mittelfristige Beendigung der Solarförderung beschlossen, sank der Zubau noch unter den gesetzlich vorgesehenen "Zielkorridor".

Solardeckel soll endlich abgeschafft werden

Die "Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030", die jetzt von der schwarz-roten Koalitionsregierung vorgelegt wurden, enthalten neben einem völlig verkorksten Einstieg in die CO2-Bepreisung von Heiz- und Kraftstoffen einen umfangreichen Katalog von insgesamt sehr teuren und mitunter fragwürdigen Einzelmaßnahmen, die großteils eher wie ein aus Steuergeldern finanziertes Konjunkturprogramm anmuten (190902). Unstrittig sinnvoll und längst überfällig ist jedoch eine dieser Maßnahmen, die auf den 22 Seiten nur mit einem einzigen Satz erwähnt wird: "Der derzeit noch bestehende Deckel von 52 GW für die Förderung des Ausbaus von PV-Anlagen wird aufgehoben." Damit besteht begründete Aussicht, dass endlich eine gesetzgeberische Altlast aus dem Jahr 2012 verschwindet, die ab dem kommenden Jahr den weiteren Zubau von solaren Dachanlagen zur Stromerzeugung aus Sonnenenergie so gut wie zum Erliegen gebracht hätte.

Schon Anfang nächsten Jahres wird die Grenze von 50 Gigawatt erreicht sein

Die Bundesnetzagentur beziffert den bis Juli 2019 erreichten Brutto-Zubau an Solarenergie mit 48.310 Megawatt. Davon entfielen auf die ersten sieben Monate dieses Jahres 2.381 MW. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, würde das 2012 installierte Fallbeil im Februar niedersausen und den Festvergütungen für Solaranlagen den Garaus machen.

Bis vor kurzem ließ die schwarz-rote Koalition keine Bereitschaft erkennen, dies zu verhindern, obwohl die Zeit drängte und sich auch die Bundesrats-Ausschüsse für die Streichung des Solardeckels aussprachen. Stattdessen kürzte die Koalition im November 2018 mit dem "Energiesammelgesetz" die Vergütungen für Solar-Dachanlagen noch zusätzlich – gerade so, als ob sie gehofft hätte, auf diese Weise das Erreichen des Solardeckels bis nach den Bundestagswahlen verzögern zu können (181102).

Forschungsverbund verwies auf auf Widerspruch zu Klimaschutzzielen der Koalition

Zuletzt protestierte am 2. September der Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE) gegen die bisherige Untätigkeit der Koalition, die erst durch den Erfolg der Grünen bei den Europa-Wahlen im Mai bemerkt zu haben scheint, dass sie das Thema Klimaschutz grob vernachlässigte (190604). "Der im EEG von 2012 festgelegte Stopp der Einspeisevergütung durch den 52 GW-Deckel läuft dem erforderlichen massiven Ausbau der Photovoltaik und damit auch den deutschen Klimaschutzzielen diametral entgegen", stellte der FVEE fest. Ohne eine rechtzeitig getroffene Anschlussregelung führe dies zur Verunsicherung von Investoren, Industrie und Solarhandwerk und damit zur Stagnation. Auch aus ökonomischer Sicht sei die Deckelung längst nicht mehr vertretbar. In den letzten zehn Jahren seien die Systempreise für schlüsselfertige Photovoltaik-Anlagen um 75 Prozent gesunken. Parallel dazu seien die Einspeisevergütungen für neu installierte Anlagen so zurückgegangen, dass sie die Strompreise kaum noch beeinflussen. Voraussichtlich würden die solaren Stromgestehungskosten ab 2030 unter 4,7 Cent/kWh für Dachanlagen und 2,41 Cent/kWh für Freiflächenanlagen fallen. Sogar kleine Dachanlagen könnten Strom dann günstiger erzeugen als neu errichtete Steinkohle- oder Gaskraftwerke. Bis dahin würden Photovoltaik-Dachanlagen jedoch weiterhin "eine ordnungspolitische Flankierung durch das EEG benötigen".

