August 2018

180805

ENERGIE-CHRONIK


 

Als Niederspannungskunden zahlen Haushalte die höchsten Netzentgelte (rot), zumal sie auch noch die weitgehende Befreiung der Großverbraucher mittragen müssen (111004, 180514). Die Grafik läßt erkennen, wie diese Belastung ab 2007 zunächst zurückging und ab 2010 wieder zunahm: Bis 2006 waren die Netzentgelte wegen der fehlenden Regulierung deutlich überhöht. Als die neugeschaffene Bundesnetzagentur die ersten Genehmigungsbescheide verschickte, mußten deshalb alle vier Übertragungsnetzbetreiber mehr oder minder große Abstriche hinnehmen (060601, 060803). Auch bei Verteilnetzbetreibern wurde genauer hingeschaut (060510). Als dann die sogenannte Anreizregulierung beschlossen wurde (071103), die ab 2009 die Netzentgeltgenehmigung ersetzte, befürchteten viele Netzbetreiber anfangs noch empfindlichere Einbußen (080414). Stattdessen kam es aber eher zu einer "Schonwirkung" mit einem kontinuierlichen Wiederanstieg der Netzentgelte (080710). Schon 2009 kritisierten deshalb Verbraucherverbände und Energieanbieter die "undurchsichtige Regulierungspraxis" (090915).

Netzentgelte sind vermutlich oft überhöht, können aber nicht überprüft werden

Die Initiative "Agora Energiewende" (180510) hat erneut die mangelnde Transparenz beim Zustandekommen der Netzentgelte kritisiert. Am 22. August veröffentlichte sie dazu eine rechtliche Analyse, die in ihrem Auftrag von der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Raue LLP gemeinsam mit dem Regulatory Assistance Project (RAP) erarbeitet wurde (siehe PDF). Demnach müssen die Stromverbraucher in Deutschland für Bau und Betrieb der Stromnetze wohl mehrere hundert Millionen Euro im Jahr mehr zahlen als gesetzlich nötig. Die Indizien für diese Vermutung lassen sich jedoch nicht erhärten, weil – entgegen der Transparenzvorschrift in § 74 des Energiewirtschaftsgesetzes – weder die Netzbetreiber noch die Regulierungsbehörden die entsprechenden Daten und Regulierungsbescheide vollständig veröffentlichen. Klagen vor Zivilgerichten scheitern an der mangelnden Beweisbarkeit, weil die Netzbetreiber ihre Kosten aus angeblichen Geheimhaltungsinteressen nicht offenlegen. Wird vor Verwaltungsgerichten geklagt, erklären die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht sich nicht für zuständig für die Durchsetzung der Transparenzvorschriften. Somit haben Stromverbraucher, Stromlieferanten, Gutachter oder andere Betroffene keine Handhabe, die Entscheidungen der Regulierungsbehörden zu überprüfen und gegen überhöhte Netzentgelte vorzugehen.

Kosten und Eigenkapitalverzinsung werden zu hoch angesetzt

Allein durch die Vergleiche zwischen Regulierungsbehörden und Stromnetzbetreibern kann den Stromkunden nach Schätzung der Autoren ein Schaden von 360 bis 900 Millionen Euro jährlich entstehen. Hierbei verzichten die Unternehmen auf Rechtsmittel im Gegenzug dafür, dass die Regulierungsbehörde die von den Netzbetreibern veranschlagten Kosten im Rahmen der Genehmigungsverfahren nicht kürzen. Diese Praxis widerspreche dem Energiewirtschaftsgesetz, das keinen Raum für ein Entgegenkommen der Regulierer gegenüber den Netzbetreibern sehe. Ferner bemängeln sie, dass die Bundesnetzagentur die zulässige Eigenkapitalverzinsung – den wichtigsten Faktor für die Gewinne der Netzbetreiber – in der Regulierungsperiode von 2014 bis 2019 zu hoch bemessen hat (160505). Infolgedessen würden die Netzentgelte jährlich um 145 Millionen Euro zu hoch ausfallen.

Entscheidungen werden noch immer unvollständig oder geschwärzt veröffentlicht

Genauer lasse sich der Schaden für die Verbraucher bisher nicht beziffern, weil die Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder ihre Entscheidungen zu den Stromnetzentgelten noch immer allenfalls unvollständig und zu einem Großteil geschwärzt veröffentlichen (160208 ). Auch diese Praxis widerspreche den Transparenzvorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes. Vor den Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht seien jedoch bisher die meisten Klagen auf mehr Transparenz und auf Überprüfung der Regulierungsentscheidungen gescheitert. Dagegen hätten die Netzbetreiber erfolgreich gegen Netzentgeltgenehmigungen der Regulierungsbehörde klagen und höhere Netzentgelte durchsetzen können (180306) . Diese Praxis verletze das Recht auf prozessuale Waffengleichheit und auf effektiven Rechtsschutz und verstoße gegen das Willkürverbot.

Agora fordert Gesetzgeber zur Klarstellung des geltenden Rechts auf

"Der Skandal ist, dass wir von diesen Regulierungsdefiziten zwar wissen, Verbraucher und Stromvertriebe dagegen aber rechtlich nicht vorgehen können", erklärte Agora-Direktor Patrick Graichen. "Damit die Netzkosten nicht aus dem Ruder laufen, ist jetzt die Politik am Zuge. Wir brauchen prozessuale Waffengleichheit und endlich vollständige Transparenz. Netzkosten sind eine öffentliche Angelegenheit und gehören komplett veröffentlicht, wie dies auch andere EU-Nachbarländer tun." Bisher seien nur die Zusammensetzung der EEG-Umlage und der anderen Strompreisbestandteile genau bekannt.

 

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