Mai 2025 |
250502 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Mit der größeren Unabhängigkeit von der Bundesregierung kommt auf die Bundesnetzagentur das neue Problem zu, für Entscheidungen politisch unmittelbar verantwortlich gemacht zu werden: Früher hätten die ver.di-Gewerkschafter vermutlich nicht vor dem Gebäude der Regulierungsbehörde in Bonn demonstriert, sondern vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. |
Mit einer Großkundgebung vor dem Gebäude der Bundesnetzagentur in Bonn protestierten am 9. Mai rund 10.000 Beschäftigte der Energiewirtschaft aus dem ganzen Bundesgebiet gegen geplante Änderungen der "Anreizregulierung" für Strom- und Gasunternehmen, die in ihrer bisherigen Fassung Ende 2028 außer Kraft tritt. Stein des Anstoßes ist die geplante Einbeziehung von bisher nicht berücksichtigten Personalzusatzkosten in den Effizienzvergleich zwischen den regulierten Unternehmen. Sie befürchten, dass der so entstehende Kostendruck die Unternehmen zur Streichung von freiwillig gewährten Zusatzleistungen veranlassen wird, um im Wettbewerb gegeneinander bestehen zu können.
Konkret geht es um den § 11 der Anreizregulierungsverordnung, der "dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile" vom Effizienzvergleich ausnimmt. Unter den Punkten 9 bis 11 zählen dazu auch die Kosten
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In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Beschäftigten in der Energiebranche um 25 Prozent zugenommen. |
Die große Demonstration vor dem Gebäude der Bundesnetzagentur in Bonn wurde von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) organisiert. Diese entstand 2001 aus dem Zusammenschluss der fünf Vorgänger ÖTV, HBV, IG Medien, DPG und DAG und ist mit etwa 1,9 Millionen Mitgliedern die zweitstärkste deutsche Gewerkschaft nach der IG Metall. "Wie schon der alte Karl Marx wusste, neigen Monopolisten dazu, ihrer Kundschaft überhöhte Preise abzuknöpfen", heißt es in einem Artikel des ver.di-Magazins "Report" für die Beschäftigten des Ver- und Entsorgungsbereichs. Deshalb wache die Bundesnetzagentur im Auftrag der Verbraucher darüber, dass Netzbetreiber möglichst effizient und kostengünstig wirtschaften. Ihr Instrument dafür sei die Anreizregulierungsverordnung (ARegV). Derzeit sei die Behörde dabei, die Anreizregulierung zu überarbeiten. "Dabei steckt wie immer der Teufel im Detail. Und ein für uns als Gewerkschaft ganz besonders wichtiges Detail verbirgt sich in § 11 ARegV."
Weil das Thema so viel Sprengstoff berge, habe man das direkte Gespräch mit Klaus Müller gesucht, der seit März 2022 als Präsident der Bundesnetzagentur amtiert (220105). Bei einer Veranstaltung in Hamburg habe dieser vor mehr als 60 Teilnehmern der Bundesfachgruppe versprochen, die Argumente und Bedenken der Gewerkschaft in die Überlegungen der Bundesnetzagentur einfließen zu lassen. Zugleich habe er jedoch klargemacht, dass er und seine Behörde ihren Auftrag darin sehen, im Sinne der Verbraucher die Netzkosten überall dort zu senken, wo dies gesetzlich möglich ist. Sozialpolitische Überlegungen, etwaige Auswirkungen auf die Attraktivität von Arbeitsplätzen oder Auswirkungen auf den Betriebsfrieden in einzelnen Unternehmen spielten für ihre Arbeit keine Rolle. Das seien Fragen, die die Politik entscheiden müsse und nicht in den Aufgabenbereich seiner Behörde fallen. "Das lässt für die Ausgestaltung der neuen Anreizregulierung nichts Gutes erahnen", heißt es in dem Gewerkschaftsblatt.
Früher hätte eine solche Demonstration wohl eher vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin stattgefunden, denn es war die Bundesregierung, die nach Abstimmung mit dem Bundesrat 2007 die erste Fassung der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) in Kraft setzte (071103) und auch deren 2016 erfolgte Novellierung verantwortete (160805). Die Bundesnetzagentur war zwar in beiden Fällen maßgeblich beteiligt (060502). Sie konnte aber nicht für die Endfassungen verantwortlich gemacht werden, über deren Inhalt letztendlich die Bundesregierung entschied. In die Kritik geriet sie allenfalls dann, wenn sie ihren vergleichsweise geringen Ermessensspielraum nicht so nutzte, wie es einer Interessengruppe gefiel (181210).
Das hat sich inzwischen geändert, nachdem der Europäische Gerichtshof 2021 aufgrund einer Klage der EU-Kommission feststellte, dass Deutschland die Richtlinien für den Strom- und Gasbinnenmarkt (090401) nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (180705). Es wäre nämlich Aufgabe der Bundesnetzagentur gewesen, die Regelungen für Netzentgelte, Netzzugang sowie die Anreizregulierung bei Strom und Gas zu erlassen. Stattdessen hatte man diese Befugnisse, die das Unionsrecht den nationalen Regulierungsbehörden überträgt, durch § 24 des Energiewirtschaftsgesetzes auf den Verordnungsgeber verlagert. Auf Beschluss des Bundestags (231109) treten deshalb nun die Netzzugangsverordnungen für Strom und Gas mit Ablauf dieses Jahres außer Kraft. Zum Jahresende 2027 folgen die Anreizregulierungsverordnung und die Gasnetzentgeltverordnung sowie ein weiteres Jahr später die Stromnetzentgeltverordnung.
Den damit erweiterten Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur berücksichtigte bereits der Bundesgerichtshof, als er die Klagen der Strom- und Gasnetzbetreiber gegen die Eigenkapitalverzinsung zurückwies, wie sie von der Bundesnetzagentur im Oktober 2021 für die vierte Regulierungsperiode festgelegt wurde: Am 17. Dezember 2024 lehnte er die acht Musterklagen der Stromnetzbetreiber ab (250104) und am 25. Februar auch die sechs Musterklagen der Gasnetzbetreiber. Ausschlaggebend war in beiden Fällen, dass der Bundesnetzagentur ein erheblich größerer Ermessensspielraum zugebilligt werden muss, als in der Vorinstanz das Oberlandesgericht Düsseldorf angenommen hat (250310). Seit Mai sind auch die sechs Gas-Urteile auf der Internetseite des BGH zu finden.
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