März 2014 |
140303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der RWE-Konzern will seine Öl- und Gastochter Dea an ein Finanzkonsortium verkaufen, das russischen Oligarchen gehört. Wie er am 16. März mitteilte, hat er sich mit dem in Luxemburg angesiedelten Investmentfonds LetterOne auf einen Unternehmenswert von 5,1 Milliarden Euro geeinigt. Der tatsächliche Verkaufspreis reduziere sich auf 4,5 Milliarden Euro, da Verbindlichkeiten in Höhe von 0,6 Milliarden mit übernommen würden.
Ob es tatsächlich zum Abschluß des Kaufvertrags kommt, wird unter anderem davon abhängen, ob außer dem Bundeskartellamt auch die Bundesregierung zustimmt, da der Eigentümerwechsel nach dem Außenwirtschaftsgesetz ihrer Genehmigung bedarf. Aufgrund der Zuspitzung des Konflikts um die Ukraine und der Verhängung von westlichen Sanktionsmaßnahmen gegen Rußland ist eine solche Genehmigung nicht mehr selbstverständlich, sondern wird das Ergebnis einer politischen Entscheidung sein. Allerdings ist nicht zu erwarten, daß die Bundesregierung das Geschäft verhindert (140304).
Der Finanzfonds LetterOne wurde im vergangenen Jahr von den Oligarchen Michail Fridman, German Khan und Alexey Kuzmichev gegründet, nachdem sie ihre Viertelbeteiligung am drittgrößten russischen Erdölförderer TNK-BP für 14 Milliarden Dollar verkauft hatten. Zuvor hatten sie und zwei weitere Oligarchen, mit denen sie gemeinsam die Hälfte des Unternehmens besaßen, einen jahrelangen Zermürbungskrieg gegen den Ölkonzern BP geführt, der über die andere Hälfte sowie die unternehmerische Führung verfügte. Mit erpresserischen Methoden und Unterstützung durch die korrupte Justiz des Landes war es ihnen gelungen, den Vorstandsvorsitzenden Robert Dudley zur Flucht ins Ausland (080711) und schließlich zum Rücktritt zu zwingen (080908). Am Ende übernahm der russische Staatskonzern Rosneft jeweils komplett die beiden Anteilshälften der bisherigen Eigentümer von TNK-BP, wobei BP neben einer Barabfindung ersatzweise eine Beteiligung an Rosneft bekam und die Oligarchen einen deutlich über dem Marktwert von TNK-BP liegenden Verkaufspreis von insgesamt 28 Milliarden Dollar einstreichen konnten (121004).
Den damals erzielten Verkaufserlös wollen Friedman, Khan und Kuzmichev jetzt im Energie- und Telekommunikationssektor der westlichen Länder anlegen. Ihr Investmentfonds LetterOne verfügt zu diesem Zweck über die beiden Tochtergesellschaften L1 Energy und LetterOne Telecom. Die für das Öl- und Gasgeschäft zuständig L1 Energy wird von Khan geleitet. Er kann sich dabei auf einen vierköpfigen Beirat stützen, dem unter anderen der frühere BP-Chef Lord Browne angehört.
Die Repressalien gegenüber BP erfolgten damals mit Duldung oder sogar Unterstützung durch den Kreml. Die Oligarchen und Kremlchef Putin dürften dabei unterschiedliche Ziele verfolgt haben, die sich aber ergänzten: Die Oligarchen wollten anscheinend BP zum Verkauf des Unternehmens zwingen, um die dadurch erlösten Milliarden außerhalb Rußlands anlegen zu können. Den Kreml störte dagegen, daß eines der größten russischen Unternehmen des Energiesektors noch immer unter ausländischer Leitung stand. Mit dem erzwungenen Verkauf von TNK-BP an den Staatskonzern Rosneft kamen so beide auf ihre Kosten.
Für RWE handelt es sich um den bisher größten Notverkauf, um die drückende Schuldenlast des Konzerns zu vermindern, die sich aus einer langfristig verfehlten Geschäftspolitik ergeben hat. Die Trennung von der Öl- und Gastochter war im März 2013 vom RWE-Vorstand beschlossen worden (130307). Inoffiziell stand die Dea bereits seit 2011 auf der Verkaufsliste (110802). Als aussichtsreichster Kandidat galt zunächst die BASF-Tochter Wintershall, die sich neuerdings auf das Fördergeschäft konzentriert, nachdem sie ihre Gashandelstochter Wingas gegen eine Beteiligung an sibirischen Lagerstätten der russischen Gazprom überlassen hat (131206). Zu den weiteren Interessenten gehörten Investoren aus den Scheichtümern Kuwait und Qatar. Die Oligarchen machten das Rennen, weil sie den höchsten Kaufpreis boten. Der beabsichtigte Einstieg in die Branche war ihnen ein kräftiger Aufschlag wert.
Die RWE Dea AG mit Sitz in Hamburg ist eine international tätige Explorations- und Produktionsgesellschaft für Erdgas und Erdöl mit weltweit rund 1400 Mitarbeitern. Sie ist in 14 Ländern mit Lizenzen und Büros präsent. Dazu gehören Förderanlagen und Gewinnungsberechtigungen in Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Ägypten. Weitere Förderanlagen sind in Algerien und Libyen im Aufbau. Ferner verfügt sie über Explorationsgenehmigungen in Algerien, Irland, Libyen, Mauretanien, Polen, Trinidad, Tobago und Turkmenistan. In Deutschland betreibt RWE Dea darüber hinaus große unterirdische Erdgasspeicher.
Das Unternehmen wurde 1899 als Deutsche Tiefbohr-Actiengesellschaft gegründet und firmierte seit 1911 als Deutsche Erdöl-Aktiengesellschaft (DEA). Geschäftlicher Schwerpunkt waren die Förderung, die Verarbeitung und der Vertrieb von Erdöl. Nach dem ersten Weltkrieg verlor die DEA ihre Unternehmensteile im Elsaß, in Galizien und Rumänien, weshalb sie sich stärker auf die mitteldeutsche Braunkohle und die Ruhr-Steinkohle orientierte. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm 1966 der US-Konzern Texaco die Mehrheit, um sich auf diesem Wege den deutschen Markt für seine Mineralölprodukte zu erschließen. Seit 1970 hieß das Unternehmen Deutsche Texaco AG. 1988 wurde es vom RWE-Konzern übernommen, der es mit seinen eigenen Mineralöl- und Chemieaktivitäten in der RWE DEA AG vereinigte. Die neue RWE-Tochter verfügte neben dem sogenannten Upstream- und Downstream-Geschäft zeitweilig auch noch über einen Chemiebereich ("Condea"). 2001 brachte RWE das DEA-Tankstellennetz mit Raffinerien und Logistik in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Shell ein (010305). Im folgenden Jahr übernahm Shell das Downstream-Geschäft der DEA komplett (020813). Das verbleibende Upstream-Geschäft kam zunächst zu RWE Power (030604). Zuletzt war die RWE Dea (Schreibweise nun ohne Versalien) eine der drei länderübergreifenden Töchter unter dem Dach der RWE AG (100315).