Januar 2011 |
110102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Grünen im Europa-Parlament haben eine Kampagne gegen EU-Energiekommissar Günther Oettinger gestartet, weil er die bisherigen nationalen Systeme zur Förderung der erneuerbaren Energien durch eine Förderung auf europäischer Ebene ersetzen will. Oettinger mache sich damit zum "trojanischen Pferd der Energiekonzerne", die das EEG durch eine europaweite "Harmonisierung" ersetzen wollen. Die SPD warnt ebenfalls vor den Brüsseler Plänen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) forderte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf, eine Aushebelung des EEG zu verhindern. Röttgen versicherte daraufhin am 13. Januar, daß er solche Pläne als "Kampfansage an die deutsche Energiepolitik" betrachte.
Oettinger steckte inzwischen zurück. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (27.1.) bestritt er, das EEG komplett abzuschaffen zu wollen. Es gehe ihm nur um Reduzierungen der Fördersätze. "Mittelfristig" bedürfe es jedoch europäischer Regeln zur Förderung. In einem Beschlußpapier für den bevorstehenden Energieggipfel der Staats- und Regierungschefs am 4. Februar ist eine Kompromißformel vorgesehen, mit der die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, bei der Förderung der erneuerbaren Energien mehr zu kooperieren und "nationale Fördersysteme zu stabilisieren".
Unter der Überschrift "Ist der EU-Kommissar ein trojanisches Pferd der Energiekonzerne?" heißt es in der Zeitungsanzeige der Grünen: Weil die Atom- und Kohlekonzerne den Aufstieg der Erneuerbaren Energieanbieter verhindern wollen, schlägt Herr Oettinger vor, das Erneuerbare-Energien-Gesetz über Brüssel auszuhebeln. Oettinger will die Förderpolitik "europaweit harmonisieren". Das heißt praktisch: den Vorrang für die erneuerbaren Energien beim Netzzugang abschaffen, die dezentrale Förderung der Erneuerbaren behindern, grüne Energie vor allem in Großprojekten (außerhalb der EU) produzieren und Strom europaweit zu handeln. Diese Politik belohnt die Klimasünder und blockiert die grüne Energiewende. Eine EU-weite Harmonisierung wird die Taschen der Stromhändler füllen, die Energiepreise durch Spekulation unnötig verteuern und mittelständische Unternehmen in den Ruin führen. Die Energiewende Europas braucht ambitionierte nationale Fördersysteme. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein bedeutender Wachstumsmotor. Es schafft Arbeit, ist der schnellste Weg zur Energiewende - und investiert in die deutsche Energiezukunft. Die Grünen im Europaparlament appellieren: Energiepolitik ist unsere Zukunft. Sie
darf nicht den Lobbyisten Mehr Infos: www.greens-efa.eu/oettinger |
"Wir brauchen einen europäischen Rechtsrahmen, der den Zugang zu den Netzen regelt", hatte Oettinger bereits im August vergangenen Jahres gegenüber der "Financial Times Deutschland" (6.8.) erklärt. Die sogenannte Harmonisierung der Erneuerbaren-Förderung ist implizit auch Bestandteil seiner Vorschläge zum Ausbau der Energie-Infrastruktur für eine Billion Euro, die er im November vorlegte (101104) und mit denen sich am 4. Februar die Staats- und Regierungschefs befassen werden. Zur Vorbereitung dieses EU-Gipfels lud die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Chefs der vier Energiekonzerne und weitere Branchenvertreter für den 12. Januar zu einem Treffen ins Kanzleramt ein. Die Erneuerbaren-Branche befürchtete deshalb, daß auch die geplante Aushebelung des EEG besprochen werden sollte, zumal sie selber nicht eingeladen worden war. Vermutlich war die Runde aber zu groß, um ein solches Vorhaben eingehender erörtern zu können.
Die Ersetzung der nationalen Fördersysteme durch eine EU-einheitliche Regelung würde hauptsächlich den Energiekonzernen zugute kommen, die ohnehin europaweit tätig sind. Schon seit Jahren investieren sie erheblich in Windkraftanlagen und andere Bereiche der erneuerbaren Energien, die wegen der hohen Einspeisungsvergütungen durch das EEG und andere Fördersysteme gewinnträchtig geworden sind. Die regenerative Stromerzeugung wäre für die Konzerne allerdings noch profitabler, wenn die Vergabe der Fördermittel nicht mehr von Ländergrenzen abhinge, sondern standortunabhängig gewährt würde. Die Anlagen würden dann nicht mehr in den Staaten mit den höchsten Fördersätzen, sondern an den Standorten mit den geringsten Erzeugungskosten errichtet.
Über ein Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI), das finanziell von E.ON und RWE abhängig ist (100807), haben die Energiekonzerne im April 2010 ihre Sicht der Dinge propagieren lassen (100408). Demnach würde eine europaweite Vereinheitlichung der Förderung von 2008 bis 2020 eine Ersparnis von rund 188 Milliarden Euro ermöglichen. Bei der Konzentration auf besonders effektive Technologien - gemeint sind damit mehr oder weniger einheitliche Fördersätze - würde die Ersparnis sogar 178 Milliarden Euro betragen.
