Dezember 2011 |
111204 |
ENERGIE-CHRONIK |
Den weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen verursachen hauptsächlich zwei Länder, die gar nicht vom Kyoto-Protokoll erfaßt werden: Die USA haben sich ihren Verpflichtungen entzogen, und China gehört – ebenso wie Indien auf Platz vier – zu den Schwellen- und Entwicklungsländern, für die es bisher keine Emissionsvorgaben gibt. Das an siebter Stelle rangierende Kanada begründet seinen Rücktritt vom Kyoto-Protokoll deshalb mit dessen Wirkungslosigkeit. In Wirklichkeit geht es um die Vermeidung von Kosten. |
Kanada hat am 13. Dezember seinen Rücktritt vom Kyoto-Abkommen erklärt. Umweltminister Peter Kent gab die Entscheidung unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Klimagipfel in Durban bekannt, auf dem soeben die Verlängerung des Klimaschutzvertrags um eine zweite Periode vereinbart worden war (111203). Als Begründung nannte er die Wirkungslosigkeit des Abkommens, das die weltweit größten Emittenten USA und China gar nicht berücksichtige und deshalb nur ein Siebtel aller Treibhausgas-Emissionen erfasse. Er räumte allerdings auch ein, daß sein Land die Kyoto-Verpflichtungen ignoriert hat und mit dem Ausstiegsbeschluß die hohen Kosten vermeiden will, die eine nachträgliche Erfüllung der vertraglich vereinbarten Klimaziele erfordern würde: "Kyoto würde jede kanadische Familie 1600 Dollar kosten", behauptete der Umweltminister. Mit dem Ausstieg erspare sich Kanada 14 Milliarden Dollar (10,5 Milliarden Euro), die das Land sonst beispielsweise für den Kauf von Emissionsberechtigungen ausgeben müsse.
Gemäß dem Kyoto-Abkommen müßte Kanada seine Treibhausgas-Emissionen bis Ende 2012 um sechs Prozent senken. Tatsächlich werden sie aber um rund zwanzig Prozent oder noch stärker steigen. Schon für das Jahr 2009 registrierte das UN-Klimasekretariat einen Anstieg um 17 Prozent gegenüber 1990. Indessen sieht das Kyoto-Abkommen keine "Strafzahlungen" bei Nichteinhaltung der Emissionsziele vor, wie dies verschiedentlich in den Medien dargestellt wurde. Die säumigen Vertragspartner haben vielmehr Gelegenheit, das Defizit innerhalb von hundert Tagen nach Ablauf des ersten Zeitrahmens auszugleichen, indem sie gemäß Artikel 17 ungenutzte Kyoto-Emissionsberechtigungen von anderen Staaten erwerben. Andernfalls müssen sie in einem neu vereinbarten Zeitraum nicht nur das alte versprochene Ziel erreichen, sondern ihren Ausstoß darüber hinaus noch um zusätzliche 30 Prozent verringern.
In der Praxis greifen diese Sanktionen allerdings so gut wie nicht, da es nach Artikel 27 des Vertrags jedem Land unbenommen bleibt, sich ihnen durch Rücktritt zu entziehen. Für die Kündigung genügt eine schriftliche Erklärung. Es müssen lediglich drei Jahre seit dem Zeitpunkt vergangen sein, zu dem das Kyoto-Protokoll für das betreffende Land Gültigkeit erlangte. Kanada hat es im April 1998 unterzeichnet und Ende 2002 ratifiziert. Erstmals verbindlich wurde es am 16. Februar 2005. Die formalen Voraussetzungen für den Rückzug sind somit erfüllt.
