Juli 2019

190703

ENERGIE-CHRONIK


Zwei von drei Regierungsgutachten wollen Emissionshandel auf Verkehr und Gebäude ausweiten

Sowohl das Kanzleramt als auch das Wirtschafts- und das Umweltministerium haben im Juli eigene Gutachten zu der Frage vorgelegt, wie sich die Treibhausgas-Emissionen wirksamer verringern lassen. Die Ratgeber der beiden erstgenannten plädieren dabei für eine Ausweitung des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) auf die CO2-Emissionen von Verkehr und Gebäuden (Wärme). Diese Bereiche sowie andere Sektoren wie die Landwirtschaft sind für den größten Teil der CO2-Emissionen verantwortlich, werden aber nicht vom Emissionshandel erfaßt, weil sich das ETS auf die Großfeuerungsanlagen von Energiewirtschaft und Industrie beschränkt (190604). Die Einführung einer CO2-Lenkungsabgabe, die höchstwahrscheinlich effizienter zum Klimaschutz beitragen würde, empfehlen nur die vom Bundesumweltministerium beauftragten Gutachter. Dabei war der Emissionshandel bisher zumindest in Deutschland kein wirksames Instrument des Klimaschutzes (siehe Hintergrund Juni 2019 und Hintergrund November 2017). Dies könnte sich allerdings ändern, wenn er mit Vorgaben für einen CO2-Mindestpreis kombiniert würde, wie das Großbritannien seit 2013 praktiziert und nun auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vorschlägt.

Gutacher des Umweltministeriums empfehlen CO2-Lenkungsabgabe

Den Reigen der Gutachten eröffnete am 5. Juli die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit drei Papieren, die in ihrem Auftrag vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung (IMK) und dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) erarbeitet wurden. Das Gesamtpaket empfiehlt die Einführung einer CO2-Lenkungsabgabe, die beispielsweise klimafreundliches Verhalten an der Tankstelle oder bei der Wohnraumbeheizung besonders belohnen würde, im übrigen aber den Bürgern durch Rückvergütung der Einnahmen oder über eine Senkung der Stromkosten wieder zugute käme.

Sachverständigenrat zieht CO2-Abgabe als Übergangslösung in Betracht

Am 12. Juli folgte die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), indem sie sich vom Vorsitzenden ihres Sachverständigenrats für Wirtschaftsfragen, Christoph Schmidt, ein Sondergutachten mit dem Titel "Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik" übergeben ließ. Das Beratergremium empfiehlt darin eine Ausweitung des Emissionshandels auf den Nicht-ETS-Bereich bis spätestens 2030. Als Übergangslösung müsse zunächst ein separater Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäude etabliert werden. Aber auch dies werde einige Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb sei die vorübergehende Etablierung eine CO2-Steuer für diese Bereiche zu erwägen, die sich am ETS-Preisniveau orientiert, soweit eine Emissionsberechtigung mindestens 20 bis 25 Euro kosten würde. Diese Übergangslösung soll dann später zugunsten eines integrierten Emissionshandel entfallen, der auch die Sektoren Verkehr und Gebäude umfasst.

BMWi-Beirat will alle Klimaabgaben durch Emissionshandel überflüssig machen

Am 15. Juli veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium ein drittes Gutachten, das der Wissenschaftliche Beirat des Ministeriums erstellt hat. Es will ebenfalls den Emissionshandel auf die bisher nicht erfaßten Sektoren ausdehnen. Langfristig soll so ein einheitlicher CO2-Preis entstehen, der es ermögliche, alle existierenden Klimaabgaben abzuschaffen – von der EEG-Förderung über die Belastung von Kraftstoffen und Strom bis hin zur gesetzlichen Fixierung des Kohleausstiegs. Das scheint dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) allerdings zuviel neoliberaler Tobak zu sein. Das Papier wurde zwar auf der Internet-Seite des Ministeriums veröffentlicht. Es gab aber nicht einmal eine Pressemitteilung dazu oder gar anerkennende Worte des Ministers, wie das noch beim vorangegangenen Gutachten zu "Wirtschaftspolitischen Problemen der deutschen Leistungsbilanz" der Fall war, das vom selben Gremium Ende März vorgelegt wurde.

