Juni 2015 |
150609 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Stromnetzregulierung in Deutschland fehlt es in hohem Maße an der notwendigen Transparenz. Selbst Wissenschaftlern liegen grundlegende Informationen nicht vor. Für Politiker und die Akteure auf dem Strommarkt ergibt sich daraus die Gefahr, falsche Entscheidungen treffen. Diese Schlüsse zieht die Initiative "Agora Energiewende" (140915) aus einer Studie, die in ihrem Auftrag vom Beratungsunternehmen Infracomp erstellt und am 22. Juni veröffentlicht wurde.
Die Agora-Initiative moniert beispielsweise, daß gänzlich unbekannt sei, auf welche Summe sich die von den Stromverbrauchern gezahlten Netzentgelte im Jahr belaufen. Es gebe lediglich Schätzungen, die bei 18 Milliarden Euro im Jahr liegen – das wäre der zweitgrößte Kostenblock in der Stromversorgung. Unklar sei dabei auch, wie sich diese Kosten seit Juli 2005 entwickelt haben, als das neue Energierecht mit der staatlichen Regulierung der Stromnetze in Kraft trat (050701). Die Finanzierung der Stromnetze gleiche damit einem "Blindflug", den es zu beenden gelte.
Nach § 74 des Energiewirtschaftsgesetzes seien die Bundesnetzagentur und die Landesregulierungsbehörden verpflichtet, sämtliche Entscheidungen auf ihren Internet-Seiten zu veröffentlichen. In Wirklichkeit würden aber nur wenige veröffentlicht, und das dann auch noch unter Schwärzung einzelner Stellen. So habe die Bundesnetzagentur von 2005 bis 2008 insgesamt 481 Genehmigungsentscheidungen getroffen, aber nur 57 veröffentlicht. Und die seien alle teilweise geschwärzt gewesen.
Die Studie widerspricht der Behauptung, daß die Schwärzung bestimmter Stellen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen notwendig sei. Schließlich handele es sich beim Stromnetzbetrieb ausnahmslos um ein natürliches, reguliertes Monopol, das keinerlei Wettbewerb ausgesetzt ist. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse seien deshalb für den Unternehmenserfolg nicht relevant. Unter Verschluß blieben auch wichtige Betriebsdaten der Stromnetze. Soweit Daten überhaupt veröffentlicht würden, seien sie wegen wegen fehlender Standards schlecht vergleichbar.
Der Bundesnetzagentur wird konzediert, daß sie die Transparenzdefizite selber erkennt. Die Behörde müsse sich aber den Vorwurf gefallen lassen, den Handlungsspielraum, über den sie bereits jetzt gesetzlich verfügt, nicht genügend ausgeschöpft zu haben. Insbesondere habe sie voreilig dem Ansinnen der Netzbetreiber nachgegeben, unternehmensbezogene Passagen in ihren Veröffentlichungen zu schwärzen.
In der Tat hat die Bundesnetzagentur in ihrem Evaluierungsbericht zur Anreizregulierung, den sie im Januar vorlegte, das Thema Transparenz mehrfach angesprochen und eingeräumt: "Netzbetreiber, Banken, Investoren und Netznutzer bemängeln immer wieder die fehlende Transparenz des Regulierungsverfahrens, vor allem bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen im Rahmen der Anreizregulierung." Kritisiert werde insbesondere die mangelnde Veröffentlichung unternehmensbezogener Daten, weil dadurch Dritte nicht in der Lage seien, wichtige Teile des Regulierungsprozesses nachzuvollziehen. Etwa werde der sogenannte Effizienzvergleich von Außenstehenden häufig nur als "Black Box" wahrgenommen.
Die Behörde sieht auch keine tragfähige rechtliche Grundlage für die Schwärzungen, die sie in ihren Papieren zum Schutz angeblicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vornimmt. Sie will aber langwierige Prozesse vermeiden und hofft auf eine Klarstellung durch den Gesetzgeber. Wörtlich stellt sie fest:
"An der Veröffentlichung unternehmensindividueller Daten, insbesondere der Erlösobergrenzen, sieht sich die Bundesnetzagentur durch die Behauptung von Netzbetreibern gehindert, es handele sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 71 EnWG. Die BNetzA teilt diese Auffassung nicht. Die Durchsetzung ihrer Auffassung würde aber erfordern, eine Vielzahl von Grundsatzrechtsstreitigkeiten zu führen. Insofern ist eine gesetzliche Klarstellung für alle Beteiligten der sinnvollere Weg."
An anderer Stelle des Berichts erwähnt die Bundesnetzagentur, wie es erstmals zum Verzicht auf unternehmensbezogene Daten kam. Der Sündenfall ereignete sich demnach vor neun Jahren, als sie – noch vor Beginn der Anreizregulierung – den ersten und bisher einzigen Kostenvergleich zwischen den Verteilnetzbetreibern durchführte (060801). Damals waren 115 Netzbetreiber gegen ihre namentliche Nennung gerichtlich vorgegangen:
"Die Ergebnisse des Vergleichsverfahrens sollten ursprünglich entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung Anfang April 2006 unter Nennung der Unternehmensnamen veröffentlicht werden. Damit sollte für die Unternehmen und die interessierte Öffentlichkeit die Transparenz erhöht und zu Beginn der Energieregulierung ein Überblick über die vorgefundene Ausgangssituation geschaffen werden. Aufgrund von Unterlassungsbeschwerden zahlreicher Unternehmen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf kam es im Wege eines gerichtlichen Vergleichs zu einer anonymisierten Form der Veröffentlichung, die sich auf die Darstellung der Bandbreiten konzentrierte. Diese umfaßte lediglich einige nach Strukturklassen zusammengefasste Ergebnisse. Die Unternehmen wandten sich gegen die Bekanntgabe unternehmensindividueller Daten mit Angabe des Unternehmensnamens, da diese Daten als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einzustufen seien."
Den Evaluierungsbericht sollte die Bundesnetzagentur ursprünglich gemäß § 33 Abs. 1 der Anreizregulierungsverordnung zum 1. Januar 2016 vorlegen. Er wurde dann aber um ein Jahr vorgezogen, um eventuell notwendige Änderungen rechtzeitig vor dem Ende der derzeit laufenden zweiten Regulierungsperioden für Strom (bis 2019) und Gas (bis 2018) vornehmen zu können. Der neugefaßte Paragraph verpflichtete die Bundesnetzagentur ferner, den Bericht unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen mit Anreizregulierungssystemen erstellen. Sie ließ deshalb von der E-Bridge Consulting GmbH ein Gutachten erstellen, das die Situation in Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich und USA untersuchte. Der Vergleich ergab, daß die Regulierung in allen Ländern – mit Ausnahme Italiens – transparenter ist als in Deutschland.
Die Bundesregierung hat im März angekündigt, noch vor der Sommerpause einen Kabinettsbeschluß zur Novellierung der Anreizregulierungsverordnung herbeizuführen (150309). In dem dazu vorgelegten Eckpunktepapier ist in zwei Sätzen auch davon die Rede, "das Verfahren und die Transparenz der Anreizregulierung so transparent wie möglich darzustellen", weil dies zu kleineren Informationsdefiziten führe und zu besseren Investitionsbedingungen beitrage. Indessen müsse dies "unter Berücksichtigung möglicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen" geschehen.