 

Als der Bundestag 2012 das Auslaufen der Solarförderung bei einem Zubau von 50 Gigawatt beschloss, waren die Einspeisungsvergütungen pro Kilowattstunde doppelt so hoch wie heute. Die starke Degression der Fördersätze bewirkte zunächst einen steilen Rückgang der Vergütungen. Der Zubau wurde dadurch aber so gering, dass er weit unter den vorgesehenen "Zielkorridor" rutschte, was die vorgesehenen Degressionen größtenteils außer Kraft setzte. Aus diesem Grund hat zwischen 2015 und 2018 die Förderhöhe stagniert oder ist nur geringfügig gesunken. Das änderte sich erst, als der Zubau aufgrund von weiter gesunkenen Anlagenkosten wieder attraktiver wurde. Ab August 2018 griffen deshalb wieder die normale monatliche Degression um 0,5 Prozent sowie die erhöhten Abschläge, die bei Überschreitung eines "annualisierten Zubaues" von 2.500 MW fällig werden.

 

Solardeckel wurde der 2012 beschlossenen EEG-Novellierung nachträglich eingefügt

Im Juni 2012 hatte der Bundestag – mit einstimmiger Billigung aller Fraktionen bei Enthaltung der Linken – in eine bereits beschlossene Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nachträglich eine absolute Obergrenze von 52.000 Megawatt (MW) bzw. 52 Gigawatt (GW) für die installierte Gesamtleistung von Photovoltaik-Anlagen eingefügt, bei deren Erreichen die Einspeisungsvergütungen komplett entfallen (120602). Diese willkürlich festgesetzte Begrenzung entsprach mehr als dem Doppelten der damals installierten PV-Leistung, weshalb sie von Anfang an voraussichtlich erst nach acht Jahren gegriffen hätte. Sie flankierte andere Maßnahmen zur Eindämmung des Solar-Booms, der mit den monatlichen Zubauraten die seinerzeit noch recht hohen Vergütungszahlungen für Solarstrom in die Höhe trieb (siehe Grafiken 1und 2).

Dieselben Politiker hatten jahrelang mehr auf die Lobby als auf Warnungen von Fachleuten gehört

Den überschießenden Solar-Boom hatten freilich dieselben Politiker zu verantworten, die schließlich in einer Art Panikreaktion nicht nur die prinzipiell sinnvollen "Zubau-Korridore" erfanden und sukzessive verengten, sondern auch der Solarstromförderung schlechthin ein mittelfristiges Ende setzen zu müssen glaubten. Sie hatten nämlich viel zu lange gezögert, die EEG-Vergütungen den rasch sinkenden Kosten der solaren Stromerzeugung anzupassen. Das begann bereits mit der bis 2009 regierenden schwarz-roten Koalition und galt erst recht für die darauf folgende schwarz-gelbe Bundesregierung.

Da die vom Gesetzgeber vorgenommenen Abstriche nicht Schritt hielten mit der Verbilligung des Anlagenbaues und der Solarstromerzeugung, kam es schon 2007 zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung innerhalb der Solar-Szene: Die eher wissenschaftlich-ideell orientierte "Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie" (DGS) forderte eine stärkere Kürzung der Vergütungen für Solarstrom, weil die in diesem Sektor erzielten Profite sonst nur Mitnahme-Effekte für die einschlägigen Unternehmen bewirken würden. Dagegen hielt der kommerziell orientierte Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) überhaupt nichts von solchen Kürzungen, da sie logischerweise zu Lasten der Gewinne gegangen wären (070615).

Der damals registrierte Zubau von 1.271 MW war vergleichsweise bescheiden, und die EEG-Umlage belief sich auf 1,03 Cent pro Kilowattstunde, was weniger als einem Sechstel der heutigen Höhe entsprach. Vermutlich war dies der Grund, weshalb die Politiker die Brisanz nicht erkannten, die in der Warnung der DGS lag. Jedenfalls konnte die Lobby fünf Jahre lang verhindern, daß es zu wirklich wirksamen Abstrichen an der Solarförderung kam (080507).

Photovoltaik mußte als Sündenbock für den Anstieg der EEG-Umlage herhalten

Wegen des Versagens der Politik ging es auf dem Felde der Gesetzgebung zu wie beim Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel: Kaum hatte die schwarz-gelbe Koalition wieder mal eher zaghafte Abstriche vorgenommen, meldete die Photovoltaik-Branche neue Zubau-Rekorde (100403, 110101, 120101). Der Gipfel wurde in den Jahren 2010 bis 2012 erreicht, als der jährliche Zubau im Durchschnitt 7,5 Gigawatt erreichte (120101, 130203). Mit den Zubau-Raten explodierten die zu zahlenden EEG-Vergütungen, wie die DGS befürchtet hatte. Der rasche Anstieg der EEG-Umlage war allerdings nicht nur auf die gestiegenen Kosten für die EEG-Vergütungen zurückzuführen. Auch die Umstellung des EEG-Abrechnungsverfahrens und die weitgehende Befreiung der Industrie von der Umlage (140204) bewirkten eine erhebliche Mehrbelastung der Normalverbraucher (100407, 120204, 121001). In den Medien mußte nun jedoch die Photovoltaik als Sündenbock herhalten (101001).

