April 2015 |
150402 |
ENERGIE-CHRONIK |
Ein Jahr nach der BASF-Tochter Wintershall zieht sich nun auch die russische Gazprom aus dem ostdeutschen Ferngasunternehmen VNG zurück. Wie der Kommunalkonzern EWE am 5. April mitteilte, übernimmt er das Aktienpaket von 10,52 Prozent, das bisher der Gazprom Germania GmbH gehört. Er kann damit seine Mehrheit an VNG, die er vor einem Jahr erlangte, als ihm die BASF-Tochter Wintershall ihre Beteiligung von 15,79 Prozent überließ, auf 74,2 Prozent ausbauen. Zum Kaufpreis wurden keine Angaben gemacht. Legt man den Preis zugrunde, zu dem damals Wintershall verkaufte, wären es 213 Millionen Euro.
Die Gazprom verkauft ihre Beteiligung aufgrund einer Option, zu der sich die EWE verpflichtete, als sie das Wintershall-Aktienpaket übernahm. Die beiden Konzerne, die geschäftlich über das Gemeinschaftsunternehmen Wingas verbandelt sind und jahrelang die von EWE angestrebte Mehrheitsübernahme blockierten, haben demnach auch ihren Rückzug gemeinsam eingefädelt. Offenbar spielt die VNG in ihrem strategischen Kalkül nicht mehr dieselbe Rolle wie früher. Dazu dürfte entscheidend der von Rußland ausgelöste Ukraine-Konflikt beigetragen haben, der die Europäische Union veranlaßte, die Gazprom und deren geschäftliche Expansion in Westeuropa kritischer zu sehen. Vor diesem Hintergrund hat der BASF-Konzern bereits den vereinbarten Komplettverkauf seines Gashandels- und Speichergeschäfts an die Gazprom rückgängig gemacht (141202).
Einziger Mitaktionär bei VNG ist jetzt noch die Beteiligungsgesellschaft VUB, in der zehn ostdeutsche Kommunen ihre Anteile von insgesamt 25,79 Prozent gebündelt haben. Im März wurde bekannt, daß diese Beteiligungsgesellschaft unter Führung der Stadtwerke Leipzig und mit Hilfe des australischen Finanzkonzerns Macquarie die EWE-Mehrheitsbeteiligung übernehmen will (150306). Dieses Vorhaben dürfte nun noch schwieriger geworden sein. Wie der stellvertretende EWE-Vorstandsvorsitzende Matthias Brückmann wissen ließ, ist aber weiterhin nicht entschieden, ob der Kommunalkonzern die neu erlangte VNG-Mehrheit langfristig halten oder veräußern werden. Beides sei möglich, und die diesbezüglichen Gespräche würden weitergeführt.
Der in Oldenburg ansässige Kommunalkonzern EWE hatte Ende 2003 eine 48-prozentige Beteiligung an VNG erworben und sich über einen Konsortialvertrag mit der Beteiligungsgesellschaft VUB der ostdeutschen Kommunen auch die unternehmerische Führung gesichert (031208). Dieser kommunale Schulterschluß zerbrach dann aber, weshalb im Frühjahr 2007 eine Fronde aus Wintershall, Gazprom und VNG-Management die Abwahl des EWE-Chefs Werner Brinker als Vorsitzender des Aufsichtsrats durchsetzen konnte (070504). Damit entbrannte ein offener Machtkampf mit der "Koalition aus Kassel, Moskau und Leipzig", wie Brinker die Phalanx seiner Widersacher kennzeichnete. Die EWE versuchte zunächst, die ihr zur Mehrheit in der Hauptversammlung fehlenden 2,2 Prozent von einzelnen VUB-Mitgliedern wie den Stadtwerken Jena-Pößneck (080409) und Halle (080905) zu erlangen. Die VUB pochte jedoch auf ihr Vorkaufsrecht und zog erfolgreich vor Gericht (090109).
Daraufhin überließ die EWE ihr VNG-Aktienpaket der Energie Baden-Württemberg (EnBW), die 2008 eine strategische Beteiligung an EWE erworben hatte (090504). Anscheinend traute man der EnBW größere Chancen zu, die Schwelle zur Mehrheit zu überwinden. Der südwestdeutsche Energiekonzern war damals nämlich faktisch eine Tochter des französischen Staatskonzerns Electricité de France (EDF), und dessen staatliches Schwesterunternehmen Gaz de France (GDF) besaß 5,25 Prozent an VNG. Dieses Kalkül ging aber nicht auf. Der französischen Regierung war es wichtiger, eine EDF-Beteiligung an der Ostsee-Pipeline Nordstream zu erlangen. Als Gegenleistung überließ sie den Russen die Beteiligung der GDF Suez an VNG (091102), womit die Gazprom ihr bisheriges Aktienpaket auf 10,52 Prozent verdoppeln konnte (100211).
Der Fehlschlag führte zu erheblichen Verstimmungen zwischen den frischgebackenen strategischen Partnern und zu einem handfesten Krach im EnBW-Vorstand (090901, 091216). Den Kaufvertrag für das VNG-Aktienpaket der EWE scheint die EnBW am Ende nur notgedrungen akzeptiert zu haben (110408). Allerdings handelte es sich um vinkulierte Aktien, für deren Übertragung die Zustimmung der VNG-Hauptversammlung erforderlich war. Um diese Hürde zu überwinden, soll die EnBW sogar bereit gewesen sein, einen Großteil des Pakets den russischen Unternehmen Gazprom und Novatek zu überlassen (110702). Andererseits wird es sie durchaus gefreut haben, daß diese Mehrheit nicht zustande kam, als eine auf Antrag der EWE einberufene Hauptversammlung darüber abstimmte (111205). So blieb die EWE auf ihrer 48-prozentigen Beteiligung an VNG vorerst sitzen, bis ihr infolge der strategischen Neuorientierung von Wintershall und Gazprom unverhofft doch noch die Chance zum Erwerb einer satten Mehrheit in den Schoß fiel.