Juni 2013

130603

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Das Gasfeld Shah-Deniz-II befindet sich ungefähr 70 Kilometer von der Küste entfernt im adserbaidschanischen Teil des Kaspischen Meers (rechts). Von dort soll das Erdgas über die Süd-Kaukasus-Pipeline (SCP) und die Transanatolische Pipeline (TANAP) zur türkisch-griechischen Grenze fließen, wo die neu zu errichtende Trans Adriatic Pipeline (TAP) den Weitertransport über Italien besorgt. Das nunmehr erledigte Konkurrenzprojekt "Nabucco-West" wollte dagegen das Gas an der türkisch-bulgarischen Grenze übernehmen und über den Balkan nach Österreich weiterleiten.

Grafik: TAP

Gasförderer entscheiden sich für TAP statt für "Nabucco-West"

Das Shah-Deniz-Konsortium gab am 28. Juni bekannt, daß es für den Transport des von ihm in Aserbaidschan geförderten Erdgases nach Europa die "Trans Adriatic Pipeline" (TAP) verwenden will. Damit hat sich das seit zehn Jahren betriebene Projekt "Nabucco" auch in der stark verkürzten Balkan-Variante "Nabucco-West" (120607) erledigt. Stattdessen übernimmt die TAP die ab 2018/19 über die Transanatolische Pipeline (Tanap) ankommenden Gasmengen, um sie durch Griechenland, Albanien, das Mittelmeer und Italien nach Zentraleuropa zu leiten. Zunächst sollen ab 2019 – nach Abzweigung von sechs Milliarden Kubikmetern für den Eigenbedarf der Türkei – zehn Milliarden Kubikmeter durch die TAP nach Westen fließen. Ein entsprechender Ausbau der Kapazitäten von TAP und Tanap könnte die Liefermenge für Europa auf 20 Milliarden Kubikmeter verdoppeln.

OMV hält eine Balkan-Pipeline weiterhin für notwendig


Nachdem das Projekt einer durchgehenden Pipeline von Wien bis zum kaspischen Raum gescheitert war, wurde "Nabucco" auf das durch die Balkan-Länder führende Reststück verkürzt. Ob die OMV diese Pipeline in veränderter Form vielleicht doch noch verwirklichen kann, bleibt vorerst unklar.
Grafik: Nabucco

Größter Verlierer der nunmehr entschiedenen Konkurrenz zwischen Nabucco-West und TAP (130106) ist der österreichische Energiekonzern OMV, der bereits am 26. Juni in einer Ad-hoc-Meldung über den noch nicht offiziell verkündeten Beschluß der Gasförderer berichtete. OMV hatte das Projekt einer vom Kaspischen Meer über die Türkei und den Balkan nach Österreich führenden Gaspipeline initiiert und war die treibende Kraft des dazu gebildeten Konsortiums. Seinen klangvollen Namen erhielt das Projekt deshalb, weil die OMV ihre späteren Konsortialpartner bei einem ersten Treffen in Wien Ende 2002 auch in die dortige Staatsoper einlud, auf deren Spielplan gerade die Verdi-Oper Nabucco stand (080809). Zuletzt hatte OMV noch versucht, für den Bau der Kurz-Variante Nabucco-West anstelle des ausgestiegenen Partners RWE (130413) die französische GDF Suez mit ins Boot zu holen (130513). Aus deren Beitritt wird nun wohl nichts. Im übrigen bleibt aber offen, ob das Nabucco-Konsortium nun zerfällt oder unter Führung der OMV ein modifiziertes Balkan-Projekt ins Auge faßt. In einer ersten Stellungnahme der "Nabucco Gas Pipeline International GmbH" hieß es, die Notwendigkeit einer Diversifizierung der Gasversorgung in Zentral- und Südosteuropa bestehe weiterhin und nur die Nabucco-Trasse könne dieses Problem lösen. Die Gesellschafter würden nun über weitere Schritte beraten.

Nabucco-Projekt wurde aus Brüssel nur noch halbherzig unterstützt

Die EU-Kommission hatte das Nabucco-Projekt ursprünglich stark favorisiert, weil es Erdgas-Lieferungen aus dem nahöstlichen Raum unter Umgehung Rußlands ermöglichen sollte (060605, 090102). Diese Unterstützung ließ allerdings schon 2009 merklich nach, als Kommissionspräsident Barroso die von Rußland betriebenen Gegenprojekte wie "South Stream" nicht mehr als Bedrohung von Nabucco, sondern als Beitrag zu einer wünschenswerten "Diversifizierung" der Gasversorgung sehen wollte (090201). Er gab damit zugleich grünes Licht für eine entsprechende Erklärung auf dem Gas-Gipfel in Sofia (090402) und für die weitere Einbindung westlicher Energiekonzerne in die russische Abwehrstrategie (100601). Schon 2007 war der vom italienischen Staat dominierte Energiekonzern ENI zu einem wichtigen Helfer der russischen Gazprom beim Vorantreiben des Konkurrenzprojekts "South Stream" zur Durchkreuzung der EU-Gasstrategie geworden (070612).