Bei der Vollbremsung flogen auch sämtliche deutschen Solarzellen-Hersteller aus der Kurve

Die 2012 beschlossene EEG-Novelle wirkte dann so produktiv wie eine Vollbremsung aus überhöhter Geschwindigkeit: Schon 2013 wurde der in den drei Vorjahren erreichte Zubau von 7,5 GW mehr als halbiert (140508). Im zweiten Halbjahr 2014 rutsche er sogar erstmals unter den vorgesehenen Zubau-Korridor (141007). Und damit war die Fahrt in den Graben noch nicht zu Ende (170506). In ahnlicher Weise sanken die Einspeisungsvergütungen pro Kilowattstunde durch eine hart zupackende Degression, die erst ab dem vierten Quartal 2015 nicht mehr griff, weil der Zubau um mehr als 900 MW unter dem Zielkorridor lag (151105). Nebenbei wurden durch die Vollbremsung sämtliche deutschen Solarfirmen aus der Kurve getragen, die sich bis dahin eine goldene Nase verdienen konnten, ohne ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den chinesischen Herstellern von Solarmodulen zu bedenken, die von der überhöhten deutschen Solarförderung noch mehr als sie profitierten. (Siehe Hintergrund April 2012, Hintergrund November 2015 und Hintergrund Mai 2017).

Beibehaltung des Deckels würde Förderung auf kommerzielle Großanlagen beschränken

Parallel zur herkömmlichen Förderung per Einspeisevergütung bzw. Marktprämie wurden ab 2015 Ausschreibungen für Solaranlagen eingeführt (150101). Seit Anfang 2017 dürfen alle Projekte mit einer Leistung von mehr als 750 Kilowatt nur noch per Ausschreibung vergeben werden. Falls der 2012 eingeführte Zubau-Deckel von 52 Gigawatt für die Festvergütungen tatsächlich weiter gälte, würde sich die EEG-Förderung in Kürze auf solche Ausschreibungen beschränken. Die Verbraucher müssten dann über die EEG-Umlage für die Errichtung von gewerbsmäßig errichteten Großanlagen zahlen, könnten aber nicht mit finanzieller Unterstützung rechnen, wenn sie sich selber eine Photovoltaikanlage zur Netzeinspeisung oder teilweisen Eigenbedarfsdeckung aufs Dach setzen wollen. Damit bliebe das noch immer riesige Potential an privaten Dachflächen ungenutzt. Vor allem spräche es den Bemühungen um Klimaschutz Hohn, denn die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist inzwischen technisch so ausgereift und finanziell so günstig geworden, dass sie zumindest in Deutschland vor allem ein Flächenproblem geworden ist. Dies zeigt vor allem die Auseinandersetzung um die Abstände von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung, die es mitsamt anderen Konflikten bei der Photovoltaik nicht gibt.

Anfangs wollte das EEG die Solarförderung bei 350 Megawatt beenden

Die Solar-Deckelung hat übrigens eine ungute Tradition: Sie wurde schon im Jahr 2000 mit der ersten Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eingeführt. Der § 8 verfügte die Begrenzung auf eine installierte Gesamtkapazität von sage und schreibe 350 MW. Das entspricht dem, was gegenwärtig in einem Monat zugebaut wird. Damals hätte diese Begrenzung das Ende der PV-Förderung im Jahr 2003 bedeutet. Deshalb wurde sie im Juni 2002 vom Bundestag auf 1000 MW angehoben (020707). Erst in der ab 2004 geltenden EEG-Fassung hat man vorerst ganz auf solche Beschränkungen verzichtet. Aus heutiger Sicht wirken die damals verfügten Zubaugrenzen im Megawatt-Bereich nur noch komisch. Es dürfte nicht allzu lange dauern, bis man auch über die 50-Gigawatt-Grenze in ähnlicher Weise den Kopf schütteln wird.

 

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