November 2012

121101

ENERGIE-CHRONIK


BASF überläßt Gazprom das Erdgasgeschäft in Deutschland und Westeuropa

Die BASF hilft der russischen Gazprom ein weiteres Mal bei der Eroberung des westeuropäischen Energiemarktes. Wie der deutsche Konzern am 14. November mitteilte, wurde "eine rechtsverbindliche Basisvereinbarung zum Tausch von wertgleichen Unternehmensteilen unterzeichnet". Sie sieht vor, daß die BASF-Tochter Wintershall das bislang gemeinsam betriebene Erdgashandels- und Speichergeschäft in Deutschland und Westeuropa vollständig der Gazprom überläßt. Im Gegenzug erhält Wintershall eine Viertelbeteiligung an Erdgasfeldern in Westsibirien. Der Tausch soll Ende nächsten Jahres vollzogen werden, mit wirtschaftlicher Rückwirkung zum 1. April 2013.


Hand in Hand: Der BASF-Vorstandsvorsitzende Kurt Bock und Gazprom-Chef Alexej Miller bei der Vertragsunterzeichnung (siehe Kommentar).
Pressefoto Gazprom

Wintershall zieht sich demnach im kommenden Jahr ganz aus dem Gashandel und dem Gasspeichergeschäft zurück und konzentriert sich auf die Öl- und Gasförderung. Die Gashandels- und -vertriebstöchter Wingas Kassel, WIEH (Wintershall Erdgashandelshaus Berlin) und WIEE (Wintershall Erdgashandelshaus Zug), an denen Wintershall bislang zur Hälfte beteiligt ist, werden komplett der Gazprom übertragen. Dazu gehören auch die Wingas-Tochter Astoria, die in Rehden den größten Erdgasspeicher Westeuropas betreibt, sowie die Speicherbeteiligungen in Deutschland (Rehden, Jemgum) und Österreich (Haidach). Ferner erhält Gazprom 50 Prozent an der Wintershall Noordzee B.V. Damit wird ihr in der britischen, holländischen und dänischen Nordsee der Einstieg in die Öl- und Gasförderung ermöglicht.

Im Gegenzug überläßt Gazprom der Wintershall 25 Prozent plus einen Anteil an zwei Blöcken im Gas- und Kondensatfeld Urengoj des westsibirischen Erdgasfelds Juschno Russkoje. Hinzu kommt die Option, diese Beteiligung auf 50 Prozent zu erhöhen. Mit der Förderung soll 2016 begonnen werden. Nach BASF-Angaben lassen sich aus beiden Blöcken insgesamt 274 Milliarden Kubikmeter Erdgas gewinnen. Die jährliche Förderung soll im Ausbaustadium mindestens 8 Milliarden Kubikmeter betragen.

Das ehemalige Wingas-Transportnetz gehört Wintershall und Gazprom weiterhin gemeinsam

Nicht betroffen von dem Geschäft ist das ehemalige Wingas-Transportnetz. Wegen der neuen EU-Entflechtungsvorschriften (090401) – und wohl auch schon mit Blick auf die geplante Abtretung des gesamten Handelsbereichs an Gazprom – wurde das Eigentum an den 2.200 Kilometer langen Pipelines und neun Verdichterstationen bereits 2010 der Betreibergesellschaft Wingas Transport übertragen, die seit März 2012 unter dem neuen Namen Gascade Gastransport GmbH firmiert. Außerdem gründeten Wintershall und Gazprom im Mai 2012 die W & G Beteiligungs-GmbH & Co. KG als neue gemeinsame Holding. Dieser gehören seitdem der Transportnetzbetreiber Gascade und die auf den Handelsbereich reduzierte Wingas GmbH mit der Speichertochter Astoria. Ferner verfügt sie bis auf weiteres über das Eigentum an den beiden Projektgesellschaften für den Neubau der Pipelines Opal (090306) und NEL (100603).

