Februar 2009

090201

ENERGIE-CHRONIK




Sie konnten zueinander nicht kommen: EU-Kommissionspräsident Barroso und der russische Regierungschef Putin auf dem offiziellen Foto, das die russische Regierung nach der Unterredung verbreitete. Barroso lobte dennoch die "konstruktive Atmosphäre" des Gesprächs.
Pressefoto Reg. RU

Kreml lehnt Energie-Charta weiterhin ab und verlangt hohen Preis für Partnerschaftsvertrag mit der EU

Rußland ist weiterhin nicht bereit, die Energie-Charta zu ratifizieren oder deren Grundsätze in einem neuen Partnerschaftsvertrag mit der EU zu verankern. Dies verdeutlichte die Kreml-Führung bei einem Treffen mit der Europäischen Kommission, das am 6. Februar in Moskau stattfand. Die russische Seite habe der EU-Delegation vorgeschlagen, entweder eine neue Charta zu vereinbaren oder die bestehende zu überarbeiten, erklärte Regierungschef Wladimir Putin anschließend bei einer Pressekonferenz. Man sei zu Kompromissen bereit, erwarte jedoch dasselbe Entgegenkommen seitens der EU. Putin ließ offen, was er damit genau meinte. Anscheinend ging es ihm vor allem um die alte Forderung, dem Staatskonzern Gazprom in Westeuropa unbeschränkten Zugang zu den Endverbrauchern zu gewähren und ihm keine Hindernisse beim Kauf von Energieunternehmen in den Weg zu legen. Dies wäre allerdings ein unangemessen hoher Preis, denn Gazprom ist weder ein normaler Energiekonzern noch ein normales Staatsunternehmen, sondern der verlängerte Arm eines autoritären Regimes, das bereits als Gaslieferant der EU eine viel zu mächtige Position besitzt.

Ausgerechnet Rußland verweigerte die Ratifizierung der Charta

Die Energie-Charta - ursprünglich als Europäische Energie-Charta bezeichnet - war 1991 vor allem mit Blick auf Rußland entworfen worden, um nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Grundlage für die Erschließung der dortigen Gas- und Ölvorkommen zu bilden. Eine erste Absichtserklärung wurde 1991 von den europäischen Ländern einschließlich der ehemaligen Sowjetrepubliken sowie USA, Kanada, Japan und Australien unterzeichnet (911204). Drei Jahre später wurde die Charta auf einer Konferenz in Lissabon in einem 54 Artikel umfassenden Vertragswerk völkerrechtlich bindend präzisiert (940601, 941204) und trat im April 1998 in Kraft (980405). Bisher sind 51 Staaten sowie die EU und Euratom dem Vertrag beigetreten. Von diesen Staaten haben ihn auch fast alle ratifiziert, mit Ausnahme von Rußland, Weißrußland, Norwegen, Australien und Island. Die Energie-Charta ist somit ausgerechnet für jenes Land nicht verbindlich geworden, für das sie eigentlich konzipiert worden war.

Putin machte aus der Energiewirtschaft die materielle Machtbasis des Kreml

Rußland hatte noch 1998 eine baldige Ratifizierung der Charta in Aussicht gestellt (980405). Mit der kurz darauf erfolgten Machtübernahme durch Wladimir Putin zeichnete sich aber immer deutlicher ab, daß es dazu nicht kommen würde. Aus russischer Sicht galt die Energie-Charta nunmehr als einseitig oder gar als Erblast des Jelzin-Regimes, unter dem Staatsvermögen und Bodenschätze regelrecht verschleudert worden waren. Mit der Ablehnung der Ratifizierung verschaffte sich Putin die Handlungsfreiheit, um die russische Energiewirtschaft wieder zu verstaatlichen und die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen als Druckmittel gegenüber Staaten wie der Ukraine einzusetzen. Beides wäre mit der Energie-Charta unvereinbar gewesen, da sie den Schutz von Investitionen sowie den Handel und Transit mit Primärenergieträgern gewährleistet. Beispielsweise hätte Rußland im Januar die Gaslieferungen durch die Ukraine nicht verringern oder stoppen dürfen, bevor das dafür vorgesehene Streitbeilegungsverfahren eingeleitet und abgeschlossen worden wäre. Inzwischen ist es Putin gelungen, die Gas- und Ölförderung sowie den Atomkomplex zur materiellen Machtbasis des Kreml auszubauen. Andererseits hat er sich mit dem Lieferstopp im Januar selber am meisten geschadet. Insofern könnte er nun der EU durchaus entgegenkommen. Anscheinend will er aber die von Brüssel verlangten Garantien nur abgeben, wenn Gazprom in Westeuropa nicht mehr als wirtschaftliche Basis des Kreml, sondern als "normaler" Energiekonzern behandelt wird.

Brüssel wünscht "belastbare Regelungen zur Sicherung der Energieversorgung"


Konzilianter als Putin gab sich der russische Präsident Medwedew. Er soll sogar mit Barroso (links) darin übereingestimmt haben, daß die Ermordung von kritischen Journalisten und Bürgerrechtlern kein gutes Licht auf die Verhältnisse in Rußland wirft...

