April 2012 |
120403 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der russische Gasmonopolist Gazprom macht keinen Hehl mehr daraus, daß er in den deutschen Strommarkt einsteigen und dazu die Belieferung von Gaskraftwerken als Hebel nutzen will. Dies ergibt sich aus der Ergebnisnotiz eines vertraulichen Treffens, das am 27. Februar auf Einladung des bayerischen Wirtschaftsministeriums in München stattfand. An dem "Runden Tisch" beteiligten sich auf deutscher Seite Vertreter von Energieunternehmen wie E.ON und des Regionalversorgers Erdgas Schwaben. Wie die "Süddeutsche Zeitung" am 13. April berichtete, erklärte der Leiter des internationalen Gazprom-Geschäfts, Pavel Oderov, bei dieser Tischrunde "in bemerkenswerter Offenheit", daß sein vom Kreml dirigierter Konzern sich nicht auf Beteiligungen und Partnerschaften mit anderen Unternehmen beschränken wolle. Gazprom sei vielmehr durchaus in der Lage und gewillt, "eigenständig auf dem deutschen Energiemarkt tätig zu werden".
Schon Anfang der neunziger Jahre wollte sich Rußland nicht mehr mit der Rolle eines bloßen Gaslieferanten begnügen. Gazprom verbündete sich deshalb mit dem BASF-Konzern und dessen Tochter Wintershall, die daraufhin in einem dreijährigen "Gaskrieg" ihren Marktzutritt gegen den bisherigen Alleinimporteur Ruhrgas erkämpfen konnten (siehe Hintergrund). Die BASF war seitdem für die Gazprom ein wichtiger Türöffner, der ihr den Weg in den deutschen und europäischen Markt ebnete (060403). Die Russen verstanden es aber auch, den E.ON-Konzern für ihre Ziele einzuspannen, der sich 2003 die Ruhrgas einverleiben durfte (030101), und die beiden deutschen Gasimporteure gegeneinander auszuspielen (050404). Am Ende unterstützten sowohl die BASF als auch E.ON den anfangs strittigen Bau einer Pipeline durch die Ostsee, mit der Gazprom seinen Handlungsspielraum gegenüber den bisherigen Transitländern erweitern und diese noch besser unter Druck setzen kann (siehe Hintergrund).
In einem soeben erschienenen Buch räumt der Journalist Jürgen Roth mit der naiven Vorstellung auf, daß Gazprom ein ganz normaler Energiekonzern sei (siehe unten). Es erschien im Westend-Verlag, hat 320 Seiten und kostet 19.90 Euro. |
Daß die Russen auch selber auf dem deutschen Energiemarkt tätig werden und Endverbraucher beliefern wollten, ließen sie erstmals 2005 deutlicher erkennen (051203). In jener Mischung aus Rivalität und Partnerschaft, die bereits den Bau der Ostsee-Pipeline kennzeichnete, suchte Gazprom fortan nach Einstiegsmöglichkeiten in die deutsche Energiewirtschaft. Das erste große Projekt war die Errichtung eines Gaskraftwerks am Anlandepunkt der Ostsee-Pipeline in Lubmin (060405). Anfang 2008 wurde dafür mit E.ON die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens vereinbart. Aber schon eineinhalb Jahre später wurde dieses Projekt wieder auf unbestimmte Zeit verschoben – angeblich "einvernehmlich" wegen der Wirtschaftskrise. Vorerst im Tiefkühlfach landete auch ein weiteres GuD-Projekt, das Gazprom gemeinsam mit der luxemburgischen Soteg (heute Enovos) am Arcelor-Standort Eisenhüttenstadt plante. Zuletzt scheiterte Ende 2011 der Versuch, mit dem RWE-Konzern ein Gemeinschaftsunternehmen für den Bau von Steinkohle- und Gaskraftwerken in Deutschland, Großbritannien und den Benelux-Ländern zu gründen (111202).
Wenn die Russen bisher mit den Stromkonzernen nicht so recht ins Geschäft kamen, dürfte das hauptsächlich an unterschiedlichen Gaspreisvorstellungen gelegen haben. Die Angebote waren offenbar nicht attraktiv genug, um etwa RWE die bereits unterzeichnete Absichtserklärung zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in die Tat umsetzen zu lassen. Die marktbeherrschenden Konzerne haben schließlich kein Interesse, für einen künftigen Konkurrenten den roten Teppich auszurollen. Gazprom muß es sich deshalb schon etwas kosten lassen, damit die Rivalität zumindest partiell und zeitweilig in eine Kooperation verwandelt wird.
Die Gespräche mit den Konzernen gehen weiter. RWE bestätigte im Februar, daß es "ein Treffen auf Arbeitsebene" gegeben habe. Außerdem werben die Russen neuerdings auch verstärkt um Stadtwerke und Regionalversorger. Das ist zugleich als Wink an die Konzerne zu verstehen, daß es noch andere Zugangsmöglichkeiten zum deutschen Markt gibt. Zumindest in Bayern darf Gazprom dabei sogar mit dem Beistand der Landesregierung rechnen (111202). Und zumindest beim Stadtwerke-Verbund Thüga (090801) glaubt man an die Möglichkeit eines Geschäfts zum beiderseitigen Vorteil: "Gazprom wäre ein interessanter Partner", ließ Thüga-Chef Ewald Woste verlauten. "Das Unternehmen ist uns grundsätzlich sehr willkommen. Wir können uns den Bau gemeinsamer Kraftwerke vorstellen." Eine direkte Beteiligung der Russen an dem vor knapp drei Jahren entstandenen Stadtwerke-Verbund lehne man allerdings ab.