Gazprom kommt Stromproduktion näher und kann "Nabucco" noch stärker behindern

Mit der Übernahme des Gashandels- und Speichergeschäfts von Wintershall kommen die Russen bei ihren Bemühungen, "eigenständig auf dem deutschen Energiemarkt tätig zu werden" (120403), einen entscheidenden Schritt voran. Die vor knapp einem Jahr vereinbarte "strategische Partnerschaft" mit dem Siemens-Konzern (111201) wird Gazprom zusätzlich behilflich sein, über den Gashandel hinaus auch in den Bau und Betrieb von Gaskraftwerken einzusteigen. Eine entsprechende Absichtserklärung mit RWE scheiterte nur knapp, kam dann aber mit der bayerischen Landesregierung zustande (111202).

Ferner bedeutet der Coup der BASF einen weiteren Rückschlag wenn nicht gar das endgültige Scheitern der EU-Pläne für die Pipeline "Nabucco". Schon einen Tag nach der Vertragsunterzeichnung mit der BASF konnte Gazprom einen weiteren Erfolg vermelden: Bei einem Treffen in Mailand unterzeichneten die Mitglieder des "South Streams"-Konsortiums eine "endgültige Investitionsentscheidung" für den Bau dieser Pipeline, mit der Rußland das "Nabucco"-Projekt verhindern will (110309). Die Vereinbarung betrifft den Abschnitt durch das Schwarze Meer, der den technisch schwierigsten und teuersten Teil des Projekts darstellt. Mit von der Partie sind die Energiekonzerne ENI (Italien), GDF Suez (Frankreich) und BASF/Wintershall. Für die BASF unterzeichnete deren Vorstandsmitglied Harald Schwager das Dokument. "Heute ist ein großer und freudiger Tag für uns", jubelte Gazprom-Chef Miller auf der Internetseite des Kreml-Konzerns.

Vom "Gaskrieg" bis "South Stream": BASF kooperiert schon seit zwei Jahrzehnten mit Gazprom

Die Zusammenarbeit der BASF mit dem Kreml-dirigierten Gaskonzern begann bereits vor 22 Jahren: Ende 1990 gründeten Wintershall und Gazprom das Gashandelsunternehmen WIEH, an dem Wintershall die knappe Mehrheit hielt. Gemeinsam führten sie anschließend den dreijährigen "ostdeutschen Gaskrieg", mit dem sie die Ruhrgas aus der Rolle des alleinigen Gasimporteurs und Betreibers von Transport-Pipelines verdrängten (siehe Hintergrund). Die 1993 gegründete Wingas errichtete ein eigenes, nach strategischen Gesichtspunkten ausgebautes Ferngasnetz. Seit 2003 besorgte "Achimgaz" als weiteres Gemeinschaftsunternehmen die Förderung von Erdgas in Westsibirien (030716). Drei Jahre später durfte Gazprom die Beteiligung an der Wingas bis knapp auf die Parität erhöhen und erhielt die Hälfte an einem Wingas-Ableger für den Gashandel in Europa (060403). Zwischendurch nutzte Gazprom die BASF als zweite Spielkarte, um den E.ON-Konzern beim Bau der Ostsee-Pipeline mit ins Boot zu holen (050902) oder um ihn bei den Verhandlungen über die Beteiligung an der sibirischen Erdgasförderung unter Druck zu setzen (090605). In dem 2007 ausgebrochenen Machtkampf bei der ostdeutschen VNG taktierten BASF und Gazprom ebenfalls gemeinsam, um eine Mehrheitsübernahme der EWE zu verhindern (080817) und den eigenen Einfluß bei VNG zu erhöhen (091102). Seit März 2011 unterstützt der deutsche Chemiekonzern außerdem offen das "South Stream"-Projekt, mit dem Gazprom die EU-Pläne für den Bau der Pipeline "Nabucco" zur Minderung der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen durchkreuzen will (110309).

Links (intern)

 

 

Hintergrund

Der Bock taugt nicht zum Gärtner

(siehe oben)

"Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel."

Dieses Zitat stammt nicht von Karl Marx, wie mitunter angenommen wird, sondern von dem englischen Schuhmacher Thomas Joseph Dunning (1799-1873), einem Vorkämpfer der Gewerkschaftsbewegung. Aber Marx hat es in dieser Form übersetzt und im ersten Band seines "Kapitals" in einer Fußnote zitiert. Und er tat das durchaus zustimmend, um in seinen Ausführungen über "Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" zu illustrieren, wie Kapitalbildung historisch zustande kommt. Dadurch wurde dieses Zitat bekannt und berühmt.

