Oktober 2012

121004

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Dickes Lob vom Chef: Nach Abschluß der Grundsatzvereinbarung zur Übernahme von TNK-BP erschien der Rosneft-Vorstandsvorsitzende Setschin (rechts) beim russischen Präsidenten Putin zum Rapport. In einem für die Öffentlichkeit inszenierten Dialog lobte Putin die Einverleibung der BP-Tochter in den Staatskonzern als "gutes Geschäft", das nicht nur für den Energiesektor, sondern für die ganze russische Wirtschaft von großer Bedeutung sei. Daß der jahrelang malträtierte und gepiesackte BP-Konzern endlich klein beigibt und Unterschlupf beim Staatskonzern Rosneft sucht, interpretierte Putin als "weiteren Beweis für das Vertrauen, das unsere Partner bei ihrer Betätigung auf dem russischen Markt haben".

Foto: Presidential Website RU

Der russische Ölkonzern Rosneft kooperiert künftig auch mit BP

Der staatliche russische Ölkonzern Rosneft, der bereits strategische Partnerschaften mit Exxon-Mobil (110813) sowie der italienischen ENI und der norwegischen Statoil eingegangen ist, kooperiert nun auch mit dem angloamerikanischen Branchenriesen BP. Zugleich erwirbt er für 54,8 Milliarden Dollar in bar und Aktien den drittgrößten russischen Erdölförderer TNK-BP, der bisher jeweils zur Hälfte BP und vier russischen Oligarchen gehört. Die am 22. Oktober bekanntgegebene Grundsatzvereinbarung soll binnen 90 Tagen abschließend verhandelt werden.

Mit kräftigem politischen Rückenwind aus dem Kreml steuert Rosneft damit auf eine ähnliche Monopolstellung zu wie sie Gazprom beim Gas besitzt. Vorerst steigt der Anteil des Staatskonzerns an der russischen Ölförderung von 25 auf 40 Prozent. BP wird sich als neuer Juniorpartner mit knapp zwanzig Prozent bescheiden müssen, wäre aber endlich den zermürbenden Streit mit den Miteigentümern von TNK-BP los. Finanziell dürfte die künftige Fünftel-Beteiligung an Rosneft für BP ähnlich ergiebig sein wie die bisher hälftige Beteiligung an TNK-BP, die seit 2003 insgesamt 19 Milliarden Dollar Dividende einbrachte.

Sowohl BP als auch die Oligarchen trennen sich von TNK-BP

Wie Rosneft am 22. Oktober mitteilte, übernimmt der Staatskonzern jeweils komplett die beiden Anteilshälften der bisherigen Eigentümer von TNK-BP. Der angloamerikanische Ölkonzern bekommt dafür 17,1 Milliarden Dollar plus einem Anteil von 12,84 Prozent an Rosneft. Einen Teil des Verkaufserlöses verwendet er für den Kauf von weiteren 5,66 Prozent Rosneft-Anteilen, die bisher von der Staatsholding Rosneftegaz gehalten werden. Einschließlich einer bereits vorhandenen Beteiligung von 1,25 Prozent wird BP somit künftig 19,75 Prozent an Rosneft halten und zwei Sitze im neunköpfigen Aufsichtsrat beanspruchen können.

Die vier Oligarchen Michail Friedman, Viktor Vekselberg, Leonid Blawatnik und German Chan erhalten für die Überlassung der anderen Hälfte an TNK-BP insgesamt 28 Milliarden Dollar. Das liegt deutlich über dem Marktwert von TNK-BP. In den vorangegangenen Verhandlungen mit Rosneft und BP sollen die Oligarchen sogar ein Angebot von 32 Milliarden Dollar erhalten und abgelehnt haben. Wenn sie nun die niedrigere Summe akzeptieren, dürfte dies auf Einflußnahme des Kreml zurückzuführen sein. Es handelt sich sozusagen um ein Angebot, das sie nicht ablehnen können...

Schon seit 2003 sind westliche Konzerne nur noch als Juniorpartner erwünscht

Der im Februar 2003 unterzeichnete Vertrag über die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens TNK-BP gestand BP neben der Hälfte der Anteile auch die unternehmerische Führung zu. Er paßte damit nicht zu den neuen Maximen für die russische Energiewirtschaft, die Kremlchef Putin kurz darauf verkündete: Einerseits beschränkte Putin die Rolle ausländischer Konzerne auf die von Juniorpartnern, die lediglich als Geldgeber und Lieferant von technischem Knowhow willkommen sind. Zum anderen signalisierte er den Oligarchen, daß sie ihren immensen Reichtum, den sie auf höchst dubiose Weise durch Verramschung und Plünderung von Staatseigentum erlangt hatten, nur bei politischem Wohlverhalten behalten dürfen. Um ein Exempel zu statuieren, ließ er den Chef des Ölkonzerns Yukos, der mit den US-Konzernen Exxon und Chevron über deren Einstieg bei Yukos verhandelt hatte und auch in anderer Hinsicht unbotmäßig war, hinter Gitter bringen (031117). Der Yukos-Konzern wurde zerschlagen und von Rosneft übernommen. Anschließend bot Rosneft privaten Investoren den Erwerb von 15 Prozent des Kapitals an. Bei dieser Gelegenheit erwarb auch BP 1,25 Prozent (060706).

