August 2017 |
170802 |
ENERGIE-CHRONIK |
Rosneft-Chef Setschin, den dieses Foto beim Rapport im Kreml zeigt, ist eine wichtige Stütze von Putins autoritärem Regime. Sein Ölkonzern gründet auf der Zerschlagung des Yukos-Konzerns, dessen Chef Chodorkowskij auf Anweisung Putins in einem Schauprozeß nach stalinistischem Vorbild verurteilt und erst nach zehn Jahren Haft wieder entlassen wurde. Seinem langjährigen Freund Gerhard Schröder dagegen will Putin jetzt zusätzlich zu dessen Gazprom-Pfründen einen Posten oder sogar den Vorsitz im Aufsichtsrat von Rosneft bescheren – gerade so, als ob er es darauf angelegt hätte, der SPD ihren mißglückten Wahlkampf endgültig zu vermasseln. Foto: Presidential Website RU
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Die russische Regierung will den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 29. September in den Aufsichtsrat des staatlichen Ölkonzerns Rosneft wählen lassen. Wie die russische Agentur Interfax am 28. August berichtete, ist er sogar als Nachfolger des bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Andrey Belousov im Gespräch. Schröder bekäme damit von Kremlchef Putin zum vierten Mal einen hochdotierten Posten zugeschanzt. Für die SPD, die seit Schröders neoliberaler "Agenda 2010" auf keinen grünen Zweig mehr kommt, wird der ehemalige Bundeskanzler dadurch zu einer noch größeren Belastung. Ihr glückloser Kanzlerkandidat Martin Schulz hat praktisch keine Chancen mehr, bei den Bundestagswahlen am 24. September das Rennen zu machen oder auch nur ein halbwegs passables Ergebnis zu erzielen. Nach den bisherigen Umfrageergebnissen kann die Union mit einem klaren Vorsprung sowie mit dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag rechnen, was die erneute Bildung einer schwarz-gelben Koalition ermöglichen würde.
Im Januar war der Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel, der bis dahin als designierter Kanzlerkandidat der SPD galt, überraschend zurückgetreten und hatte auch sein Amt als Parteivorsitzender niedergelegt. An seiner Stelle und auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin wurde der bisherige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum neuen Parteivorsitzenden gewählt und als Kanzlerkandidat aufgestellt, während Brigitte Zypries neue Wirtschaftsministerin wurde und Gabriel das Amt des Außenministers übernahm, das durch die Wahl seines Parteifreundes Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten vakant geworden war. Gabriel ließ sich bei dieser Entscheidung anscheinend von der Einsicht leiten, daß ihm das Wirtschaftsministerium und dessen erweiterte Kompetenz im energiepolitischen Bereich nicht genügend Prestige beschert hatte, um erfolgreich gegen die CDU-Kanzlerin Angela Merkel antreten zu können. (170101)
Mit dem Motto "Zeit für mehr Gerechtigkeit" wirbt Schulz als Kanzlerkandidat. In der Tat wäre es längst an der Zeit gewesen, mit der Umverteilung von arm zu reich Schluß zu machen, die Schröder mit der Drangsalierung von Arbeitslosen, der Entfesselung der Finanzwirtschaft, der Privatisierung der Altersvorsorge und ähnlichen neoliberalen "Reformen" vorangetrieben hat. Stattdessen holte sich Schulz den Erfinder von "Hartz IV" als Wahlkampfhelfer. Inzwischen dürften deshalb nur noch wenige so gläubig zu ihm aufblicken wie die Dame auf diesem SPD-Plakat. |
Der nunmehr auf den Schild gehobene Martin Schulz legte zunächst einen furiosen Start hin, obwohl oder gerade weil er weithin unbekannt war. Auf einem Sonderparteitag in Berlin wurde er im März mit hundert Prozent der Stimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Auch außerhalb der Partei erfreute er sich bei Umfragen außergewöhnlich hoher Zustimmung. Entscheidend dafür war seine Ankündigung, daß er für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen und so das traditionelle Profil der Partei wieder schärfen werde, das durch die von 2002 bis 2009 amtierenden Schröder-Regierungen mit "Hartz IV" und ähnlichen neoliberalen "Reformen" bis zur Unkenntlichkeit beschädigt worden ist.
Es blieb allerdings bei der wolkig-unverbindlichen Ankündigung und der Parole "Zeit für mehr Gerechtigkeit", mit der die SPD nun in den Wahlkampf zog. Außerdem sprach sich herum, daß Schulz keineswegs dem arg verkümmerten linken Parteiflügel zuzurechnen ist, sondern zum Justemilieu an der Parteispitze gehört, das eine Distanzierung von Schröders unsozialer Politik bis heute so scheut wie der Teufel das Weihwasser. Als das Strohfeuer um den vermeintlichen Reformator an der SPD-Spitze erlosch, fiel Schulz denn auch nichts anderes ein, als ausgerechnet den weithin diskreditierten Ex-Bundeskanzler zu reaktivieren und ihn am 25. Juni als Hauptredner eines Wahlkampf-Parteitags in der Dortmunder Westfalenhalle auf die Bühne zu schicken.
