Dezember 2019

191208

ENERGIE-CHRONIK


 


Dieses Foto entstand vor mehr als zehn Jahren, als noch beide Blöcke des Kernkraftwerks Philippsburg in Betrieb waren. Im Vordergrund der Rhein. Rechts sieht man vorn den Siedewasserreaktor und dahinter den Druckwasserreaktor (mit Kuppel). Links die dazugehörigen Kühltürme.

KKW Philippsburg jetzt komplett stillgelegt

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hat am 31. Dezember auch den zweiten Block des Kernkraftwerks Philippsburg endgültig abgeschaltet. Damit sind jetzt in Deutschland nur noch sechs Kernkraftwerke am Netz. Es handelt sich um Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf, die zum 31. Dezember 2021 abgeschaltet werden, sowie Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, deren Betriebserlaubnis am 31. Dezember 2022 erlischt.

Der Block 1 in Philippsburg wurde bereits 2011 stillgelegt. Er war einer der acht Reaktoren, die nach der Katastrophe von Fukushima erzwungenermaßen für immer vom Netz gingen, obwohl die Betreiber über verbindlich vereinbarte und deshalb einklagbare Reststrommengen verfügten. Zugleich kam der EnBW damals der Reaktor Neckarwestheim 1 als Stromproduzent abhanden. Diese Massenstillegung war nicht nur netztechnisch eine überaus unüberlegte und riskante Entscheidung (siehe unten). Von den noch verbliebenen neun Reaktoren wurden seitdem Grafenrheinfeld (150606) und Gundremmingen B (180202) endgültig abgeschaltet. Die Stillegung des Druckwasserreaktors Grafenrheinfeld erfolgte sogar ein halbes Jahr vor dem gesetzlich festgelegten Schlusstermin, weil sich für E.ON der sonst anstehende Wechsel von Brennelementen nicht mehr gelohnt hätte (140314).

Ursprünglich gehörte das Kernkraftwerk dem Badenwerk und der EVS

Die beiden Blöcke des Kernkraftwerks Philippsburg gehörten einst jeweils zur Hälfte der Badenwerk AG und der Energie-Versorgung Schwaben AG, die 1997 zur Energie Baden-Württemberg fusionierten (970504). Block 1 ist ein Siedewasserreaktor mit einer Netto-Leistung von 864 MW und wurde 1979 in Betrieb genommen. Block 2 ist ein Druckwasserreaktor mit 1.268 MW, der 1984 ans Netz ging. Gebaut wurden beide von der Kraftwerk Union AG, die 1969 als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und AEG für das Kraftwerksgeschäft beider Unternehmen entstand und seit 1977 Siemens allein gehörte.

Block 1 entstand nach dem Konzept der AEG, Block 2 nach dem von Siemens

Als die beiden Elektrokonzerne ihr Kraftwerksgeschäft zur KWU zusammenlegten, wurden die Kernkraftabteilungen mit Rücksicht auf die jeweiligen US-Lizenzpartner zunächst ausgeklammert, denn die AEG hatte von General Electric die Siedewasser- und Siemens von Westinghouse die Druckwassertechnologie übernommen. Erst 1973 kam es auch hier zur Fusion. Deshalb entstand Block 1 in Philippsburg noch nach dem Konzept der AEG, während der fünf Jahre später folgende Block 2 nach Siemens-Muster als Druckwasserreaktor ausgeführt wurde (siehe Hintergrund, Februar 2009).

EnBW verfügte über fünf Reaktoren an drei Standorten

Schon bei ihrer Gründung übernahm die EnBW von den beiden Vorgänger-Unternehmen neben den beiden Blöcken in Philippsburg auch das Kernkraftwerk Obrigheim, mit dem Siemens den ersten Auftrag für einen Druckwasserreaktor verwirklichen konnte und das seit 1968 die vergleichsweise bescheidene Leistung von 340 MW einspeiste. Durch die schrittweise Einverleibung der Neckarwerke Stuttgart (030807, 970706) wurde sie dann auch mehrheitlicher Eigentümer der beiden Druckwasserreaktoren in Neckarwestheim, die mit einer Leistung von jeweils 1.225 MW seit 1988 in Betrieb waren. Am Ende verfügte die EnBW so über insgesamt fünf Reaktoren an drei Standorten.

