EU befürchtet mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Energiepreise
Die EU-Kommission will ihr verunglücktes Konzept für den Energiemarkt,
das in ganz Europa anstelle der versprochenen Preissenkungen einen starken Anstieg
der Strompreise bewirkte (110203), nun dadurch erfolgreicher
machen, daß sie den Binnenmarkt noch mehr nach dem Gusto der großen
Energiekonzerne gestaltet. Dies ergibt sich aus den energiepolitischen "Schlußfolgerungen"
des Europäischen Rats am 22. Mai in Brüssel sowie einer aus diesem
Anlaß verfaßten gemeinsamen Erklärung von acht europäischen
Energiekonzernen.
Als Hauptargument dient der Kommission, daß die hohen Strom- und Gaspreise
die internationale Konkurrenzfähigkeit der EU-Wirtschaft untergraben würden.
Außerdem wird plötzlich entdeckt, daß sogar ein nominell sehr
niedriger Haushaltsstrompreis wie in Bulgarien für die Verbraucher eine
untragbare Belastung bedeuten und politische Sprengkraft entwickeln kann (130204).
Als Ursache des Übels gilt freilich nicht ein grundsätzlich verfehltes
Energiemarktkonzept, sondern dessen unzulängliche Ausführung. Der
auf Betreiben der Kommission zustande gekommene Ratsbeschluß zielt deshalb
auf noch mehr Netzausbau zugunsten des Stromhandels, weniger Priorität
für Umweltschutzziele, eine Beschränkung der Erneuerbaren-Förderung
auf die rentabelsten Technologien und Standorte oder die Kappung nationaler
Steuern und Abgaben auf die Energiepreise.
Neue Leitlinien des Europäischen Rats sollen für Abhilfe sorgen
"Vor dem Hintergrund der derzeitigen Wirtschaftslage müssen wir
all unsere politischen Möglichkeiten zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit,
der Beschäftigung und des Wachstums mobilisieren", heißt
es einleitend in den Schlußfolgerungen der Staats- und Regierungschefs
(siehe Wortlaut). Der Europäische Rat habe deshalb
in vier Bereichen eine Reihe von Leitlinien vereinbart, die es der EU ermöglichen
sollen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und auf die Herausforderung
hoher Preise und Kosten zu reagieren.
- Erstens müsse der Energiebinnenmarkt bis 2014 vollendet und der Ausbau
der Verbundnetze weiter vorangetrieben werden, um alle bislang abgekoppelten
Mitgliedstaaten bis 2015 an die europäischen Gas- und Stromnetze anzubinden.
Die Mitgliedstaaten, die das 2009 beschlossene dritte "Energiepaket"
noch nicht umgesetzt haben, werden ersucht, dies vordringlich zu tun. Rolle
und Rechte der Verbraucher müßten gestärkt werden. In diesem
Zusammenhang hebt der Rat ausdrücklich hervor, "wie wichtig
es ist, einkommensschwächere Verbraucher zu schützen".
- Zweitens bedürfe es bedürfe es erheblicher Investitionen in neue
und intelligente Energieinfrastrukturen, um eine kontinuierliche Energieversorgung
zu erschwinglichen Preisen zu sichern. Der Stromverbund zwischen den Mitgliedsstaaten
soll auf mindestens zehn Prozent der Erzeugungskapazitäten ausgeweitet
werden. Die Finanzierung dieser Investitionen soll in erster Linie "über
den Markt bereitgestellt werden", wobei es auf "einen gut
funktionierenden CO2-Markt" ankomme.
- Drittens sei eine stärkere Diversifizierung der Energieversorgung Europas
anzustreben. Hierzu werde die Nutzbarmachung erneuerbarer Energieträger
fortgesetzt. Dabei müsse jedoch "ihre Kosteneffizienz, ihre
weitere Marktintegration und die Netzstabilität gewährleistet"
sein. Ferner wolle die Kommission prüfen, "inwieweit systematischer
auf heimische Onshore- und Offshore-Energiequellen zurückgegriffen werden
kann und diese sicher, nachhaltig und kosteneffizient genutzt werden können".
- Viertens könnten Maßnahmen zur Energieeffizienz erheblich dazu
beitragen, "die derzeitigen Trends bei den Energiepreisen und -kosten
umzukehren". Der Durchführung der Richtlinien zur Energieeffizienz
und zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden komme hierbei entscheidende
Bedeutung zu. Die Kommission will noch in diesem Jahr eine Untersuchung über
die Zusammensetzung der Energiepreise und -kosten in den Mitgliedstaaten sowie
über die diese Preise und Kosten bestimmenden Faktoren vorzulegen, wobei
der Schwerpunkt insbesondere auf die Auswirkungen auf die Haushalte, die KMU
und die energieintensiven Wirtschaftszweige gelegt und die Wettbewerbsfähigkeit
der EU gegenüber den anderen globalen Wirtschaftsakteuren umfassender
geprüft wird.
