Oktober 2010 |
101006 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Stromkonzern E.ON, der nach Umsatz, Börsenkapitalisierung und Zahl der Beschäftigten mit Abstand der größte deutsche Energiekonzern ist, will nicht länger als "marktbeherrschend" gelten. Ebensowenig will er es länger hinnehmen, daß von einem "Duopol" aus E.ON und RWE oder von einem gemeinsamen "Oligopol" der vier Konzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW auf dem deutschen Strommarkt die Rede ist. Es geht ihm dabei weniger um das Odium in der Öffentlichkeit als um die amtliche Einstufung durch Behörden und Gerichte, die E.ON mehrfach bescheinigt haben, zusammen mit RWE ein Duopol zu bilden oder diese marktbeherrschende Stellung gar zu mißbrauchen. Die sicher nicht leichte, aber gut bezahlte Aufgabe der Weißwaschung übernahm die Unternehmensberatung Frontier Economics, die am 21. Oktober im Auftrag von E.ON ein entsprechendes Gutachten über "Marktkonzentration im deutschen Erzeugungsmarkt" vorlegte.
Das 70-seitige Gutachten macht aus der Not eine Tugend, indem es den Verkauf oder Tausch von Unternehmensteilen, zu dem E.ON wegen seiner marktbeherrschenden Stellung gezwungen wurde, nun als die Räumung einer ehemals marktbeherrschenden Stellung deutet. Dazu gehören vor allem der Verkauf des Stromtransportnetzes (091101) sowie der Tausch von Erzeugungskapazitäten und Unternehmensbeteiligungen mit anderen europäischen Konzernen (091005), die unter dem Druck der EU-Kommission erfolgten. Ferner wird auf den Verkauf der Thüga verwiesen, in der E.ON früher die Beteiligungen an zahlreichen Stadtwerken bündelte, die nun zu Aktionären der Thüga wurden (090801).
Die Geschäftspartner GDF Suez und Statkraft, mit denen E.ON Unternehmensbeteiligungen und Erzeugungskapazitäten tauschte, tauchen in dem Gutachten als "neue Kraftwerksbetreiber" auf, die sich auf dem deutschen Markt "etabliert" hätten. Ferner wird auf Pläne der spanischen Iberdrola (061209) und der dänischen Dong (091207) für Kraftwerksbauten in Deutschland verwiesen, die allerdings seit Jahren nicht recht vorankommen und nach der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke noch weniger Chancen haben dürften. Als schwachbrüstiges Argument dient ferner die zunehmende Erzeugung von EEG-Strom, die vorwiegend von kleinen und mittelgroßen Stromanbietern vorangetrieben werde.
Als einzelnes Unternehmen sei E.ON mit einem geschätzten Marktanteil von 14 Prozent für 2010 ohnehin weit entfernt von einer Marktbeherrschung, die 33 Prozent voraussetzen würde, heißt es in dem Gutachten. Aber auch von einem Duopol könne nicht die Rede sein, weil E.ON und RWE mit einem Marktanteil von zusammen etwas über 40 Prozent deutlich unter der Grenze von 50 Prozent lägen, die nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) als Grenze für die Marktbeherrschung zugrunde zu legen wären. Lediglich der Verdacht eines Oligopols bewege sich in der Größenordnung einer Zwei-Drittel-Marktbeherrschung, die das GWB als Kriterium voraussetze. In der Praxis seien die Interessen der vier Konzerne aber viel zu unterschiedlich, als daß sich dieser Verdacht erhärten ließe.
Generell sei die Konzentration auf dem deutschen Strommarkt "signifikant zurückgegangen", seitdem 2003 das Bundeskartellamt in einer exemplarischen Entscheidung, die fünf Jahre später auch vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde (081106), die geplante E.ON-Beteiligung an den Stadtwerken Eschwege untersagte (030911). Das Bundeskartellamt habe damals ein Duopol von E.ON und RWE mit einem gemeinsamen Marktanteil von über fünfzig Prozent zugrundegelegt. Inzwischen würden die beiden Platzhirsche des deutschen Strommarktes aber nur noch 41 Prozent der Stromerzeugung und 43 Prozent der Kraftwerkskapazitäten beherrschen. Der amtliche Befund eines Duopols auf dem deutschen Strommarkt lasse sich deshalb nicht länger aufrechterhalten. Nicht haltbar sei auch der Verdacht eines Oligopols, wie er mehrfach von der Monopolkommission (040701), der EU-Kommission (060202), Politikern (061001), Stromkunden (050603) oder Stromhändlern (080408) geäußert wurde.
E.ON veröffentlichte das Auftragsgutachten just einen Tag nachdem die Bundestagsfraktion der Grünen eine Studie vorgelegt hatte, derzufolge die drei Konzerne E.ON, RWE und EnBW ihre jährlichen Gewinne in den vergangenen sieben Jahren vervierfacht haben und weit höhere Kapitalrenditen erwirtschaften als die meisten DAX-Unternehmen (101003). E.ON hat dabei mit 48 Prozent den größten Anteil am Profit-Kuchen, vor RWE (43 %) und EnBW (9 %). Bei der Marktkapitalisierung liegt E.ON mit 54 Prozent noch deutlicher vor RWE (35 %) und EnBW (11 %). Zu den aktuellen Marktanteilen enthält die Studie keine Angaben.
Auch die Bundesregierung bzw. das Bundeskartellamt verfügen hinsichtlich der Marktanteile der vier Konzerne über keine neueren Angaben als für das Jahr 2008. In ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der SPD, die jetzt vorliegt (101011), beziffert die Bundesregierung den damaligen Marktanteil von E.ON auf "22 bis 27 %", den von RWE auf "32 bis 37 %", den von Vattenfall auf "13 bis 18 %" und den von EnBW auf "10 bis 13 Prozent". Die unscharfen Angaben kommen dabei nicht mangels exakterer Zahlen zustande, sondern weil diese angeblich nicht veröffentlicht werden dürfen: "Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen können nur Relationen angegeben werden", behauptet die Bundesregierung.
Wenn allerdings die in dem Grünen-Gutachten genannten Gewinne der Konzerne nur einigermaßen stimmen, ist das ein erdrückendes Indiz für fehlenden Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt. Dagegen verblassen alle Rechenkunststücke mit Marktanteilen und alles sonstige Jonglieren mit Zahlen, weil sich solche Super-Gewinne nur unter mono-, duo- oder oligopolistischen Verhältnissen erzielen lassen.