Dezember 2009 |
091216 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zwei Wochen nach der französisch-russischen Übereinkunft über die Erhöhung des Gazprom-Anteils am ostdeutschen Gasversorger VNG (091102) stellte der Aufsichtsrat der Energie Baden-Württemberg (EnBW) am 10. Dezember die Weichen für eine gütliche Einigung, die der EnBW doch noch den Einstieg bei VNG ermöglichen könnte. Einerseits beschloß er, daß die EnBW grundsätzlich bereit sei, ihre Anteile an der Geso Beteiligungs- und Beratungs-AG abzugeben. Zugleich gab er seine Zustimmung zu einer Verlängerung des Kaufvertrages und damit der Kaufoption für die von der EWE an VNG gehaltenen Anteile in Höhe von 47,89 Prozent (090504).
Über die Beteiligungstochter Geso kontrolliert die EnBW bisher den sächsischen Energieversorger Enso und verfügt über erhebliche Beteiligungen an den Stadtwerken Dresden, Bautzen, Elbtal, Pirna, Freital, Zittau und Meißen. Die Abgabe der Geso hat das Bundeskartellamt ohnehin zur Bedingung gemacht, falls die EnBW die bisherige EWE-Beteiligung an VNG übernimmt.
Gegenüber den bislang widerstrebenden VNG-Aktionären verfügt die EnBW damit über zwei Lockmittel, um doch noch deren Zustimmung zur Übertragung des EWE-Aktienpakets zu erreichen: Das eine ist die Überlassung von mehr oder weniger großen Anteilen des Aktienpakets, das andere sind die Beteiligungen aus dem Besitz der Geso, die vor allem für die kommunalen Anteilseigner der VNG interessant sein könnten.
Ob und für wen sich der Handel lohnen könnte, muß sich bei den nun begonnenen Verhandlungen zeigen. Mehr als eine Sperrminorität bei VNG dürfte für die EnBW kaum herausspringen. Notfalls kann sie aber noch immer den Rückzug antreten. Weder die Übernahme des EWE-Aktienpakets noch der Verkauf der Geso sind bisher verpflichtend.
Im Vorstand der EnBW scheint es unterdessen wegen des mißglückten Griffs nach VNG zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Konzernchef Hans-Peter Villis und Finanzvorstand Rudolf Schulten gekommen zu sein. Wie die "Stuttgarter Zeitung" (27.12.) berichtete, wird Schulten sein Amt, das er erst zum Jahresbeginn angetreten hat (080715), bis auf weiteres nicht mehr ausüben. Nach Informationen aus "unternehmensnahen Kreisen" habe Schulten Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe auf die zwei Milliarden Euro teure Beteiligung an der EWE gefordert, die von der EnBW im Juli 2009 erworben worden war (080701, 090705). Wegen der Folgen für die Finanzlage des Konzerns habe er sich damit aber nicht durchsetzen können und sei "aus Gesundheitsgründen" abgelöst worden.
Als die EnBW im Juli 2008 die Beteiligung von 26 Prozent an EWE vereinbarte, schien der niedersächsische Energiekonzern auf dem besten Wege zu sein, seine 47,9 Prozent an VNG durch Zukauf von zwei kommunalen Mini-Beteiligungen zur Mehrheit auszubauen (080409, 080905). Infolge einer Gerichtsentscheidung mußte er dann aber den bereits geschlossenen Kaufvertrag mit den Stadtwerken Jena-Pößneck rückgängig machen, während der Vertrag mit den Stadtwerken Halle erst gar nicht zustande kam (090109).
Inzwischen hatten auch die VNG-Aktionäre BASF/Wintershall und Gazprom ein Bündnis zur Abwehr von EWE als Mehrheitseigentümer geschmiedet (080817). Das Management und die große Mehrheit der kommunalen Miteigentümer wehrten sich ohnehin heftig gegen einen Ausbau der EWE-Beteiligung. Insofern war es verständlich, daß die EWE die Erlangung der Majorität nicht weiter verfolgte und ihre VNG-Beteiligung abgeben wollte. Nicht ganz so einleuchtend war die Bereitschaft ihres neuen Partners EnBW, neben der perspektivisch wertloser gewordenen EWE-Beteiligung auch noch dieses Aktienpaket zu übernehmen. Denn da es sich um Namensaktien handelt, mußte die Mehrheit der VNG-Eigentümer mit dem Kauf einverstanden sein. Anscheinend rechnete die EnBW damit, diese Mehrheit in der Hauptversammlung mit den Stimmen von EWE und Gaz de France (GDF) erreichen zu können, die zusammen über 53,16 Prozent verfügen. Möglicherweise gab es sogar entsprechende Signale seitens ihres Mutterkonzerns EDF, der einst mit der GDF unter dem Dach des französischen Staates verbunden war, ehe das Schwesterunternehmen teilprivatisiert und dem neuen Konzern GDF Suez zugeschlagen wurde (080618). Die EnBW hätte in diesem Falle aber die Rechnung ohne Gazprom und BASF/Wintershall gemacht, denn diesen beiden Rivalen gelang es, den strategisch wichtigen Mitaktionär GDF Suez auf ihre Seite zu ziehen (091102). Vermutlich setzten sie dabei neben der Beteiligung an der Ostsee-Pipeline noch andere Druck- oder Lockmittel ein.
Unter den hier skizzierten Umständen würde es nicht verwundern, wenn es im Vorstand der EnBW tatsächlich zu einem handfesten Krach gekommen sein sollte. Offiziell wird dies bestritten. Auf Anfrage wollte die EnBW lediglich bestätigen, daß Schulten aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nicht mehr wahrnehme. Bis zur Genesung seien die Aufgaben des Finanzvorstands "auf unbestimmte Zeit" auf die übrigen Mitglieder des Vorstandes unter Leitung von Hans-Peter Villis verteilt worden. Der 54-Jährige leide dem Vernehmen nach an einer nicht lebensbedrohlichen, aber möglicherweise langwierigen Krankheit. Alle anderen Spekulationen über Schultens Auszeit entbehrten jeder Grundlage, betonte der EnBW-Sprecher. Insbesondere gelte dies für den Bericht der "Stuttgarter Zeitung".
Die "Stuttgarter Zeitung" ist über EnBW-Interna normalerweise gut informiert. Beispielsweise hat sie vor vier Jahren über einen Krach in der EnBW-Aufsichtsratssitzung am 8. Dezember 2005 berichtet, worauf der damalige Unternehmenschef Utz Claassen Mitarbeiter und Aufsichtsräte bespitzeln ließ, um die undichte Stelle herauszufinden (090316).