März 2015 |
150303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Vor dem Hintergrund der andauernden Ukraine-Krise beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten am 19. März die Schaffung einer "Energieunion", um die Gas- und Stromversorgung der Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Alle Gasverträge zwischen Regierungen oder Unternehmen müssen künftig dem EU-Recht entsprechen und dürfen sich nicht negativ auf die Energieversorgungssicherheit Europas auswirken. Das betrifft insbesondere die Gaslieferungen aus Rußland, die der Staatsmonopolist Gazprom bisher mit den europäischen Importeuren in bilateralen Geheimverträgen und zu jeweils unterschiedlichen Konditionen ausgehandelt hat. Sie müssen künftig transparenter werden und den von der EU aufgestellten Regeln entsprechen. Wie diese im Detail aussehen, wird die Kommission in Kürze in einer Gesetzgebungsvorlage festhalten.
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des Europäischen Rats |
"Die Europäische Union ist in zunehmenden Maße auf externe Lieferanten angewiesen", erläuterte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk als derzeit amtierender Ratspräsident die gefaßten Beschlüsse. "Solange Gasimporte aus verschiedenen Quellen stammen und die Verträge flexibel sind, ist das kein Problem. Doch die meisten bilateralen Verträge mit unserem wichtigsten Lieferanten, Rußland, sind langfristig angelegt, manchmal auf mehr als 20 Jahre. Das kann sich als heikel erweisen, sowohl für unsere Sicherheit als auch für unseren Markt. Bei Gasverträgen sollte es um die Wirtschaft gehen, um Geschäfte. Sie dürfen nicht als politische Waffe benutzt werden."
Laut Tusk ist die Europäische Union nach wie vor bereit, die Bemühungen um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu unterstützen und "positiv auf erzielte Fortschritte zu reagieren". Die Aufhebung der Sanktionen gegen Rußland sei von der Umsetzung des sogenannten Minsker Abkommens abhängig, das am 12. Februar 2015 auf Initiative der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Francois Hollande zustande kam. Die bisherige Erfolglosigkeit dieser Vereinbarung relativierte Tusk mit dem Hinweis, daß sie erst bis Jahresende vollständig umgesetzt sein müsse: "Der Europäische Rat war sich einig, daß die Geltungsdauer der Wirtschaftssanktionen eindeutig an die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen geknüpft wird – in dem Bewußtsein, daß sie erst bis Ende 2015 vorgesehen ist."
Bauchschmerzen bereitet dem Europäischen Rat offenbar die lebhafte Auslandspropaganda des Kreml, die per Internet, Fernsehen und Printmedien in den wichtigsten EU-Sprachen verbreitet wird. In Deutschland wird beispielsweise jenes PR-Produkt, das früher unter dem Titel "Rußland heute" der Süddeutschen Zeitung beilag, seit September 2014 unter dem Titel "Russia Beyond the Headlines" von der Wirtschaftszeitung Handelsblatt unters Publikum gebracht (140903). Laut Tusk haben die Staats- und Regierungschefs "deutlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, Rußlands laufender Desinformationskampagne über den Konflikt in der Ukraine entgegenzuwirken". Bis zur Juni-Tagung des Rates werde ein entsprechender "Aktionsplan über strategische Kommunikation" ausgearbeitet.
Nach der Annektierung der Halbinsel Krim und deren Einverleibung in die Russische Föderation (140304) hatten russische Truppen und die von ihnen unterstützten Separatisten auch den Ostteil der Ukraine in ihre Gewalt gebracht (140903). Die Versuche der ukrainischen Regierung zur Rückeroberung des Gebiets scheiterten an der militärischen Überlegenheit der russischen Kräfte. Am 5. September 2014 kam es in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zwischen Rußland, der Ukraine und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu einer ersten Vereinbarung über die Beendigung der Kämpfe (Minsk I"), die aber nicht eingehalten wurde. Auch das folgende Minsker Abkommen vom Februar 2015, das auf Initiative von Deutschland und Frankreich zustande kam ("Minsk II"), blieb bisher weitgehend Papier. Die von den Separatisten mit russischer Unterstützung beherrschte Zone hat schwer unter den Kämpfen gelitten. Allein auf sich gestellt wäre sie wirtschaftlich sowieso nicht lebensfähig. Die Lage der betroffenen Bevölkerung ist verzweifelt. Das derzeit noch umkämpfte Gebiet wird deshalb wohl über kurz oder lang von Rußland einverleibt werden.
Noch unklar ist, ob sich Kremlchef Putin damit begnügen wird. Zumindest verfolgt er weiterhin das Ziel, die Rest-Ukraine zu destabilisieren und den Preis für deren wirtschaftliche Unterstützung durch die EU möglichst hoch zu treiben. Sein wichtigstes Druckmittel bleibt die Gasversorgung. Das von der EU vermittelte "Winterpaket" (140903) hat die Gazprom zwar weitgehend geliefert. Schon Ende Februar eröffnete der Kreml aber eine neue Auseinandersetzung, indem er die geleisteten Vorauszahlungen auch mit Gas verrechnen wollte, das er in die von ihm okkupierte Zone geliefert hat. Zur Rechtfertigung seiner Forderung berief er sich darauf, daß dieses Gebiet staatsrechtlich noch immer zur Ukraine gehöre...
Zusätzlich zur äußeren Bedrohung durch Rußland und die vom Kreml unterstützten Separatisten kam es Ende März zu einem Machtkampf zwischen dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko und dem Oligarchen Kolomojskij, der bisher mit einer von ihm finanzierten Privatarmee den separatistischen Bestrebungen im Osten des Landes entgegengetreten war. Auslöser war, daß das Parlament in Kiew am 20. März ein Gesetz beschloß, das die faktische Herrschaft des Oligarchen über das staatseigene Erdölunternehmen Ukrnafta beendete. Kolomojskij ließ daraufhin bewaffnete Trupps vor der Konzernzentrale aufmarschieren und diese besetzen. Poroschenko reagierte mit der Absetzung des Oligarchen als Gouverneur der Stadt Dniepropetrosk. Es wird nun befürchtet, daß Kolomojskij die Fronten wechseln und sich auf die Seite der Separatisten schlagen könnte. Der Vorgang ist typisch für die von Korruption, Cliquenwirtschaft und Machtkämpfen geprägten Strukturen des Landes, an denen sich auch unter der prowestlichen Koalition, die nach dem Sturz des Kreml-Günstlings Janukowitsch (140215) die Führung übernahm, trotz aller Reformbemühungen bisher wenig geändert hat.