April 2012 |
120402 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der jetzt angekündigte Ausstieg Ungarns aus "Nabucco" entbindet das Land nicht von den Verpflichtungen, die es mit der Unterzeichnung des zwischenstaatlichen Abkommens im Sommer 2009 und des darauf basierenden rechtlichen Rahmenwerks im Juni 2011 eingegangen ist. Wenn MOL aus dem Konsortium ausscheidet, gefährdet das deshalb nicht den Trassenverlauf durch Ungarn. Das Foto zeigt die Unterzeichnung des rechtlichen Rahmenwerks der Pipeline am 8. Juni 2011 im türkischen Kayseri. Ganz rechts unterschreibt für Ungarn der damalige Minister für Nationale Infrastrukturentwicklung,Tamas Fellegi. Foto: Nabucco
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Die Erdgasleitung Nabucco, die Europa größere Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen bescheren soll, droht an der Uneinigkeit und Halbherzigkeit zu scheitern, mit der die EU das Projekt betreibt. Der ursprüngliche Zeitplan ist bereits hinfällig geworden. Der für Ende 2011 geplante Baubeginn wurde auf 2013 verschoben. Außerdem ist inzwischen mit deutlich höheren Kosten als den zuletzt veranschlagten acht Milliarden Euro zu rechnen. Als Alternative wird deshalb eine Verkürzung der Leitung erwogen: Statt über 3.900 Kilometer bis zum Kaspischen Meer soll sie nur über 1.300 Kilometer bis zur bulgarisch-türkischen Grenze führen. Dort würde sie dann an die bestehende Pipeline Tanap durch Anatolien anschließen. Ende 2011 unterschrieben der türkische Nabucco-Partner Botas und Aserbeidschan bereits eine Absichtserklärung zu Gaslieferungen bis zur bulgarischen Grenze. Dafür soll Tanap modernisiert und vergrößert werden.
Der RWE-Konzern scheint sich bereits für diese Variante entschieden zu haben. "Wir freuen uns über alle Lösungen, die unser eigenes finanzielles Engagement möglichst gering halten", erklärte der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann in einem Interview mit "Dow Jones" (17.1.). Entscheidend sei für RWE, Gas aus Aserbeidschan und Turkmenistan zu erhalten, wo man sich im Rahmen der Verhandlungen über die Pipeline bereits Explorationslizenzen gesichert habe. Der für das Projekt zuständige RWE-Manager Stefan Judisch wurde vom Österreichischen Wirtschaftsblatt (19.1.) mit der Äußerung zitiert: "Wir schätzen das Potenzial, das Tanap bietet, unseren Kapitaleinsatz deutlich zu verringern und diese Option muß nun geprüft werden."
RWE will sich jedoch weiter an Nabucco beteiligen. Dies stellte der Konzern klar, nachdem Großmanns Äußerungen ("Ob die Leitung dann Turandot oder Nabucco heißt, ist uns egal") als Änderung der Konzernstrategie interpretiert wurden. RWE ist neben der österreichischen OMV der wichtigste Partner im "Nabucco"-Konsortium, dem außerdem die türkische Botas, die Bulgarian Energy Holding, die ungarische MOL und und die rumänische Transgaz angehören. Die sechs Konsortialpartner verfügen über jeweils 16,67 Prozent an der Nabucco Gas Pipeline International GmbH.
Allerdings haben jetzt Ungarn und sein staatlich kontrollierter Energiekonzern MOL angekündigt, aus dem Projekt auszusteigen. "Ich bin kein Experte für die Details, aber soweit ich gesehen habe, wird das ungarische Unternehmen MOL das Projekt verlassen", zitierte die ungarische Nachrichtenagentur MTI den Regierungschef Viktor Orban mit einer Äußerung, die er am 23. April vor Jounalisten in Brüssel gemacht habe. Von MOL selber gab es bis dahin keinerlei Absichtserklärung in dieser Richtung. MOL-Chef Zsolt Hernadi paßte sich jedoch schnell der Marschroute des Regierungschefs an: Nabucco sei kein gut geführtes Unternehmen, sagte er am 26. April vor Journalisten. MOL erwäge deshalb den Verkauf seiner Konsortialbeteiligung.
Vorausgegangen war am 17. April ein Treffen Orbans mit Gazprom-Chef Alexej Miller, der dafür eigens nach Budapest reiste. Offiziell ging es um das konkurrierende "South Stream"-Projekt, an dem sich Ungarn ebenfalls beteiligt. Offenbar fühlte sich Orban nach diesem Treffen mit dem Kreml-Abgesandten ermutigt, auch in Sachen Nabucco den Konflikt mit der EU zu suchen, die Orban und dessen autoritärem Regime zahlreiche Verstöße gegen demokratische Prinzipien und Gemeinschaftsrecht vorwirft. Dennoch bekam der ungarische Regierungschef bei seinem anschließenden Besuch in Brüssel weitere Finanzhilfen zugesagt.
"Nabucco lebt mehr denn je", meinte demgegenüber der Vorstandsvorsitzende des österreichischen Energiekonzerns OMC, Gerhard Roiss, am 26. April vor Journalisten in Wien. Ein Rückzug Ungarns wäre "kein Beinbruch". Das im Sommer 2009 unterzeichnete zwischenstaatliche Abkommen (090703) sei bindend. Ein Ausstieg von MOL könne deshalb die Trassenführung durch Ungarn nicht gefährden. Auch Roiss ließ allerdings erkennen, daß er zu eineren kürzeren Leitung in Kombination mit "Tanap" tendiert.