Februar 2013

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ENERGIE-CHRONIK


 

 

Im Vergleich mit Deutschland zahlten die Bulgaren 2011 gerade mal ein Drittel des Endpreises für Haushaltsstrom (blaue Balken). Etwas anders sieht es aus, wenn man den von Eurostat errechneten Kaufkraftstandard (KKS) berücksichtigt (rote Balken). Aber auch der KKS bringt offenbar die reale Belastung der bitterarmen Bevölkerung Bulgariens durch die Strompreise nur sehr unzureichend zum Ausdruck.

Die Grafik läßt außerdem wieder mal erkennen, daß die deutschen Haushaltsstrompreise nur von denen in Dänemark übertroffen werden. Dennoch dürften andere Länder noch härter betroffen sein, wenn man die reale Kaufkraft und den Stellenwert der Stromrechnung im Haushaltsbudget berücksichtigt. Zumindest Ungarn, die Slowakei und Zypern erreichen einen höheren KKS-Wert als Deutschland, und auch für Polen und Portugiesen dürfte die Belastung noch erheblich größer sein als in Deutschland.

Bulgarische Regierung tritt nach Strompreis-Protesten zurück

Nach heftigen Protesten gegen den Anstieg der Stromrechnungen ist in Bulgarien der konservative Ministerpräsident Bojko Borrissow mit seiner Regierung am 20. Februar überraschend zurückgetreten. "Jeder Tropfen Blut ist eine Schande für uns", begründete der ehemalige Leibwächter des kommunistischen Diktators Todor Schiwkow seinen Rücktritt, mit dem er anscheinend ein Vorziehen der Parlamentswahlen erreichen will, die bisher am 7. Juli stattfinden sollten.

Zuvor hatten sich zehntausende von Menschen in der Hauptstadt Sofia und anderenorts über den Anstieg der Stromrechnungen empört und die Wiederverstaatlichung der bulgarischen Energieversorgung gefordert. Diese war erst 2004 privatisiert worden, wobei die sieben bulgarischen Stromverteiler jeweils mehrheitlich von der tschechischen CEZ, der österreichischen EVN und dem E.ON-Konzern übernommen wurden (040807). E.ON hat die so entstandene Tochter E.ON Bulgaria vor einem Jahr an das tschechische Unternehmen Energo-Pro verkauft (111207). Die jetzigen Proteste, bei denen auch Firmenfahrzeuge der Versorger in Flammen aufgingen, richteten sich deshalb gegen CEZ, EVN und Energo-Pro. Da sie auch nach dem Rücktritt der Regierung andauerten, gab das Auswärtige Amt in Berlin allen Bulgarien-Reisenden in einem Sicherheitshinweis den Rat, Demonstrationen und Menschenansammlungen zu meiden

Im Grunde bildeten die Strompreise aber nur die Spitze eines verbreiteten Unmuts über die Austeritätspolitik der Regierung. Der seit 2009 regierende Borrissow verfolgte einen rigiden Sparkurs, der zwar in Brüssel erfreute, aber zu Lasten der bitterarmen Bevölkerung ging und die Arbeitslosenquote seit 2008 von 5,6 auf 12,7 Prozent ansteigen ließ. Den privaten Stromversorgern hatte die Regierung dagegen im Sommer vorigen Jahres eine Erhöhung der regulierten Strompreise um 13 Prozent bewilligt. Dies machte sich jetzt in einem starken Anstieg der Stromrechnungen bemerkbar, weil in Bulgarien viele Wohnungen elektrisch beheizt werden.

Zunächst hatte Borrissow versucht, die Empörung in den Griff zu bekommen, indem er eine Senkung der Strompreise um acht Prozent ankündigte, den unpopulären Finanzminister Simeon Djankow zurücktreten ließ und der tschechischen CEZ mit dem Entzug der Lizenz drohte. Nach einem neuerlichen Anschwellen der Proteste, wobei es auch zu gewalttätigen Krawallen vor dem Parlament in Sofia kam, zog er es dann aber vor, samt seinem Kabinett zurückzutreten.

Referendum zum KKW Belene scheitert an zu geringer Beteiligung

Ein Referendum zur Fortführung des bulgarischen Kernkraftwerksprojekts Belene ist am 27. Januar gescheitert. Zwar sprach sich die Mehrheit der Abstimmenden für den KKW-Bau aus. Es beteiligten sich aber nur etwa 20 Prozent der 6,9 Millionen Wahlberechtigten an dem Votum. Um Verbindlichkeit zu erlangen, hätte die Beteiligung mindestens 60 Prozent erreichen müssen.

Die bulgarische Regierung wollte das KKW Belene, das der russische Reaktorbauer Atomstroyexport errichten sollte, ursprünglich mit finanzieller Hilfe des RWE-Konzerns verwirklichen (081003). Das geplante Gemeinschaftsunternehmen sollte zu 51 Prozent dem bulgarischen Staat gehören (081205). Um die Widerstände zu beseitigen, die bis in die Reihen der eigenen Aktionäre reichten, startete RWE in Deutschland sogleich eine großangelegte Werbekampagne (081103). Der neue Ministerpräsident Bojko Borrissow stoppte aber aus Geldmangel die vorgesehene Kapitalbeteiligung an dem Gemeinschaftsunternehmen (090809), worauf sich auch RWE zurückziehen mußte (091002). Nach zeitweiligem Lavieren (100606) gab die Regierung Borrissow Ende März 2012 bekannt, daß sie aus den Verträgen mit Atomstroyexport definitiv aussteigen und stattdessen am Standort Belene ein Gaskraftwerk errichten wolle. Diese Entscheidung wurde vor allem von den oppositionellen Sozialisten (Ex-Kommunisten) kritisiert, unter deren führender Regierungsbeteiligung einst der Vertrag mit RWE zustande kam und die auch die treibende Kraft hinter dem jetzt gescheiterten Referendum waren.

Der Bau eines weiteren KKW wird aber von allen bulgarischen Parteien in Erwägung gezogen, sofern er sich finanziell realisieren läßt. Auch in der jetzt zurückgetretenen Regierung gab es Überlegungen, anstelle des erdbebengefährdeten Projektes Belene einen weiteren Block am vorhandenen KKW-Standort Kosloduj zu errichten.

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