EU-Kommission sprach seit 2009 ganz allgemein vom "südlichen Gas-Korridor"

Nabucco scheiterte dann aber weniger an den russischen Abwehrbemühungen als an der Ungewißheit hinsichtlich der Auslastung der Leitung, die bei rund 30 Milliarden Kubikmeter jährlich hätte liegen müssen. Hinzu kam die Instabilität der potentiellen Lieferländer wie Aserbaidschan und Turkmenistan, die politisch Diktaturen oder zumindest korrupt-labile Gebilde sind. Damit rückten verstärkt Ersatzlösungen unter Nutzung bereits bestehender Pipeline-Verbindungen ins Blickfeld. Bereits auf einem Gipfeltreffen mit den potentiellen Gaslieferländern im Mai 2009 sprach die EU sehr allgemein von einem "südlichen Korridor für Energie und Verkehr" bzw. einem "südlichen Gas-Korridor", worunter sich eine ganze Reihe von Projekten subsumieren ließ (090501). Dazu gehörte auch die vom schweizerischen Axpo-Konzern geplante Trans Adriatic Pipeline (TAP), die unter Anknüpfung an eine bestehende Pipeline durch die Türkei (Tanap) oder auch als Abzweigung von Nabucco oder South Stream das Erdgas aus dem kaspischen Raum nach Italien transportieren sollte. Seit 2008 wurde dieses Projekt von der Axpo-Tochter EGL gemeinsam mit dem norwegischen Energiekonzern Statoil vorangetrieben.

Versuch zur Rettung eines Reststücks brachte "Nabucco-West" in direkte Konkurrenz zur TAP

Anfang 2012 wurde endgültig klar, daß Nabucco in der ursprünglich vorgesehenen Form – nämlich als 3900 Kilometer lange Neubautrasse vom kaspischen Raum bis nach Wien – keine Zukunft haben würde (120402). Ersatzweise wollten die OMV und ihre Konsortialpartner wenigstens das 1300 Kilometer lange Reststück retten, das von der bulgarisch-türkischen Grenze zum Gashub Baumgarten bei Wien führen sollte. Damit traten sie allerdings in direkte Konkurrenz zum 870 Kilometer langen TAP-Projekt, das über Italien ebenfalls die Versorgung Europas ermöglicht und an dem seit 2010 neben EGL und Statoil (jeweils 42,5 Prozent) auch der E.ON-Konzern mit 15 Prozent beteiligt ist (100511). Daß das Shah-Deniz-Konsortium vor einem Jahr "Nabucco-West" als bevorzugte Pipelineroute nach Zentraleuropa bezeichnete (120607), besagte nicht viel, da es der TAP zugleich einen ähnlichen Status zuerkannte.

Auf den Trassenverlauf in der EU hatte Aserbaidschan mehr Einfluß als Brüssel

EU-Kommissionspräsident Barroso und Energiekommissar Günther Oettinger begrüßten die nunmehr getroffene Entscheidung zugunsten der TAP unisono. Barroso erklärte, daß sie auf den Gesprächen basiere, die er im Januar 2011 mit dem aserbaidschanischen Präsidenten geführt habe. Oettinger meinte, daß es keinen Unterschied mache, ob das Gas aus Aserbaidschan über eine einzige Pipeline komme, wie das mit Nabucco ursprünglich geplant war, oder über die beiden Teilstücke Tanap und TAP.

Im Januar 2011 waren Barroso und Oettinger nach Aserbaidschan und Turkmenistan gereist, um mit den dortigen Regierungen Vorgespräche über Gaslieferungen zu führen. Außerdem beanspruchte die EU nun die Zuständigkeit für derartige Verhandlungen mit Drittstaaten, anstatt sie den Mitgliedsstaaten zu überlassen (110904). In seltsamem Kontrast zu diesem Anspruch hatte die Kommission allerdings wenig Einfluß darauf, auf welchem Wege die Gasmengen ab der türkischen Grenze durch die EU-Länder fließen würden. Über den Wettbewerb zwischen Nabucco-West und TAP entschied vielmehr das Shah-Deniz-Konsortium, das sich die Ausbeutung des gleichnamigen Gasfelds im Kaspischen Meer mit Hilfe der aserbaidschanischen Regierung sichern konnte. Sowohl bei der TAP wie auch beim Shah-Deniz-Konsortium entfallen die Kapitalanteile größtenteils auf Unternehmen, die außerhalb der EU angesiedelt sind.

Führende Anteilseigner des Shah-Deniz-Konsortiums sind mit jeweils 25,5 Prozent die Konzerne BP und Statoil. Über jeweils 10 Prozent verfügen das aserbaidschanische Staatsunternehmen Socar, der französische Konzern Total, die russische Lukoil und die iranische NICO. Die restlichen 9 Prozent besitzt die türkische TPAO. Bisher hat das Konsortium rund sechs Milliarden Dollar in die Erschließung des Gasfelds Shah-Deniz-I investiert, aus dem seit Ende 2006 bis zu neun Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert werden. Dieses Gas wird in Aserbaidschan selber verbraucht oder in die Nachbarländer Georgien und Türkei exportiert. Die Förderung des neuen Gasfelds Shah-Deniz-II ist dagegen für den Export nach Europa und in die Türkei bestimmt.

Shah-Deniz-Partner dürfen nun die Mehrheit an TAP übernehmen

Der norwegische Staatskonzern Statoil war von Anfang an zugleich im Shah-Deniz-Konsortium und im TAP-Projekt engagiert, was nicht ganz belanglos für die jetzt verkündete Entscheidung gewesen sein dürfte. Aber auch BP, Socar und Total profitieren: Sie haben von den bisherigen TAP-Alleinaktionären Statoil, EGL und E.ON die Zusage erhalten, bei einer positiven Entscheidung bis zu 50 Prozent der TAP-Aktien übernehmen zu dürfen.

 

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