Als Kanada das Kyoto-Protokoll unterzeichnete und ratifizierte, wurde in Ottawa die Regierung und die Mehrheit im Parlament noch von den Liberalen gestellt. Das änderte sich 2006 mit dem Amtsantritt der konservativen Minderheitsregierung, die aus ihrer Ablehnung des Abkommens nie einen Hehl machte. Die Konservativen beschränkten sich aber bisher darauf, eine Verlängerung über das Jahr 2012 hinaus abzulehnen. Seit einer vorgezogenen Parlamentswahl im Mai 2011können sie mit absoluter Mehrheit regieren. Ministerpräsident Stephen Harper ist deshalb bei der Verabschiedung von Gesetzen nicht mehr auf die Opposition angewiesen. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, daß seine Regierung nun schon ein Jahr vor dem Auslaufen des Kyoto-Abkommens den Ausstieg bekanntgibt. Immerhin wartete sie damit noch bis zum Ende des Klimagipfels in Durban, auf dem die Industriestaaten eine Verlängerung ihrer Reduktionsverpflichtungen als Gegenleistung für eine Anschlußlösung anboten. Obwohl bekannt war, daß Kanada sich an dieser Verlängerung nicht beteiligen würde, hätte eine frühere Bekanntgabe des Beschlusses die Verhandlungsposition der EU sicher geschwächt.
Der Rückzug Kanadas wird aber in jedem Fall die nun beginnenden Verhandlungen belasten. Schlimmstenfalls könnte er weitere Industriestaaten zum Ausstieg veranlassen, um Kosten durch den Ankauf von Emissionszertifikaten oder erhöhten Verpflichtungen in einer zweiten Kyoto-Periode zu entgehen.
Die Europäische Union wird ihr Kyoto-Ziel einer insgesamt achtprozentigen Minderung der Treibhausgas-Emissionen (971215) voraussichtlich nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen. Dies ergibt sich aus einem Bericht, den die Brüsseler Kommission am 7. Oktober 2011 vorlegte. Innerhalb der EU haben die 15 alten Mitgliedsländer ihren im Zuge der Lastenteilung übernommenen Verpflichtungen (020302) allerdings nur sehr ungleich und zum größten Teil unzureichend erfüllt. Lediglich Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Schweden, Finnland und Griechenland erreichen bzw. übertreffen die gesteckten Reduktionsziele. Dabei war ihnen die 2007 einsetzende Finanz- und Wirtschaftskrise behilflich (100309). Davor waren die Treibhausgas-Emissionen in den wichtigsten Industrieländern der EU fast ausnahmslos weiter gestiegen (050612). Die übrigen neun Mitglieder müssen die nach dem Kyoto-Protokoll zulässigen Ersatzinstrumente anwenden (Emissionsberechtigungen, "Joint Implementation", "Clean Development Mechanism"), um ihre Reduktionsverpflichtungen zumindest rechnerisch zu erfüllen. Das EU-Papier beziffert die Gesamtsumme der dafür vorgesehenen Aufwendungen mit bis zu 2,8 Milliarden Euro. Vor allem Österreich, die Niederlande, Spanien, Irland und Luxemburg hätten erhebliche Mittel bereitgestellt.
Die Kollektivzusage der EU in Kyoto erstreckte sich naturgemäß nur auf die 15 Länder, die der Union damals angehörten. Sie gilt deshalb nicht für die zwölf neuen Mitglieder, die ihr erst 2004 bzw. 2007 beigetreten sind. Von diesen haben sich aber zehn in Kyoto individuell verpflichtet, ihre Emissionen um 6 bzw. 8 Prozent zu senken. Nur Zypern und Malta haben keine Emissionsziele. Mit Ausnahme Sloweniens haben diese zehn Neumitglieder erheblich geringere Emissionen produziert, als ihnen in Kyoto zugestanden wurde (091104). Der Hauptgrund dafür ist die wirtschaftliche Krise, die insbesondere bei den neuen EU-Mitgliedern aus Osteuropa einen starken Rückgang der Emissionen bewirkt hat. Es steht somit ein großer Vorrat an ungenutzten Kyoto-Emissionsberechtigungen zur Verfügung, der sich von den Neumitgliedern auf die im Rückstand befindlichen Altmitglieder übertragen läßt. Ende 2009 kam es bereits zu einer Übertragung ungenutzter Emissionsrechte von Polen auf Spanien und Irland, wofür Polen insgesamt 40 Millionen Euro kassierte (091104).