Oligarchen setzten BP mit Hilfe des Staatsapparats unter Druck

Wo westliche Konzerne noch Mehrheitsbeteiligungen besaßen oder nach Ansicht des Kreml über zuviel Einfluß verfügten, bekamen sie Gazprom als Zwangspartner verordnet (060909). Auch BP mußte 2007 die Mehrheitsbeteiligung an einem ostsibirischen Erdgasfeld dem staatlichen Gaskonzern abtreten und mit diesem ein Zwangsbündnis schließen (070611). Die Mehrheit am privaten Erdölförderer TNK-BP wurde dem Konzern vorläufig nicht direkt streitig gemacht. Die vier Oligarchen drängten aber auf eine Änderung des Gesellschaftervertrags, der BP den Vorstandsvorsitz und die unternehmerische Führung sicherte. Sie bedienten sich dabei mafiaähnlicher Methoden und genossen die Unterstützung des Staatsapparats. Im Juli 2008 mußte der damalige Vorstandsvorsitzende Robert Dudley sogar fluchtartig Rußland verlassen, weil die Behörden die Verlängerung seines Arbeitsvisums verweigert hatten und ihm durch eine korrupte Justiz die Verhaftung drohte (080711). Zwei Monate später beugte sich BP dem erpresserischen Druck, berief Dudley von seinem Posten ab und stimmte einer Änderung des Gesellschaftervertrags zu (080908).

Das erste Bündnis mit Rosneft geriet vom Befreiungsschlag zum Rohrkrepierer

Anfang 2011 vereinbarte BP mit Rosneft den wechselseitigen Austausch von Aktien. Das Abkommen unterzeichnete Robert Dudley, der im Oktober 2010 zum Chef des Gesamtkonzerns aufgerückt war. Er glaubte wohl, durch das Bündnis mit dem Staatskonzern auch die Protektion des Kreml zu erwerben. Die vier Oligarchen beriefen sich aber erfolgreich auf den Aktionärsvertrag, wonach BP alle in Rußland geplanten Geschäfte zuerst dem Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP anbieten muß. Es kam deshalb nicht zum Aktientausch. Der vermeintliche Befreiungsschlag geriet zum Rohrkrepierer. Stattdessen schloß Rosneft im August 2011 mit dem US-Energiekonzern Exxon eine strategische Partnerschaft zur Erschließung von Öl- und Gasvorkommen im Nordpolarmeer, die durch Putins Anwesenheit bei der Vertragsunterzeichnung den hochoffiziellen Segen des Kreml erhielt (110813). Ein Jahr später folgten ähnliche Abkommen mit den Energiekonzernen ENI (Italien) und Statoil (Norwegen).

Bis 17. Oktober hätte BP nur an die Oligarchen verkaufen dürfen

Im Sommer dieses Jahres gab BP den jahrelangen Kampf um die Eigentumsrechte an TNK-BP auf und kündigte den Verkauf von Anteilen an. Von Anfang an galt Rosneft als Favorit für deren Übernahme. Am 24. Juli bekundete Rosneft offiziell diese Absicht. An die Spitze des Staatskonzerns war inzwischen als "Präsident" und Vorstandsvorsitzender der Putin-Vertraute Igor Setschin gerückt, der schon seit 2004 als Vorsitzender des Verwaltungsrats agierte. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Kreml die Übernahme der BP-Anteile wünschte und unterstützte. Vermutlich war diese neue Konstellation der Grund, weshalb BP erneut auf ein Bündnis mit Rosneft setzte. Es herrschte aber lange Zeit Unklarheit, wie das Dreiecksgeschäft zwischen Rosneft, BP und den Oligarchen im einzelnen aussehen würde. Gemäß dem Aktionärsvertrag durfte BP zwar mit anderen Interessenten verhandeln, mußte aber eine Frist von neunzig Tagen einhalten, innerhalb der ein Verkauf nur an das Konsortium der vier Oligarchen erlaubt war. Diese Frist lief am 17. Oktober ab.

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