Indessen wäre auch die direkte Beteiligung der Gazprom an großen deutschen Energieunternehmen oder gar deren Übernahme grundsätzlich nur eine Frage des Preises. Wenn es dazu bisher nicht kam, liegt das an kartellrechtlichen Bedenken und vor allem am politischen Widerstand. Um das Kartellamt nicht zu provozieren, backte die Gazprom bisher nur kleinere Brötchen. Beispielsweise erwarb sie Ende vorigen Jahres den unbedeutenden Stromvertrieb Envacom, der nun als "Gazprom Energy" um Endkunden wirbt (111102). Wichtig war hier zunächst der Einstieg in den Endkundenmarkt. Der Ausbau des Geschäfts folgt.
Das Bundeskartellamt zeigte sich seinerseits entgegenkommend, indem es der Gazprom am 1. Februar 2012 die Aufstockung ihrer Beteiligung am ostdeutschen Ferngasunternehmen VNG auf 10,52 Prozent und die volle Ausübung der damit verbundenen Stimmrechte genehmigte (120106). Zusammen mit den 15,79 Prozent der Wintershall, die schon jetzt die Führung des Unternehmens stellt, verfügen Gazprom und BASF damit über eine Sperrminorität von 26,3 Prozent. Wie die Behörde selber feststellte, kann unter diesen Umständen nicht mehr davon ausgegangen werden, daß Wingas und VNG "unabhängig am Markt auftreten". Dennoch sei keine Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse zu erwarten, die eine Versagung der Aufstockung rechtfertige. Auch daß Gazprom der größte deutsche Gaslieferant und Vorlieferant von VNG ist, hielt sie nicht für entscheidungsrelevant (120409).
Am 13. April erschien das Buch "Gazprom – Das unheimliche Imperium" von Jürgen Roth. Der Autor, der schon mehrfach Bücher und Fernsehdokumentationen über Korruption und organisierte Kriminalität veröffentlichte, räumt in diesem Buch mit der Vorstellung auf, daß Gazprom ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen sei. Anhand einer Vielzahl von allgemein zugänglichen Quellen – auch die ENERGIE-CHRONIK wird mehrfach zitiert – zeichnet er das Porträt eines der mächtigsten Energiekonzerne der Welt, der dem Kreml den Großteil seiner Einnahmen beschert und eng mit den undemokratischen Machtstrukturen Rußlands verflochten ist. Gazprom ist eben keineswegs nur ein Förderer und Lieferant von Gas. Dem Konzern gehören auch Banken, Investmentgesellschaften, Airlines, Versicherungen, Bauunternehmen und Medien. Vor allem ist er Instrument und Stütze einer Kleptokratie, die seit dem Ende der Sowjetunion kapitalistisch daherkommt und teilweise mit der alten Nomenklatura so identisch ist wie der frühere KGB-Geheimdienstler Putin mit dem heutigen Kremlchef. Gazprom ist wesentlicher Bestandteil eines Systems, das von schamloser Bereicherung einer Pseudo-Elite, von fehlender Rechtsstaatlichkeit, behördlicher Willkür, mafiosen Machenschaften und allgegenwärtiger Korruption geprägt wird.
Daraus ergibt sich für Roth die Frage, wieweit moralische Grundsätze im Umgang mit solchen Systemen und ihren Repräsentanten noch Geltung haben oder einer "realpolitischen" Sicht geopfert werden müssen. Er glaubt zeigen zu können, daß ethische Grundsätze heute in Politik und Wirtschaft nicht einmal ansatzweise von Bedeutung sind. Und das keineswegs nur in Rußland. Natürlich kommt in diesem Zusammenhang auch die peinliche Rolle des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder zur Sprache, der sich von Putin zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Ostsee-Pipeline machen ließ (051202, 060406). Auch der sogenannte "Petersburger Dialog", der seinerzeit von Putin und Schröder mit dem Ostausschuß der Deutschen Wirtschaft ins Leben gerufen wurde, ist nicht unbedingt eine so ehrenwerte Veranstaltung, wie er in den Medien dargestellt wird. Wer sich auf russische Partner und Verhältnisse einläßt, macht sich fast unvermeidlich die Finger schmutzig, wie etwa die Energie Baden-Württemberg erfahren mußte, als sie sich mit dem russischen Geschäftsmann Andrej Bykov einließ (120413). Das unterscheidet das heutige Ineinanderfließen von westlichem und postsowjetischem Kapitalismus von den Zeiten der Ost-West-Konfrontation, als die russische Staatswirtschaft ein zwar äußerst distanzierter, aber absolut zuverlässiger und formal korrekter Geschäftspartner war. Wer dagegen heute Geschäfte in oder mit Rußland machen will, muß ziemlich genau das Gegenteil dessen befolgen, was er sonst gern als eine angeblich von ethischen Grundsätzen inspirierte "Corporate Governance" ins Internet-Schaufenster stellt.