CO2-Mindestpreis könnte dem Emissionshandel auf die Sprünge helfen

Am 18. Juli befasste sich das "Klimakabinett" der schwarz-roten Regierung mit den Gutachten, wobei Christoph Schmidt vom Wirtschaftssachverständigenrat und Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ihre Empfehlungen erläuterten. Beide hatten im Dezember 2018 in einem Papier des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (vormals Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung) gemeinsame "Eckpunkte einer CO2-Preisreform" vorgelegt, in denen die Einführung eines CO2-Mindestpreises vorgeschlagen wird. Zusammenfassend hieß es in dem Papier:

Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, erfordert eine emissionsneutrale Weltwirtschaft ab Mitte dieses Jahrhunderts. Ein sektorübergreifender und weltweiter CO2-Preis ist das kosteneffektivste Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Bisherige Bepreisungssysteme weisen jedoch ein zu niedriges Preisniveau auf und sind zudem nicht ausreichend international koordiniert. Deutschland sollte darauf dringen, dass im Europäischen Emissionshandel (EU ETS) ein Mindestpreis von 20 €/t CO2 ab 2020 eingeführt wird, der bis zum Jahr 2030 auf 35 €/t CO2 ansteigt. Sollte ein europaweiter Mindestpreis politisch nicht durchsetzbar sein, es aber eine große Koalition der Willigen unter den EU-Ländern geben, könnten flexible nationale CO2-Steuern die Differenz zwischen dem Preis am europäischen Zertifikatemarkt und dem unter den Willigen vereinbarten Mindestpreis ausgleichen. Zudem sollten in den nicht vom EU ETS erfassten Sektoren, insbesondere Verkehr und Wärme, die Energieabgaben so reformiert werden, dass sie sich ebenfalls am CO2-Gehalt orientieren. Diese Reform muss allerdings so ausgestaltet sein, etwa durch eine deutliche Reduzierung der Stromsteuer, dass sie nicht zulasten einkommensschwacher Haushalte geht.

Großbritannien hat 2013 im nationalen Alleingang das wirkungslose Instrument des EU-Emissionshandels reformiert, indem es einen Mindestpreis für die Emissionsberechtigungen einführte, der inzwischen noch höher ist als der hier vorgeschlagene Einstiegspreis. Es wollte damit die Rentabilität von Gaskraftwerken gegenüber der von Kohlekraftwerken stärken. Das ist auch gelungen. Die britische Kohleverstromung wird deshalb voraussichtlich schon 2025 beendet. Der Emissionshandel hat hier also durch Vorschaltung eines Mindestpreises gewirkt. Auf gesamteuropäischer Ebene hätte dieser Effekt auf dieselbe Weise oder durch eine wirksame Verknappung der Zertifikate erreicht werden können, was aber sicher nicht ganz zufällig unterblieben ist.

Kanzlerin sympathisiert mit dem Vorschlag

Die Kanzlerin hegt sichtlich Sympathien für das RWI-Papier, das weitgehend mit den jetzt vorgelegten Empfehlungen des Sachverständigenrats übereinstimmt. "Ich plädiere neben anderen Maßnahmen für einen CO2-Preis", sagte sie nach der Sitzung des Klimakabinetts auf ihrer Sommerpressekonferenz in Berlin. Allerdings gebe es dazu noch unterschiedliche Ansichten in ihrem Kabinett. Entscheidungen über eine CO2-Bepreisung und das Maßnahmenpaket zum Klimaschutz werde das Klimakabinett erst am 20. September treffen. Nach der Verfehlung der Klimaziele zum Jahr 2020 sei es der Bundesregierung umso wichtiger, die Klimaziele bis 2030 einzuhalten. Bis dahin wolle man den nationalen Treibhausgasausstoß um 55 Prozent gegenüber 1990 verringern. Die Kanzlerin verwies ferner darauf, dass sich die Bundesregierung inzwischen dazu durchgerungen hat, das EU-Ziel "Klimaneutralität bis 2050" zu unterstützen (190601).

 

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