November 2008 |
081101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Europäische Kommission hat der von E.ON angebotenen Verpflichtungszusage zum Verkauf des Transportnetzes (080503) Rechtsverbindlichkeit verliehen. Im Gegenzug verzichtet sie darauf, den Konzern wegen mißbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung zu belangen. Wie aus der Pressemitteilung der Kommission vom 26. November hervorgeht, verfügt sie in dieser Hinsicht über zahlreiche Hinweise. Seit Juli 2007 lief gegen E.ON ein förmliches Kartellverfahren (070710). Zum Teil waren die belastenden Materialien bei Razzien in den Chefetagen der Energiekonzerne sichergestellt worden (061205, 060503). Außerdem sollte E.ON 38 Millionen Euro Geldbuße dafür zahlen, daß eine versiegelte Tür, hinter der die Kommission sichergestelltes Material aufbewahrte, aufgebrochen worden war (080106). Sollte E.ON die jetzt akzeptierten Verpflichtungszusagen nicht einhalten, könnte die Kommission gegen das Unternehmen eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent seines Gesamtumsatzes verhängen, ohne einen Verstoß gegen die im EG-Vertrag verankerten Wettbewerbsregeln nachweisen zu müssen.
Aufgrund einer 2005 eingeleiteten Untersuchung der Fehlentwicklungen auf dem europäischen Strom- und Gasmarkt (050704) hatte die Kommission 2006 die oligopolistisch strukturierte Branche verschärft ins Visier genommen (060202). Laut Pressemitteilung gelangte sie dabei zu dem begründeten Verdacht, daß E.ON auf zweierlei Weise gegen das Verbot der mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (Artikel 82) verstoßen haben könnte:
Um die Einstellung der Ermittlungen im ersten Fall zu erreichen, schlug E.ON vor, in Deutschland rund 5000 MW an Erzeugungskapazitäten verschiedener Technologien und Brennstoffe zu veräußern, z.B. Wasserkraft, Braunkohle, Steinkohle, Gas, Pumpspeicherkraft und Kernkraft. Nach Ansicht der Kommission wird E.ON dadurch die Fähigkeit verlieren, Kapazitäten zurückzuhalten, um eine Preissteigerung zu erreichen. Darüber hinaus würden auf diese Weise Wettbewerbern Erzeugungskapazitäten zur Verfügung gestellt.
Als Gegenleistung für die Einstellung der Ermittlungen im zweiten Fall bot E.ON die Veräußerung der von E.ON-Netz betriebenen Übertragungsnetzsparte an, die das Höchstspannungsnetz (380/220 kV) und den Systembetrieb umfaßt. Auf diese Weise geht nach Ansicht der Kommission für den Netzwerkbetreiber der Anreiz verloren, einen bestimmten Zulieferer zu begünstigen.
E.ON muß die Veräußerung seiner Vermögenswerte unter der Aufsicht eines Treuhänders durchführen, der insbesondere sicherstellen soll, daß der Erwerber keine Wettbewerbsbedenken aufwirft. Die potentiellen Käufer der zu veräußernden Vermögenswerte müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen und alle Käufe von der Kommission genehmigt werden.
"Diese äußerst umfassenden Verpflichtungszusagen werden die deutsche Strommarktlandschaft grundlegend verändern", meinte dazu die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, die im September 2006 erstmals die eigentumsmäßige Entflechtung der Transportnetzbetreiber gefordert hatte (060902). Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Kartellrechts veräußere ein Unternehmen bedeutende Vermögenswerte, um Wettbewerbsbedenken auszuräumen. "Über 20 Prozent der Erzeugungskapazitäten werden nun Wettbewerbern und neuen Stromerzeugern zur Verfügung stehen. Dies sollte sich positiv auf die Strompreise auswirken und den Verbrauchern unmittelbar zugute kommen. Nach der Veräußerung seines Netzes wird E.ON nicht länger in der Lage sein, durch die Kontrolle des Netzes seine Stromerzeugungstochter gegenüber anderen Wettbewerbern zu begünstigen."
Weit weniger euphorisch sieht der Europäische Verband der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen (GEODE) die von E.ON eingegangenen Verpflichtungen. In einer Stellungnahme vom 27. November kritisierte er den jetzt akzeptierten Handel als unzureichend und forderte Nachbesserungen: E.ON habe nicht angeboten, die Erzeugungskapazitäten an potentielle Wettbewerber zu verkaufen, sondern sich vielmehr vorbehalten, die Erzeugungskapazitäten mit Erzeugungskapazitäten in anderen Mitgliedsstaaten zu tauschen. Die Anforderungen an den Tauschpartner seien dabei so gestaltet, daß nur Unternehmen in Betracht kommen, die in anderen Mitgliedsstaaten über eine marktbeherrschende Stellung auf dem Strommarkt verfügen.
Insbesondere kämen die Eléctricité de France (EDF) und die Italienische ENEL als Erwerber der E.ON-Kraftwerkskapazitäten in Betracht. Diese Unternehmen würden in Deutschland aber nicht in Wettbewerb mit E.ON treten, wenn sie auf ihren Heimatmärkten mit einer entsprechenden Reaktion von E.ON rechnen müssen. Auf diese Weise werde der jetzt vereinbarte Handel zu zusätzlichen Interessenverbindungen zwischen E.ON und den anderen großen europäischen Stromerzeugern führen und der Entstehung oligopolistischer Strukturen in ganz Europa Vorschub leisten. Außerdem hätten Stadtwerke, neue Anbieter auf dem Strommarkt und die Industrie keine Möglichkeit, Erzeugungskapazitäten von E.ON zu erwerben, weil sie keine eigenen Erzeugungskapazitäten zum Tausch anbieten können.
Die 1991 gegründete GEODE vertritt die Interessen von Stadtwerken und anderen konzernunabhängigen Gas- und Stromverteilern.