September 2015 |
150904 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auf ein Neues: BASF-Chef Kurt Bock und Gazprom-Chef Alexey Miller unterschreiben die Vereinbarung über den Vollzug des vor drei Jahren vereinbarten Tauschgeschäfts, das wegen der Ukraine-Krise gestoppt wurde. Die russische Regie sorgte dafür, daß dieser Akt ebenfalls im Rahmen des ersten "Eastern Economic Forum" in Wladiwostok stattfand, auf dem auch der Konsortialvertrag für die "New European Pipeline AG" unterzeichnet wurde (150905). Foto: Gazprom
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BASF und Gazprom wollen den im November 2012 vereinbarten Tausch von wertgleichen Unternehmensanteilen (121101) nun doch vollziehen. Wie die BASF am 4. September wissen ließ, soll der Handel auf Grundlage der seinerzeit vereinbarten Konditionen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Damit überläßt die BASF-Tochter Wintershall das bislang gemeinsam betriebene Erdgashandels- und Speichergeschäft in Deutschland und Westeuropa komplett der Gazprom. Ferner werden die Russen mit fünfzig Prozent an der Wintershall Nordzee B.V. beteiligt, die vor den Küsten Großbritanniens, der Niederlande und Dänemarks nach Öl und Gas sucht. Als Gegenleistung erhält Wintershall eine Viertelbeteiligung an neuen Erdgasfeldern in Westsibirien.
Ursprünglich sollte das vor knapp drei Jahren vereinbarte Tauschgeschäft schon Ende 2013 abgeschlossen werden. Da aber zunächst die Genehmigung der EU-Kommission abgewartet werden mußte, konnte der abschließende Vertrag erst am 23. Dezember 2013 unterschrieben werden. Der Vollzug der Transaktion wurde daraufhin für Mitte 2014 angekündigt und sollte mit wirtschaftlicher Rückwirkung zum 1. April 2013 erfolgen (131206). Als kurz darauf der russische Angriff auf die Ukraine einen politischen Temperatursturz auslöste (140401), wurde als neuer Termin Herbst 2014 genannt.
Der BASF-Vorstandsvorsitzende Bock behauptete damals, daß die Verzögerung keine politischen Gründe habe, sondern auf den "komplexen juristischen Entflechtungsprozeß" zurückzuführen sei (140706). Anscheinend ging er davon aus, daß sich die Lage bald wieder entspannen werde. Dies war aber nicht der Fall, da Rußland seine Aggression in der Ukraine fortsetzte. Kremlchef Putin opferte seiner Konfrontationspolitik sogar das Pipeline-Projekt "South Stream", was die BASF-Tochter Wintershall und andere Minderheitspartner erst aus der Presse erfuhren. Die Gazprom-Spitze dürfte von der Entscheidung des Kremlherrschers kaum weniger überrascht gewesen sein, mußte sie aber ohne Wenn und Aber akzeptieren, was nicht ohne Rückwirkungen auf das Geschäftsklima mit den westlichen Partnern blieb (141201). Wenig später gaben BASF und Gazprom ihren Verzicht auf das Tauschgeschäft bekannt. Als Grund nannten sie das "aktuell schwierige politische Umfeld" (141202).
Die jetzige Neueinfädelung des Tauschgeschäfts zwischen BASF und Gazprom beruht offenbar auf einer veränderten Einschätzung dieses "politischen Umfelds". Schon fünf Wochen zuvor hatte sich die BASF überraschend bereitgefunden, dem Konsortium zum Ausbau der Ostsee-Pipeline beizutreten (150806). Inzwischen hat die Gazprom mit den Minderheitsgesellschaftern BASF, E.ON, Engie, OMV und Shell sogar einen Gesellschaftervertrag für das Projekt "Nord Stream 2" abgeschlossen (150905).
"Im Dezember vergangenen Jahres drehte sich die Spirale der Sanktionen immer schneller und nahezu unkontrolliert; niemand konnte sagen wohin das noch führt", begründete Wintershall-Chef Mario Mehren in einem FAZ-Interview (24.9.) die damalige Entscheidung, den Tausch nicht zu vollziehen. Sie sei gemeinsam mit Gazprom getroffen und nicht endgültig gewesen. Inzwischen habe sich aber die Lage wieder verändert: "Die Sanktionsspirale ist zum Stillstand gekommen. Und es mehren sich die Stimmen, die für eine Zusammenarbeit mit Rußland plädieren, um Probleme möglichst gemeinsam zu lösen. Die Beziehungen haben sich stabilisiert – allerdings auf niedrigem Niveau. Der Friedensprozeß in Minsk macht Fortschritte. Wenn auch langsam."
Die Zusammenarbeit zwischen BASF und Gazprom begann bereits vor 25 Jahren, als die DDR der Bundesrepublik einverleibt wurde: Ende 1990 gründeten beide das Gashandelsunternehmen WIEH, an dem Wintershall die knappe Mehrheit hielt. Gemeinsam führten sie anschließend den dreijährigen "ostdeutschen Gaskrieg", mit dem sie die Ruhrgas aus der Rolle des alleinigen Gasimporteurs und Betreibers von Transport-Pipelines verdrängten (siehe Hintergrund). Die 1993 gegründete Wingas errichtete ein eigenes, nach strategischen Gesichtspunkten ausgebautes Ferngasnetz. Seit 2003 besorgte "Achimgaz" als weiteres Gemeinschaftsunternehmen die Förderung von Erdgas in Westsibirien (030716). Drei Jahre später durfte Gazprom die Beteiligung an der Wingas bis knapp auf die Parität erhöhen und erhielt die Hälfte an einem Wingas-Ableger für den Gashandel in Europa (060403). Zwischendurch nutzte Gazprom die BASF als zweite Spielkarte, um den E.ON-Konzern beim Bau der Ostsee-Pipeline mit ins Boot zu holen (050902) oder um ihn bei den Verhandlungen über die Beteiligung an der sibirischen Erdgasförderung unter Druck zu setzen (090605). In dem 2007 ausgebrochenen Machtkampf bei der ostdeutschen VNG taktierten BASF und Gazprom ebenfalls gemeinsam, um eine Mehrheitsübernahme der EWE zu verhindern (080817) und den eigenen Einfluß bei VNG zu erhöhen (091102). Seit März 2011 unterstützte der deutsche Chemiekonzern außerdem offen das "South Stream"-Projekt, mit dem Gazprom die EU-Pläne für den Bau der Pipeline "Nabucco" zur Minderung der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen durchkreuzen wollte (110309). Auch der unverhoffte Rückzug der beiden Konzerne aus der ostdeutschen Ferngasversorgung mit Überlassung sämtlicher VNG-Anteile an EWE erfolgte in einer konzertierten Aktion, die im Frühjahr 2014 vereinbart wurde (150402).