Noch heute ist dieses Zitat sehr erfrischend. Es zeigt, daß ein englischer Schuhmacher vor 150 Jahren gewisse zeitlose Züge des Kapitalismus besser erfaßt hat als mancher Wirtschaftswissenschaftler unserer Tage. "Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur" – eine geradezu poetische Umschreibung für Nummernkonten in der Schweiz, die Revision von Investitionsentscheidungen oder für das Zögern von Banken, bedrängten Mittelständlern aus der Klemme zu helfen. "Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere" – eine wunderbare Antizipation jenes "horror vacui", der Energiekonzerne bereits dann ergreift, wenn ihnen die Bundesnetzagentur eine stattliche Netzrendite von neun Prozent zugesteht. "Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn" – deshalb haben die Konzerne ihre Transportnetze abgestoßen und das Geld lieber in Stromerzeugung und Stromvertrieb gesteckt. "300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens" – nun ja, gehängt wird in Deutschland gottlob nicht mehr, und es wäre unfair, hier auf Teufel komm raus nach einer Parallele in der Energiewirtschaft suchen zu wollen. Dennoch bleiben auch diese Prozent-Angaben auf der nach oben offenen Skala des Profits von einer atemberaubenden Aktualität: Genau so vollzog sich nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes die "ursprüngliche Akkumulation des Kapitals" in Rußland. Der unermeßliche Reichtum, den damals einige "Oligarchen" anhäufen konnten, beruhte schlicht auf Plünderung von Staatseigentum, Gesetzlosigkeit, Korruption und Banditentum.

Womit wir auch schon bei der BASF wären. Die hat natürlich ganz andere Wurzeln. Aber sie paktiert seit 22 Jahren mit der russischen Gazprom. Und die ist eben nicht nur ein Energiekonzern, sondern die wichtigste Stütze des neuen Kreml-Regimes. Sie ist sozusagen der wirtschaftspolitische Arm dieses Regimes. Wenn die BASF für sie den Türöffner auf dem westeuropäischen Energiemarkt macht, ist das deshalb zugleich ein Politikum.

Es wäre sicher weltfremd, von international tätigen Konzernen wie der BASF verlangen zu wollen, nur Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen und Regierungen solcher Staaten zu unterhalten, die als Demokratien bezeichnet werden können. Dann gäbe es weder Öl aus Saudi-Arabien noch Gas aus Rußland. Und auch das "Nabucco"-Projekt zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen wäre von Anfang an kein Thema gewesen, da die prospektiven Lieferländer im kaspischen Raum von noch übleren Gestalten als Putin beherrscht werden. Allerdings ist kaum zu befürchten, daß deshalb Aserbaidschan, Turkmenistan oder Kasachstan einen gefährlichen politischen Einfluß in Westeuropa erlangen würden.

Bei Rußland liegen die Verhältnisse anders. Hier ist in der Tat zu befürchten, daß der Wechsel der Gazprom vom Lieferanten zum Akteur der westeuropäischen Energiewirtschaft nachteilige Folgen für das hiesige politische System haben wird, während sich am autoritären System Rußlands gar nichts ändert. Einen Vorgeschmack lieferte die geplante Verleihung des "Quadriga"-Preises an Putin, mit der ein neoliberal gefärbter Klüngel aus Politik, Wirtschaft und PR-Gewerbe die diktatorischen Züge des Kreml-Herrschers zu preiswürdiger "Leadership" verklären wollte (110710). In dieselbe Richtung geht die Dreistigkeit, mit der ein Manager der deutschen Gazprom-Tochter vor Gericht zieht, um der Presse verbieten zu lassen, über die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung zu seiner Stasi-Vergangenheit zu berichten (121111).

