Dezember 2011 |
111205 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der norddeutsche Energieversorger EWE muß seine 48-prozentige Beteiligung an der VNG Verbundnetz Gas vorerst behalten. Am 15. Dezember lehnte die VNG-Hauptversammlung eine Übertragung des Aktienpakets auf die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ab. Die Hauptversammlung war auf Antrag der EWE nur deshalb einberufen worden, weil diese ihr Aktienpaket noch vor Jahresende zum einst vereinbarten Preis von 1,4 Milliarden Euro an die EnBW loswerden wollte. Ein solcher Verkauf wäre für die EWE äußerst vorteilhaft gewesen, da der tatsächliche Wert des Aktienpakets inzwischen um etwa 400 Millionen Euro unter der einst vereinbarten Summe liegt. Aus demselben Grund will allerdings die EnBW nichts mehr von einer Übernahme zum vereinbarten Preis wissen. Nach Ansicht der EnBW besitzt die EWE auch gar keinen einklagbaren Anspruch: Bei dem vereinbarten Geschäft habe es sich lediglich um eine Option, nicht um eine Verpflichtung gehandelt. Voraussetzung wäre aber in jedem Falle, daß die Mehrheit der VNG-Aktionäre der Übertragung zustimmt. Mit dem negativen Votum der Hauptversammlung erübrigen sich somit auch weitere juristische Auseinandersetzungen.
Offiziell gab es keine Mitteilungen zu der Hauptversammlung und ihrem Verlauf. Über verschiedene Kanäle sickerte aber doch einiges durch. Laut "Frankfurter Allgemeine" (16.12.) haben nun beide Seiten die Möglichkeit, den strittigen Kaufvertrag ab Januar 2012 zu kündigen. Dann könnte die EWE ihre VNG-Beteiligung auch an Dritte verkaufen. Die drei anderen VNG-Aktionäre kommen jedoch kaum als Käufer in Betracht: Den ostdeutschen Kommunen, die ihre Beteiligungen in der VUB bündeln (25,8 Prozent), fehlt es an Geld und strategischem Interesse. Die BASF-Tochter Wintershall (15,8 Prozent) und die russische Gazprom (10,5 Prozent) hätten zwar beides in reichlichem Maße, müßten aber mit dem Veto des Bundeskartellamts rechnen. Schon die Verdoppelung der Gazprom-Beteiligung an VNG (100211) stieß bei der Behörde auf Bedenken, weil Gazprom mit Wintershall den zweitgrößten deutschen Gasimporteur Wingas besitzt. Die Russen können deshalb bisher ihre Stimmrechte bei VNG nicht so ausüben, wie es dem von GDF Suez zusätzlich erworbenen Anteil eigentlich entsprechen würde. Gegenüber Wintershall bestehen wegen der engen geschäftlichen Verbandelung mit Gazprom dieselben Bedenken.
In dem vor fünf Jahren begonnenen Machtkampf um VNG (070504) sind damit die Fronten so festgefügt wie nie. Der Großaktionär EWE hatte zunächst gehofft, die Phalanx der Kommunen aufbrechen und so die fehlenden drei Prozent zur Mehrheit erlangen zu können. Die VUB hatte sich jedoch erfolgreich gegen die Abwerbung der Stadtwerke Jena und Halle gewehrt (081107). Daraufhin betrat die EnBW als neuer strategischer Partner der EWE die Bühne (080701) und machte sich bald auch anheischig, deren VNG-Aktienpaket zu übernehmen (090504). Anscheinend glaubte die EnBW, mehr Chancen zu haben. Sie verkaufte sogar ihre ostdeutsche Gastochter Geso, um vom Bundeskartellamt grünes Licht für die neue Partnerschaft mit der EWE und für den geplanten Einstieg bei VNG zu bekommen (100310). Der französische Staat ließ jedoch die damalige deutsche EDF-Tochter EnBW im Stich und schanzte den 5,26-Prozent-Anteil der GDF Suez stattdessen der Gazprom zu (091102). Die Gegner in Leipzig waren damit noch stärker geworden. Sie waren nicht einmal bereit, eine Übertragung des VNG-Aktienpakets von EWE auf EnBW zu genehmigen. Schon der Preis für die EnBW-Beteiligung an EWE war mit Blick auf VNG sehr großzügig bemessen worden. Nun stellte sich auch die vereinbarte Kaufsumme für die Übertragung des Aktienpakets als überhöht heraus. In der Chefetage von EnBW scheint es daraufhin mächtig gekracht zu haben. Nach außen drang aber nur, daß der Finanzvorstand bis auf weiteres beurlaubt sei und daß dies ausschließlich gesundheitliche Gründe habe (091216).
Offiziell verfolgte die EnBW aber weiter das Ziel, das VNG-Aktienpaket zu übernehmen und der EWE dafür den vereinbarten Preis zu zahlen. Im April dieses Jahres faßte der Aufsichtsrat sogar ausdrücklich einen Beschluß, mit dem er der Transaktion vorab zustimmte (110408). Ein Umschwung deutete sich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres an. Im Juli wurde bekannt, daß die EnBW mit dem russischen Gasförderer Novatek über die Weitergabe eines Teils der VNG-Aktien verhandele (110702). Das ließ viel Raum für Spekulationen, bis hin zu einer drohenden russischen Mehrheitsbeteiligung an VNG, falls Novatek vom Bundeskartellamt nicht als trojanisches Pferd des Kreml und Taschenträger von Gazprom enttarnt würde. Möglicherweise war es aber auch nur der Versuch, auf Zeit zu spielen, bis sich die umstrittene Option bzw. Kaufverpflichtung von selbst erledigte. Die EnBW hatte inzwischen noch mehr Gründe für ein Abrücken von der teuren Vereinbarung: Zum einen rutschte die VNG in die Verlustzone, was den Wert der Aktien zusätzlich sinken ließ. In diesem Jahr rechnet der ostdeutsche Gasimporteur mit einem Verlust zwischen 250 und 350 Millionen Euro. Zum anderen hat der politisch erzwungene Atomausstieg die EnBW von allen vier KKW-Betreibern am härtesten getroffen und in eine schwere Finanzkrise gestürzt. Sie braucht nun dringend 800 Millionen Euro, um den Umbau des Konzerns zu bewerkstelligen (111008). Das Verplempern von 1,4 Milliarden Euro für eine ziemlich nutzlose Beteiligung an VNG würde dazu wie die Faust aufs Auge passen.
Das Verhältnis zwischen EnBW und EWE ist indessen trotz der Auseinandersetzung um die VNG-Aktien besser, als es nach außen den Anschein hat. In einem Interview mit der FAZ (3.12.) hielt EWE-Chef Werner Brinker sogar die Frage nach einer möglichen "Annäherung" zwischen beiden Positionen für deplaziert: "Der Begriff 'Annäherung' setzt voraus, daß es einen Streit zwischen EWE und EnBW gibt. Davon kann keine Rede sein. Wir arbeiten auf allen Ebenen gut zusammen. Allerdings haben wir unterschiedliche Auffassungen über die bestehenden Verträge in Sachen VNG. Damit gehen wir beide sehr professionell um."