Die EU-Kommission war in großer Besetzung nach Moskau gereist, um nach dem zweiwöchigen Stopp der russischen Gaslieferungen durch die Ukraine (090101) die künftige strategische Ausrichtung der Beziehungen zwischen Russland und der EU für die kommenden Jahre festzulegen. Zur Delegation gehörten neben dem Präsidenten José Manuel Barroso die Vizepräsidenten G. Verheugen, J. Barrot, S. Kallas und A. Tajani sowie die Kommissare S. Dimas, J. Almunia, B. Ferrero-Waldner, A. Piebalgs und C. Ashton. Ihre wichtigsten Gesprächspartner waren der russische Präsident Dmitri Medwedew und dessen Vorgänger Wladimir Putin, der auch in seiner neuen Position als Ministerpräsident, die er seit Mai 2008 innehat, weiterhin als der faktische Kreml-Chef gilt.

Zu den erhofften Festlegungen kam es offensichtlich nicht. Barroso lobte indessen die "konstruktive Atmosphäre", in der "viele wichtige Fragen sehr offen diskutiert" worden seien. Rußland sei nach den USA und China der drittgrößte Handelspartner der EU und stehe bei deren Auslandsinvestitionen an erster Stelle. Man müsse auf beiden Seiten dafür sorgen, daß diese wechselseitige Abhängigkeit in den Augen der Bürger positiv wahrgenommen werde. Dazu bedürfe es "Verläßlichkeit, Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit". Die jüngste Gaskrise zwischen Rußland und der Ukraine habe gezeigt, daß auch "belastbarer Regelungen zur Sicherung der Energieversorgung" notwendig seien.

Barroso sieht in "Nord Stream" und "South Stream" keine Bedrohung von "Nabucco"

Auf Nachfrage distanzierte sich Barroso indirekt vom amtierenden EU-Ratspräsidenten Topolanek, der die von Rußland betriebenen Pipeline-Projekte "Nord Stream" und "South Stream" als eine direkte Bedrohung des von der EU unterstützten "Nabucco"-Projektes bezeichnet hatte (090102). Die Kommission habe sich niemals den beiden russischen Pipeline-Projekten widersetzt. Sie strebe vielmehr eine Diversifizierung an, bei der die Gasversorgung Westeuropas auf unterschiedlichen Wegen erfolgt. "Wir wollen nicht mit allen Mitteln eine Pipeline gegen die andere setzen. Ich versichere Ihnen, daß Rußland unser wichtiger Partner bei der europäischen Gasversorgung bleiben wird."

Internationale Beobachter bleiben vorerst an den Meßstationen

Die internationalen Beobachter, die zur Lösung der Gaskrise an die russisch-ukrainischen Meßstationen entsandt wurden (090101), bleiben vorerst weiterhin vor Ort. Auf eine entsprechende Frage sagte Barroso, man sei übereingekommen, sie noch einige Zeit ihre Kontrollfunktion ausüben zu lassen. Putin präzisierte diese Angabe dahingehend, daß sie noch "mindestens bis zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres" bleiben sollten. Zugleich kritisierte er, daß den russischen Beobachtern bisher kein Zugang zur zentralen Verteilerstation in Kiew und zu den unterirdischen Erdgasspeichern der Ukraine gewährt worden sei.

Das Thema Rechtssicherheit ist für Putin ein rotes Tuch

Sichtlich gereizt reagierte Putin auf die Mitteilung Barrosos, er habe mit dem - bei der Pressekonferenz nicht anwesenden - Präsidenten Medwedew auch über "jüngste Ereignisse gesprochen, die die Rechtsstaatlichkeit Rußlands berühren". Der Kremlchef glaubte daraufhin der EU vorwerfen zu müssen, sie würde die "Rechte von Migranten" verletzen und in den baltischen Staaten die russischen Minderheiten diskriminieren. Auch mit Problemen beim Strafvollzug stehe Rußland nicht allein. Barroso sprach daraufhin ausdrücklich die jüngsten "Morde an mehreren Journalisten und Bürgerrechtlern" an. Bei dem "sehr konstruktiven Gespräch" mit Medwedew habe Übereinstimmung bestanden, daß solche Ereignisse in der öffentlichen Meinung Europas keinen guten Eindruck hinterließen.

EU-Parlament für Abbau der Spannungen im Dialog mit Rußland

Das Europäische Parlament unterstützte am 3. Februar in einer Entschließung die Absicht der Kommission, ein umfassendes neues Übereinkommen mit Rußland anstelle des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens von 1997 auszuhandeln (Ende der neunziger Jahre hatte die EU mit Rußland und den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbeidschan, Georgien, Kasachstan, Kirigisistan, Moldavien, Ukraine und Usbekistan neun ähnliche Partnerschafts- und Kooperationsabkommen geschlossen). Die Grundsätze der Energiecharta sowie der dazugehörigen Transitprotokolle müßten aber uneingeschränkt eingehalten werden. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland seien von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt. Da die Ukraine als Transitstaat eine Schlüsselrolle spiele, müsse sie auf EU-Seite in den laufenden Dialog mit Russland einbezogen werden. (Siehe die Punkte 44 bis 48 der Entschließung im Wortlaut)

In der Begründung zum Text der Entschließung plädiert die Berichterstatterin Anne Laperrouze für einen Abbau der Spannungen im Dialog mit Rußland, das 42 Prozent des in die EU importierten Erdgases liefere und Polen, Finnland und die baltischen Länder sogar zu 100 Prozent versorge. Die EU solle deshalb nicht auf der Ratifizierung des Vertrags über die Energiecharta bestehen. Auch solle das europäische Pipeline-Projekt Nabucco gemeinsam mit Russland verwirklicht, um eine Konkurrenz zwischen den beiden Pipelines zu vermeiden. (Siehe Wortlaut)

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