Mit noch gigantischeren Zahlen wartete die Unternehmensberatung McKinsey auf. In einer Studie, die über das "Handelsblatt" (16.9.10) lanciert wurde, veranschlagte sie den Finanzbedarf für den von der EU angestrebten Umstieg auf erneuerbare Energien von 2020 bis 2050 auf mindestens 6,6 Billionen Euro - und auf zwei Billionen mehr, falls die Förderung nicht EU-einheitlich erfolge. Anscheinend wurde diese Studie von Leonhard Birnbaum veranlaßt, der selber von McKinsey kommt und nun als Strategievorstand von RWE auf ein "konsistentes Regelwerk innerhalb der EU" drängt.
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) befürchtet dagegen europaweit Mehrkosten von bis zu 90 Milliarden Euro, falls die Ökostromförderung vereinheitlicht würde. Diese Mehrkosten würde dann vor allem Deutschland treffen und zugleich Arbeitsplätze und Unternehmen gefährden, warnte BEE-Präsident Schütz in seinem Schreiben an Röttgen.
Das zweite Argument trifft sicherlich zu: Das EEG ist zugleich eine Art Konjunkturprogramm, von dem eine ganze Branche lebt und das zahlreiche Arbeitsplätze sichert. Außerdem würde man den deutschen Stromverbrauchern schwerlich plausibel machen können, weshalb sie mit einem erheblichen Zuschlag zu den ohnehin ständig steigenden Strompreisen die Errichtung von Windkraftanlagen in der Irischen See oder von Solaranlagen in Andalusien finanzieren sollen.
Bundesumweltminister Röttgen (CDU) hat die Problematik erkannt, die in den Plänen seines Parteifreundes Oettinger steckt, dessen energiepolitische Kompetenz ohnehin zweifelhaft ist (101104). Im "Interview des Monats" erklärte er dem WDR 5-Radio am 13. Januar auf eine entsprechende Frage:
Eine EU-weite Übertragung der nationalen Instrumente unserer Energiepolitik auf eine EU-weite Harmonisierung wäre das Aus für unser Energiekonzept, das könnten wir dann in die Papiertonne werfen. Und es wäre auch das Aus für die parallele Entwicklung von Technologien und Markt in Deutschland. Darum wäre das eine Kampfansage an die deutsche Energiepolitik, an die Förderung zu unserem wirtschaftlichen Vorteil der erneuerbaren Energien in Deutschland. Darum lehne ich das strikt ab. Ich glaube auch nicht, dass es dazu kommt. Aber ich lehne es strikt ab. Wir machen hier eine Transformation, auch zu unserem Vorteil. Wir setzen das Geld der deutschen Stromverbraucher, der deutschen Steuerzahler ein, um in Deutschland Technologien, Märkte, Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu erzielen. Wenn es so käme, dass mit dem Geld der Deutschen in Süditalien und Spanien Märkte entwickelt werden und wir dabei blieben, unsere Energie zu importieren, was ja die heutige Situation ist, dann würde diese gesamte Transformation ökonomisch unsinnig werden, teurer werden, und sie würde auch Akzeptanz in Deutschland verlieren. Darum ist es eine ganz wichtige Frage und eine ganz klare, auch notfalls kämpferische Position des Bundesumweltministers: Es muß bei diesem nationalen Fördersystem bleiben. Wir sind damit außerordentlich erfolgreich, und wir wollen es bleiben.
Die Erneuerbaren-Branche, die jetzt aufschreit, hat selber zur Untergrabung des bisherigen Systems der EEG-Förderung beigetragen, indem sie die im Mai 2009 von der Bundesregierung beschlossene Umstellung des EEG-Ausgleichsverfahrens kritiklos hinnahm oder sogar unterstützte (091201). Damit wurde die bisherige Absatzgarantie für EEG-Strom beseitigt und der Sprengsatz gelegt, der eineinhalb Jahre später die EEG-Umlage explodieren ließ (101001). Im Grunde war der Sprengsatz bereits bei der Novellierung des EEG im Jahr 2008 gelegt worden, indem man in § 64 Abs. 3 klammheimlich eine Verordnungsermächtigung einfügte, die das ganze bisherige Ausgleichs-Prozedere der §§ 34 - 39 auf tönerne Füße stellte. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, wie es zu dieser unscheinbaren, aber äußerst folgenreichen Verordnungsermächtigung kam und welche Lobby-Interessen später bei der Formulierung des Verordnungstextes miteinflossen. Daß die Änderungen vor allem auf Wünsche der vier Konzerne und der sonstigen etablierten Stromwirtschaft zurückgingen, unterliegt keinem Zweifel. Aber auch die Erneuerbaren-Lobby wirkte anscheinend mit. Zumindest fühlte sie sich auf der sicheren Seite, da an ihren Einspeisungsvergütungen und am Einspeisungsvorrang vorerst nicht gerüttelt wurde.
Durch diesen Coup erlitt die Akzeptanz der EEG-Förderung weit mehr Schaden als durch die gesamte Propaganda für eine europaweite "Harmonisierung" der Förderung. Auch nach dem sprunghaften Anstieg der EEG-Umlage unternahm der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) keinerlei Anstrengungen, die Öffentlichkeit über die Hintergründe und wahren Ursachen aufzuklären. Er beteiligte sich vielmehr an der allgemeinen Augenwischerei, die glauben machen will, daß hauptsächlich die gestiegenen Einspeisungsvergütungen für Photovoltaik die Explosion der EEG-Umlage verursacht hätten.