Obrigheim durfte aufgrund einer Geheimzusage des Kanzlers Schröder länger laufen

Obrigheim war das älteste deutsche Kernkraftwerk, nachdem der zwei Jahre ältere Siedewasserreaktor Gundremmingen A (237 MW) nach einem schweren Störfall 1977 stillgelegt werden musste und auch der gleichaltrige Siedewasserreaktor Lingen (240 MW) im selben Jahr endgültig vom Netz ging. Aufgrund des im Juni 2000 vereinbarten Energiekonsenses (000601, 010602) und der darauf beruhenden Neufassung des Atomgesetzes (020404) hätte der Druckwasserreaktor deshalb schon Ende 2002 abgeschaltet werden müssen. Es gab jedoch eine Geheimzusage des Bundeskanzlers Schröder gegenüber dem damaligen EnBW-Chef Gerhard Goll, einen Antrag auf Laufzeitverlängerung zu genehmigen. Diese Zusage belastete das Verhältnis der Koalitionspartner SPD und Grüne zeitweilig erheblich. Bundesumweltminister Trittin (Grüne) bewilligte der EnBW im Oktober 2002 zunächst die Übertragung einer Reststrommenge von 5,5 Terawattstunden vom Kernkraftwerk Philippsburg 1 auf Obrigheim (021002). Am Ende einigte man sich aber darauf, daß sie den Reaktor nicht länger als bis zum 15. November 2005 betreibt (021212). Am 11. Mai 2005 ging Obrigheim endgültig vom Netz (050503).

 

Der Unsinn mit den Schlussterminen

Das Atomgesetz enthält seit 2011 in § 7 Abs. 1a verbindliche Schlußtermine für die 17 Kernkraftwerke, die damals noch in Betrieb waren. Für die sieben ältesten Reaktoren sowie den relativ neuen in Krümmel wurde die sofortige Stillegung verfügt. Für die restlichen neun Reaktoren wurde die stufenweise Abschaltung in den Jahren 2015, 2017, 2019 , 2021 und 2022 jeweils zum 31. Dezember vorgeschrieben. Bei diesen Schlussterminen handelte es sich um vollkommen überflüssige Zutaten, die sich in der Praxis sogar als unsinnig und kontraproduktiv erwiesen, weil sie mit den Reststrommengen kollidierten, die im selben Paragraphen bzw. der Anlage 3 verankert sind. Die Abarbeitung dieser Reststrommengen bestimmt nämlich das Tempo des Atomaussstiegs und hat gesetzlich den Vorrang.

Die erzwungene Sofortabschaltung von acht Reaktoren verzögerte so den Atomausstieg, anstatt ihn zu beschleunigen, denn sie verlangsamte zwangsläufig die Abarbeitung der Reststrommengen, die auch den Betreibern der abgeschalteten Reaktoren weiterhin zustanden. Hinzu kollidierten die grob über den Daumen gepeilten Schlusstermine mit den inviduellen Kontingenten der vier KKW-Betreiber E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, weil versäumt worden war, diese zum Ausgleich ihrer Reststrommengen untereinander zu verpflichten.

Ein vor drei Jahren ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellte deshalb die Politiker vor die Wahl, entweder die zusätzlichen Schlusstermine zu streichen oder die KKW-Betreiber für jede Megawattstunde ihrer Reststrom-Kontingente zu entschädigen, die sie nicht mehr abarbeiten können (161201). Der vernünftigste Ausweg wäre gewesen, die KKW-Betreiber endlich zum wechselseitigen Ausgleich ihrer Reststrommengen zu verpflichten und die Schlusstermine ganz zu streichen. Dann wäre das letzte deutsche Kernkraftwerk allenfalls ein Vierteljahr später stillgelegt worden, als die Schlusstermine vorsehen.

Die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hielt aber geradezu fetischistisch an den Schlussterminen fest und sah in den dadurch notwendigen Entschädigungszahlungen das kleinere Übel (180501). Wahrscheinlich hatten viele Volksvertreter ohnehin nur vage Vorstellungen davon, wie der Ausstiegs-Mechanismus funktioniert. Noch entscheidender dürfte aber die panische Angst gewesen sein, dass der Durchschnittswähler so etwas erst recht nicht kapiert und deshalb die Abschaffung der Schlusstermine als Einknicken vor der Atomlobby wenn nicht gar als Ausstieg aus dem Ausstieg empfinden würde (siehe Hintergrund, Mai 2018).

 

Links (intern)

zum KKW Philippsburg

zur Problematik der Schlusstermine