September 2007 |
070901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission hat ihre Pläne für die Neuregelung des Energiemarkts der Gemeinschaft zu fünf Gesetzgebungsvorschlägen verdichtet, die sie am 19. September vorlegte. Das Paket umfaßt zwei neue Richtlinien für die Strom- und Gasbinnenmärkte sowie drei Verordnungen. Die Richtlinienentwürfe sehen eine konsequentere Entflechtung der Transportnetze vor, um die Unabhängigkeit des Netzbetriebs von anderen Geschäftsbereichen der Energiekonzerne zu gewährleisten (070101). Ferner sollen diese Kriterien künftig auch für Unternehmen aus Drittstaaten – etwa die russische Gazprom – gelten, wenn sie den Einstieg bei EU-Netzbetreibern oder gar deren Übernahme beabsichtigen (070306). Die drei Verordnungen betreffen die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Regulierungsbehörden, den grenzüberschreitenden Stromhandel und die Erdgasfernleitungsnetze.
Den Vorschlägen zufolge dürfen Strom- und Gasnetzbetreiber künftig
nicht mehr zu Konzernen gehören, die auch in der Energieversorgung und
–erzeugung tätig sind. Davon ausgenommen sind Minderheitsbeteiligungen.
Mit Blick auf den hartnäckigen Widerstand, den vor allem Frankreich und
Deutschland gegen eine solche eigentumsmäßige Entflechtung leisten,
sieht die Kommission als Ausnahmelösung die Übertragung des technischen
und kommerziellen Betriebs der Anlagen an einen "unabhängigen Netzbetreiber"
vor. Dieser unabhängige Netzbetreiber ist vom jeweiligen Mitgliedsstaat
zu benennen und muß von der Kommission gebilligt werden. Er hat dieselben
Entflechtungsvorgaben einzuhalten wie andere Netzbetreiber. Beispielsweise darf
er nicht an einem Versorgungsunternehmen beteiligt sein. Er muß sich verpflichten,
einen von der Regulierungsbehörde vorgegebenen zehnjährigen Investitionsplan
zu erfüllen. Der Eigentümer ist verpflichtet, die vom unabhängigen
Netzbetreiber beschlossenen Investitionen zu finanzieren.
Zugleich will die Kommission gewährleisten, daß Drittlandsunternehmen,
die größere Anteile an oder gar die Kontrolle über ein EU-Netz
übernehmen wollen, nachweislich und eindeutig denselben Entflechtungsvorschriften
genügen wie EU-Unternehmen. Die Kommission kann intervenieren, wenn ein
Käufer nicht nachweist, dass er sowohl direkt als auch indirekt von Versorgungs-
und Erzeugungsaktivitäten unabhängig agiert. Ferner sollen Drittstaaten
und Drittstaatsangehörige nur dann Kontrolle über einen Netzbetreiber
ausüben dürfen, wenn dies durch ein Abkommen zwischen der EU und dem
betreffenden Drittstaat gestattet wird.
Die nationalen Regulierungsbehörden sollen künftig bei ihren "betrieblichen Alltagsentscheidungen" nicht nur von Brancheninteressen, sondern auch von der Regierung vollkommen unabhängig sein. Ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten werden ausgeweitet. Ergänzend soll eine Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden errichtet werden. Sie wird ähnliche Aufgaben übernehmen wie bisher die European Regulators Group für Electricity and Gas (ERGEG), in der die im Council of European Energy Regulators (CEER) organisierten europäischen Regulierungsbehörden als Berater der Kommission fungieren (041003). Im Unterschied zur ERGEG soll sie jedoch auch Entscheidungsbefugnisse haben, um Handelshemmnisse zu beseitigen, die durch Regulierungslücken zwischen den Mitgliedstaaten entstehen.
Die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Transportnetzbetreibern, die heute in Organisationen wie der ETSO (990730) auf freiwilliger Basis erfolgt, soll künftig ebenfalls verbindlich geregelt werden. Um ein optimales Management sicherzustellen, werden die Betreiber der Transportnetze verpflichtet, jeweils ein europäisches Netz für Strom und Gas zu errichten. Die Abwicklung grenzüberschreitender Energielieferungen würde damit nicht mehr den nationalen Netzbetreibern überlassen, sondern in die Zuständigkeit dieses europäischen Netzbetreibers fallen. Ferner hätte er für die Erarbeitung und Einhaltung einheitlicher Standards zu sorgen, die Planung von Netzinvestitionen zu koordinieren und die Entwicklung der Netzkapazität zu überwachen.
Während Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Gesetzgebungsvorschläge der Kommission uneingeschränkt als "richtige Weichenstellung" begrüßte, hielt Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wesentliche Punkte für "noch nicht überzeugend gelöst". Glos hob hervor, daß die Bundesregierung bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen habe, um die Anbietervielfalt auf der Erzeugerseite und damit den Wettbewerb zu stärken, wie die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung (070602), die grenzüberschreitende Marktkopplung (070604) und die Stärkung der kartellrechtlichen Kontrolle (070401). Das Paket sei insgesamt zu bürokratisch und führe zu einem hohen regulatorischen Aufwand. Eine Eigentumsentflechtung lehne die Bundesregierung strikt ab. Auch der alternative Vorschlag eines unabhängigen Netzbetreibers sei "so komplex und wirtschaftlich unattraktiv, dass er nicht überzeugen kann".