Deshalb ist es ein Problem, wenn die BASF ihr europäisches Gashandelsgeschäft der Gazprom überläßt, das Projekt "Nabucco" torpedieren hilft und auch sonst die Energie-Außenpolitik des Kreml unterstützt. In Rußland würde ein solches Problem sicher "par ordre du mufti" gelöst, durch ein Verbot oder irgendwelche staatlichen Pressionen. Das geht hierzulande nicht. Es muß jedem Unternehmen unbenommen bleiben, seine Geschäftsbeziehungen allein nach wirtschaftlichen Erwägungen auszurichten, im Rahmen der Gesetze selbstverständlich. Es muß aber auch der Politik und der Öffentlichkeit unbenommen bleiben, darauf zu reagieren. Vor allem darf man sich nicht von dem Argument einschüchtern lassen, daß eine klare Abgrenzung von autoritären Systemen – ob das nun Rußland oder China ist – politisches Porzellan zerschlage und den Wirtschaftsbeziehungen schade. Es muß klargemacht werden, daß der BASF-Chef Bock nicht in derselben Weise wie Gazprom-Chef Miller zugleich das politische System repräsentiert, wenn er seine Unterschrift unter einen Vertrag setzt. Sonst würde wahrlich der Bock zum Gärtner gemacht. Dasselbe gilt, wenn Siemens-Chef Löscher als Gegenleistung für lukrative Geschäfte mit Rußland in eine "strategische Partnerschaft" mit Gazprom einwilligt, nachdem er die zunächst geplante Allianz mit Rosatom zum Wiedereinstieg in das Nukleargeschäft wegen der Fukushima-Katastrophe in den Wind schreiben mußte (110908). Siemens hat diese Peinlichkeit aus gutem Grund im eigenen Land so tief wie nur möglich gehängt und lediglich auf seiner russischen Internetseite veröffentlicht (111201). Solche Bocksprünge mögen aus Sicht der jeweiligen Konzerne notwendig und vertretbar sein. Die Politik darf sich ihnen aber keinesfalls anschließen. Sie muß klar machen, daß die wechselnden Profitinteressen von BASF oder Siemens nicht identisch sind mit dem wohlverstandenen Gesamtinteresse der Bundesrepublik Deutschland. Sonst landen wir schnell in einer Bananenrepublik.

Einen begrüßenswerten Vorstoß in dieser Richtung unternahm der Bundestag, als er am 9. November die Resolution "Durch Zusammenarbeit Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit in Rußland stärken" verabschiedete. Der von den Regierungsparteien eingebrachte Text ist manchmal arg diplomatisch formuliert und sogar von grauslicher Komik, wenn er die Unterdrückung der Opposition so umschreibt: "Politisch aktive Bürger werden von der Staatsmacht oft nicht als Partner wahrgenommen." Im großen und ganzen benennt die Entschließung die Mißstände in Rußland aber erstaunlich deutlich. Sie ist insgesamt auch besser als ein ähnlicher Antrag, den die SPD unter dem Titel "Gemeinsam die Modernisierung Rußlands voranbringen – Rückschläge überwinden – Neue Impulse für die Partnerschaft setzen" eingebracht hatte. Die Grünen stimmten ihr ebenfalls zu – mit Ausnahme des ersten Absatzes, über den auf ihr Verlangen getrennt abgestimmt wurde. Denn hier hat man dem russischen Bären wirklich zuviel Honig ums Maul geschmiert, wenn man ihn als "strategischen Partner Deutschlands" bezeichnet. Vertretbar wäre allenfalls die Formulierung "strategischer Partner von BASF und Siemens" gewesen.

Ein intellektuelles Armutszeugnis war übrigens der Redebeitrag des Linken-Abgeordneten Wolfgang Gehrke, der sich darüber echauffierte, "wie wir eigentlich reagieren würden, wenn das russische Parlament, die Duma, jede Woche über Mißstände in unserem Land reden und diskutieren würde". Man sollte Gehrke bei Gelegenheit beibringen, daß die Duma kein Parlament ist, das diesen Namen verdient, sondern eher ein dekoratives Element wie früher der Oberste Sowjet der UdSSR. Der ehemalige DKP-Funktionär will anscheinend nicht wahrhaben, was sich in Rußland abgespielt hat und wie dort die "ursprüngliche Akkumulation des Kapitals" einen besonders häßlichen Wechselbalg aus alter Nomenklatura und neureicher Oligarchie erzeugt hat. Die Lektüre der Werke von Marx und Engels – und vor allem deren richtiges Verständnis – kann ihm deshalb wärmstens empfohlen werden.

Siehe auch

  • Hintergrund: Harmonische Synthese von Pest und Cholera? (November 2010)
  • Hintergrund: Eine PR-Aktion, die in die Hosen ging (Juli 2011)