Wenig später stellte sich heraus, daß der Ex-Bundeskanzler beim russischen Staatskonzern Rosneft einen Aufsichtsratsposten antreten will, der ihn nach Sachlage verpflichten würde, gegen die Interessen Deutschlands und der Europäischen Union zu intrigieren. Schröder steht bereits seit 2005 als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG auf der Gehaltsliste von Gazprom (051202). Den Posten verdankte er Kremlchef Putin, mit dem er zuvor den Bau der Gaspipeline durch die Ostsee ausgehandelt hatte. Daß er unmittelbar nach seiner Abwahl als Bundeskanzler in russische Dienste trat, löste weithin Empörung und eine Debatte im Bundestag aus (siehe Protokoll ). Später verhalf ihm Putin auch noch zu einem Aufsichtsratsposten beim russisch-britischen Ölkonzern TNK-BP (090212), den er aber nach drei Jahren wieder aufgab (111219). Seit einem Jahr dient er der Gazprom zusätzlich als Galionsfigur der Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG, die den Bau einer weiteren Gaspipeline durch die Ostsee betreibt (170706).
Und nun noch der Posten bei Rosneft: Dieser staatliche Energiekonzern spielt im russischen Ölgeschäft und damit für die Staatseinnahmen eine ähnliche Rolle wie Gazprom im Gasbereich. Er dient dem Kreml sogar unmittelbar als außenpolitisches Instrument wie derzeit bei der Stützung des Regimes in Venezuela. Seine heutige Bedeutung erlangte er aber erst durch die Zerschlagung des Yukos-Konzerns, dessen Chef Chodorkowskij es gewagt hatte, gegen den Kremlchef Putin zu opponieren. Auf Anweisung Putins wurde Chodorkowskij daraufhin in einem Schauprozeß verurteilt und erst nach zehn Jahren wieder aus der Haft entlassen (131211). Das Herzstück des Yukos-Konzern, die Yuganskneftegaz, sollte zunächst der Gazprom einverleibt werden, wurde dann aber der bis dahin eher unbedeutenden Rosneft zugeschlagen (041210). Mit Hilfe des Kreml erlangte Rosneft so eine ähnliche Monopolstellung beim Ölgeschäft wie die Gazprom beim Gas. Dazu gehörten auch Zwangspartnerschaften mit westlichen Energiekonzernen, die sich gehorsam den vom Kreml diktierten Bedingungen für Minderheitsbeteiligungen beugten, um am russischen Rohstoff-Kuchen partizipieren zu dürfen (070611, 080711, 110108, 110813, 110310, 121004).
Als Gegenleistung für den Posten bei Rosneft wird von Schröder natürlich erwartet, daß er seine noch immer vorhandenen politischen Kontakte auch auf diesem Gebiet zugunsten des Kreml einsetzt und beispielsweise die Sanktionen abwehren hilft, die von der EU wegen der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim verhängt wurden. Für einen ehemaligen Bundeskanzler, der auf Kosten des Steuerzahlers noch immer über ein Büro und Mitarbeiter im Bundestag verfügt, ist ein solcher Seitenwechsel ein unerhörter Vorgang. Der Verfassungsrechtler und Parteienforscher Herbert von Arnim formulierte es so: "Das hat nicht nur Geschmäckle. Das wäre verniedlichend. Es handelt sich um einen schweren Fall von Interessenkollision und damit letztendlich um Korruption."
Schröder sieht das naturgemäß anders und stellt sich als Vermittler zwischen Deutschland und Rußland dar. Angeblich bekommt er für den Posten bei Rosneft auch nicht fast sechs Millionen Euro jährlich – so hoch war die Durchschschnittsvergütung der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder – sondern lediglich 500.000 Dollar.
Von Schröder scheint übrigens auch die Idee zu stammen, den Kremlchef Putin mit dem "Quadriga-Preis" auszuzeichnen. Das Vorhaben platzte damals wegen heftiger Proteste und riß den dubiosen Preis mit in die Versenkung (110710). Schröder hatte selber zu den Preisträgern gehört und in dieser Eigenschaft 2004 die Laudatio auf den zuvor preisgekrönten türkischen Regierungschef Erdogan gehalten, den er als "großen Reformpolitiker" lobte. Damals war er noch Bundeskanzler. Im selben Jahr bezeichnete er den Kremlchef Putin als "lupenreinen Demokraten", obwohl es in Rußland weder Rechtsstaatlichkeit noch eine halbwegs funktionierende Demokratie gab.
Da Schröder nicht auf den Rosneft-Posten verzichten will, verzichtet nun die SPD darauf, ihn weiter als Wahlkampfhelfer einzusetzen. Das löst freilich nicht ihr Grundproblem: Um als "sozial"-demokratische Partei wieder glaubwürdig zu werden, müßte sie endlich einen klaren Trennstrich zu Schröder ziehen: Dabei geht es weniger um den späteren Putin-Freund als um den seinerzeitigen Bundeskanzler, der als "Genosse der Bosse" in die Geschichte der Partei eingegangen ist.