Januar 2007

070101

ENERGIE-CHRONIK


Brüssel verlangt eigentumsmäßige Entflechtung der Strom- und Gasnetze

Die EU-Kommission will die Wettbewerbshindernisse auf dem europäischen Strom- und Gasmarkt, die sie bereits seit zwei Jahren beklagt (050104), endlich mit wirksamen Maßnahmen beseitigen. In einem Vorschlagspaket, das sie am 10. Januar vorlegte, hält sie sie sogar eine eigentumsmäßige Trennung der Netze von Erzeugung und Vertrieb für erforderlich. Sie macht sich damit die Sichtweise von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zueigen, die im Herbst 2006 erstmals für die eigentumsmäßige Entflechtung plädiert hatte (060902). Ersatzweise - aber nur als schlechtere Lösung - schlägt sie die Zusammenfassung aller nationalen Netze unter dem Dach einer gemeinschaftlichen Netzorganisation vor, die ihrerseits den Netzeigentümern gehören würde und als "Independant System Operator" (ISO) für die Betriebsführung zuständig wäre.

Die zweite Lösung ist offenbar als politischer Kompromiß gedacht, um den Widerstand der betroffenen Energiekonzerne bzw. einzelner Staaten wie Frankreich und Deutschland überwinden zu können. Die Kommission gibt diesen Regierungen indessen zu bedenken, daß bei dem ISO-Modell ein erheblicher regulativer Aufwand nötig sein werde, um die Unabhängigkeit der Betriebsführung gegenüber den Interessen der Netzeigentümer zu wahren.

Die Staats- und Regierungschefs der EU werden im Februar über die Vorschläge beraten, die jetzt von den 27 Kommissaren verabschiedet wurden. Auf Grundlage der dann getroffenen Beschlüsse wird die Kommission einen entsprechenden Richtlinien-Entwurf ausarbeiten.

Energiewirtschaft protestiert – Bundesregierung noch ohne klare Linie

Die Vorschläge der Kommission stießen bei den betroffenen Wirtschaftskreisen erwartungsgemäß auf Ablehnung. "Der Entzug der Verfügbarkeit über eigene Produktionsmittel erfüllt den Tatbestand der Enteignung und ist unserer sozialen Marktwirtschaft absolut systemfremd", ließ sich der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) vernehmen. Diplomatischer äußerte sich der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), indem er einerseits den klimapolitischen Teil des Energiepakets (070102) lobte, zugleich aber die geforderte eigentumsmäßige Entflechtung der Netze als "deutlich zu weit gehend" ablehnte. Nach Ansicht des VDEW wird in Deutschland ein diskriminierungsfreier Netzzugang bereits durch die Regulierungsbehörde gewährleistet. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) warf der Kommission "gefährlichen Aktionismus" vor. Keinesfalls dürfe eine weitergehende Entflechtung des Netzbetriebs auf die Verteilnetzebene ausgedehnt werden, weil sonst "die verbleibenden Reststadtwerke nicht überlebensfähig wären".

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die seit Jahresbeginn auch als EU-Ratspräsidentin fungiert und der Wettbewerbskommissar Barroso am 9. Januar seinen Antrittsbesuch machte, ließ ebenfalls erkennen, daß ihr der Vorschlag der Kommission zu weit geht. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wollte dagegen eine eigentumsmäßige Entflechtung zumindest als "ultima ratio" nicht ausschließen. (FAZ, 10. u. 13.1.; SZ, 12. u. 13.1.)

Untersuchung des Energiesektors bestätigte fortdauernde Diskriminierung von Wettbewerbern

Die weitere Verschärfung ihrer Gangart gegenüber den marktbeherrschenden Konzernen begründet die Kommission mit den Ergebnissen der Untersuchung des Energiesektors, die sie im Juni 2005 eingeleitet hat. Erste Ergebnisse dieser Untersuchung waren bereits im November 2005 (051103) und im Februar 2006 (060202) vorgelegt worden. Der jetzt veröffentlichte Abschlußbericht bestätigt nochmals, daß die Erdgas- und Strommärkte der EU zu ineffizient und zu teuer sind. Besondere Probleme bereiten die hohe Marktkonzentration und die vertikale Integration von Versorgung, Erzeugung und Infrastruktur, durch die ein diskriminierungsfreier Zugang nicht möglich ist und die notwendigen Investitionen in die Netze behindert werden (siehe Grafik). Ferner besteht die Gefahr, daß die etablierten Versorger den Markt durch Absprachen untereinander aufteilen.

Die Untersuchung ergab eine ganze Anzahl von Fällen, in denen die vertikal integrierten "Platzhirsche" (incumbents) neue Marktteilnehmer diskriminierten, indem ihre Netzgesellschaften den Vertriebsgesellschaften des eigenen Konzerns bevorzugt Netzkapazitäten und Marktinformationen zukommen ließen. Namentlich nennt die Kommission die Konzerne ENI und RWE, die im vergangenen Jahr von der italienischen bzw. tschechischen Wettbewerbsbehörde solcher mißbräuchlicher Praktiken im Gasbereich für schuldig befunden wurden. Die Kommission hatte aufgrund solcher Hinweise im Mai 2006 die Geschäftsräume von Gaskonzernen in Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien und Österreich durchsucht (060503). Im Dezember 2006 folgte eine weitere Razzia bei den vier deutschen Stromkonzernen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall wegen des Verdachts von Preisabsprachen und Preismanipulationen an der Strombörse (061205).

Mit dieser Grafik illustriert die EU-Kommission die verschiedenen Formen der Marktbeherrschung durch einen (Frankreich), zwei (Spanien) oder vier Konzerne (Deutschland). Lediglich in England sieht sie die Voraussetzungen für Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt als erfüllt an.

Mit dieser Grafik belegt die EU-Kommission ihren Vorwurf, daß die Netzbetreiber zu wenig in die Infrastruktur investieren. Sie zeigt, daß nur die österreichischen Transportnetzbetreiber (erster Balken von links) ihre Einkünfte aus dem Engpaß-Management voll in den Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindungen investiert haben. Die deutschen Transportnetzbetreiber (vierter Balken von links) haben dagegen drei Viertel ihrer Einnahmen für andere Zwecke verwendet.