Energiekonzerne beklagen "fehlende langfristige
Perspektiven und regulatorische Unsicherheit"
Am Vortag der Sitzung des Europäischen Rats gaben acht EU-Energiekonzerne
in Brüssel eine gemeinsame Erklärung zu dem bereits vorliegenden Resolutionsentwurf
ab. Es handelte sich um E.ON und RWE (Deutschland), Enel und Eni (Italien),
Iberdrola und Gas Natural Fenosa (Spanien), Gasterra (Niederlande) und GDF-Suez
(Frankreich). Die Vorstandsvorsitzenden der acht Konzerne unterstrichen "den
Ernst der derzeitigen Herausforderungen in der Branche" und schlugen
aus ihrer Sicht geeignete politische Maßnahmen vor. Die gegenwärtige
Situation sei gekennzeichnet durch "fehlende langfristige Perspektiven
und regulatorische Unsicherheit". Dies führe unweigerlich zu
ausbleibenden Investitionen im Energiesektor, was sich negativ auf Versorgungssicherheit,
Beschäftigung und Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft auswirke.
Jeder der acht Unterzeichner habe in den vergangenen Jahren erfahren müssen,
"daß die Energiepolitik der EU und einiger Mitgliedsstaaten nicht
in vollem Umfang den erwarteten Fortschritt gebracht hat". Infolge
einer "Verkettung unglücklicher Umstände" seien
sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft
gefährdet. Hinzu würden neue Investitionen verhindert.
Am neoliberalen Grundkurs der EU-Energiepolitik wollen die Konzerne aber ebensowenig
wie die Kommission rütteln lassen. Sie halten "uneingeschränkt
an der Liberalisierung der Energiemärkte fest" und loben die
Kommission für ihre bisherigen Anstrengungen auf diesem Gebiet. Sie sind
"sehr darüber erfreut, daß die Staats- und Regierungschefs
nunmehr eine Bestandsaufnahme der kritischen Lage des Energiesektors vornehmen".
In Anlehnung an die vier Bereiche, die in dem Ratspapier genannt sind, formulieren
sie ihrerseits folgende vier Forderungen:
- "Eine verbesserte Marktausgestaltung, einschließlich eines
auf europäischer Ebene koordinierten Ansatzes für Kapazitätsmechanismen,
die gewährleisten, dass alle zur Versorgungssicherheit der europäischen
Kunden beitragenden Anlagen gerecht entlohnt werden". – Gemeint
ist damit die Forderung nach der Subventionierung von konventionellen Kraftwerken,
die zum Ausgleich der fluktuierenden Erzeugung von Wind- und Solarstrom weiterhin
benötigt werden (111104, 130418)
bzw. nach einem neuen "Marktdesign" (130406)
- "Einen europäischen CO2-Markt, der in der Lage ist, klimafreundliche
Techniken zu fördern, und der eine verläßliche Perspektive
aufzeigt, nicht zuletzt dadurch, daß ehrgeizige, aber realistische und
belastbare Ziele für Treibhausgasimmissionen für die Zeit nach 2020
vorgegeben werden". – Diese Forderung läßt sich
so verstehen, daß es vorläufig bei der Wirkungslosigkeit des CO2-Zertifikatehandels
bleiben soll und "ehrgeizigere" Ziele, die aber trotzdem "realistisch
und belastbar" sein müssen, auf die Zeit nach 2020 verschoben werden
(130105, 130405)
- "Einen nachhaltigeren Ansatz für die Förderung von erneuerbaren
Energien, um so die Kosten für die Bürger zu senken und eine stärkere
Konvergenz zwischen Mitgliedstaaten zu ermöglichen". –
Hier handelt es sich um die alte Forderung nach "Harmonisierung"
der Erneuerbaren-Förderung. Dadurch würden die bisher auf nationaler
Ebene bereitgestellten Gelder zentral über die EU-Kommission für
besonders günstige Standorte und Technologien verteilt, was für
die Energiekonzerne besonders vorteilhaft wäre (100408,
110102, 110206).
- "Eine Stärkung des politischen Handlungsrahmens, um Investitionen
in vielversprechende Techniken wie Energiespeicherung, neue Entwicklungen
bei erneuerbaren Energien, Schiefergas, CO2-Abtrennung und Speicherung sowie
intelligente Netze und Zähler anzustoßen". – Hier
brechen die Energiekonzerne nochmals eine Lanze für die umweltgefährdenden
und energiewirtschaftlich wenig ergiebigen Techniken zur Nutzung von Schiefergas
durch Fracking (110612, 130211)
und zur Verpressung von CO2 aus Kohlekraftwerken in den Untergrund (siehe
Hintergrund vom Mai 2011).
Links (intern)
- Den Energiekonzernen schwinden die Erträge aus dem Stromgeschäft
(130502)
- Schluß mit billig: EU sorgt auch in Frankreich für steigende
Strompreise (110203)
- EU-Kommission plant Ausbau der Energie-Infrastruktur für eine Billion
Euro (101104)
- Neue EU-Richtlinien für Binnenmärkte bei Strom und Gas verabschiedet
(090401)
- Wortlaut der Schlußfolgerungen des Europäischen
Rats vom 22. Mai 2013 (deutsche Fassung)
- Hintergrund: Die einstigen DAX-Zugpferde E.ON
und RWE sind lahm geworden