Oktober 2014 |
141017 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Zuge seiner Einsparbemühungen hat der RWE-Konzern nun sogar seine Zentrale verkauft. Am 1. Oktober unterzeichnete er mit dem US-amerikanischen Immobilienfonds American Realty Capital Global Trust, Inc. (ARC) den Verkaufsvertrag für den Bürokomplex am Opernplatz in Essen. Zugleich vereinbarte er die langfristige Rückanmietung der Räume. Der 120 Meter hohe Büroturm und die vier Nachbargebäude werden deshalb weiterhin Sitz der Konzernzentrale bleiben. Über den Verkaufspreis, die künftig zu zahlende Miete und sonstige Einzelheiten der Verträge wurde Stillschweigen vereinbart.
Der 120 Meter hohe Turm der Essener Konzernzentrale kostete seinerzeit 300 Millionen Mark und wurde 1998 mit dem '"Architekturpreis Nordrhein-Westfalen" ausgezeichnet. Laut Personalchef Uwe Tigges ist er aber "aufgrund seiner runden Architektur grundsätzlich ungeeignet für eine moderne Konzernverwaltung". In Absprache mit dem neuen Eigentümer gestaltet RWE die Büroetagen derzeit so um, daß sie "den Ansprüchen an moderne Arbeitsplatzkonzepte weiterhin gerecht werden". Foto: RWE
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Das zylindrische Hochhaus im Zentrum des Bürokomplexes wurde unter dem damaligen RWE-Chef Dietmar Kuhnt errichtet und 1997 fertiggestellt. Die Bauausführung besorgte die Konzerntochter Hochtief AG. In einer Festschrift zum hundertjährigen RWE-Jubiläum hieß es damals:
"Mit dem gläsernen Riesen am Opernplatz gibt sich der Konzern einen neuen Ausdruck über das rein Architektonische hinaus. Er formuliert seinen Auftritt nach innen wie nach außen. Macht deutlich, daß er längst mehr ist als der heimische Energieversorger: ein weltweit agierender Mischkonzern, der sich auf Zukunftsmärkten engagiert und seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahr- und ernst nimmt."
Das Konzept eines "weltweit agierenden Mischkonzerns" entstand zu Zeiten der geschlossenen Versorgungsgebiete aus dem Bestreben, die üppigen Erträge aus dem RWE-Stromgeschäft möglichst gewinnbringend in anderen Sektoren anzulegen. Mit Töchtern wie der Hochtief AG und den Heidelberger Druckmaschinen war der Konzern schon lange auch außerhalb des Energiebereichs tätig. Unter dem Vorstandsvorsitzenden Kuhnt (940603) engagierte er sich zusätzlich sehr stark in den Bereichen Telekommunikation, Abfallbeseitigung und Wasserversorgung. Als die Liberalisierung des Energiemarktes neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten für Investitionen im Strombereich eröffnete, verkündete Kuhnt 1999 eine stärkere Ausrichtung auf das Kerngeschäft (990616) und verkleinerte den Konzernvorstand entsprechend (990907). Grundsätzlich hielt er aber unter dem Motto "One Group. Multi Utilities" am Mischkonzern-Konzept fest (000810). Dabei entstehende Verluste wurden mit den Erträgen aus dem Stromgeschäft ausgeglichen. Innerhalb der RWE-Führung scheint es deshalb zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen zu sein (030106).
Der seit 2003 amtierende neue RWE-Chef Harry Roels trennte sich dann von defizitären wie auch von lukrativen Beteiligungen, die nicht zum Kerngeschäft zählten. Als erstes verkaufte er für knapp eine Milliarde Euro die Tochter Hochtief (040205) und die Heidelberger Druckmaschinen, die damals noch ein florierendes Unternehmen waren und knapp 1,3 Milliarden Euro erbrachten (040510). Es folgten der Verkauf der gesamten Umweltsparte (050202), der besonders verlustträchtigen Beteiligungen an ausländischen Wasserversorgern (051106) und anderer Unternehmen. Der Rückzug aus der Wassersparte gelang zunächst aber nur in Großbritannien (061010). In den USA konnte die kostspielige Fehlentscheidung erst 2009 revidiert werden (091108).
Wirklich kritisch wurde die Lage für RWE erst, als auch die Erträge aus dem Stromgeschäft einbrachen. Hier hatte der Konzern die Zeichen der Zeit gründlich verkannt. Die 2008 als Führungsgesellschaft für Erneuerbare Energien gegründete "RWE Innogy" (071114) änderte nichts an der Präponderanz der fossilen und nuklearen Kraftwerke in der Gesamtstrategie. Roels Nachfolger Jürgen Großmann setzte auf den Bau von Kohlekraftwerken mit CO2-Abscheidung (091110) und die Errichtung neuer Kernkraftwerke im Ausland (081205, 090103). Beides war eine Sackgasse, wie sich bald herausstellte. Die Konzernstrategen hatten die zunehmende Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen schlicht ignoriert oder unterschätzt. Die so entstehenden Überkapazitäten konnten auch durch massive Stromexporte und den Verbrauchszuwachs im Inland nicht kompensiert werden. Hinzu kam die Umstellung des EEG-Ausgleichsmechanismus mit der Pflicht-Verramschung des Stroms über die Börse, wodurch der Durchschnittspreis für die Megawattstunde zum Sturzflug ansetzte. Während er fortan auf etwa halber Höhe des 2008 erreichten Standes vor sich hin dümpelte, sank bei RWE die Börsenkapitalisierung, die Ende 2008 mit 35,4 Milliarden Euro ihren Höhepunkt erreicht hatte, binnen vier Jahren auf 19,1 Milliarden Euro (siehe Hintergrund). Ende 2013 betrug die Börsenkapitalisierung noch 16,2 Milliarden Euro.
Seitdem macht RWE hauptsächlich durch den Verkauf von Unternehmensteilen, Kraftwerksstillegungen und Personaleinsparungen von sich reden. Einzige größere Neuerwerbung blieb der niederländische Energiekonzern Essent (091008). Wie die nachträglich vorgenommenen Abschreibungen in Milliardenhöhe zeigen, war das aber ebenfalls kein lohnendes Geschäft (140104). Sogar die Transportnetze für Strom (110705) und Gas (101204) wurden verkauft, obwohl sie typischer Bestandteil des Kerngeschäfts waren und mit ihren staatlich garantierten Renditen eine sichere Einnahmequelle geboten hätten.
In dem erwähnten Jubiläumsband zum hundertjährigen Bestehen gab der RWE-Konzern die Zahl seiner in Deutschland Beschäftigten zum 30. Juni 1997 mit 122.000 an. Als er zwei Jahre später den VEW-Konzern schluckte und zum ersten Mal in großem Stil Arbeitsplätze abbaute, schwamm er noch derart in Geld, daß er allen Mitarbeitern ab dem Alter von 51 Jahren eine großzügige Vorruhestandsregelung anbieten konnte (000703). Laut letztem Halbjahresbericht hatte RWE zum 30. Juni 2014 im In- und Ausland noch 62.693 Mitarbeiter. In Deutschland waren es gerade noch 37.232 – eine Verringerung um 70 Prozent in 17 Jahren.